Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN PARTEIEN - Vom Beruf des Politikers


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ZUM FALL LAMBSDORFF

1. Warum dürfen demokratische Politiker --------------------------------------- sich nicht bestechen lassen --------------------------- Daß Geldzuwendungen zum Erreichen bestimmter Ziele und Zwecke in dieser unserer Republik so ganz generell ein Skandal wären, kann man wirklich nicht behaupten. Staatsgelder für Unternehmer aber immer! ---------------------------------------- Noch jede bisherige Bundesregierung hat es als eines ihrer ersten Anliegen betrachtet, "der Wirtschaft" auf die Sprünge zu helfen. Ein eigenes Ministerium ist damit beschäftigt auszuloten, welche finanziellen Vergünstigungen gewährt und welche Anreize zur Erhö- hung der "Investitionsneigung" geschaffen werden sollen: "Subventionen", um ein Unternehmen wieder konkurrenzfähig zu ma- chen; "Strukturbeihilfen", damit ü b e r a l l lohnende Ge- schäfte zu machen sind; "Investitionshilfen", damit die Herren Unternehmer auch i n Z u k u n f t ihren Reichtum vermehren; "Steuerbefreiungen" (wie im Fall Flick), wenn ein Unternehmen seinen Gewinn wieder in ein lohnendes Geschäft steckt. Lauter Geldzuwendungen des Staates an seine Kapitalisten, damit die mit möglichst wenig Aufwand möglichst große und erfolgreiche Ge- schäfte in die Wege leiten und so ihre oberste soziale Pflicht erfüllen: das Gewinnemachen. Denn ein "Wirtschaftswachstum" braucht der Staat, um die wachsenden Bedürfnisse seiner Gewalt problemlos finanzieren zu können. Vergünstigungen fürs große Ei- gentum - ein Skandal? Nie und nimmer! Das gerade Gegenteil: Ein gutdotierter, äußerst ehrenhafter und begehrter Kabinettsposten ist dieses Geschäft. Und wenn Wirtschaftsminister und Großunter- nehmer gemeinsam die Grenzen und die Anpassungsfähigkeit des Steuerrechts erproben, so ist das nichts als marktwirtschaftsge- rechte Konjunkturpolitik. Unternehmergelder für Staatsparteien - gemeinnützig! ---------------------------------------------------- Umgekehrt: Findige Parteileute beschaffen Geld - von großen und kleinen Spenden -, damit ihre Partei ihren Propagandaapparat fi- nanzieren kann; damit sie an der vom Grundgesetz geforderten "politischen Willensbildung" mitwirken kann; damit sie die ökono- misch geforderten Notwendigkeiten der Marktwirtschaft herbeifüh- ren hilft. Soll das etwa anrüchig sein? Eben erst haben die christlich-liberalen Parlamentarier gemeinsam mit ihren Kollegen von der sozialdemokratischen Abteilung ganz einvernehmlich be- schlossen, bei ihren Vereinen handele es sich um eine "gemeinnützige" Veranstaltung; deren finanzielle Unterstützung sei somit eine äußerst ehrenwerte und dem Gemeinwohl dienliche - daher auch steuermindernde - Angelegenheit. Wo liegt da ein Skan- dal? Im Gegenteil: Um die H e b i u n g d e r ö f f e n t l i c h e n M o r a l macht sich verdient, wer po- tenten Spendern Partei-"Schmiergelder" entlockt. Warum nicht beides in einem? ---------------------------- Es liegt doch unbedingt nahe, eines mit dem anderen in einem ein- zigen parlamentarisch-marktwirtschaftlichen Geschäftsgang zu kom- binieren. Politische Parteien sollen das finanzkräftige, gemein- trächtige Eigentum fördern; dafür s o l l e n Unternehmer - wie jedermann - die politischen Parteien beschenken - die Spende ehrt den Geber. Wo fängt da die nicht genehmigte Bestechung an? Sie beginnt mit dem Verdacht, ein Staatsmann hätte der Wirtschaft nicht aus Prinzipientreue Gutes getan, sondern unter dem "Zwang" einer Spende; und eine Partei wäre nur um eines Sondervorteils des Geldgebers willen gefördert worden. Die Partnerschaft zwi- schen Kapital und Parteien soll und darf nicht von zweckgebun- denen Spezialzuwendungen a b h ä n g e n. In einer sauberen De- mokratie hat die Förderung des Gewinnemachens der oberste und selbstverständliche soziale Dienst der Staatsgewalt zu sein, egal wer im Wirtschaftsministerium residiert, und auf alle Fälle unab- hängig von jeder Extra-Bemühung von Unternehmern, sich die Gunst der Behörden zu erkaufen. Und die Parteien sollen den Geldgebern aus "der Wirtschaft" g r u n d s ä t z l i c h als Garanten des Gewinnemachens einleuchten und Spenden wert sein. Die T r e n n u n g zwischen Parteienfinanzierung und Wirtschaftspo- litik dient so einem geordneten, von allem Persönlichen und Zu- fälligen gereinigten, verläßlichen Zusammenwirken von Parteien und Unternehmern am Gedeihen des demokratischen Kapitalismus. Warum dann doch beides in einem? -------------------------------- Denn selbstverständlich ist es keineswegs, daß diese Trennung auch e i n g e h a l t e n wird. Im Gegenteil: Daß die Vermi- schung beider Seiten v e r b o t e n ist, zeigt, wie ü b l i c h u n d a l l t ä g l i c h sie praktiziert wird. Und das ist auch kein Wunder. Die Partnerschaft zwischen Kapital und Parteien b e s t e h t in nichts anderem als einer unendli- chen Kette wechselseitiger zweckgebundener Spezial- und Sonderzu- wendungen. Es sind ja immer die interessanten E i n z e l- f ä l l e, in denen einem Minister der Nutzen einer Staatshilfe an einen Unternehmer einleuchtet und dem Unternehmer die Gemeinnützigkeit einer Parteispende. Das gewünschte grund- sätzliche Verhältnis besteht also allemal in einer Vielzahl von Einzelfällen, die eigentlich v e r b o t e n wären. Also r e i c h t ein Einzelfall auch noch nicht für einen Skan- dal, so sehr sich im Grunde jeder Einzelfall zum Skandal e i g n e t. Und es erhebt sich die Frage: 2. Wo liegt im Fall Lambsdorff eigentlich der Skandal? ------------------------------------------------------ Damit aus der höchst marktwirtschaftsdienlichen Zusammenarbeit zwischen Lambsdorff und Brauchitsch überhaupt ein "Fall" werden konnte, mußte das Entscheidende erst noch hinzukommen: ein sehr nachdrückliches demokratisches Interesse daran, dem FDP-Aushänge- schild im Wirtschaftsministerium eins auszuwischen. Ohne Parteienkonkurrenz kein "Fall"! ------------------------------------ Dieses Interesse - das den Fahndern der Justiz freie Bahn eröff- nete, zur Aufdeckung der Listen des Bestechungsbuchhalters der Firma Flick führte und für rege öffentliche Anteilnahme sorgte - lag vor, und zwar auf beiden Flügeln des Hohen Hauses: - Die SPD hat noch eine Rechnung in Sachen "Wende" zu begleichen. Also führt sie sich als Saubermann im Staate auf und möchte das hochheilige A m t des Wirtschaftsministers vor dessen adeligem I n h a b e r in Schutz nehmen. Zwar ist dieses Amt kein bißchen besser als der Charakter seines Inhabers; es braucht dafür eine sehr hartgesottene Liebe zum Privateigentum und einige Könner- schaft in Sachen Intrige, um überhaupt hineinzukommen. So sieht das aber kein Demokrat. Demokratische Tugend ist es, die Füh- rungsfiguren der anderen Fraktion als moralische F e h l besetzung anzupinkeln und so den moralischen Adel des an- geblich fehlbesetzten P o s t e n s jedem Zweifel zu entrücken. D a m i t empfiehlt sich eine demokratische Staatspartei dem Pu- blikum. Deswegen und im Namen dieser Heuchelei hat die in Nord- rhein-Westfalen regierende SPD der Justiz Gelegenheit gegeben, sich als "unabhängige dritte Gewalt im Staat" zu bewähren. - Die CSU hält Lambsdorff für einen "schlechten Wirtschaftsmini- ster", weil sie selbst dessen Amt für sich haben und ihrem Strauß mehr Einfluß sichern will. Auch "Erbhöfe in der Politik" kann diese Partei - ausgerechnet! - überhaupt nicht leiden, seit sie die Chance sieht, der FDP ihr zweitwichtigstes Ministerium abzu- jagen. Denn dafür kommt ihr die Anklage gegen den bestechlichen Grafen so gelegen, als hätte sie selbst dafür gesorgt. Das darf sie andererseits nie zugeben, wenn ihr Anspruch auf FDP-Posten ehrenwert aussehen soll. Außerdem ist sie Regierungspartei und überhaupt der Meinung, daß Kritik von links an Politik von rechts sich nicht gehört. Also fördert sie den kleinen Skandal um Lambs- dorff, indem sie einen großen Skandal um die Lambsdorff-Kritik --------------------------------------- daraus macht. Denn darin sind sich alle Regierungsparteien einig: "Vorverurteilung" und "Hinrichtungsjournalismus" werfen sie jedem vor; der auch nur Zweifel an Lambsdorffs weißer Weste äußert. V e r u r t e i l e n darf nur die Justiz, also hat niemand zu k r i t i s i e r e n - so lautet bei Politiker-Missetaten das erste Gebot. Und das zweite heißt: Justizurteile erstrecken sich nicht auf die Politik, und sofern sie den Politiker treffen, überschreiten sie ihre Kompetenz und sind auch wieder u n z u l ä s s i g e K r i t i k. Denn mit einem führenden Mann der Regierung und dieser unserer Republik würde ja - so die Beschwerde von oben - zielstrebig der Staat selbst und seine Füh- rungsgarnitur in Verruf gebracht. Tatsächlich will zwar kaum jemand überhaupt eine K r i t i k geübt haben. Die Bonner Staatsanwälte jedenfalls kein bißchen; und auch die SPD hat Lambsdorff nur aus lauter Wohlwollen den Rücktritt empfohlen: damit seine Amtsführung und seine Verteidi- gung keinen Schaden leiden unter der "Doppelbelastung" des guten Mannes! Das alles hindert aber nicht die heiße Debatte über die U n z u l ä s s i g k e i t jeder Kritik. Im Gegenteil: Gerade weil alle öffentlichen Anwürfe gegen Lambsdorff so hemmungslos konstruktiv, saubermännisch und heuchlerisch sind, paßt zu ihnen so prächtig der regierungsamtliche Gegenvorwurf, sie wäre bei weitem n i c h t k o n s t r u k t i v g e n u g - und deswe- gen der eigentliche Skandal. Mensch Lambsdorff! ------------------ Fürs Volk verdolmetscht wird dieser Gegenvorwurf vor allem aus- giebig durch die Darstellung des regierenden FDP-Grafen als a r m e s O p f e r - wobei auch hier nicht selten die doppelbö- dige Absicht durchblickt. Erstens und auf alle Fälle wird damit seinen Kritikern eins ausgewischt: 'Ihr vergreift euch an diesem guten M e n s c h e n!' - so heißt die Anklage in all den rühr- seligen Schilderungen, wie dem armen Otto jetzt wohl zumute sei: traurig, zornig, von der "Solidarität" seiner Kollegen gerührt... Zumindest die Krokodilstränen der CSU enthalten allerdings gleich die zweite Botschaft: 'Der Mann ist fertig... und gehört d e s w e g e n ersetzt!' Einen politischen Konkurrenten zu Tode zu bedauern: auf diese Hinterfotzigkeit verstehen sich die Chri- stenjungs aus dem Süden der Republik nicht schlechter als ihre Kollegen. Eben deswegen dreschen die Führer dieser Partei aber erst recht auf jeden ein, der sich durch Lambsdorff-Kritik der Regierungsgegnerschaft schuldig macht, und erproben in einer fa- schismusnahen Unbefangenheit die gezielte und gar nicht fahrläs- sige Verunglimpfung als Mittel der politischen Willensbildung -------------------------------------------------------- Die Bonner Staatsanwaltschaft, ihre sozialdemokratischen Vorge- setzten und die "kritische" Öffentlichkeit wären vom gleichen Geiste beseelt und inspiriert wie die Anarchistenmorde an Schleyer und Ponto, zetert der vertretungsweise CSU-General aus München - und hat damit nur ganz anders recht, als er's gemeint hat: Es ist dieselbe E h r e d e r R e p u b l i k, der da- mals Schleyer g e o p f e r t wurde und die heute gegen jede "Anmaßung" ins Feld geführt wird, einem Normalsterblichen stünde Kritik an einem Regierungsmann zu. Für den F a n a t i s m u s d e r A n t i k r i t i k, der den Geist der christlichen Wende in Bonn ausmacht, hat Tandler mit diesem verbalen Überfall neue Maßstäbe gesetzt - und die Debatte in der demokratischen Öffent- lichkeit endgültig vom Bestechungsvorwurf weggeschoben. Eine Wo- che lang erbaute sich die Dummheit staatsfrommen Denkens an dem herrlichen Problem: Ist Tandler nicht zu weit gegangen? Wäre we- niger nicht mehr gewesen? Oder kippt die berechtigte Anti-Kritik mit so drastischer Justizschelte nicht auf einmal selber in die verderblichen Geleise unerlaubter Staatskritik um? Tandlers Antwort brachte zum krönenden Abschluß die kaum noch mögliche Steigerung demokratischer Debattierkunst: Wer seine üble Nachrede "üble Nachrede" nennt, vergehe sich damit gegen - d i e M e i n u n g s f r e i h e i t! Hat er gemeint. Ziemlich frei und öffentlich übrigens... 3. Das Fazit eines "Skandals" ----------------------------- Lambsdorff oder irgendein Nachfolger betreiben dieselbe staatli- che Eigentumsförderung wie bisher. Die Parteien beschaffen sich ihre Spenden, um das dem Wählervolk als gut und notwendig erklä- ren zu können - denn Lügen kosten Geld. Die parlamentarische Kon- kurrenzgeierei hat mal wieder Hochkonjunktur gehabt, mitten zwi- schen den Wahlen. Die demokratischen Staatsämter haben die rein- sten Westen von der Welt, egal ob ihre Inhaber mit reingewaschen worden sind oder zurückgetreten. Die Öffentlichkeit hat sich dar- auf geeinigt, wie verwerflich und verboten das Kritisieren von Staatsmännern ist. Und das alles ist bei uns normal! zurück