Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN CDU/CSU - Von den C-Parteien
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Zerwürfnisse, Affären und ein stabiler Imperialismus:
ZUM INNENLEBEN DER FERTIG GEWENDETEN REPUBLIK
Die einzige ernstgemeinte, harte, unüberhörbare Polemik, der die
Kohl-Regierung sich im 5. Jahr ihres Bestehens ausgesetzt sieht,
kommt vom Chef der bayerischen Christenpartei, der Kohl sein Amt
verdankt. Strauß paßt die ganze Regierungslinie nicht; deswegen
hat er einen an ein Zerwürfnis heranreichenden Streit in das Uni-
ons-Bündnis und auch ein Stück weit in die CDU hineingetragen und
der Regierungskoalition die Laune verdorben.
1. Wie soll die Union ihre Wahlen gewinnen? oder:
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Der Konkurrenzkampf der christlichen Parteiführer
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Seine Unzufriedenheit macht Strauß an der von Geißler verfochte-
nen Linie der CDU zur Wählergewinnung fest. Er plädiert für eine
bessere Bedienung der "Stammwähler", gegen jede Willfährigkeit
der Parteipropaganda gegenüber einem lockeren, gar linkslastigen
Publikumsgeschmack, und definiert die "Mitte", die die Union be-
setzen müsse, so, daß "rechts" von ihr "kein Platz für eine demo-
kratische Partei bleiben" dürfe. Nur so, meint er, wären christ-
liche Wahlsiege zu sichern.
Bei dieser Polemik über die Generallinie der Unionsparteien klärt
Strauß ein für allemal, was es mit "dem Wähler" als der für demo-
kratische Politiker maßgeblichen Berufungsinstanz auf sich hat.
Er empfiehlt sein Rezept der Wählerbetörung mit dem Argument, ge-
rade um des Erfolgs willen dürfe man sich auf keinen Fall oppor-
tunistisch den Moden und Launen der öffentlichen Meinung und der
schwankenden Zwischenschichten des Wahlvolks angleichen, sondern
müsse den Geschmack des Publikums tatkräftig b i l d e n. Von
Strauß' sämtlichen publikumswirksam verbreiteten Propagandapa-
rolen ist dieses Argument das alleropportunistischste und am mei-
sten auf die Vorlieben demokratischer Staatsbürger berechnete;
denn weit sicherer als auf zufällige Mehrheitsmeinungen über dies
und jenes läßt sich bei der demokratischen Stimmenbeschaffung auf
die solide Parteilichkeit des Wählers für die klassischen faschi-
stischen Führungstugenden wie Unbeirrbarkeit der Oberen, Folgsam-
keit der Unteren und eindeutige Befehlsstrukturen von oben nach
unten setzen. Zugleich macht diese opportunistische Anbiederei
des CSU-Chefs an die Elementarfaktoren des staatsbürgerlichen Un-
tertanenbewußtseins den Rechtsanspruch der Regierten auf den Er-
laß klarer Richtlinien durch die Regierenden schlagend deutlich,
wie wenig demokratische Politiker sich zu verstellen und ihr ei-
genes Selbstbewußtsein zu verleugnen brauchen wenn sie dem Wähler
mit der Phrase nach dem Munde reden, man dürfe als Staatsmann auf
gar keinen Fall "populistisch" dem Wähler nach dem Munde reden.
Der Wille zur Macht bei den Politikern entspricht grundsätzlich
dem Willen des zum Wähler mißgestalteten Individuums, sich regie-
ren zu lassen. Das ist das allgemeine Erfolgsrezept der Demokra-
tie; und Strauß hat das Herumreiten auf dieser elementaren Glei-
chung als sein besonderes Erfolgsrezept entdeckt und reizt das
aus - mit Erfolg.
Nun gibt unter den feindlichen Brüdern, die das Geschäft demokra-
tischer Politik betreiben, allemal schon dieses ganz inhaltslose
Wahlprogramm den schönsten Streit um "Grundsatzfragen",
"politische Linienentscheidungen", "Parteiprofil" und dergleichen
her. Denn genau an diesem Maßstab der u n ü b e r s e h-
b a r e n F ü h r u n g s s t ä r k e pflegen die politischen
Konkurrenten - der verschiedenen demokratischen Parteien wie in
diesen Parteien - sich und einander zu messen, also ihre
Konkurrenz zu entfalten, wobei "Sachthemen" sich allemal finden;
als Material eben für den Beweis erfolgreicher Führungskunst, die
sich ja bekanntlich nicht zuletzt an der "Besetzung" eines
Themas, der erfolgreichen Einführung einer "Sache" in den gerade
aktuellen Meinungsstreit beweist.
Diese Sorte Konkurrenz hat den unbestreitbaren Vorteil, daß - im
Sinne des maßgeblichen Kriteriums - falsche Ergebnisse des
Streits erstens ausgeschlossen sind und zweitens automatisch kor-
rigiert werden, wenn sie doch eintreten: Wer seine Konkurrenten
erfolgreich ausbootet, hat sich d a m i t als der Mann oder
Frau mit dem bestfunktionierenden "Machtinstinkt" herausgestellt,
ist also fürs politische Gewaltgeschäft qualifiziert - bis ein
geschickterer Wille zur Macht ihn/sie zu Fall bringt. Der unver-
gängliche demokratische Reiz der Konkurrenz zwischen Kohl und
Strauß liegt darin, daß Strauß es immer wieder fertigbringt, sie
zu eröffnen - also seine Herrschaft über die CSU darin zu bewei-
sen, daß er seine Gefolgschaft auf Polemik und Intrigen gegen die
"Nummer Eins der Union" festlegen kann -, während Kohl es noch
immer geschafft hat, sich zu behaupten - also seine Gefolgschaft
gegen Strauß zusammenzuhalten. Auch dabei ist übrigens zu beob-
achten, daß Strauß' Rivalität um die Führung in der Union mit
seinem Sachurteil über Kohl vollständig zusammenfällt: Er hält
seinen Konkurrenten für die schwächere Führungsfigur und weiß ge-
nau den Grund, weshalb ausgerechnet in seinem Konkurrenzkampf ge-
gen Kohl dieser Nachteil nicht zum Tragen kommt. Der Grund ist
die FDP, die ihm nicht, dem Kohl aber schon zur Kanzlerschaft,
also zum alles entscheidenden Erfolg verholfen hat. Demokratisch
konsequent ist es zwar nicht, wenn einer, der so wie Strauß seine
politische Macht der glücklichen Handhabung der parteipolitischen
Intrigenwirtschaft verdankt, das Geschick des Herrn Kohl beim Zu-
sammenwirken der großen und recht haltbaren CDU/CSU/FDP-Koaliti-
onsintrige n i c h t als Beweis überzeugender Führungsstärke
gelten lassen will. Deswegen entdeckt das Gespür demokratischer
Beobachter für die Kriterien wahrer politischer Führerschaft auch
leicht das Krampfhafte in Strauß' widersprüchlichem Unterfangen,
die Schwäche eines siegreichen Konkurrenten um so ausführlicher
zu beweisen, neuerdings sogar in einem Buch, das im Schaufenster
zwischen "Spiegel"-Büchern und Zöpfl-Lyrik herumliegt. Anderer-
seits kann Kohl seinen bayerischen Kontrahenten bis heute nicht
daran hindern, öffentlich und wirksam an seinen Führungsqualitä-
ten herumzuzweifeln; so wirksam immerhin, daß es ihm nicht ge-
lingt, diesen Zweifel durch ein souveränes Abkanzeln als
"überflüssiges Sommertheater" zu blamieren; wenn auch wiederum
nicht so wirkungsvoll, daß die Koalition tatsächlich "in der
Krise" wäre, dem Kanzler also die materielle Basis seines erfolg-
reichen Willens zur Macht abhanden käme.
2. Was steht auf der nationalen Tagesordnung? oder:
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Die bekanntgemachten Alternativen imperialistischen
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Fortschreitens
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Dieses gesamte Konkurrenzgeschäft der führenden Unionspolitiker
geht seinen Gang getrennt von und neben allen Staatsaufgaben, die
derweil zur Entscheidung anstehen und erledigt werden; es hat
keine anderen politischen Inhalte als die, die von den Konkurren-
ten berechnend ins Spiel gebracht werden - im laufenden Fall also
von Strauß zum Nachweis einer mangelnden Fähigkeit des Kanzlers,
"das Notwendige" durchzusetzen. Diese politischen Inhalte hat der
Unionsstreit um die überzeugendste Tour der Wählerbetörung damit
aber auch. Zwar ist nichts davon zum Thema gemacht worden ohne
die Berechnung, daran die Konkurrenz der Führungsqualitäten abzu-
wickeln; deswegen handelt es sich aber noch lange nicht automa-
tisch um Scheinthemen, mit denen bloße Spiegelfechterei betrieben
würde und gar keine Anliegen und Alternativen der nationalen Po-
litik zur Sprache kämen. Zwar will Strauß erklärtermaßen den sei-
nes Erachtens wahlkampfuntüchtigen CDUlern an allen diesen
Sachthemen vorführen, wie man den rechten Wählergeschmack mobi-
lisiert; deswegen fallen sie aber keineswegs per se in die Rubrik
der "bloßen Wahlkampfrhetorik".
Die Selbstdarstellung der Politiker hat allemal auch die Härten
zum Inhalt, um deren Durchsetzung es den Leuten geht, die ja im-
merhin um die Macht über die westdeutsche Nation und um die Macht
der westdeutschen Nation konkurrieren; und wen sie dabei an das
Urteil des wahlberechtigten Publikums appellieren, dann machen
sie sich nicht von dessen freiem Urteilsvermögen abhängig, son-
dern veranstalten eine Erfolgskontrolle ihrer Bemühungen, das
Volk auch auf gewisse nationale Programmpunkte einzuschwören und
auf i h r e Alternative gleichzuschalten. Es mag also durchaus
sein, daß die CSU ihre Streitpunkte danach ausgesucht hat - und
auf alle Fälle hat sie sie in diesem Sinne aufbereitet -, den li-
beralen Koalitionspartner als unwichtigsten Bestandteil der Ko-
alition erscheinen zu lassen und sich selbst als maßgebliche
Größe darzustellen, die der Regierung ihre "Handschrift" auf-
prägt. Das ist aber noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Die
Lage der Nation ist durch die Streitpunkte, mit denen Strauß die
Unionsparteien voranbringen will, durchaus ein Stück weit charak-
terisiert.
Streit um die Atomraketen - aus Einigkeit über den
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"eurostrategischen" Rang der bundesdeutschen Macht
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Ihre schärfste Kritik hat die CSU - darin unterstützt von einem
bedeutenden Teil der CDU an der Entscheidung des Kanzlers geübt,
im Hinblick auf die Genfer Rüstungsdiplomatie der großen Atom-
mächte nach den eurostrategischen "Nachrüstungs"-Waffen auch noch
die Pershing-1-A-Raketen der Bundeswehr zur Disposition zu stel-
len. Sie hat diesen Beschluß als schwerwiegende Beeinträchtigung
der bundesdeutschen Sicherheitslage getadelt. Das war nun mit Ge-
wißheit nicht bloß verkehrt, soweit da die Ideologie vom Heimat-
schutz in Anschlag gebracht wurde, sondern eine b e w u ß t e
Verzerrung der Tatsachen, da die Partei sich sonst ja glatt
selbst der Mittäterschaft beim Vaterlandsverrat bezichtigt hätte.
Immerhin hat sie aber das Statusproblem der bundesdeutschen Mili-
tärmacht deutlich gemacht, das sie mit dem Abzug der atomaren
Mittelstreckenraketen auf die Nation zukommen sieht. Was die
Strauß-Fraktion in der Union "Sicherheitslücke" nennt, bestimmt
sie des Näheren nämlich als den Verlust der Fähigkeit, von deut-
schem Boden aus die gegnerische Weltmacht selbst atomar zu bedro-
hen, so wie deutscher Boden nach wie vor durch sowjetische Rake-
ten atomar bedroht sei; nach der griffigen Dregger-Formel: "Je
kürzer die Reichweite, desto deutscher die Zerstörung." Die BRD
wird da als direkter Kontrahent der sowjetischen "Supermacht" ge-
sehen, also als Militärmacht definiert, die sich im Kriegsfall
nicht mit irgendwelchen "Vasallen" des östlichen Lagers verglei-
chen will - schon gar nicht mit der DDR, die im Gegenteil gleich
in die Einheit des "deutschen Bodens" eingemeindet wird, dessen
atomare Gefährdung nicht "singularisiert" werden dürfe -, sondern
mit der Führungsmacht selbst; unter dieses Niveau dürfe sich die
bundesdeutsche Kriegsvorbereitung nicht begeben.
Diese interessante Sorge um den Status der BRD als Atomkriegsgeg-
ner der Sowjetunion hat die Kohl-Fraktion öffentlich bloß mit
Friedensphrasen und der Versicherung beantwortet, sie könne keine
Sicherheitslücke erkennen, aber selbstverständlich sei das euro-
päische Kräfteverhältnis noch lange nicht in Ordnung. Das ist auf
alle Fälle keine Zurückweisung des Maßstabs, den die CSU für die
Militärmacht Bundesrepublik aufgestellt hat, wenn auch anderer-
seits keine Aussage darüber, wie die Regierung ohne Pershing-Ra-
keten diesem Maßstab genügen will. Offenbar will die CDU keine
neue "Nachrüstungs"-D e b a t t e, auf die die vollständige Ant-
wort auf die CSU-Beschwerde unweigerlich hinauslaufen müßte. Lie-
ber beschäftigt sie ihr Volk mit der Erfolgsmeldung, die vergan-
gene "Nachrüstung" hätte sich abrüstungspolitisch ausgezahlt.
Darin steckt immerhin auch eine Statusdefinition der BRD, nämlich
als eine Militärmacht, die mit ihren Rüstungsanstrengungen, also
ihrer Kriegsbereitschaft, gemeinsam mit dem NATO-Bündnis die So-
wjetunion "zügeln" können will. Bescheidener als der Standpunkt
der CSU-Kritik ist das keineswegs; die CSU-Kritik sorgt nur da-
für, daß der militärpolitische Standpunkt der Regierung als die
reine "Mäßigung" bis hart an die Grenze zum Pazifismus
e r s c h e i n t . Die Alternative, die es i n d e r
S a c h e gibt, weist den westdeutschen Staat so oder so als
eine Macht von "eurostrategischem" Rang aus, die der direkte Ge-
genspieler von keinem geringeren als der Sowjetunion selbst sein
will.
Streit um Pinochet und Apartheid aus Einigkeit über die
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weltweiten Ordnungsaufgaben der bundesdeutschen Politik
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Ihren heftigsten, jedenfalls lautesten Streit hat die CSU gegen
Blüms heuchlerische Empörung über Folterpraktiken im Chile Pi-
nochcts und gegen die Forderung nach Asyl für gefangene Unter-
grundkämpfer geführt; an dieser Materie hat sich überhaupt die
generelle Liniendifferenz zur CDU Geißlers deutlich machen wol-
len. Die bäuerlichen Stammwähler, die durch die EG-Agrarpolitik
schon genug gebeutelt würden und der Konkurrenzpartei der
"Republikaner" zu ihrem Erfolg in Ostbayern verholfen hätten; die
Stammwähler, die Härte gegen linke Terroristen, auch die auslän-
dischen, wünschten und durch Menschenrechtsfaseleien am falschen
Platz nur verunsichert würden: Die wurden zu diesem Anlaß so
richtig in den Streit eingeführt. Hinter dem ganz offenkundigen,
polemisch vertretenen Interesse der CSU, ihr antikommunistisches
Image zu pflegen, ist dabei ganz in den Hintergrund getreten, daß
die bayerische Unionspartei sich nicht zufällig eine außenpoliti-
sche Option ausgesucht hat, und zwar nicht bloß, um einem - ohne-
hin von ihr miterzeugten - antikommunistischen Publikumsgeschmack
gefällig zu sein, sondern um klarzustellen, wofür ein Sympathi-
sant der Christenunion heutzutage einzutreten hat. Strauß sieht
eine Weltaufgabe der BRD darin, Regierungen in der sog. "3. Welt"
allein unter dem Gesichtspunkt und zu dem Zweck Rückhalt zu ge-
ben, daß sie sich in der gewaltsamen Bekämpfung des Kommunismus
bewähren sowie jeder politischen Regung, die einem Erfolg der
falschen Seite noch so geringe Chancen bieten könnte. Wer immer
es nötig findet, die Sache des kapitalistischen Geschäfts und
seiner Sicherung mit Gewalt gegen Abweichler durchzusetzen, soll
sich auf die Macht der BRD verlassen können, ohne sich für jede
"Unfeinheit" rechtfertigen zu müssen und ohne sich einer Konkur-
renz gegenüberzusehen, die sich des Rückhalts bei einer bundes-
deutschen Regierungspartei rühmen kann.
Eine klare Antwort auf diese Definition der imperialistischen
Rolle der Republik hat die CSU von ihre Koalitionspartnern auch
nicht erhalten. Immerhin ist aber bei allem Menschenrechtsge-
schwafel von Blüm und Geißler deutlich geworden, daß die
"linkslastige" CDU-Mannschaft für die bundesdeutsche "Dritt-
Welt"-Politik die mindestens ebenso anspruchsvolle Aufgabe vorge-
sehen hat, in Staaten unter besonders exponierten prowestlichen
Diktaturen eine von hier aus kontrollierte Regierungsalternative
großzuziehen, die im Fall einer auflebenden Konkurrenz um die
Macht den Falschen erst gar keine Chance läßt. Wenn Strauß durch-
gesetzt hat, daß weder ein "Handlungsbedarf" bezüglich der chile-
nischen Justizopfer noch ein Bedarf an einer Südafrika-Reise des
Ministers Blüm besteht, dann heißt das: Die Patronage christlich-
antikommunistischer Ersatzmannschaften für Pinochet oder die Bu-
ren-Partei in Südafrika darf die Rolle der BRD als Rückendeckung
für genehme Diktatoren und Rassisten nicht schmälern. So ist im
Zuge des "Linienstreits der Union" immerhin festgelegt worden,
was die "Dritte Welt" sich an politischen Direktiven von der bun-
desdeutschen Neben-Weltmacht erwarten darf. Die Berechnung, daß
die Union nun auch dem verarmenden deutschen EG-Landwirt wieder
besser gefällt, gehört zu den besonderen Schönheiten demokrati-
scher Bildung des Volkswillens, die nie einfach mit geschädigten
Interessen des wahlberechtigten Volkes, sondern mit deren Über-
setzung in Alternativangebote politischer Führerschaft rechnet.
Streit ums Vermummungsverbot - aus Einigkeit über
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die Maßstäbe des fälligen "inneren Friedens"
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Den künstlichsten Streit hat die CSU schließlich über die innere
Sicherheit der Republik eröffnet. Ihrem polemischen Standpunkt,
ohne Kriminalisierung des "Vermummens" beim Demonstrieren wäre
die öffentliche Ordnung in Gefahr, fehlt - nach den schon bald
ein Jahr oder länger zurückliegenden siegreichen Schlachten der
Polizei gegen vermummte wie entblößte Anti-Atom-Demonstranten in
Wackersdorf und anderswo - jede sachliche Glaubwürdigkeit. Den-
noch ist es ein Unterschied, ob die Strauß-Mannschaft den Koali-
tionspartner FDP mit dem Beharren auf schärferen Demonstrations-
gesetzen und Polizeirechten ärgern will, oder ob etwa die FDP
sich als Parteitagsthema die von niemandem bestellte, weder be-
geistert begrüßte noch erbittert bekämpfte, sang- und klanglos
wieder dahingeschiedene Forderung nach einer Öffnung des Waffen-
dienstes für Weiber ausdenkt. Während die FDP mit solchen Einfäl-
len nämlich bloß dokumentiert, daß sie an der Republik zur Zeit
überhaupt keinen Veränderungsbedarf zu entdecken vermag, streitet
die CSU für ein Konzept des "inneren Friedens", mit dem sie die
Republik wirklich voranbringen will. Daß ihre Begründungen von
der Art, Steinewerfern wäre anders nicht beizukommen, der pure
Schwindel sind, heißt eben nicht, sie würde gar kein politisches
Sachanliegen, sondern bloß den Standpunkt des Koalitions-Schau-
kampfes gegen die Liberalen vertreten. Sie will eine innere Ord-
nung, in der das Demonstrieren von vornherein ein unberechenbares
Risiko ist, weil kein Teilnehmer auch nur den Überblick über die
kriminellen Tatbestände behalten kann, die die Polizei zu jedem
Ein- und Durchgreifen berechtigen. Das ist immerhin noch ein
Stück mehr als die faktisch längst durchgesetzte Sitte, daß
"friedliche Deonstrationen" eigentlich gar kein politisches An-
liegen mehr bekanntgeben, sondern bloß noch die Bestimmungen des
Demonstrationsrechts veranschaulichen.
Gegen diesen von der CSU geforderten Fortschritt vertritt nur die
FDP eine Gegenposition, die bloß in einer anderen, genauso verlo-
genen Rechtfertigung des längst bestehenden Vermummungsverbots
und sonstigen Demonstrationsstrafrechts besteht: In der Demokra-
tie müsse man offenen Gesichts seine Meinung sagen - so wie jeder
FDPler das tut! -, um glaubwürdig zu sein. Ein schönes Plädoyer
für den "aufrechten Gang" des "mündigen Bürgers", wo doch jeder
weiß, daß das beim Demonstrieren offen vorgezeigte Gesicht jeden
Vertreter einer allzu abweichenden "freien Meinung" nach Bedarf
einer Staatsgegnerschaft überführen soll, die ihn zumindest für
jeden öffentlichen Dienst disqualifiziert. Im politischen Angebot
der Parteien ist dies jetzt also das "kleinere Übel" für Demon-
strationswillige, zu dem als ernsthafte Alternative eben nur das
CSU-Rezept zur Neudefinition politischer Kriminalität existiert.
Diesen sachlichen Erfolg hat Strauß mit seinem Linienstreit be-
reits errungen.
Wie beim Koalitionsstreit an den Wähler gedacht wird
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So werden durch den Koalitionsstreit einige politische Selbstver-
ständlichkeiten westdeutscher Staatsmacht sowie Gesichtspunkte
der Unzufriedenheit mit ihrer Schlagkraft und weltpolitischen
Handhabung dem wahlberechtigten Publikum vorgestellt, ohne von
dessen Urteil auch nur das Geringste auch nur ideell abhängig zu
machen. Wenn die paar strittigen Sachthemen allesamt unter den
Gesichtspunkt des zu sichernden Wahlerfolgs gestellt werden, dann
heißt das ja gerade nicht, daß der Wähler zu einer freien Ent-
scheidung über den einen oder anderen Vorschlag gebeten würde.
Vielmehr soll er sich wenn schon, dann darüber den Kopf zerbre-
chen, wie die Union es wohl am besten anstellen müßte, um Wahl-
siege zu erringen; und das ist etwas ganz anderes. Er wird mit
der M e t h o d i k demokratischer Politik befaßt, gerade da,
wo ihm ein paar der imperialistischen oder repressiven Ansprüche
seines Staates erläutert werden - eben wie bloße Beispiele für
das Ringen um die wirkungsvollste Selbstdarstellung der Politik
und ihrer Macher. Und für seine Wahlentscheidung braucht er sich
am Ende ohnehin nicht mehr zu merken, als wer sich wie glanzvoll
gegen wen durchgesetzt hat.
Deswegen ist auch nicht die kleinste gedankliche Umstellung ver-
langt, wenn dem Publikum mitten hinein in einen Grundsatzstreit,
bei dem, angeblich nichts Geringeres als die militärische Sicher-
heit der Nation nach außen - und nach innen - auf dem Spiel
steht, eine schmutzige Wahlkampfgeschichte als noch weit besserer
politischer Knüller und Stoff für demokratische Meinungs- und
Willensbildung geboten wird. Zwar hat der Chefredakteur - ausge-
rechnet! - der "Bild am Sonntag" einen ganzen Kommentar lang die
provinzielle Gesinnung gegeißelt, die sich mit Barschel und
Pfeiffer befaßt, während sich gleichzeitig die Weltmächte über
den Abbau atomarer Mittelstreckenraketen handelseinig werden. Das
war aber keine Sekunde lang als Aufforderung mißzuverstehen, man
sollte sich lieber mit dem Inhalt imperialistischer Weltpolitik
ernstlich befassen, als anrüchige Politaffären zu beschnüffeln.
Dem "Bild"-Menschen gefiel die Stoßrichtung der Affäre nicht, ge-
gen Barschel und die Nord-CDU; deswegen hätte er sie gerne unter
"Vermischtes" gebracht. Aber eben das läßt die Logik demokrati-
schen Meinens und Wollens nicht zu - deswegen hat "Bild am Sonn-
tag" selbst mit Barschel und Pfeiffer zwei Vorderseiten bestrit-
ten und erst hinter den wichtigen Themen der Zeit auf den rus-
sisch-amerikanischen Raketenhandel eine halbe Spalte verschwen-
det. Und sie hat kräftig beigetragen zu dem Sumpf von Verlogen-
heit, in dem sich die politische Urteilsbildung des demokrati-
schen Wahlbürgers abspielt.
3. Wer darf mitregieren? oder:
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Politik als Glaubwürdigkeitsproblem
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Wenn der "Spiegel" aufdeckt, daß die CDU ihren Wahlkampf in
Schleswig-Holstein mit Intrigen, übler Nachrede, Bespitzelung des
SPD-Kandidaten, Bruch des Steuergeheimnisses und Verleumdungen
geführt hat, dann sagt er im Ernst niemandem etwas Neues oder gar
Überraschendes; am wenigsten dem schleswigholsteinischem Wähler.
Denn der war ja wochenlang der Adressat eben dieses Wahlkampfes
und konnte, ja sollte schon längst nachlesen, was der "Spiegel"
dann "enthüllte", nämlich als CDU-Werbematerial. Was der
"Spiegel" darüber hinaus zu bieten, hatte, war ein abtrünnig ge-
wordener Insider, der eidesstattlich darüber berichtete, daß alle
Intrigen und Verleumdungen, mit deren Ergebnissen der Wahlkampf
bestritten wurde, tatsächlich eingefädelt worden waren, und zwar
vom Arbeitgeber der Wahlkampfhelfermannschaft selbst. Nun kann
auch das keinen mündigen Bürger, geschweige denn einen Journali-
sten im Ernst erschüttert haben. Es hat ja auch niemand die For-
derung erhoben, Wahlkämpfe müßten ohne das Mittel moralischer An-
schuldigung und Anschwärzerei des Gegners abgewickelt werden. Daß
man durch Schnüffelei im Privatleben eines Politikers allemal et-
was Anrüchiges finden kann - weshalb die Suche danach ja auch ge-
wisse Grenzen einhalten soll -, hat gleichfalls niemanden gewun-
dert. So sauber kann ein Politiker Amt und Privatinteresse gar
nicht trennen - und will es in der Regel auch gar nicht -, daß
der Verdacht des Amtsmißbrauchs, der Käuflichkeit oder ähnlicher
Formen der Korruption nicht billig zu haben wäre. Und daß ein Po-
litiker, der bei einer Wahl um sein "politisches Überleben"
kämpft, sich allemal in der "Grauzone" zwischen erlaubter Polemik
und Manipulation bewegt, um diesen Verdacht zu wecken und zu näh-
ren, versteht sich erst recht von selbst.
Der Skandal, den der "Spiegel" hingekriegt hat, liegt daher ganz
und gar in dem einen Umstand: Mit Pfeiffers "Geständnissen" ist
Barschel so gut wie b e i m L ü g e n e r w i s c h t worden.
Und das darf nicht passieren, weil damit ein ebenso verlogener
wie unwiderruflich geheiligter Grundsatz der Demokratie auf dem
Spiel steht. J e n s e i t s dessen, daß natürlich ein jeder
die Rolle der Ehrlichkeit in der Politik irgendwie kennt, geht es
bei der Frage des Erwischens bzw. Sich-Erwischen-Lassens um den
unverzichtbaren S c h e i n v o n I n t e g r i t ä t, der
zum Berufsbild des demokratischen Politikers gehört. Dieser
Schein ist nämlich das Erscheinungsbild der F o r d e r u n g,
welche die Machthaber in der Demokratie an ihre wahlberechtigten
Untertanen stellen: des Anspruchs auf freiwillige Überantwortung
der Bürger an ihre Obrigkeit; moralisch ausgedrückt: auf ein Ver-
trauen, das nicht nach Gründen und einer wirklichen Vertrauensba-
sis fragt. Demokratische Politiker treten mit dem Anspruch auf,
daß man sie für honorige Leute hält; gerade so, als wäre das der
denkbar beste Grund, sie herrschen zu lassen. Und statt diese ab-
surde Konsequenz zu kritisieren, befaßt sich demokratische Kritik
mit der Begutachtung der beanspruchten Honorigkeit. Die besitzt
der eine mehr, der andere weniger - das ist das Feld der demokra-
tischen Konkurrenz -; ein jeder aber grundsätzlich so lange, wie
ihm n i c h t s nachgewiesen werden kann. An diesem Kriterium
relativiert sich jedes bessere Wissen darüber, wie schmutzig die
Geschäfte des politischen Konkurrierens allemal sind; der bestbe-
gründete Heuchelervorwurf schneidet einem Politiker noch lange
nicht die Ehre ab. Wenn allerdings der N a c h w e i s eines
Vergehens gegen die beanspruchte Ehrbarkeit gelingt, dann ist die
Demokratie verlogen genug, um i h r e Ehre dadurch wiederherzu-
stellen, daß sie das "schwarze Schaf" aussondert. Dabei beachtet
die Demokratie hier eine sehr zweckmäßige Rollenverteilung. Um
den Schein der je größeren Ehrenhaftigkeit zu konkurrieren, ist
Sache der Politiker und ihrer Selbstdarstellung in den Medien der
Öffentlichkeit. Politiker bei nachweislichen Unehrenhaftigkeiten
zu e r w i s c h e n, fällt aus deren Konkurrenz heraus und in
die Zuständigkeit der professionellen Begutachter des Politikma-
chens, d e r P r e s s e, die deswegen so gern den Rang einer
"4. Macht" in der arbeitsteiligen Demokratie bekleidet. Sie ver-
leiht mit ihrer formellen Abtrennung von der Sphäre der parteipo-
litischen Konkurrenz dem Geschäft des Nachspürens, Aufdeckens und
Beweisens ehrenrühriger Sauereien den Schein einer
ü b e r p a r t e i l i c h e n P f l i c h t e r f ü l l u n g;
und soweit es ihr gelingt, diesen Schein zu wahren, s i n d
ihre "Enthüllungen" dann auch welche, die geeignet sind, hoff-
nungsvolle Karrieren zu beenden.
Deswegen stand denn auch von Anfang an fest, wie Barschel seine
Verteidigung gegen den "Spiegel" und den "Kronzeugen" Pfeiffer
organisieren mußte: Die Entlarvung des Scheins der unbestechli-
chen Objektivität des "Spiegel", der Nachweis einer Lüge des
Herrn Pfeiffer hätte Barschel reingewaschen und eine "Spiegel"-
Affäre aus der Sache gemacht. In dem Sinne ist denn auch die CDU-
freundliche Öffentlichkeit zu Felde gezogen; am lustigsten die
"Bild"-Zeitung. Sie hat nicht angestanden, einem Springer-Mann -
laut "Süddeutscher Zeitung" war Pfeiffer "der Staatskanzlei in
Kiel vom Axel-Springer-Verlag empfohlen und für ein Jahr ausge-
liehen" worden - genau die Lügen vorzurechnen, die für "Bild"
sonst ehrenwerter Journalismus sind: "So druckte er im 'Weser-Re-
port' (dem Parteiblatt der Bremer CDU) ein Foto des linken An-
walts Wesemann, im Smoking, mit Sektglas in der Hand. Es war eine
Montage... So veröffentlichte Pfeiffer 1982" in derselben Zeitung
"'Enthüllungen', nach denen eine 'DKP-Vorsitzende' Jugendliche
regelmäßig unter Alkohol gesetzt habe... Das Oberlandesgericht in
Bremen verurteilte ihn zum Widerruf. Er mußte... Schmerzensgeld
und zusätzlich wegen übler Nachrede 1200 Mark zahlen." Und so
weiter. Fazit: "Der lügt wie gedruckt" (Bild, 19.9.). Bloß eben
leider nicht nachweislich in seinen "Spiegel"-Enthüllungen. Das
war die Schwäche der Kampagne, die den Werdegang des hochbezahl-
ten CDU-Helfers als fast-kriminelle Karriere hinstilisieren
wollte, was bei einem Springer-Angestellten und CDU-Wahl-
kampfjournalisten sowieso kein Materialproblem ist. Weder ge-
richtliche Verfügungen noch Barschels Ehrenwort konnten den Man-
gel ausräumen, daß Pfeiffer in seinen Anklagepunkten gegen die
Staatskanzlei eben nicht der Lüge zu ü b e r f ü h r e n war.
Mit Absurditäten dieser Art wurde bis zu Barschels Rücktritt der
Kampf um saubere Politik ausgefochten, daneben dann gleich die
Problematik der unentschiedenen Machtverteilung im Kieler Landtag
erörtert, die durch den Rücktritt des Ministerpräsidenten noch
unentschiedener geworden ist. Beides ein offener staatsbürgerli-
cher Unterricht darüber, worauf das Wahlvolk ein Anrecht hat bei
seinen Herren und welche Rechte dafür der Herrschaft zukommen im
souveränen Umgang mit ihrem Wahlvolk. Es ist die - von der Presse
sowohl betreute als auch kontrollierte - Sphäre der gebilligten
parteipolitischen Heuchelei, in der Wähler und Gewählte miteinan-
der handelseinig werden; über die tatkräftigsten Saubermänner und
honorigsten Führergestalten, die fortan das Sagen haben. Denn die
sind damit in die Freiheit eingesetzt, u n t e r e i n a n d e r
all die Alternativen des nationalen Wohls auszuhandeln, die das
Leben in der Demokratie so fröhlich, sorgenfrei und friedvoll ge-
stalten.
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