Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN FDP - Liberal zu sein bedarf es wenig


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       Bonner Charaktere: Hans Dietrich Genscher
       

DIE POLITISCHE CHARAKTERMASKE SCHLECHTHIN

Dieser Mann, der seit 15 Jahren in der Regierung ein Ministeramt bekleidet und seit 10 Jahren der Partei der Freien Demokraten vorsteht, besitzt alle Eigenschaften, deretwegen man einen Men- schen gemein nennt. Aber er hat und pflegt diese Tugenden als er- folgreicher Teilhaber der Macht, und das ist etwas ganz anderes, als wenn Hinz und Kunz sich so aufführen. Als bescheidener DDR-Auswanderer hat er sich zugemutet, Politiker zu werden. Seine Gewissensentscheidung fiel auf die FDP, weil dort ein Posten frei war und die Aufstiegschancen in der kleinen Partei nicht schlecht waren. Dieses berechnende Strebertum ist aber natürlich bei einem erfolgreichen Politiker ein Vorzug. Un- beirrt, mit der ganzen "Leidenschaft", derer ein Mensch fähig ist, hat er sich der Politik hingegeben. Genscher ist ein Mann, der sich selbst immer treu geblieben ist. Er kennt nur zwei Dinge: an der Macht bleiben und noch einmal an der Macht bleiben. Den Vorwurf der Unstetigkeit hat er geduldig ertragen, sein Idea- lismus hat ihn standhaft gemacht. Der Schwenk zur SPD war für Genscher - mit ein paar Korrekturen im Parteiprogramm - genauso Pflicht wie der Umstieg auf den Zug der Wende, der nicht die Spur von Berechnung erkennen ließ. Dank seiner Charakterfestigkeit hat es ihm keine ideologischen Schwierigkeiten bereitet, einmal ein wenig für Reformidealismus einzutreten, dann denselben konserva- tiv zu kritisieren. Was bei anderen zynischer Opportunismus wäre, tritt bei diesem Mann als seine Fähigkeit zu Flexibilität und Re- alismus auf: Ohne sein sicheres Auge dafür, wie das Parteienkräf- teverhältnis steht und wie die realistischen Möglichkeiten der FDP sind, wäre er längst aus der Regierungsrolle gefallen. Heu- chelei ist dem FDP-Vorsitzenden fremd. Das erlaubt ihm, ohne falsche Scham jeden gerade eingeschlagenen Kurs für die weitere Teilhabe an der Macht als gradlinige Beständigkeit in der Wahrung des "liberalen Elements" in der Politik auszugeben. An allem, was er früher mit der SPD, heute mit den C-Gruppen gegen das Volk verordnet, entdeckt er, ganz Analytiker, lauter Stücke "liberaler Politik". Und wenn die FDP mal wieder Schwierigkeiten mit ihrer Glaubwürdigkeit von 5% hat, warnt er die Menschheit weitsichtig davor, daß sie ohne die "Dritte Kraft" im Staate auf das Men- schenrecht auf Liberalismus verzichten müßte. In der Außenpolitik ist Realismus seine oberste Maxime hinter der das nationale Interesse ungeschminkt zurücktritt. Die Außenpoli- tik eines Liberalen war immer schon etwas Besonderes. Stets hat es das "Schlitzohr" Genscher verstanden, die komplexen Winkelzüge seiner Politik dem Volk verständlich zu machen, so daß es ihn nun schon seit 1969 aus Dankbarkeit in der Regierung hält. Man kann sich darauf verlassen, daß Genscher, wenn mal wieder eine "Zerreißprobe" seiner Partei ansteht, selbst sein Schwitzen plant, um zu demonstrieren, wie er sich mit Haut und Haaren für die Sache seiner Partei einsetzt. Und wenn es seine Partei einmal nicht mehr geben sollte, Hans-Dietrich würde nicht das Handtuch werfen. Er hätte das Argument auf seiner Seite, daß er sich der Verantwortung nicht entziehen könne, schon wegen des liberalen Elements... Bescheidenheit zeichnet ihn aus. Er beansprucht stets nur, als Werkzeug von Sachzwängen zu dienen. Wir alle kennen und lieben es: Entweder bedeutet er mit einem langsamen Kopfnicken, daß er die Lage überblickt, oder er beweist mit einem nichtssa- genden Satz, wie überaus wichtig die Aufgabe ist, zu der er ge- rade abreist. Vielleicht sagt er auch, man solle sich nichts vor- machen, und will damit sagen, daß er sich auf keinen Fall etwas vormachen lassen wird. Cleverness hat er sich durch Erfahrung er- worben. Nie trügt ihn sein feines politisches Gespür darüber, wo jeweils Arschkriecherei und wo Überheblichkeit angebracht ist. Sich gelangweilt flapsig neben den Präsidenten einer Bananenrepu- blik zu setzen oder mit seiner korpulenten Statur so einen Gast fast aus dem Fernsehbild zu drücken, das ist sich der deutsche Außenminister gegen drittgradige Mächte schwer schuldig. Beim Be- such beim Großen Bruder in Nordamerika zeigt er dagegen, daß er zuhören kann; katzbuckelt sachlich vor dem besten Freund, selbst- verständlich ohne sein Gesicht zu verlieren (dies und das hat er Reagan schon gesagt). Gegenüber dem Hauptfeind tritt er hart in der Sache, aber angeb- lich fair an, indem er nun schon seit Jahren die westliche Er- pressung in die Form des großzügigen Angebots kleidet, der Westen sei "ohne Vorbedingungen zu neuen Abrüstungsverhandlungen be- reit", und Moskau dürfe jederzeit an den Verhandlungstisch zu- rückkehren. Nachher gibt er dann damit an, auf die sachliche Tour wieder ein Stück politischer Arbeit recht zufriedenstellend geleistet zu haben: Ja, es waren ernste Gespräche; auch darüber haben wir gesprochen; sie müssen wissen, ein Außenminister muß den realen Stand der Beziehungen berücksichtigen, das haben wir getan; ich meine, dieses Gespräch war schon notwendig; sie müssen verstehen, daß ich diese Frage nicht beantworten kann, das müssen wir erst prüfen; schon morgen werde ich den britischen Außenmini- ster konsultieren... Die Art, sich so untertänig oder frech aufzuführen, wie es die eigene Stellung und die Macht des Gegenübers erlauben, ist die Frucht einer raschen Einschätzungsgabe. Wenn er das schwierige Handwerk der Politik mit dem geduldigen Durchbohren extra harter Bretter vergleicht, so spricht ein Könner in der Kunst des Ver- handelns. Kaum Außenminister, wußte er sogleich: "Ein Außenmini- ster gilt draußen doch als etwas Besonderes." Ein Berufspoliti- ker, für den Frack und Abendrobe Berufskleidung sind, weil er sein Amt ganz selbstverständlich für Arbeit hält. Kurzum: Genscher ist so dumm, daß er es nicht merkt: Seine Reden und Sätze sind so bar jeden Urteils, sie enthalten sich so win- delweich jeder Stellungnahme, daß man von ihnen fast immer nur die Polypen behält, die immer sehr originell mitklingen. "Entspannungspolitik, so wie die FDP sie versteht, ist eine Poli- tik des nüchternen Realismus... Wir stehen heute zu Beginn der achtziger Jahre am Anfang einer neuen Periode der Weltpolitik... Wir bekennen uns zu den Vereinten Nationen... Die Demokratie und der Staat bedürfen des frischen Windes, sonst gäbe es Inzucht... Ich gehöre der Bundesregierung seit zwölf Jahren an... Wir sind nicht die Leibeigenen der SPD... Das darf nicht die Stunde schwächlichen Taktierens und halbherziger Schritte sein... Wir werden unseren Weg als Liberale unbeirrt fortsetzen... Ich habe davor gewarnt, in einen Gesetzesaktivismus einzutreten... Ich habe mit dem Bundeskanzler zu großer Zurückhaltung gemahnt... Diese Verpflichtung (zur Stationierung) entfällt nur dann ganz oder teilweise, wenn es ein Verhandlungsergebnis gibt, das ganz oder teilweise den Verzicht auf die Nachrüstung vorsieht... Weder das eine noch das andere, wohl aber hat sich gezeigt, daß es in der Freien Demokratischen Partei viele hervorragende Persönlich- keiten gibt. Das heißt, als Liberaler darf ich ausnahmsweise, ohne in falschen Verdacht zu kommen," (bitte lachen, Genschers Humor hat zugeschlagen) "ein Wort von Mao aufnehmen. Der Grund- satz 'Laßt hundert Blumen blühen' ist gerade für eine liberale Partei von großer Bedeutung. Nur schwache Vorsitzende scheuen starke Persönlichkeiten neben sich." Dieses letzte, fast schon dialektische Selbstlob aus Frau Laber- manns Plattenküche dürfte selbst die FDP-Moralwachtel Hamm-Brü- cher beeindruckt haben. Feinsinniger kann man's ja kaum sagen. Seinem Amt mit den damit verbundenen Anforderungen verdankt Hans- Dietrich seine geistige Elastizität - und umgekehrt. Seine "Bauernschläue" (das ist, wenn ein blöder Bauer einen noch blöde- ren mit einer dickeren Kartoffel reinlegt, für die er nichts kann) wird neben seiner "Nachdenklichkeit" zu seinen "analytischen Fähigkeiten" gezählt: "Genscher zählt heute zu den bedeutendsten Denkern der deutschen Liberalen." (Hofdichter Wal- ter Henkels) Das sind so im großen und ganzen die Gemeinheiten, die H. D. Gen- scher drauf hat (ach so, intolerant und elitär ist er auch noch. Aber das gehört ja wohl dazu). Diese seine Tugenden gewinnen bei ihm noch an Schärfe, weil sie durch wirklich keine hervorste- chende geistige Fähigkeit oder besondere Charaktereigenschaft verunstaltet werden. So stellt dieser "farb-" und "konturlose" Mensch den Glücksfall dar, eine politische Charaktermaske in Reinform zu sein. Allein sein Glück, in einer weltweit geachteten Nation ein hohes Amt zu bekleiden (und so lange schon), hat Gen- scher den Ruf eingebracht, seine ordinären Fähigkeiten und Eigen- schaften wären angeboren. * Über seine Schönheit wollen wir gar nicht reden. Dafür kann er wirklich nichts. Denn gerade auf diesem Gebiet liegen seine unbe- streitbaren Verdienste, wenn man Kohlhiesls Töchtern glaubt. "Er ist ein großer, männlich wirkender Mann. Er hat vielleicht nicht - wie die Franzosen sagen - 'das gewisse Etwas' wie Kanzler Schmidt, aber er ist sehr geistreich und die Macht, die er ver- körpert, wirkt wie Schönheit." (Freundin Lilo Pulver) Noch Fragen über H. D. Genscher? zurück