Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN CDU/CSU - Von den C-Parteien


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       Die Erinnerungen des Franz-Josef Strauß
       

DER DEUTSCHEN MACHT AUS DEM HERZEN GESPROCHEN

Sie mußten ja kommen. Jetzt sind sie erschienen - als Buch und als Vorabdruck im "Spiegel", der selbstverständlich gebührend damit kokettiert, daß ausgerechnet ihm gegen gute Bezahlung die Ehre zuteil wurde, das Vermächtnis des (mehr) Intim (als) Feindes vorzuveröffentlichen. Auch für Augstein steht selbstverständlich fest, womit der Herausgeber das Buch anpreist: "Einem Mann von seinem Temperament konnte die bloße Schilderung von Ereignissen nicht genügen." Berechnet sind die Memoiren genau auf diese öffentliche Unsitte, für von Haus aus gewichtig zu halten, was die politischen Akteure als ihre Sicht der Dinge zum besten geben. Nicht bloß Betroffener, sondern Macher gewesen zu sein, das bürgt auf jeden Fall für Qualität. Auskünfte über deutsche demokratische Politik und die, die sie machen, liefert dieses Buch schon. Allerdings nicht wegen irgend- welcher Einsichten, die das verblichene "politische Urgestein" über sein Wirken seit 1939 zu bieten hätte, sondern wegen der mit aller gebotenen Selbstgerechtigkeit dokumentierten Einstellung, die Strauß bei seinem Wirken beflügelt hat. Auskunft bietet es auch nicht durch den Blick hinter die Kulissen der Macht, den man von einem erwartet, der sich dort herumgetrieben und selber im- merzu Hauptrollen gespielt hat, sondern wegen der Einblicke in die Geistesverfassung eines Berüfsstandes, der sich auf die Rolle nicht bloß der, sondern s e i n e r Persönlichkeit in der Ge- schichte viel einbildet. Egal, was Strauß an Schwindeleien, Selbstbeschönigungen und Tatsachen in die Feder geflossen ist: Wie immer, wenn solche Figuren der Mit- und Nachwelt das Schick- sal der Nation in Gestalt der eigenen Person ans Herz legen, kommt dabei nur eines zum Vorschein die politische Charaktermaske mit ihrem schlichten, aber hartgesottenen Gemüt, das alles, was die nationale Macht ihren Verwaltern abverlangt, erlaubt und an Respekt eingetragen hat, als ganz persönliche Leistung empfindet. Deutsche Größe - in die Wiege gelegt ------------------------------------ Immer wieder versichert Strauß, daß es ihm Zeit seines Lebens nur um den Erfolg deutscher Politik gegangen ist. Das kann man ihm ruhig glauben, zumal er beides sowieso nicht auseinanderhalten kann und mindestens ebenso oft versichert, daß dieses Anliegen ohne ihn zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Der Anspruch der Bundesrepublik auf Weltgeltung kommt ihm wie das Selbstverständ- lichste und Natürlichste von der Welt vor. Wo Strauß am Werk ist, da geht es nicht bloß um die Interessen eines Staates, der mit seinen Machtmitteln auch Ansprüche akkumuliert; da geht es um na- tionale Rechte bzw. Pflichten gegenüber dem gesamten Globus, der nach wachsender deutscher Größe verlangt: "Dort, wo unsere internationale Verantwortung gefordert ist, dür- fen wir uns nicht entziehen... Europa kann kein stabiles Gleich- gewicht haben ohne ein stabiles Gewicht der Deutschen." (241) so lautet eines der allen bundesdeutschen Politikern vertrauten Dogmen, die Strauß so gerne als "Analysen", und zwar seine urei- gensten, verkündet. Die Durchsetzung in der Staatenkonkurrenz soll also dasselbe sein wie die von allen erwünschte Konsolidie- rung der Staatenordnung - wie groß Deutschlands Macht werden muß, damit der Globus gefestigt ist, mag man da gar nicht mehr fragen. Soviel wie möglich selbstverständlich. Dieser Mission zu dienen, war Strauß nach seiner Auffassung qua Herkunft, Charakter und Um- welt ausersehen, da läßt er keinen Zweifel. Herkunft -------- Daß die Welt als nationales Gewaltverhältnis nach innen wie nach außen organisiert ist, und daß einzig der nationale Erfolg zählt, hat Strauß offensichtlich schon mit der Muttermilch eingesogen - auf jeden Fall aber früh vom Vater gelernt. Dieser Metzgermeister aus der Münchner Schellingstraße hat, nachdem er von Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 erfahren hat, dem Bub bereits früh politisches Talent beigebracht, wovon der noch bis zum letz- ten Atemzug viel gehalten hat. "Ich erzähle Ihnen, was ich am 31. Januar 1933 erlebt habe und was mein Vater mir sagte, als ich von der Schule nach Hause kam - 'Bub, jetzt ist der Hitler Kanzler. Das bedeutet Krieg, und die- ser Krieg bedeutet das Ende Deutschlands!'..." (13) Nationale Sorge und politische Weitsichtigkeit sind dem Vater schon eins - und Strauß als Buben leuchtet es ohne weiteres ein, sich angesichts eines anstehenden Krieges ausgerechnet nur um die N a t i o n zu sorgen. Aus diesem Holz werden Politiker ge- schnitzt, die auch in dunkelster Stunde die Nation wieder aus dem Dreck ziehen. Sie brauchen diesen Standpunkt bloß noch gegen die Opfer des Krieges durchzusetzen. Dieses Selbstverständnis der Po- litik nimmt Strauß 1945 begeistert als seine Chance zur Selbst- verwirklichung auf. Charakter --------- hat er dafür auch schon frühzeitig bewiesen. Er brachte das Kunststück fertig, als Nazi Widerständler zu sein - auch das freilich kein bundesrepublikanischer Einzelfall. Er wurde nämlich von aufrechten Menschen in die Position eines "Offiziers für wehrgeistige Führung" gedrängt mit dem schlagenden Argument: "'Strauß, das machen Sie! Wir wollen nicht jemanden kriegen, der nicht zu uns paßt. Wir wollen keinen Weltanschauungsheini'." Daß ihm zu seiner Verteidigung nicht eingefallen ist, auch damals habe er bloß Deutschlands Größe dienen wollen, gibt allerdings zu denken. Aber es war Strauß wohl nicht recht, wie andere zu Amt und Würden Gekommene vorzugeben, er hätte sich guten Glaubens verführen lassen und über die wahren Absichten der Nazis ge- täuscht. Einer wie er weiß immer Bescheid. Umwelt ------ Die unmittelbare Nachkriegszeit bedeutet für ihn deshalb auch nicht ein Pech, in so beschissenen Verhältnissen sein Leben fri- sten zu müssen, sondern ein unglaubliches Glück, "Gestaltungsfreiheit" vorzufinden: "Es war faszinierend, beim Aufbau des neuen deutschen Hauses auf demokratischer Grundlage von Anfang an dabeizusein, den Neubeginn mitzugestalten, bei einem politischen Schöpfungsakt unvergleich- licher Art mitzuwirken." (156) So, politisch gesehen, war die Zeit eine einzige Chance. Die hat Strauß, aus dem Krieg "ohne körperliche Verwundung herausgekom- men, frei von neurotisch-depressiven Erscheinungen irgendwelcher Art" (156) mit beiden Händen ergriffen und ganz nebenbei die neue Karriere Deutschlands gleich noch zum Neubeginn einer deutschen Karriere benutzt - was sich fast von selbst ergab: "Es war herausfordernd und packend. Wir Jüngeren hatten kaum un- mittelbare politische Vorfahren, uns fehlte eine ganze Genera- tion. Wir hatten also eine unerhörte Chance, und wir haben sie genutzt. Wir brauchten niemanden zu verdrängen, Wechsel und Auf- rücken ergaben sich in beinahe natürlichem Ablauf." Diese Mentalität braucht es eben für einen Politiker: In jedem Toten einen toten Konkurrenten sehen, in der Neuverpflichtung der Leute für den Aufstieg der Nation eine persönliche Herausforde- rung, darüber mitzuentscheiden und beides fortan gar nicht mehr unterscheiden wollen. Ganz zufällig hatten die Amis schon 45 an solch skrupellosen Fi- guren Bedarf und Strauß entdeckt - "hauptsächlich wegen meiner Englischkenntnisse". Der gelernte Altphilologe hat diesen Bedarf mit Glück und Geschick erkannt und ausgeschlachtet. Und nachträg- lich mit allem Pathos auch noch ausgemalt. "Mein politisches Schicksal war und ist immer eingebunden in den Ablauf der Geschichte dieses Jahrhunderts... " (231) "Die Fügung, zur rechten Zeit da zu sein - die Griechen hätten gesagt, der Kairos -, spielte in meinem Leben nicht nur einmal eine wichtige Rolle... Mein persönlicher 'Kairos' stand günstig in einer Zeit des großen Unglücks... Dieser Zusammenklang von Mann und Zeit hat das Leben mancher Politiker und Staatsmänner bestimmt..." (157/8) So übersetzt ein ehemaliger Einser-Abiturient und Studierter standesgemäß die paar Bedingungen seiner Karriere und seinen Wil- len zur Karriere unter allen Bedingungen in das höhere Wirken der geschichtlichen Vorsehung. Das unerschütterlich gute Gewissen der Macht -------------------------------------------- Angetreten ist er also, dazu bekennt er sich, mit dem Selbstbe- wußtsein seines durch keinen Krieg beschädigten Nationalismus: Deutschland, und damit ich müssen wieder die Welt gestalten. Die- sen Anspruch wahrzumachen hält er für eine Frage der politischen Persönlichkeit und die für eine Frage des rückhaltlosen Bekennt- nisses zu dieser Mission. "Aufrechten Gang" nennt er die offene Parteinahme für die "Maximierung der Macht". Immer wieder lobt er sich selbst dafür, nichts von den "Schuldgefühlen" deutscher Nachkriegspolitiker verspürt zu haben: "Deshalb erhebe ich seit Jahr und Tag meine Forderung, daß wir endlich aus dem Schatten Hitlers, aus dem Dunstkreis des Dritten Reiches heraustreten, daß wir den Kreidekreis einer lähmenden Vergangenheit verlassen müssen." (437) Vor lauter Überzeugung vom guten Recht der Bundesrepublik im Kon- zert der Mächte sind ihm die diplomatischen Touren, mit denen der Kriegsverlierer die Berechtigung seiner weltpolitischen Ambitio- nen unwidersprechlich angemeldet hat, glatt wie ein Stück Ernied- rigung und damit Verrat an diesem Auftrag vorgekommen. Deutsche Politiker von Format haben vor aller Welt ein anderes Leiden zu pflegen als das der "unbewältigten Vergangenheit", nämlich das an der mangelnden Weltmachtrolle der BRD in der Gegenwart. Nach dem Grad der Aneignung dieser Selbstdarstellung unterschied Strauß die Tauglichkeit seiner Konkurrenten. "Überhaupt kein Verständnis hatte Erhard für eine strategisch-po- litische Konzeption, um die es mir immer ging, daß nämlich die Bundesrepublik Deutschland... eine machtpolitische Position neuer Qualitätgewinnen müsse. " (428) Die meisten fallen durch. Umso mehr, je näher sich seine Betrach- tung der Gegenwart nähert. Mit am ärgsten hat Kohl da versagt. Der einzig Aufrechte ohne Fehl und Tadel ist natürlich er selbst. Seine politische Karriere - --------------------------- ein selbstloser Einsatz für die nationalen Gewaltmittel ------------------------------------------------------- Wie alle großen Politiker weiß auch Strauß gebührend zu würdigen, was Deutschland an ihm hatte. Seit Beginn der BRD mußte immer wieder er dafür sorgen, daß die "Maximierung der Macht" auch klappte. Selbst der große Adenauer, der ansonsten noch einer der Verläßlichsten in der Richtung war, hatte seine Schwächen - und die mußte Strauß ausbügeln. Ganz besonders gern in Schicksalsfra- gen der Nation, egal was er mit deren wirklicher Entscheidung und Durchsetzung zu tun hatte. So zum Beispiel 1952 beim Eintritt der BRD in die EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft), was die internationale Absegnung des Beschlusses zur Wiederaufrüstung war: "Nachdem Adenauer am Vormittag ins Stottern geraten war und die Opposition sich mit schallendem Gelächter auf die Schenkel ge- klopft hatte, hatte niemand aus den Reihen der Regierungskoali- tion ins Feuer gewollt... In den 70 Minuten meiner Rede hatte ich die Regierung, den Bundeskanzler vor allem, aus einer schwierigen Situation gerettet... Daß ich als Redner der Union zum Zuge kam, entsprach einer Erfahrung, die ich noch oft in meinem politischen Leben machen sollte - wenn es schwierig und unbequem, kritisch und gefährlich wurde, war ich besonders gefragt." (162/3) Strauß vergißt hier ziemlich bewußt, daß der Beitritt der BRD längst beschlossen, die parlamentarische Mehrheit dafür durch die Regierungskoalition ohnehin abgesichert war. Seine Propaganda in dieser ziemlich wichtigen politischen Frage bläst er zum Ent- scheidungskriterium auf. Daß Strauß sich bei seiner Partei mit seinem schonungs- und hemmungslosen Bekenntnis zur Wiederaufrü- stung bei seiner Partei beliebt gemacht hat - "stehende Ovatio- nen, das einzige Mal in meiner Laufbahn" - sei ihm unbestritten. Aber das wird man ja wohl noch von der politischen Entscheidung unterscheiden können. Gerade auf dem Felde der Aufrüstung, weiß Strauß, wäre ohne ihn alles gescheitert. Schon im Vorfeld war er der, der am schnell- sten begriff und sich engagierte. Der amerikanische Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, überraschte bereits im Jahre 1950 "einen handverlesenen Kreis von Unionspolitikern" mit dem Ange- bot, daß die BRD wieder aufrüsten solle. Nur einen nicht: "Die Frage McCloys, wie aus der Pistole geschossen, hatte uns bis ins Mark getroffen. Ich meine, ich war der erste, der sich wieder gefaßt hat... So ergriff ich das Wort:...'So schwer es mir auch fällt', fuhr ich fort, 'ich sage ja. Aber unter der Bedingung völliger Gleichberechtigung.'" (245/6) Daß Strauß, im Weltkrieg II "Soldat vom ersten bis zum letzten Tag", der nur die Kritik an diesem Krieg hatte, daß er "verloren war", begeistert von der Idee der Wiederaufrüstung war, braucht einen nicht zu wundern. Daß er sich mit dieser Haltung in den po- litischen Vordergrund drängte, ebensowenig. Aber daß die deutsche Aufrüstung bei den anderen schlechter aufgehoben war, bloß weil Strauß der Vorlauteste war, das glaubt auch nur er selbst. Beinahe wäre das Unterfangen ja daran gescheitert, weil nicht er zum Verteidigungsminister, seinem damaligen Traumjob, berufen wurde, sondern ein gewisser Blank. Endlich 1956 mußte Adenauer dann seinen Irrtum einsehen, sich den Straußschen Bedingungen beugen - und prompt lief es endlich richtig an. Ohne Zweifel tat Strauß dann in seinem neuen Amt einiges dafür, daß das neue Deutschland möglichst schnell wieder vor Waffen starrte. Aber das reicht seinem Selbstbewußtsein nicht. Seinem politischen Bedürfnis nach schrankenlosen Machtmitteln und seinem persönlichen Wahn, deren Garant sein zu wollen, verklärt sich die Vergangenheit zu einer einzigen Anhäufung von Stationen seiner Stärke. Als 1957/58 die Bundeswehr dann dank Strauß mit Atomwaffen - un- ter amerikanischer Einsatzhoheit - ausgerüstet wurde, mußte er Adenauer vor der wehleidigen Aufgabe gegen Anti-Atom- und Unter- gangsspinner bewahren: "Es war die Zeit der großen Anti-Atomtod-Demonstrationen, das Ge- schehen auf den Straßen beherrschte wochenlang die Schlagzeilen. Und es beschäftigte die Regierung... Die Meinung im Kabinett war geteilt, nicht so bei mir: ... 'Es gibt jetzt nur eines: vollzie- hen und durch!'... Adenauer erscheint, hält ein Buch in der Hand und sagt mit einer Miene, als ob er eben dem Hades entronnen wäre: 'Meine Herren, ich bin tief, tief erschüttert. Wir können so nicht weitermachen. Sehen Sie, ich habe heute nacht dieses Buch gelesen, ich bin regelrecht betroffen.'... Das sei, so Adenauer, die Geschichte eines Atomkrieges, eine furchtbare Ge- schichte. Daß das so schlimm sei, habe er nicht gewußt. Ich er- griff das Wort: 'Herr Bundeskanzler, das ist der Krieg im Atom- zeitalter. Wir haben noch nie eine andere Vorstellung von seiner Schrecklichkeit gehabt. Die Zeiten, wo man noch fröhlich Krieg führte, gehören längst der Vergangenheit an.' Dann habe ich Adenauer mit dem Hinweis darauf beruhigt, daß Hans Hellmut Kirst (der Romanautor) kein geeigneter und glaubwürdiger Zeuge sei... " So wie er sich nach innen als einzigen Garanten der unbeugsamen- Durchsetzung der Macht darstellt, so nach außen als den einzig unbeugsamen Garanten der internationalen Anerkennung der Deut- schen. Und zwar durch offene Darstellung deutscher Ansprüche. Und wenn es diesem neuen deutschen Selbstbewußtsein an Erfolg man- gelte, dann nur, weil selbst der "machiavellistische" Adenauer vor den Amerikanern - nach anfänglicher Rückenstärke im Laufe der Jahre mehr und mehr in die Knie ging. Ein andrer Politiker als Adenauer kommt für Strauß als Vergleichsmaßstab ohnehin nicht in Frage. So hat - als einziger - Strauß sogar den Amerikanern die Meinung gesagt - und fand damit Gehör. "Die Reaktion des amerikanischen Botschafters, der sich meine An- klage ruhig anhörte, war verblüffend: "Herr Strauß, ich gebe Ih- nen völlig recht. Aber warum sagen nur Sie das, warum sagt das niemand sonst? Warum hat das der Bundeskanzler nicht gesagt? Warum hat sich der Bundeskanzler diese Behandlung gefallen las- sen? Auch kein anderer Bundesminister hat uns das je gesagt. '" (401) Aber Gottseidank war da noch Strauß - der einzig aufrechte deut- sche Politiker, der vor keinem Angst hatte, jedem das Seine gab. Und erst recht den Russen: "Dann kam der entscheidende Satz zu Breschnew. 'Ich bin der Sohn meines Vaters, Sie sind einer der Amtsnachfolger Stalins.' Der sowjetische Dolmetscher hat sich geweigert, das zu übersetzen. Den Stenographen wäre bald der Stift aus der Hand gefallen... Wir stehen auf, ich gebe ihm die Hand, er nimmt sie... Dann muß ich ihn beinahe daran hindern, mir den Wagenschlag aufzumachen. Das war damals eine Sensation, wie Breschnew mich behandelt hat." Und im Unterschied zu allen Kriechern und Schleichern hat Strauß damit offensichtlich Erfolg. Zumindest bildete er sich ein, daß dies an nichts als seiner Offenheit und aufrichtigen Unverschämt- heit liegt. Das hat sogar Michail Gorbatschow ausgesprochen höf- lich und konziliant gemacht. Strauß ist jedenfalls nicht vor ihm gekrochen: "Ich habe mich nie gedrängt, nach Moskau eingeladen zu werden, ich habe nie antichambriert. Ich habe immer gesagt: Wenn eine Einladung kommt, unter angemessenen Voraussetzungen, nehme ich sie an." So stolz Strauß auf die wirklichen Grundlagen deutscher Macht ist, auf Waffen, Nato-Bündnis und Wirtschaftsleistung, so sehr verblaßt die Wirkung der Mittel doch vor der des einsatzfreudigen und entschlossenen Politikers. Zum einen verdanken sie sich über- haupt bloß ihm, zum anderen sind sie bloße Voraussetzung ihres geschickten internationalen Einsatzes und seines Auftretens als Politiker ohne Furcht und Tadel. Nur wenn seine Absichten nicht zum Zuge kamen, dann hatte er - "leider" - nicht die genügenden Machtmittel oder den nötigen "Einfluß". Er war der einzige Gegner des Atomsperrvertrages, der die BRD von der Verfügung über Atomwaffen ausschloß: "Für mich war dieser Atomsperrvertrag ein, wie ich es nannte, 'Super-Versailles'. Wie so oft stand in der Bekämpfung dieses Vertrages die CSU (= Strauß) wieder einmal allein." Fast wäre ihm trotz Atomsperrvertrag dann aber doch noch die Be- teiligung am Einsatz einer Atombombe gelungen - weil die USA nicht auf seinen Rat verzichten mochten. So haben offensichtlich die USA hinter den verschlossenen Türen der diversen militäri- schen Räte anläßlich der Berlin-Krise von 1961 den Atomeinsatz gegen den Ostblock geplant: "Für den Fall, daß der von den Amerikanern geplante Vorstoß zu Lande nach Berlin von der Sowjetunion aufgrund ihrer Überlegen- heit aufgehalten werde, hätten die USA die Absicht, bevor es zum großen Schlag gegen die Sowjetunion komme, eine Atombombe zu wer- fen und zwar im Gebiet der DDR... Die Amerikaner brachten diesen Gedanken ernsthaft ins Gespräch, was schon daraus hervorgeht, daß sie uns nicht nur allgemein gefragt haben, sondern daß sie von uns wissen wollten, welches Ziel wir empfehlen. Das war die kri- tischste Frage, die mir je gestellt wurde. Ich sagte, diese Ver- antwortung könne niemand übernehmen... Es war dann von einem rus- sischen Truppenübungsplatz die Rede, auf dem große Mengen russi- scher Truppen konzentriert waren. Wenn diese Atombombe präzise geworfen und wenn sie einen begrenzten Wirkungsradius haben würde, dann wären die Opfer unter der zivilen Bevölkerung weitge- hend auf die Menschen beschränkt, die auf diesem Truppenübungs- platz arbeiteten. Einen Truppenübungsplatz, den ich kannte, habe ich namentlich genannt - ich war dort im Jahre 1942 eine Zeitlang bei der Aufstellung einer neuen deutschen Panzerflakeinheit. Dies erschien mir, wenn es schon dazu kommen mußte und wir den Ameri- kanern nicht in den Arm fallen konnten, unter den gegebenen Übeln das Geringste zu sein..." (388) Da war dieser Fanatiker der "Maximierung nationaler Macht" und oberste deutsche Berufs-Militarist in seinem Metier. Daß er aus- suchen darf, wer die Bombe auf den Kopf kriegen soll. Egal, ob es sich wirklich so abgespielt hat, so sieht es nun mal in der Seele des Franz Josef Strauß aus. Die Durchsetzung der westlichen Ber- lin-Position ist das heiligste Recht, die natürlichste Angelegen- heit der Welt; die russischen Soldaten, das widernatürliche Hin- dernis für solche Absichten; und der Zynismus der Planer des Mas- sentötens ist die höchste Ausprägung menschlicher Verantwortungs- riesen. Ein bißchen Stolz schwingt da schon auch mit, daß ausge- rechnet ihn die Amis fragen, wohin sie die Atombombe werfen sol- len. Deutsche Leiden --------------- Aber auch sehr viel Ärger, daß es mit der von ihm geforderten Gleichberechtigung doch nicht ganz so weit her war, wie es sich für die BRD eigentlich gehört hätte. Das macht Strauß immerzu un- zufrieden und zu einem Kritiker der NATO-Politik: Deren Erfolge, deren Kriegsdrohungen und Feinddiplomatie sind eben nicht automa- tisch auch die der BRD. Daher hat der nach eigener Auskunft ein- zige deutsche Weltpolitiker von wirklichem Format in den weltpo- litischen Auseinandersetzungen, in denen die Sowjetunion auf ih- ren Block zurückgedrängt und der Block zersetzt worden ist, im- merzu falsche Zurückhaltung, Verzicht auf die einzig erfolgver- sprechende Sprache, die die Russen verstehen, die Gewalt ent- deckt. So personalisiert er den Geist der Unzufriedenheit, der in jedem nationalen Fortschritt immerzu nur die noch nicht erreichte Macht entdeckt, die seinem Vaterland im Westen und auf Kosten des Osten zusteht. So verpaßte die Weltgeschichte die Gelegenheit, sich Straußsche Erfahrungen aus dem 2. für den 3. Weltkrieg zunutze zu machen. Doch nachdem sie Strauß Hoffnung gemacht hatten, wollten die Ame- rikaner "unter den gegebenen Übeln das Geringste" nicht in Kauf nehmen. Um seine Enttäuschung auch glaubwürdig zu schildern, läßt Strauß in seinen Erinnerungen zunächst sein politisches Gespür wieder aufleben: "Man spürte, dies kann der Ernstfall werden, wenn nicht militä- risch, dann jedenfalls politisch." -, um dann auf die Waschlappen und Dummköpfe von Amis loszugehen: "Bei der Betrachtung der Berlinkrise, wie sie sich anbahnte, wie sie sich dramatisch zuspitzte, wie sie abklang (hochanalytisch), ist meine Bewertung, die ich als Verteidigungsminister vor bald dreißig Jahren getroffen habe, aktuell geblieben. Ich hätte nur gewünscht, daß die Alliierten wenigstens den Versuch machten, jenseits der Sektorengrenze tätig (!) zu werden, den zuerst gezo- genen Stacheldrahtzaun niederzuwalzen und den Mauerbau zu verhin- dern. So aber habe ich in dem ganzen Ablauf der Krise eine Bestä- tigung der Torheiten der Amerikaner gesehen. Gravierende Irrtü- mer, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit zu den Fehleinschät- zungen und Fehlern der amerikanischen Politik geführt hatten, trugen 1961 immer noch ihre schlimmen Früchte." (390) Das war also nicht das erste Mal, daß sich diese amerikanische Nachgiebigkeit mit der "Bewertung" der Lage durch Strauß biß. Noch schlimmer als in Berlin beim Ungarn-Aufstand 1956, wo die Amis einfach nicht zu erreichen waren im Unterschied zu Strauß, der für dieses weltpolitische Top-Ereignis sogar einen Ball saußen ließ. "Als es soweit war, Anfang November, war die Kriegslust der Ame- rikaner schon auf Null gesunken." (Ein abfälligeres Urteil kann ein deutscher Verteidigungsminister kaum fällen.) "Dann kam der Blutsonntag in Ungarn, an dem der rote Bruder zuschlug. In Bonn war es der Tag nach dem Presseball, den ich nicht besucht hatte, weil alarmierende Meldungen aus Budapest vorlagen... Da läutet das Telephon... meldet sich ein General aus Budapest... 'Können die Deutschen uns noch helfen? Wir sind in höchster Not!' Ich bin mir meiner absoluten Ohnmacht bewußt, zerrissen im Innern, ich kann nur sagen: 'Wir sind erst am Beginn des Aufbaues unserer Streitkräfte, eine rechtzeitige Hilfe von deutscher Seite ist nicht zu erwarten, ich kann mich nur schleunigst an die Amerika- ner wenden.' Das Geräusch von Schüssen verstärkt sich, das Ge- spräch bricht ab... Ich habe sofort versucht, den amerikanischen Botschafter zu erreichen, er war unterwegs zu irgendeiner gesell- schaftlichen Veranstaltung (da sieht man den Unterschied!)... der amerikanische Militärattaché... beim Tennisspielen... Meine dama- lige private, aber höchst unbeachtete Meinung war..., daß die So- wjetunion nicht einmarschieren würde, wenn, nach entsprechender amerikanischer Klarstellung, damit der Kriegsfall verbunden wäre. Aber zu solch einer Konsequenz seiner Politik war der Westen nicht fähig..." - wie auch 1968 beim russischen Einmarsch in die CSSR, als Strauß dem amerikanischen Außenminister Dean Rusk seine "damalige pri- vate, aber höchst unbeachtete Meinung" von 1956 diesmal sehr of- fiziell mitteilte: "...'Ich male das absichtlich so deutlich, damit Sie Ihre Antwort darauf einstellen können. Was werden die Amerikaner tun?' Die Antwort Rusks: 'Nichts.' und die Begründung habe ich noch voll in Erinnerung: 'We cannot risk nuclear war.'" (Spiegel 38,153/155) Da kann man heute noch den Pulverdampf riechen - und die US-Poli- tiker sind einfach nicht da oder ziehen die Atombombe ein. Da bricht das Stammtischgemüt von Strauß durch, das zu jedem Po- litiker so gut paßt. Der große Stratege, in dessen Idealismus der Feind sich durch entschlossenes Vorgehen in die Schranken weisen läßt, war leider nicht gefragt. Sonst wäre alles anders ausgegan- gen. Und noch ein Wesenszug von Strauß: Er liebt die Gewaltmittel als Mittel seiner politischen "Gestaltungsfreiheit". Je größer die damit verbundene Wirkung und die Gefahr der gegnerischen Er- widerung, desto größer die Herausforderung an Mut und Festigkeit des Politikers. Vor diesem Kriterium wirkt noch jede amerikani- sche Weltpolitik blaß, zumal wenn ihre Opportunitätskriterien dem politischen Temperament von Strauß gerade nicht einleuchten. Der große Geist --------------- Doch dies war nicht immer so. Er fand auch Gehör bei den USA: "Kennedy hörte außerordentlich interessiert zu und bedankte sich für diese Analyse." (360) Nebenbei: Bei dieser für einen US-Präsidenten interessanten Ana- lyse handelte es sich um die ziemlich berechnende Aufzählung der weltpolitischen Vorteile, die eine Atombewaffnung der Franzosen auch den USA bieten: "Verfügten auch London und Paris über A-Waffen, könnte er (Kennedy) bei einer kritischen oder bedenklichen Situation den Sowjets glaubhaft machen, daß das Thema Atomwaffen und ihr mögli- cher Einsatz nicht allein in seiner Hand liege..." (360) Vor lauter Begeisterung über seine Wichtigkeit geraten ihm auch noch die primitivsten Höflichkeitsfloskeln zum Material seiner Angeberei. Schließlich hält Strauß neben seinem ausgeprägten Charakter des "homo erectus" auch seine analytischen Gaben für die conditio sine qua non des berufenen Politikers. "Diese meine Analyse..." erwies sich in seinem Rückblick mehr als einmal als richtig - und eigentlich nie als falsch. Wenn er sich durchsetzte, dann bewies das die Richtigkeit seiner "Analyse", die immer schon darin be- standen hatte, daß man sich unbedingt durchsetzen müsse. Und wenn nicht, dann tat alle Welt ihm und Deutschland Unrecht, was sich am nonkonformistischen Beharren auf seiner Position bewies. Erhellend bereits seine analytischen Überlegungen bezüglich der Chancen seiner Partei im Jahre 1946: "Meine Argumente faßte ich in einer Rede so zusammen: 'Haben wir Erfolg, werden wir sehr lange an der Regierung bleiben, haben wir keinen Erfolg, dann werden wir eben aus der Regierung verschwin- den...'". Darauf kann er sich schon was einbilden, daß er sein Urteil - bei gegebenen Grundsätzen ein für alle mal dem einen Kriterium subsu- mierte: Welche Mittel, welche Mauscheleien, welche Selbstdarstel- lungskünste, welche Koalitionen nützen, um der eigenen politi- schen Linie zur Durchsetzung zu verhelfen: Sei es den Russen, den Amis, den Wählern oder der politischen Parteienkonkurrenz gegen- über. So paßt die Unbeugsamkeit des Strauß'schen Machtmaximie- rungsanspruchs sehr gut zum politischen Opportunismus des "Schlitzohrs". Dafür hätte er sein Latein-Examen zwar nicht ma- chen brauchen, aber zur Selbstdarstellung des Gewitzigten als Scharfseher und intellektuellen Kalibers taugt so ein Examen al- lemal. Was jedes Sozialkundelehrbuch den Vätern des Grundgesetzes nachbetet, das erforschte Strauß ganz unabhängig von einem ande- ren großen Demokraten frühzeitig: das Interesse an soliden Macht- verhältnissen: "In meiner Grundanalyse stimmte ich - obwohl er mir damals völlig unbekannt war - mit Konrad Adenauer überein, der ebenfalls die Meinung vertrat, daß das Parteiensystem der Weimarer Republik ge- scheitert war und nicht neu belebt oder wiederhergestellt werden könne." (S. 70) "Konnte" es dann ja auch nicht. Aber auch auf ganz anderen Fel- dern, dem des politischen Überzeugens durch kunstvolle Rede zum Beispiel, hat Strauß nach seitenlangen Analysen Erhellendes zu vermelden: "Nicht der ist der beste Redner, der bis zum letzten Satz von al- len Zuhörern verstanden wird - und was für den redenden Politiker gilt, paßt auf den Politiker schlechthin... Als Redner kann ich mir die Zwischenrufe nicht aussuchen, sie kommen oder sie kommen nicht... Richtungsweisend sind meine handschriftlichen Ver- merke..." (S. 164ff) Wie gesagt: "Die Kunst der Rede ist eine zeitlose Kunst." (S. 170) Das Dümmste an diesen Weisheiten ist wahrscheinlich, daß er selbst am allermeisten geglaubt hat, sie seien welche. Er wußte eben schon immer 'Bescheid'. Bereits 1935, kurz nach dem Abitur, machte Strauß den Führerschein. "Meine Schwester hielt das für völlig sinnlos, da ich mir weder jetzt noch in nächster Zukunft ein Auto kaufen könne. 'Was willst du denn mit dem Führerschein anfangen?' Meine Antwort sei gewe- sen, so erzählt sie noch heute jedermann: 'Der fängt doch einen Krieg an. Meinst du, daß ich für den Deppen zu Fuß durch Europa marschiere.'" (33) Diese Sorte Gewitzigtheit - Opportunitätsgesichtspunkte abwägen und ausschlachten - ist Strauß' analytische Gabe. So blöd diese Haltung für einen Untertanen ist, so ausreichend ist sie für einen erfolgreichen Politiker. Man muß nur alles und jedes in welthistorische Phrasen kleiden und überall den nationalen Stand- punkt langfristiger Vorausschau deutscher Interessen vorzeigen, dann gilt man als vorausblickender, in historischen Dimensionen denkender Staatsmann. Der öffentlich Verfolgte ------------------------ Und wo nicht, da liegt es dann eben an der Dummheit bzw. morali- schen "Verworfenheit" der anderen. Sei es der Amis in Sachen Weltkriegskalkulation, sei es der eigenen Partei in Sachen poli- tischer Schlauheit - "die SPD ist uns in Sachen politischer Selbstdarstellung weit voraus" weil die Union nicht auf Strauß hört -, oder auch der politischen Kultur, die politischen Genies wie ihm immer Steine in den Weg legt. Wenn er berichtet, wie "unbürokratisch" und ohne öffentliche "Störungen" er Deutschland bei der Aufrüstung der Israelis ins Spiel gebracht hat, dann wird ihm ganz wehmütig ums Herz. Solche politischen Geniestreiche - den Mosche Dayan nach Rott am Inn eingeladen und einen Waffenhandel abgeschlossen - sind heutzutage nicht mehr so leicht, weil die Öffentlichkeit immer zuviel wissen will. Arg geärgert hat ihn da die Kritik wegen des Milliardenkre- dits an die DDR - was geht das die Öffentlichkeit schon an. "Sicherlich sind die Vorgänge um den Milliardenkredit auch ein Symptom für eine starke Einschränkung der politischen Gestal- tungsmöglichkeiten. Ich sehe hierin ein deutsches Phänomen, wenn ich beispielsweise daran denke, mit welcher Souveränität und Un- abhängigkeit Margret Thatcher regiert. Ein Politiker wird in sei- nem Handlungsspielraum, in seiner Führungsfähigkeit erheblich be- grenzt, wenn er vor einer wichtigen Entscheidung diese auf brei- ter Ebene diskutieren und möglichst noch durch eine Meinungsum- frage in der Öffentlichkeit absegnen lassen soll. Heutzutage gibt es anstelle eines Vertrauensvorschusses im Grunde eher einen Vor- schuß an Mißtrauen - ganz im Gegensatz zum 19. Jahrhundert, wo Geheimdiplomatie und Kabinettspolitik die Grundlagen einer oft wirkungsvollen Politik waren." Abgesehen davon: Kam der Milliardenkredit etwa nicht zustande: Ist Strauß nicht stolz darauf, daß er immer unangefochten von der öffentlichen Meinung seine Politik und damit öffentliche Meinung gemacht und vertreten hat: Ist sein ganzes Buch nicht Beleg genug dafür, wie wenig behelligt von der Öffentlichkeit die bundesdeut- sche Nachkriegspolitik ihre Mauscheleien, Geheimverträge und sonst was betrieben hat? Was Strauß nicht gefällt, ist die Kritik der öffentlichen Mei- nung, die zur demokratischen politischen Kultur nunmal dazuge- hört. Im Grunde genommen sind das nationale Schicksal, die natio- nalen Machtansprüche ein zu hohes Gut, als daß man sie anderen als seinesgleichen - und vor allem ihm - anvertrauen darf. Die Propagandisten seines politischen Konkurrenten sind schon ir- gendwie der Ausbund an politischer Niederträchtigkeit. Nicht ein- fach Konkurrenten oder Kritiker - sondern das gehört sich einfach nicht, weil es seinen ganz persönlichen Machtanspruch bestreitet. Und den identifiziert er mit dem der deutschen Nation. Und den wiederum hält er für das Natürlichste und Gerechteste von der Welt. So ist nicht zuletzt der "Spiegel" "auch ein tiefer Ausdruck der Zerrissenheit und des Nihilismus der deutschen Seele... Er ist Produkt und Produzent dieser Hal- tung gleichermaßen." (422/3) Kein Wunder, daß ihm mit Augstein ein "Mann voller Komplexe" vor- steht. Der Anwalt staatsmännischer Freiheit pflegt also genau die kom- plementäre Ideologie zum Selbstbewußtsein der Öffentlichkeit, mit ihren Ansprüchen an erfolgreiche nationale Führung würde sie die Politiker kontrollieren. Regieren bürgt für Sachverstand, darf also blindes Vertrauen und Zustimmung für sich beanspruchen - klar, daß dieser Anspruch, die Öffentlichkeit hätte rückhaltlos die politischen Ambitionen und die Amtsführung von Strauß und seinesgleichen zu unterstützen - und genauso natürlich die der Konkurrenten schlecht zu machen, bei Leuten wie Augstein auf fruchtbaren Boden gefallen ist und Strauß zum Lieblingsobjekt ih- rer Kritik gemacht hat - bei allem Respekt vor seinen großen po- litischen Fähigkeiten versteht sich. Strauß war da anders. Er hat von diesen Journalisten wirklich nichts gehalten. Vor dem Richterstuhl der deutschen Geschichte --------------------------------------------- Eigentlich hätte es ihm zugestanden, diese Nation zu führen. Statt dessen hat man ihn zu einer Zeit, da es um die Nachfolge Adenauers ging, schmählich als Minister entlassen, bloß weil er ein paar Spiegel-Journalisten ganz ohne Komplexe festsetzen ließ. Und dann hat man ihn auch noch nicht einmal zum Kanzler gewählt, obwohl er in Bayern doch immer das beste Ergebnis hatte. Und oft ist ihm dabei auch noch seine eigene Partei in den Rücken gefal- len, sogar damals, als er vor dem Bundesverfassungsgericht das Grundgesetz der BRD retten mußte. Den Prozeß hat er zwar verlo- ren, aber sein Standpunkt ging als Sieger hervor. Erst nachträg- lich "stellte Alfred Dregger 1985 besonders nachdrücklich fest, daß die CDU den Freunden von der CSU bestätigen müsse, mit dem Gang nach Karlsruhe eine historische Leistung für Deutschland erbracht zu haben. Diese Klage sei ein geschichtliches Verdienst von Franz Josef Strauß. Solches hörte und höre ich öfter. 1973 hatte man mich ausgelacht, verspottet, allein gelassen." (458) Er hat es auf sich genommen und sein Kreuz getragen - im guten Gefühl, wie immer von den meisten verkannt zu sein, vor dem Richterstuhl der deutschen Geschichte aber Recht zu behalten. So ergeht es einem, der soviel für seine Partei, sein Vaterland, die Weltpolitik leistet, daß die das gar nicht richtig begreifen kön- nen. Auch das übrigens ein Wahn, der nicht bloß bei Strauß zum politischen Charakterzug geronnen ist. * Insofern ist Straußens persönliches Vermächtnis zugleich im be- sten Sinne objektiv; ein 'Zeitdokument' darüber, wie wenig demo- kratisches Regieren mit den Ideologien von staatsmännischer Kunst, geistiger Führung, gewiefter Taktik, persönlicher Glaub- würdigkeit und Kompetenz zu tun hat, mit der sich ihre Figuren schmücken und nach denen sie so gerne beurteilt werden. Auch dar- über, daß die "Sachzwänge" der Politik Zwangscharakter nur fürs Volk haben, für die Verwalter der Sache aber das Reich ihrer per- sönlichen Freiheit, ihrer Selbststilisierung und von keinen Zwei- feln geplagten Selbstbeweihräucherung - kurz: der Entfaltung - ihrer ganzen Persönlichkeit sind. Die fällt deswegen auch nicht gerade sehr persönlich und einnehmend aus. Wer meint, deutsche Politiker funktionierten noch ganz anders, der kann übrigens die Memoiren von Willy Brandt lesen. Der hat ja mit Strauß zusammen Deutschland regiert. zurück