Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN CDU/CSU - Von den C-Parteien
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Politik als Seuchenbekämpfung
GAUWEILER - EINE KARRIERE
Einer aus der 68er Generation, der die Studentenbewegung mitge-
macht hat - im RCDS, ist sofort i n die Institutionen gegangen
und jetzt ins Innenministerium des Freistaates Bayern marschiert.
Peter Gauweiler, CSU und 37, begann seinen Kampf gegen 'Marxismus
an der Universität' und jetzt steht er an vorderster Front wegen
AIDS. Beides für ihn eine S e u c h e. Ob Viren oder abwei-
chende Gedanken, der Mann denkt immer nur an das eine: "Law and
order (and justice)", zu deutsch: "Recht und Ordnung (und Gerech-
tigkeit)".
Der CSU-Student im grünen Parka
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1969 "besetzten" studentenbewegte Kommilitonen der Zeitungswis-
senschaft an der Universität München ihr Institut, das sich im
Amerika-Haus der bayerischen Landeshauptstadt befindet, wodurch
der Ort der Aktion sowohl einen autiautoritären als auch einen
antiimperialistischen Charakter verleihen sollte. Tags darauf gab
es in der Uni ein Teach-in zur "Aufarbeitung" der Institutsbeset-
zung. Ein junges 'Semester im grünen Parka meldete sich zu Wort
und erzählte erst einmal, warum e r sich durchaus mit diesem
"Regelverstoß" - immerhin habe es sich um "Hausfriedensbruch in
Tateinheit mit Nötigung" gehandelt -"solidarisieren" könne. Im-
merhin hätten die Studenten "im Ansatz ein vertretbares Anliegen"
gehabt. Nicht billigen, wenn auch verstehen, könne er allerdings
die Ausweitung der Kritik an Ordinarienuniversität und Kultusbü-
rokratie auf das Thema Vietnam, was damit doch überhaupt nichts
zu tun habe. Dennoch könne man mit ihm und seinen Freunden rech-
nen, bei "künftigen Aktionen ähnlicher Art". Bei dem Redner han-
delte es sich um den Jura-Studenten Peter Gauweiler, der 1968
mitten in der Studentenbewegung in München den RCDS wieder aufer-
stehen ließ, außer sich selbst als Vorsitzenden nur fünf weitere
Gesinnungsfreunde zu den Studentenparlamentswahlen aufbieten
konnte und deshalb versuchte, den RCDS als christlich-antiautori-
täre-aber-konstruktive Alternative zum "scheinrevolutionären
Chaos" anzubieten:
"Wir wollen radikale Reformen, die eine Universität garantieren,
an der selbstbestimmte Bildung und sachbezogene Ausbildung mög-
lich ist. Das verlangt ein einheitliches Vorgehen der Studenten-
schaft, keine revolutionären Sandkastenspiele." (Gauweiler in der
"Süddeutschen Zeitung ", 8.12.1969)
Damals, als Haartracht und Kleidung noch zu den Unterscheidungs-
merkmalen politischer Einstellung zählten, erregte der Kommili-
tone Gauweiler - noch ohne Popo-Scheitel und Maßanzug, sondern
ganz dem Habitus des Publikums studentischer Versammlungen ange-
paßt - Aufsehen durch das vermeintliche Paradox, daß so einer
beim RCDS ist. Selbst die Sprache der Antiautoritären hatte sich
der Ringdemokrat angeeignet und kehrte sie bei Gelegenheit gegen
ihre Erfinder: Sein RCDS wollte "wirkliche Reformen", "wahre De-
mokratie" und war gegen "den Ersatz der alten Autoritäten durch
neue linke Päpste".
Damals wie heute konnten die meisten linken Studenten den RCDS
nicht k r i t i s i e r e n, weswegen sich die Polemik gegen
ihn und seine Vertreter auf die Denunziation seiner Verbindung
zur CSU und vor allem zu Franz Josef Strauß konzentrierte. Gau-
weiler profilierte sich folglich als Kritiker in der CSU gegen
Entartungserscheinungen der Partei: Für den RCDS kündigte er 1969
eine "Dokumentation über den 'Bayernkurier'" an, in der dem
Strauß-Blatt ein "fahrlässiger Umgang mit der-Wahrheit" nachge-
wiesen werden sollte, und galt fortan als D i s s i d e n t,
der sich was traut. Als Mann, der besser sein wollte als die ei-
gene Partei, hat er sich in Szene gesetzt: Anläßlich einer CSU-
Wahlveranstaltung, auf der die Ordnermannschaft ein paar Zwi-
schenrufer brutal zusammenschlug, rief der sichtlich erschütterte
CSU-Student einem ihm bekannten linken Studentenpolitiker, der
gerade rausgeschleppt wurde, nach: "Ich schäme mich für meine fa-
schistische Partei!"
So sagte Peter Gauweiler 1970 Strauß in einem langen persönlichen
Gespräch "ernsthaft die Meinung" - und wurde vom Parteivorsitzen-
den zum "Landesbeauftragten der CSU für Jugendfragen" bestellt.
Die "Dokumentation über den Bayernkurier" geriet in Vergessen-
heit, statt dessen griff Gauweiler den RCDS-Bundesvorsitzenden
Simon scharf an, weil dieser immer noch Strauß eine
"studentenfeindliche Haltung" vorwerfen zu müssen meinte, wo dies
doch inzwischen vom Tisch sei - eben durch die Bestallung des
bayerischen RCDS-Vorsitzenden zum Jugendwart.
Letzte Erinnerungen an den CSU-Studentenfunktionär Gauweiler
stammen aus dem Jahre 1971, wo der alte grüne Parka in der Uni-
versitätsmensa mit einem Megaphon hetzte: Die linken Studenten-
gruppen, namentlich die R o t e n Z e l l e n seien die ei-
gentlichen und auf jeden Fall geistigen Urheber des Terrorismus.
Mit dieser Drohung verabschiedete sich der Kommilitone - und be-
gab sich auf seinen kurzen Marsch durch die Institutionen.
Der Kommunalpolitiker entseucht die Großstadt
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Mit frischen 22 Jahren, so erhielt München den "jüngsten Stadtrat
seiner Geschichte": Peter Gauweiler hatte es gepackt und sein er-
stes S t a a t s a m t eingenommen. Um die CSU in der Landes-
hauptstadt hatte er sich schon vorher verdient gemacht durch eine
rege Entlarvungstätigkeit von "Kommunistenspezln" in der SPD, die
in der Endphase der Vogel-Ära vom "linken" Juso-Flügel mehrheits-
bestimmt wurde. Gauweilers größter Coup soll die Abwerbung des
SPD-MdB Günter Müller gewesen sein, der 1972 seine Partei verließ
und vor seinem Eintritt in die CSU noch mit einer Liste namens
"Soziale Demokraten 72" den Machtwechsel im Rathaus beförderte.
Der neue schwarze OB Kiesl betraute seinen "jungen Mann" mit der
kommunalen Kulturpolitik, die nach christlicher Auffassung völlig
"zersetzt" bis "entartet" war nach einem Vierteljahrhundert Sozi-
herrschaft. Fortan wurden die städtischen Kulturmittel "neu ori-
entiert": Kein Moos mehr für "exaltierte Minderheiten", statt
dessen die Stadt in Gestalt des Herrn Gauweiler als Förderer ei-
nes Roberto-Blanco-Konzerts. Die Abwanderung einiger Filmemacher
aus der "progressiven" Szene begrüßte Gauweiler ausdrücklich:
Daß uns Werke, die einer gelehrten Interpretation, bedürfen weni-
ger liegen als Dinge, die unmittelbar an die Sinne appellieren,
wollen wir gar nicht bestreiten. Wer diesen typisch bayerischen
Charakterzug für provinziell hält, dem sollte nichts in den Weg
gelegt werden, den Duft der großen weiten Welt woanders einzuat-
men." (Spiegel, 22/1979)
Die Fraktion war beeindruckt, wie der Dr. Gauweiler da so gewählt
die altbayerische Drohung "Wenn's dir net paßt, nacha konnst ja
geh!" in Anschlag brachte, um "unsere eigenen parteipolitischen
Vorstellungen in der Kultur durchzusetzen" (Spiegel, ebenda). Der
Mann war qualifiziert für höhere Aufgaben und wurde zum Kreisver-
waltungsreferent gewählt, eine Wahlbeamtenstelle mit der Kompe-
tenz, die "öffentliche Ordnung" in der Stadt unter Kontrolle zu
halten. Der Jurist konnte endlich seine Rechtsvorstellungen in
die Tat umsetzen, und zwar als P o l i t i k e r, d.h. mit Ge-
walt ausgestattet, mit der man die Leute zum Parieren
z w i n g e n kann. Was als die Gauweiler-Kampagne zur Säuberung
der Fußgängerzone von allem unwürdigen Leben in die Stadtge-
schichte eingegangen ist, verdankte sich dem Unwillen des Kreis-
verwalters über das unter Straßenmusikanten, Bettlern und Pen-
nern, Händlern, Religionsstiftern und außerparlamentarischen
Gruppen grassierende Mißverständnis, alles, was nicht ausdrück-
lich verboten, sei deshalb auch schon erlaubt. Sein Amt regelte
fortan jede Bewegung in "Münchens guter Stube": Gefiedelt darf
nur mehr mit Erlaubnisschein, zu bestimmten Zeiten und an festge-
legten Orten werden; die Anmeldung von Infoständen oder gar
D e m o n s t r a t i o n e n wurde von der Gauweilerbehörde
prinzipiell als Antrag auf eine Genehmigung für Stadtfriedens-
bruch behandelt und entsprechend schikanös beschieden. Die
"asozialen Elemente", die gerne in den Untergeschoßen öffentli-
cher Plätze verweilen, mußten erfahren, daß auch von ihnen noch
Geldstrafen zu holen sind: Einem zum x-ten Male vom Rathausshe-
riff im Stachus-Unterbau persönlich aufgescheuchten Berber, dem
der Schreckensruf entglitt: "Um Gottes Willen, da kommt ja der
Gauleiter! " verhalf der solcherart sich beleidigt fühlende Gau-
weiler zu einem Prozeß und DM 300.- Geldstrafe.
Kurzum: Heute gilt in der Münchner City in Sachen öffentliche
Ordnung das Gauweiler Prinzip: Alles, was nicht erlaubt ist, ist
verboten! Und daran wird sich auch nichts ändern, weil der
"Scharfmacher" von 1979 bei seinem Abgang 1986, ein allgemein an-
erkannter und von allen Seiten gelobter Fachmann für Stadtsicher-
heit geworden ist, Außenseiter sind heute diejenigen,
"die selbst über die sich ausbreitende Verrohung öffentlicher Um-
gangssitten, über Rücksichtslosigkeit und Rowdytum noch den Deck-
mantel mißverstandener Liberalitas Bavariae breiten wollen."
(SPD-OB Kronawitter in der Abschiedslaudatio - für den scheiden-
den Referenten Gauweiler laut Frankfurter Rundschau von 10.3.)
Unumstritten war immer schon Gauweilers Kampf gegen die Prostitu-
tion auf städtischem Territorium, was die Nutten vermehrt in die
Wohnmobile und auf die Ausfallstraßen verdrängte, wo sie der von
ihnen so getaufte "Super-Gau" regelmäßig von der Funkstreife be-
suchen ließ, bis sie entnervt aufgaben, weil die Freier ausblie-
ben. Im nachhinein wird ein anderer, umstrittener Gauweiler-Sieg,
der gegen die Peepshows, vielleicht in anderem Lichte gesehen
werden: als Anschlag auf eine vorzügliche Variante von "Safer-
Sex". Unpopulär bis zuletzt blieb das Eintreten Gauweilers für
die Entscheidung, die Firma eines Taek-Won-Do-Schulleiters mit
dem Schutz der U- und S-Bahnhöfe zu betrauen: Dessen Jungs, ganz
in Schwarz mit großkalibrigen Revolvern, gerieten immer wieder
einmal in den Verdacht, sich so aufzuführen, wie sie aussehen.
Für Gauweiler waren und sind alle Klagen seiner Kritiker, auch
wenn sie sich auf zusammengeschlagene Bürger im U-Bahnhof beru-
fen, immer nur ein weiterer Beleg dafür, daß "unsere Städte vor
einer Jahrhundertherausforderung stehen" - nein, noch nicht AIDS,
sondern: die "Harlemisierung der City", ihre "Entartung zur mu-
selmanischen Gemeinde", wenn die "neue Liederlichkeit" triumphie-
ren sollte. Deshalb muß gehobelt werden, und wer über die Späne
jammert, macht sich zumindest verdächtig. Allen Ernstes vertritt
Gauweiler öffentlich die Theorie, die Großstadtkriminalität in
den USA habe ihre Ursache in einer "permissiven gesellschaftli-
chen Entwicklung" und in einer Polizei, der man liberalerseits
immer wieder in den Rücken fällt. Bei uns soll es soweit erst gar
nicht kommen: In der gemütlichen "Samstagsclub"-Sendung des Baye-
rischen Fernsehens entfaltete der strenge Mann zu Beginn des Jah-
res mit tödlichem Ernst im Gesicht das Zukunftsszenario einer Be-
völkerung, die zu 100% irgendwann einmal "Verbrechensopfer" wer-
den wird, es sei denn, sie läßt der Polizei und dem Staat freie
Hand und alle Mittel. Abgesehen davon, daß "die Bevölkerung" das
gar nicht in der Hand hat; unterstellt, daß niemand groß auf-
fällt, wie in den Gauweilerschen Fiktionen ein Großteil der Leute
als potentielles Verbrechertum vorkommt; selbst hingenommen, daß
die Staatsgewalt ein Mittel zur Verbrechensverhinderung sein soll
und nicht umgekehrt seine "Hauptursachen" fortlaufend produziert
- Gauweilers Beschwörungen, es müsse härter durchgegriffen wer-
den, leben davon, daß immer niemand nachfragt, wo, wie und gegen
wen noch mehr Polizei wann und weshalb vorgehen soll. Deshalb
kann der Mann immer noch nachschieben, er sei "selbstverständlich
nicht der Meinung, mehr Polizei sei das Allheilmittel".
Und zwar deshalb nicht, weil für Gauweiler selbst der ansonsten
"ehrbare Bürger" zumindest seit der sozialliberalen Koalition in
Bonn von oben zur "neuen Rücksichtslosigkeit" nachgerade angesta-
chelt worden ist. Hier liegt die Wurzel des Übels, weswegen der
CSU-Politiker auch einmal an einem Parteifreund ein Exempel sta-
tuiert hat: Oktoberfestwirt Süssmair verlor sein Bierzelt (a) we-
gen notorisch schlechten Einschenkens der Maßkrüge, (b) wegen Be-
schäftigung von 20 illegalen Ausländern und (c) wegen der damit
verbundenen "unvorstellbaren Sauerei", daß "unter Umständen ein
Pakistaner mit offener Tbc den Kartoffelsalat anmacht"
(Gauweiler, sichtlich angeekelt, wobei nicht klar wurde, ob vorm
Salat oder angesichts der Existenz von Asiaten auf dem Oktober-
fest. Diese Unklarheit ist bei ihm A b s i c h t.) Andererseits
schadete ihm nicht, daß er in Ausübung von Liberalitas Bavariae
seinen Spezi Michael Graeter nicht davon abhielt, einen ungeneh-
migten Wintergarten vor seinem Schickerialokal aufzubauen. Die
Stadtöffentlichkeit war fast erleichtert, als der Zuchtmeister
selbst mal in was "verwickelt" war.
Der Herr Staatssekretär des Inneren:
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Die besten Anti-Körper entwickelt die Staatsgewalt
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Die Unzufriedenheit des Vorsitzenden Strauß mit der Polizeistra-
tegie seines Hillermeier im oberpfälzischen Wackersdorf holte
Gauweiler letztes Jahr aus dem begrenzten Wirkungsbereich von
Kommunalpolitik heraus auf die Landesebene, und der Befall der
Nation mit AIDS verschaffte dem bayerischen Staatssekretär ein
Szenario für bundesweit wirksame Auftritte. Der "Schwarze Peter"
und die "permissive" Rita Süssmuth stehen seither für zwei Vari-
anten staatlicher Seuchenbewältigung. Und weil es beiden Protago-
nisten im Kampf gegen "die medizinische Herausforderung des Jahr-
hunderts" um haargenau das Gleiche geht - Die Politik als d e r
Anti-Körper gegen ein bislang unbeherrschtes Virus! - gewinnt der
Streit zwischen zwei gleichermaßen christlichen wie demokrati-
schen Politikern an persönlicher Schärfe. Dabei fällt auf, daß
Gauweiler dem Bundesgesundheitsministerium stellvertretend für
die "AIDS-Hilfen", die irgendwie noch den S t a n d p u n k t
d e r B e t r o f f e n e n, also die Lage der (potentiell) Er-
krankten in ihren Maßnahmen gelten lassen, den Vorwurf macht, sie
befänden sich nicht auf der Höhe des Problems, seien
"professionelle Verharmloser".
Im ZDF-Hearing zum Thema giftete der Münchner Staatssekretär ei-
nerseits gegen die "abenteuerlichen" Abwiegelungsthesen des Bun-
desministeriums aus dem Jahre 1985, die noch davon ausgingen, daß
die Seuche sich auf die sogenannten Risikogruppen beschränken
lasse, und der sexuelle "Normalverbraucher" nichts groß zu be-
fürchten habe. Dann setzte er nach und das Fernsehpublikum konnte
einen modernen Bußprediger erleben, bei dem eine Freudsche Fehl-
leistung im Satzbau einiges von dem verriet, was den "Fachmann
für Polizeiverwaltungsaufgaben" im Letzten treibt:
"... und wenn Sie sich mal vorstellen, daß es in den Großstädten
jede Menge Saunaclubs gibt, in denen regelmäßig Analverkehr gegen
die Gewerbeordnung stattfindet..."
Der "tiefreligiöse" evangelische Christ Peter Gauweiler hält es
nämlich im Grunde genommen für eine "unverantwortliche Verharmlo-
sung", wenn man für AIDS ein vergleichsweise unschuldiges Virus
namens LAV/HTLV-III verantwortlich macht, statt die eigentlichen
Ursachen "beim Namen zu nennen" als da sind:
"Ein hamsterhaftes Sexualverhalten", eine "zunehmende Akzeptanz
vielfältigster Verwilderungserscheinungen", eine geduldete
"Geschäftemacherei mit Schmutz und Schund", eine "Politik des
Laissez-faire für Rücksichtslose aller Schattierungen..." (ZDF,
Bayernkurier, Süddeutsche Zeitung)
Der P o l i t i k e r beutet die Seuchenstatistik aus, um mit
ihr eine buchstäblich gnadenlose Schuld-und-Sühne-Debatte anzufa-
chen, mit der man im Freistaat Bayern jetzt schon bitteren Ernst
machen will, was keineswegs heißen soll, daß es anderswo in der
Bundesrepublik und Westberlin anders zugehen wird. Denn das Bun-
desseuchengesetz und andere Maßnahmen des Staates beziehen sich
im Falle AIDS auf eine ansteckende Krankheit, die die
M e d i z i n bislang weder verhindern noch wirkungsvoll bekämp-
fen kann. Die öffentliche Gewalt kann also nichts gegen die töd-
liche I n f e k t i o n machen, aber sehr wohl den
I n f i z i e r t e n das Leben noch schwerer. Gauweiler bedau-
ert bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit:
"Ein bestimmtes Sexualverhalten läßt sich nicht erzwingen."
Das "leider" braucht er nicht extra zu sagen. Denn er tut ganz
offen so, als käme es in erster Linie darauf an, den "Abnormen "
ihr "abnormes Sexualverhalten" auszutreiben. Darunter fällt für
einen wie ihn im Zweifelsfall jedes Sexual"verhalten", wenn sich
hinterher rausstellt, daß man dabei AIDS gekriegt hat. ("AIDS
holt man sich nicht nur. Man kriegt es auch.") Fürs Erste wird
dafür gesorg't, daß Schwule und Prostituierte ("S t r i c h e r
beiderlei Geschlechts und Bisexuelle" nennt sie der Experte, wo-
bei für Gauweiler die Homosexualität als ein inzwischen
s t r a f f r e i e s D e l i k t einen nicht mehr verfolgbaren
sittlichen Landfriedensbruch darstellt!) mit noch schärferen Re-
pressalien im Alltag auskommen müssen, als sie ihnen der Staat
ohnehin schon bereitet. Gauweiler, der immer schon politischen
Radikalismus, namentlich von links, für eine Seuche hält und ihn
entsprechend austreiben will, behandelt die Seuche AIDS wie eine
radikale Störung der öffentlichen Ordnung, die er am liebsten un-
ter Einsatz aller rechtlichen Mittel einfach verbieten können
möchte.
"Wir lassen niemanden ungeschoren!"
droht der "dynamische Enddreißiger" und definiert sich seinen
Kreis der "a n s t e c k u n g s v e r d ä c h t i g e n Perso-
nen" zusammen. Dazu braucht er kein einziges virologisches Argu-
ment, sondern allein die Staatsgewalt und Personen, auf die sie
jetzt schon die Zugriffsmöglichkeit hat:
"Ansteckungsverdächtig in bezug auf AIDS und die HIV-Infektion
sind männliche und weibliche Prostituierte, Insassen von Straf-
volklzugsanstalten und drogenabhängige Fixer."
Hinzukommen deshalb selbstverständlich auch
"Asylantragsteller... angesichts der hohen Durchseuchungsraten,
welche die Weltgesundheitsorganisation aus bestimmten Ländern
mitteilt."
Nicht ungeschoren bleiben dürfen da auch
"Untersuchungshäftlinge"... wegen der "besonders hohen Durchseu-
chungsraten von AIDS unter Strafgefangenen, was mit den dort
praktizierten Formen von Homosexualität zu tun hat."
Und überhaupt alle
"Ausländer". Bei denen wird einfach die ohnehin von ihnen für
eine Aufenthaltsgenehmigung verlangte "vom Arzt ausgestellte ge-
sundheitliche Unbedenklichkeitsbescheinigung... auf AIDS und die
Infektion erweitert." (Gauweiler in der "Süddeutschen Zeitung"
vom 6.3.)
Wem jetzt bei dieser Liste einfällt, daß diese "Personenkreise"
ziemlich personalidentisch sind mit all den Leuten, mit denen ein
christlich-soziales Weltbild nichts zu tun haben möchte, weshalb
sie allesamt einer demokratisch-rechtsstaatlichen Behandlung zu-
geführt werden, deren Kriterien samt und sonders aus der Ideolo-
gie des R a s s i s m u s geschöpft werden, der hat Peter Gau-
weiler unterschätzt, um nicht zu sagen "gefährlich verharmlost".
Der Mann läßt nämlich wirklich niemanden ungeschoren, sowie ihn
sein Staat in die Finger kriegt. Fast schon demonstrativ vorge-
führt im Freistaat Bayern an allen Bewerbern für den öffentlichen
Dienst. Im "Normalfall" lauter sehr brave Leute, die deshalb be-
leidigt waren - wie die Österreicher -, weil sie den Gauweiler-
schen Menschensortierungsstandpunkt teilen und sich jetzt mit
"Abnormen" auf eine Stufe gestellt fühlen. Dabei will der oberste
bayerische Seuchenexorzist nur das:
"Wir wollen so viele Gruppen wie möglich der Testung zuführen."
Weil "die Grenzen einer Epidemie keine Frage der Politik, sondern
der Biologie" sind, sollen sich die Bürger nicht beschweren, wenn
der Staat sie wegen ihrer seuchenanfälligen Physis unter ganz
neuen Gesichtspunkten hernimmt. Da wird ihm noch manches einfal-
len und mancher Bürger wird entdecken müssen, daß er unter eine
"Risikogruppe" fällt, weil der Gauweiler eine neue "Testungs-
möglichkeit" entdeckt hat.
Für den Ordnungspolitiker Gauweiler gilt dabei der vom Parteige-
nossen Friedrich Zimmermann bei jedem neuen Gesetz zum Ausbau der
"wehrhaften Demokratie" in Umlauf gebrachte Satz: Der anständige
Bürger hat nichts zu befürchten, - und wer sich trotzdem fürch-
tet, den werden wir uns (vor)merken! Daß es sich bei AIDS um eine
K r a n k h e i t handelt und nicht um eine O r d n u n g s-
w i d r i g k e i t, macht für Gauweiler staatliches Zuschlagen
umso dringlicher. Daß sich AIDS-Infizierte neben der Krankheit
auch noch vorm Schwarzen Mann aus Bayern fürchten, hält dieser
für "abwegig und widerwärtig" und fragt statt dessen:
"Wie lange wird die Strategie einer wirksamen Eindämmung und Be-
kämpfung von AIDS von derartigen Argumenten noch belastet sein...
Bis zur Einsicht in die Notwendigkeit strengerer Regelungen wird
die Krankheit noch sehr viele unnötige Todesopfer fordern."
Und die kommen zwar vom Virus, aber die Gauweiler-Kritiker tragen
die Verantwortung. Gegen sie setzt "der Experte" auf die Geier-
Perspektive: Die Leichen, die garantiert noch anfallen, werden
ihm rechtgeben!
So wird die Karriere des Peter Gauweiler (AIDS-Test negativ) un-
aufhaltsam nach oben weitergehen. Irgendwann kommt dann auch der
Punkt, wo der Verantwortliche endlich klar sagen kann, was er mit
denen zu machen gedenkt, die der Staat als Infizierte aufgespürt
hat. Wie denn die K r a n k h e i t u n d d e r T o d
"strenger geregelt" gehören. Was denn das heißen soll:
"Es kann nur eine logische Konsequenz geben: Wir versuchen, sie
daran zu hindern, das Virus weiter zu verbreiten."
Herr Dr. Peter Gauweiler (37 und CSU) handelt aus Überzeugung so,
wie sein Amt, seine Partei, der Staat, der Papst, der Sachzwang
usw. es verlangen. Dabei, dies verriet er dem "Spiegel", ist er
"Mensch geblieben": Jeden vierten Samstag streicht er Brote für
Stadtstreicher in der Bahnhofsmission. So fördert er den Appetit
und wahrt die Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen.
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