Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN CDU/CSU - Von den C-Parteien
zurückWER WAR KURT GEORG KIESINGER?
Den Nachrufen ist zu entnehmen, daß es sich um einen jener deut- schen Männer gehandelt haben muß, die sich deswegen um das Vater- land verdient gemacht haben, weil sie einmal Bundeskanzler gewe- sen sind. Das scheint uns zu wenig für die junge Generation, die sich ohnehin schon schwer tut, den Verblichenen mit einem US-Po- litiker deutscher Abstammung nicht zu verwechseln. Kurt Georg Kiesinger unterschied sich vom amtierenden Bundeskanz- ler trotz gleicher Parteizugehörigkeit darin, daß er noch unter die Ungnade einer zu frühen Geburt fiel, was ihn zwangsläufig 1933 in die Reihen der NSDAP trieb. Für einen Mann seiner Pflichtauffassung war es schwer zu vermeiden, daß er bis 1945 in dieser damaligen größten deutschen Volkspartei verblieb und im Reichsaußenministerium bis zum Chef der Propagandaabteilung auf- steigen mußte. Mit Herrn Kohl teilte Kurt Georg Kiesinger jedoch die Ehre, von einem Bundespräsidenten ernannt worden zu sein, der auch in schwerer Zeit zu seiner Verantwortung stand: Der wg. juristischer Laufbahn in die NSDAP gezwungene Karl Carstens verlieh Kohl das Kanzlerpatent, während Kurt Georg Kiesinger von Dr. h.c. Heinrich Lübke dem Bundestag vorgeschlagen wurde. Neben den damals kursie- renden häßlichen Gerüchten bezüglich der architektonischen Mitur- heberschaft Lübkes an Besonderheiten des faschistischen Straf- vollzugs, den Konzentrationslagern, fiel Kurt Georg Kiesingers bewältigte Vergangenheit nicht weiter auf. Außerdem bestand wegen der erstmaligen Regierungsbeteiligung der SPD kein Oppositionsin- teresse am Aufwärmen von "Jugendsünden". So blieb es der einsamen Rächerin Beate Klarsfeld vorbehalten, dem Alt-Nazi 1968 auf dem CDU-Parteitag in Westberlin öffentlich eine zu schallern. Und noch einmal bewährte sich Kiesingers "Solidarität der Demokra- ten", die schon unter Hitler gedient hatten: bei der Auswahl sei- nes Nachfolgers im Amt des baden-württembergischen Ministerpräsi- denten. Als Kiesinger schon längst im Ruhestand weilte, mußte sein Freund Hans Karl Filbinger vorzeitig in Pension, weil seine berufliche Tätigkeit im 45er Jahr als Scharf-Richter der Reichs- marine nachträglich ins Gerede gebracht worden war. Beates Ohrfeige blieb das schönste Ereignis in Kurt Georg Kiesin- gers Amtszeit als Bundeskanzler, obwohl die aufrechte Antifaschi- stin mit ihrem Handstreich bloß die Vergangenheit des neudeut- schen Führers gemeint hatte, die laufenden Geschäfte also für nicht so aufregend befand. Dabei waren die nicht ohne. 1966 holte er sich eigens die SPD ins Kabinett und Willy Brandt als Vize- kanzler an seine Seite, um gegen Gewerkschafts- und Studentenpro- test die Notstandsgesetze durchzubringen, die der Republik zur Kriegstüchtigkeit noch in der Verfassung fehlten. Dieser Fort- schritt war genauso zeitgemäß wie der Einstieg in die Ära der Neuen Deutschen Ostpolitik. Um so verbitterter mußte Kiesinger am Wahlabend 1969 miterleben, wie Brandt und Scheel vor laufenden Fernsehkameras die sozialliberale Koalition eingingen und ihn mit 49% Stimmenanteil aufs Altenteil schickten. Was sonst? Kiesinger hat mehrere Wahlen im Schwäbischen gewonnen und galt deshalb als brillianter Politiker. Weil er zehn Jahre lang außenpolitischer Sprecher der CDU im Bundestag gewesen ist, genoß er den Ruf eines erfolgreichen Redners ("König Silber- zunge"). Weil er einen unwiderstehlich tiefsinnigen Tonfall pflegte, wurde er zum Schwarm aller Altphilologen. Weil er auch im Alter noch volles und schlohweißes Haar trug, wirkte er ver- gleichsweise fast schon intellektuell und fand einen Verleger für seine Memoiren, über denen er schließlich einem Herzversagen er- lag. Das war Kurt Georg Kiesinger. zurück