Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN CDU/CSU - Von den C-Parteien
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Liest für Deutschland in Leipzig
WAS WEISS EIGENTLICH PROF. BIEDENKOPF?
Biedenkopf, den "Professor" in der CDU, der sich erfolgreich in
den Ruf gebracht hat, ein "unbequemer Querdenker" zu sein, hat
die Pflicht der historischen Stunde ereilt. Der "nüchterne Analy-
tiker" mit der Gabe zur "brillanten Argumentation" ist einem Ruf
an die Leipziger Universität gefolgt, um dort als Gastprofessor
Pionierarbeit in Sachen Wissenschaft zu leisten.
Die Wissenschaft in der DDR liegt nicht nur nach Biedenkopfs Auf-
fassung im argen. Seine "Kollegen" drüben wollen ebenfalls die
Entdeckung gemacht haben, daß die geänderten Machtverhältnisse
ihren Marxismus-Leninismus widerlegt haben. Und so haben sie sich
streng nach dem Dogma des alten Marx, daß das gesellschaftliche
Sein das Bewußtsein bestimmt - einen Vertreter der erfolgreichen
Staatsgewalt eingeladen; mit der glaubhaften Versicherung, von
dem "Theoretiker und Praktiker der Marktwirtschaft" etwas
"lernen" zu wollen. Eine solche Aufgabe ließ sich Biedenkopf
nicht zweimal stellen. Ganz ohne "erhobenen Zeigefinger", wie er
betont, stellte er sich der Verantwortung und nutzte die Gelegen-
heit, der aus der ganzen Deutschen Demokratischen Republik zum
Lernen angereisten wissenschaftlichen Prominenz ihr "Wissens-
defizit" auszubügeln, das "durch das Abschotten der DDR vor allem
im Bereich der Gesellschaftswissenschaften entstanden ist"
(Biedenkopf im Sachsen-Spiegel).
Was dabei herausgekommen ist, ist eine Analyse zur Lage der Na-
tion; getragen von der Absicht, in einer glücklichen Stunde der
Nation, in der all ihre Rechnungen aufgehen, die fälligen Klar-
stellungen über ihre Ansprüche unterzubringen - gerade auch im
Hinblick auf das gelehrige Publikum drüben. Biedenkopfs Ausfüh-
rungen zu dem Programm namens "Wiedervereinigung" kann man deswe-
gen durchaus ein paar Wahrheiten über den Zweck dieses Programms
entnehmen.
Worum es geht: Weltmacht Deutschland...
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"Die neue Qualität ist bereits durch die neue Q u a n t i t ä t
Deutschlands bedingt. Das T e r r i t o r i u m der Bundesrepu-
blik würde um rund ein Drittel größer werden. Die
B e v ö l k e r u n g wird um ein Fünftel zunehmen. Das Brutto-
sozialprodukt wird sich zunächst um 10 Prozent und - mit der Be-
lebung der Volkswirtschaft im östlichen Teil Deutschlands - dann
um rund 20 Prozent vermehren. Diese quantitativen Faktoren werden
die Qualität insofern verändern, als sich damit d a s
w i r t s c h a f t l i c h e u n d p o l i t i s c h e Ge-
wicht der Deutschen innerhalb der EG und innerhalb Europas verän-
dern wird... Das hat nicht nur Konsequenzen für d i e
S t e l l u n g u n d d i e R o l l e d e r
D e u t s c h e n i n E u r o p a. Es berührt auch die
R e l a t i o n e n, die sich in den vergangenen Jahrzehnten
u n t e r d e n e u r o p ä i s c h e n S t a a t e n entwic-
kelt haben. A u c h h i e r w i r d n i c h t s m e h r
s e i n w i e b i s h e r... Die Vereinigung beider deutscher
Staaten beendet das staatliche Provisorium, in dem die Deutschen
rund 40 Jahre gelebt haben... Fragen nach unserem Standort und
unserer nationalen Identität können wir nicht länger mit dem Hin-
weis unserer jeweiligen Einbindung in antagonistische Militär-
bündnisse und auf die Ungeklärtheit der deutschen Zukunft auswei-
chen. Mit der Einheit e n d e t d i e V o r m u n d-
s c h a f t d e r B l ö c k e. Durch die Einheit werden wir,
was u n s e r e I d e n t i t ä t u n d u n s e r e n
A u f t r a g angeht, auf uns selbst zurückverwiesen. Die Zeit,
in der sich die Bundesrepublik als ökonomischer Riese und
politischer Zwerg begreifen konnte, wie Helmut Schmidt es einst
formuliert hat, ist dann zu Ende. W i r s i n d n i c h t
m e h r J u n i o r p a r t n e r e i n e r W e l t m a c h t,
s o n d e r n, m i t r u n d 7 9 M i l l i o n e n E i n-
w o h n e r n u n d e i n e r u n g e w ö h n l i c h l e i-
s t u n g s f ä h i g e n W i r t s c h a f t, e i g e n-
s t ä n d i g e r P a r t n e r d e r G e m e i n s c h a f t
e u r o p ä i s c h e r V ö l k e r u n d i n d e r
W e l t." (Süddeutsche Zeitung)
So selbstverständlich wie der Umschlag von Quantität in Qualität
ist es dem Politiker Biedenkopf, Territorium und Bevölkerung der
DDR als zusätzliches P o t e n t i a l der Staatsmacht zu be-
trachten, unter deren Hoheit sie künftig stehen. Es geht um die
Erweiterung der Mittel einer Nation, deren Zweck Biedenkopf auch
nicht im unklaren läßt. Mit seinem Lamentieren über die nun end-
lich überwundene Einbindung und Vormundschaft stellt er klar: Die
Vermehrung ihrer Mittel b e f r e i t diese Nation von ihr lä-
stigen Abhängigkeiten, verleiht ihr "Gewicht" in der Konkurrenz
der Nationen und erlaubt ihr, sich als bestimmende Gewalt in die-
ser Konkurrenz zu betätigen. Die Maßstäbe, die sie sich dabei
setzt, sind denkbar unbescheiden ausgefallen: Das vergrößerte
Deutschland definiert sich nunmehr als politischer Riese, der den
Staaten der europäischen Gemeinschaft die Plätze zuweist und der
sich in den Weltmächten den ihm angemessenen Vergleich sucht.
Seine Auskünfte über die vermehrten Machtmittel und die daraus
erwachsenden Freiheiten der deutschen Nation kleidet Biedenkopf
in die Form einer L a g e b e u r t e i l u n g: Die neue Lage
soll neue Notwendigkeiten mit sich bringen und einen "Auftrag" an
die Deutschen, an Volk und Führung hüben und drüben gleichermaßen
erteilen, vor dem sie sich nicht länger drücken können. Das hat
mit falscher Bescheidenheit nichts zu tun. Schließlich ergeht da-
mit die Mitteilung, daß das nationale Weltmachtprogramm jedermann
als seine höchste P f l i c h t zu begreifen hat und sich zu
dieser als seiner I d e n t i t ä t zu bekennen hat: Ein Deut-
scher läßt die gänzlich überflüssige Reflexion auf seinen Nutzen
und definiert sich nach den Ambitionen der Nation, der er
(an)gehört.
Biedenkopf wollte das unbedingt loswerden, in der DDR, wo es ihm
immer noch viel zu viele Landsleute gibt, die demnächst zu "uns"
gehören und heute noch mit der Illusion im Kopf herumlaufen, als
Menschen hätten sie doch auch irgendwie einen Anspruch zu stel-
len, um den es in dem nationalen Projekt nicht zuletzt auch gehen
müsse.
...durch Anschluß
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"D i e D e u t s c h e n i n d e r D D R haben sich am 18.
März 1990 für die deutsche Einheit e n t s c h i e d e n. ...
Zumindest für die Deutschen selbst ist die Entscheidung für die
deutsche Einheit gefallen. Das heißt: Alle politischen Entschei-
dungen, die jetzt getroffen werden, um die Einheit zu verwirkli-
chen, sind ihrem wahren Gehalt nach i n n e n p o l i-
t i s c h e E n t s c h e i d u n g e n. Sie werden m a t e-
r i e l l, w e n n a u c h n i c h t f o r m a l, für
Deutsche in West und Ost getroffen. Sie werden geprägt durch die
Grundsätze unserer in Bälde gemeinsamen Verfassung, auch wenn
diese Verfassung noch nicht in beiden deutschen Staaten
g e l t e n d e s R e c h t ist... Das heißt, unbeschadet aller
Übergangsprobleme und -defizite gibt es schon jetzt k e i n e n
r e c h t s f r e i e n R a u m mehr, auch keinen rechtsfreien
Raum in der DDR, in dem sich politisches Handeln oder
wirtschaftliche Aktivitäten ungebunden vollziehen könnten. Genau
hier jedoch liegt ein entscheidendes P r o b l e m des Weges.
F o r m a l s t i m m t d i e s n i c h t. Formal gilt in der
DDR Recht, dessen Geschäftsgrundlage zum großen Teil entfallen
ist, und ist noch kein neues Recht geschaffen, welches den
Bedingungen entsprechen würde, die ich hier formuliert habe.
Materiell ist die Existenz einer solchen scheinbar rechtsfreien
Zone unakzeptabel... Mit dem Abschluß eines Staatsvertrages zwi-
schen der Bundesrepublik und der DDR, der die Modalitäten der
Einführung unserer Währung im Gebiet der DDR regeln soll, wird
die DDR einen wesentlichen Teil ihrer S o u v e r ä n i t ä t
a u f g e b e n und auf Institutionen der Bundesrepublik über-
tragen. Er wird sich mit den entsprechenden Souveränitätsrechten
der Bundesrepublik g e w i s s e r m a ß e n zu g e s a m t-
d e u t s c h e n Souveränitätsrechten verbinden, die v o n
d e n s t a a t l i c h e n I n s t i t u t i o n e n d e r
B u n d e s r e p u b l i k w a h r g e n o m m e n w e r-
d e n... Bis zur Wahl eines gesamtdeutschen Parlaments können
die Bürger der DDR an der weiteren Ausübung der übertragenen
Souveränitätsrechte n i c h t t e i l n e h m e n. Der
Bundestag und die Bundesregierung müssen diese Rechte deshalb
insoweit und bis zum endgültigen Vollzug der Einheit durch
gesamtdeutsche Wahlen t r e u h ä n d e r i s c h für die
Deutschen in der DDR wahrnehmen... Für die DDR gibt es zur
Einführung der D-Mark k e i n e A l t e r n a t i v e. Ihre
künftige Regierung hat deshalb bei den Verhandlungen über den
Staatsvertrag nur einen geringen Handlungsspielraum. Sie muß, so
sehen es d i e M e n s c h e n hier im Westen, d i e
B e d i n g u n g e n der Bundesrepublik mehr oder weniger
a k z e p t i e r e n... An der innenpolitischen Debatte, die
der Formulierung dieser Bedingungen in der Bundesrepublik
vorausgeht, sind die Deutschen in der DDR jedenfalls
institutionell n i c h t b e t e i l i g t. Ihre Ansichten
können sie allenfalls mitteilbar einbringen. Nach dem bisherigen
Verlauf der Auseinandersetzungen zu schließen, müssen sie eher
befürchten, daß ihre Meinungsäußerungen, Forderungen oder
Proteste a l s E i n m i s c h u n g e m p f u n d e n u n d
z u r ü c k g e w i e s e n werden könnten... Der Weg zur
deutschen Einheit kann erfolgreich nur gegangen werden, wenn
d i e s e s G e f ü h l, den Interessen der wohlhabenden und
leistungsstarken Bundesrepublik a u s g e l i e f e r t zu
sein, nicht ü b e r h a n d nimmt... P o l i t i s c h e
Z u m u t b a r k e i t, etwa im Hinblick auf den sozialen
Frieden, war in der Bundesrepublik seit ihrer Entstehung ein
entscheidendes politisches Kriterium... Den Deutschen in der DDR
dürfen deshalb o h n e S c h a d e n f ü r d e n
E i n i g u n g s p r o z e ß u n d d i e G l a u b w ü r-
d i g k e i t u n s e r e r p o l i t i s c h e n u n d
g e s e l l s c h a f t l i c h e n O r d n u n g keine Opfer
und Leistungen zugemutet werden, die die politische Führung den
Bürgern der Bundesrepublik nie zumuten würde..." (Die Welt; und
wörtlich in der Antrittsvorlesung)
Biedenkopf läßt keinen Zweifel daran, was es mit der deutschen
Einheit auf sich hat: Es geht um die B e s e i t i g u n g der
S o u v e r ä n i t ä t d e r D D R, ihren A n s c h l u ß
an die BRD und die Unterstellung des Volks drüben unter die Ho-
heit und die Rechtsaufsicht der Bundesrepublik.
Er präsentiert dieses imperialistische Programm allerdings nicht
als feststehendes Vorhaben des westdeutschen Staates, womöglich
noch mit der Aufforderung: "Nun stellt Euch dazu!" Er trägt es
vor als A k t d e r R ü c k s i c h t n a h m e auf alle be-
rechtigten Anliegen der Bürger drüben. Damit bringt er erstens
sich in die Rolle desjenigen, der zu definieren hat, was deren
rechtmäßige Ansprüche sind; um zweitens diese Ansprüche ohne Rest
aufgehen zu lassen in das R e c h t, a n g e s c h l o s s e n
zu werden; um drittens mit der Klarstellung, daß der Anschluß der
ganze Inhalt der Rücksichtnahme ist, die Verpflichtung aller An-
spruchsteller auf ihn abzuleiten.
- Die Berufung auf des Volkes Wille macht sich da immer gut: Die
Bürger der DDR haben sich für die Hoheit der BRD entschieden. War
da nicht noch etwas: Haben sie nicht damals am 18. März eine
D D R-Regierung gewählt: Biedenkopf leugnet ganz einfach die Exi-
stenz dieser immerhin nach seinen Kriterien demokratisch legiti-
mierten Regierung, um die Zustimmung zu dieser Regierung in eine
zur bundesdeutschen Zuständigkeit zu übersetzen. Und weil er sich
auf diese von ihm konstruierte Zustimmung beruft, soll die Zu-
stimmung von unten zu dem, was die Bundesregierung über die Ver-
hältnisse drüben beschließt, fortan weder notwendig noch gefragt
sein. Das ist einerseits sehr demokratisch gedacht: Wahlen
e r m ä c h t i g e n eine Regierung zur souveränen Entschei-
dung. Andererseits stimmt in diesem Fall formal was nicht.
- Deswegen spricht Biedenkopf den Bürger Marke Ost an, der soeben
die Mitteilung erhalten hat, daß er nichts zu melden hat. Er
spricht ihn an als d e m o k r a t i e - e n t t ä u s c h t e n
U n t e r t a n, dem er sowieso kein anderes Interesse zuge-
steht, als das, seiner Regierung zuzustimmen, und der nun erfah-
ren muß, daß seine Zustimmung momentan nicht gefragt ist. Dieser
Blödel seiner Herrschaft erhält zum einen den Bescheid, daß das
in Ordnung geht und wegen der "Übergangsprobleme und -defizite",
also wegen des Anschlusses notwendig ist. Zum anderen kann ihm
geholfen werden: Aus der fehlenden Zustimmung leitet Biedenkopf
astrein die besondere Zuständigkeit der Bundesregierung ab, die
als Treuhand AG in der DDR schon mal jedes gesellschaftliche In-
teresse unter die staatliche Kontrolle bundesdeutschen Rechts
bringen muß.
- Da kann sich selbst Biedenkopf vorstellen, daß ein gewisses Ge-
fühl überhandnimmt. In der Form eines Tests, wie weit sich eine
vertrauensselige Haltung gegenüber der Herrschaft strapazieren
läßt, geht er auf es ein und wirft die Frage der Zumutbarkeit
auf: Er verspricht den zukünftigen Bürgern des größeren Deutsch-
land, daß ihnen nicht mehr zugemutet wird als ihren westdeutschen
Kollegen. Damit macht er sie erstens vertraut damit, daß die neue
politische Führung beabsichtigt, ihnen einiges zuzumuten. Zwei-
tens legt er etwaige Beschwerden darüber auf das politische Kri-
terium der Gerechtigkeit fest; ein dahergelaufenes gedeckeltes
Bürgerinteresse zählt da gar nichts, wenn es kein Recht - BRD-
Recht selbstverständlich - hinter sich hat. Und drittens steht
Biedenkopf enttäuschten Bürgern aller deutschen Nationen auch
noch mit einem Tip hilfreich zur Seite, wie sie die Sache mit den
Zumutungen geistig bewältigen können: Einfach nur an den
"Einigungsprozeß" denken, daß der keinen Schaden nimmt, und nicht
an die eigenen kleinen Sorgen. Für Bürger der DDR, die immer noch
in Termini einer DDR-eigenen Souveränität denken und sich unter
demokratischen Verhältnissen das Gegenteil von Gängelei durch den
Staat vorstellen, insgesamt eine gelungene Aufklärung.
Ein Kapitalismus nach Maß wird eingerichtet
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"Die Frage, wie im Falle des Vollzugs der Währungs- und Wirt-
schaftsunion der U m t a u s c h k u r s o d e r d e r
W e c h s e l d e s G e l d e s aussehen wird: Die Bundesbank
und die führenden Nationalökonomen weisen zu Recht darauf hin,
daß es für solche Entscheidungen b e w ä h r t e v o l k s-
w i r t s c h a f t l i c h e G e s e t z m ä ß i g k e i t e n
gibt...
Die jüngsten Empfehlungen der Bundesbank zum Umtausch im Verhält-
nis 2:1 betreffen vor allem die währungspolitischen Gesichts-
punkte. Mit ihnen wird die Bundesbank ihrem währungspolitischen
Auftrag gerecht... Daß diese volkswirtschaftlichen Gesetzmäßig-
keiten nicht schlechthin ignoriert werden können, ist selbstver-
ständlich. Sie müssen einen M a ß s t a b abgeben g e r a d e
a u c h f ü r d i e V e r t r e t b a r k e i t d e r
A b w e i c h u n g, die wir hier ganz ohne Zweifel von den
volkswirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Empfehlungen vorneh-
men müssen. Dabei müssen wir deutlich machen - und zwar auf bei-
den Seiten des geteilten Deutschlands -, daß der Umtauschkurs und
seine Festsetzung k e i n e t e c h n i s c h e n V o r g ä n-
g e sind, sondern zu einem wesentlichen Teil damit eine
verteilungspolitische Entscheidung getroffen wird... Für die
L a s t e n v e r t e i l u n g im Bereich der Innenpolitik der
Bundesrepublik, wenn es um Lasten geht, die sich aus gemeinsamen
Aufgaben ergeben, werden die G r u n d s ä t z e d e r V e r-
t e i l u n g s g e r e c h t i g k e i t angewandt, deren wich-
tigster Grundsatz lautet: daß die Bürger an solchen Gemein-
schaftslasten entsprechend ihrer L e i s t u n g s f ä h i g-
k e i t zu beteiligen sind. Daß diese Leistungsfähigkeit
zwischen den Deutschen in der DDR und den Deutschen in der
Bundesrepublik unterschiedlich hoch ist, ist unbestritten. Legt
man das Bruttosozialprodukt als Maßstab zugrunde, s o verhält
sich die leistungsunterschiedliche Leistungsfähigkeit der beiden
Volkswirtschatten wie etwa 10 zu 3,5. Legt man diese
unterschiedliche Leistungsfähigkeit pro Kopf der Bevölkerung
zugrunde, also ebenfalls ein Verhältnis von 10 zu 4 bis 10 zu
3,5, und berücksichtigt die unterschiedliche Größe der
Bevölkerung im Verhältnis 4 zu 1, s o bedeutet das für die bei-
den Volkswirtschaften, daß die Leistungsfähigkeit der beiden
Volkswirtschaften sich etwa im V e r h ä l t n i s 1 0 z u 1
verhält. D i e s e s V e r h ä l t n i s m u ß n i c h t
u n b e d i n g t i n d i e V e r t e i l u n g e i n-
g e h e n, a b e r e s m u ß e i n w e s e n t l i c h e r
M a ß s t a b sein. Mit anderen Worten: Die Bundesrepublik
Deutschland muß zu dieser Gemeinschaftsaufgabe e i n e n b e-
a c h t l i c h e n ö k o n o m i s c h e n Beitrag leisten...
Das heißt aber, daß die Festsetzung des Umtauschkurses sich nicht
nur an den ökonomischen Bedingungen und der möglichen
Leistungsfähigkeit der DDR-Volkswirtschaft zu orientieren hat,
sondern auch an den aus Gründen der sich verdichtenden Innen-
politik abgeleiteten Leistungserwartungen und Anforderungen an
die Bundesrepublik. Nun spielt b e i s o l c h e n p o l i-
t i s c h e n E n t s c h e i d u n g e n natürlich nicht nur
das nationale Argument, sondern auch die politische
D e z i s i o n eine Rolle, die sich durch nichts weiter mehr
z u r e c h t f e r t i g e n hat als durch ihre Fähigkeit
m e h r h e i t s f ä h i g zu sein. In diesem Zusammenhang und
wenn man alles zusammenbringt, bleibe ich bei meinem bereits im
Februar 1990 vertretenen Standpunkt, daß der Umtauschkurs sowohl
für die Löhne und Gehälter wie auch für die Sparguthaben wie auch
für die sozialen Transferleistungen 1:1 betragen sollte. Das kann
man ökonomisch gesehen differenzierter gestalten. Politisch - und
zwar gerade auf der Grundlage der von mir vorgenommenen Abwägun-
gen - halte ich das nicht für möglich. Entscheidend ist aller-
dings, und das sollte unsere Überlegungen zu 1:1 und die Folgen,
die wir daraus ziehen, ein Stück relativieren, für den materiel-
len Vergleich letztlich nicht die nominale Einkommenshöhe,
s o n d e r n der Lebensstandard... Bei den Löhnen und Gehältern
wird die Frage aufgeworfen, ob und wieviel wir von diesen Löhnen
bezahlen können. Diese Frage ist berechtigt. Sie wird notwendi-
gerweise zu einer ganzen Reihe von begleitenden Maßnahmen führen,
in unterschiedlicher Ausprägung, die allesamt das Ziel haben, den
U m s t e l l u n g s s c h o c k aufzufangen, dem sonst die
Volkswirtschaft ungeschützt ausgeliefert wäre, und damit im
Großen etwas ähnliches zu leisten, was wir in der Bundesrepublik
in kleineren Dimensionen s c h o n h ä u f i g zu leisten hat-
ten. Es wird nicht nur bei den Löhnen und den Sparkonten, sondern
auch bei den Sozialleistungen notwendig sein, finanzielle Bei-
träge aus der Bundesrepublik in Anspruch zu nehmen. Auch hier muß
man sich darüber im klaren sein, daß es sich letzlich um aus der
gemeinsamen Aufgabe und dem gemeinsamen Ziel abgeleitete Leistun-
gen handelt, das heißt weder um Geschenke noch um altruistische
Hilfe, sondern um eine a b g e l e i t e t e V e r p f l i c h-
t u n g p o l i t i s c h e r, r e c h t l ic h e r u n d
m o r a l i s c h e r A r t...
Die Frage nach der zukünftigen Bewertung der Betriebskredite. Die
überwältigend im Volkseigentum stehenden Betriebe, zu 97%, sind,
das ist allen bekannt, gegenüber der DDR-Staatsbank in Höhe von
rund 160 Milliarden Mark verschuldet. Diese S c h u l d e n
s i n d S c h u l d e n a u s d e r Z e i t d e r z e n-
t r a l e n P l a n w i r t s c h a f t. Die Kredite wurden in
dieser Zeit nicht gewährt wie Kredite auf einem freien Ka-
pitalmarkt, nachgefragt von autonomen Unternehmen. Die Kredite
waren Planungsinstrumente, Instrumente der Unternehmenskontrolle,
der Plandurchsetzung, der Planverwirklichung und der Plansteue-
rung. Ich kann hier nicht der Frage nachgehen, o b d i e
f o r m a l e G l e i c h a r t i g k e i t d e s I n s t r u-
m e n t s t a t s ä c h l i c h d e n S c h l u ß r e c h t-
f e r t i g t, d a ß b e i e i n e r 1 : 1 U m s t e l-
l u n g d i e s e K r e d i t e a u c h 1 : 1 u m g e-
s t e l l t, i n D - M a r k b e d i e n t u n d v e r-
z i n s t w e r d e n m ü s s e n. I c h h a b e d i e
g r ö ß t e n Z w e i f e l d a r a n, d a ß d i e s e
A n n a h m e z u t r i f f t. Sie scheint mir auf der
M i ß a c h t u n g d e r h ö c h s t u n t e r s c h i e d-
l i c h e n F u n k t i o n von Krediten in einer zentralen
Planwirtschaft und einer Marktwirtschaft zu beruhen. Als Kredite
erachtet man im allgemeinen, wenn man sie f r e i w i l l i g
aufgenommen hat, weil man also aufgrund eigener a u t o n o-
m e r Entscheidungen das Risiko abgewogen und sich für die
Übernahme dieses Risikos selbst bereiterklärt hat. In einem
zentralplanwirtschaftlichen System, in dem überdies die Planziele
weitgehend der politischen W i l l k ü r anheimgegeben worden
sind, kann man Kredite nicht in diesem Sinne bewerten, sie sind
Teil der allgemeinen Befehlsstruktur. Dann stellt sich aber beim
Abbau dieser Strukturen und bei der Überführung der Wirklichkeit
der Wirtschaft die Frage, ob man die realen Einheiten, die
sozialen Verbände, Betriebe, die hier arbeiten, jetzt mit
Konstrukten b e l a s t e n u n d i n H a f t n e h m e n
k a n n, die a u s e i n e r g ä n z l i c h a n d e r e n
p o l i t i s c h e n O r d n u n g stammen und einem
politischen Willen entspringen, an dessen Formulierung d i e
B e v ö l k e r u n g zu keiner Zeit nur den geringsten Anteil
hatte." (Antrittsvorlesung)
Biedenkopf diskutiert die Frage: W i e richten wir unsere neuen
Ostgebiete ein: Daß die uns gehören und daß das "wir" in diesem
Fall die zuständigen bundesdeutschen Politiker sind, hat er mitt-
lerweile 27 mal betont. Bei der Einrichtung kapitalistischer Ver-
hältnisse drüben soll einerseits der Grundsatz gelten: I m
P r i n z i p w i e i n d e r B u n d e s r e p u b l i k;
so Zeug wie Sozialkassen gehören da schon aus dem Grunde her,
weil es sich volkswirtschaftlich betrachtet "bewährt" hat. Ande-
rerseits - wenn die Politik schon mal die durch kein ihr entge-
gentretendes Interesse beschränkte Freiheit des Einrichtens hat -
, soll ihr Interesse an einer erfolgreichen kapitalistischen Öko-
nomie vom ersten Tage an g a r a n t i e r t sein. Also erklärt
sich die Politik zuständig für die Festlegung aller ökonomischer
Eckdaten. Ein Wirtschaftswunderbilliglohnniveau wird politisch
festgesetzt. Und auch in der Schuldenfrage zählt einzig das Kri-
terium: Herstellung hervorragender Bedingungen für das Kapital.
(Daß übrigens in der Frage der Umwandlung von Plankennziffern in
kapitalistische DM-Schulden der Betriebe mittlerweile anders ent-
schieden wurde als Biedenkopf "abgeleitet" hat, braucht man ihm
nicht vorzuwerfen; denn erstens geht es hier nicht um Wahrheits-
fragen; und zweitens gehorcht die Installierung von Schuldver-
hältnissen demselben Kriterium: wenn die Betriebe Schulden haben,
dann haben die Banken Guthaben; und eine mit Kreditmitteln ausge-
stattete Bankenwelt, die vom ersten Tag an im Geschäft ist, ge-
hört ja auch zu den hervorragenden Bedingungen erfolgreichen Ge-
schäftemachens.)
Die politische Einrichtung des Kapitalismus drüben bespricht Bie-
denkopf in der Dialektik von S a c h z w ä n g e n, denen die
Politik u n t e r w o r f e n ist und genügen muß, über die sie
sich gleichwohl h i n w e g s e t z e n muß, damit das Gute,
Soziale und Gerechte in die Marktwirtschaft einziehen kann. Daß
das ein Widerspruch ist, braucht ihn nicht zu stören, weil beides
demselben Zweck dient: der Z u r ü c k w e i s u n g v o n
A n s p r ü c h e n. Da darf man sich einmal über der Auskunft
beruhigen, daß die Marktwirtschaft eben o h n e g e w i s s e
H ä r t e n n i c h t z u h a b e n ist; und zwar ohne daß die
Marktwirtschaft damit zur Disposition gestellt würde; deren Ein-
richtung ist ja gerade das feststehende politische Interesse. Ein
anderes Mal erfährt man, daß die Politiker schon alles tun für
die K o m p e n s a t i o n dieser Härten, so daß die verblei-
benden in Ordnung gehen und weitergehende Ansprüche ziemlich un-
gerecht wären.
- Als ob er so ungefähr jeden dritten Tag ein ganzes Staatswesen
kapitalistisch umkrempeln würde, verweist Biedenkopf auf
"bewährte volkswirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten". Die werden von
der Bundesbank gemanaged, zeugen also von ökonomischem Sachver-
stand und stehen für Unwidersprechlichkeit, weil Kritik an dem
obersten Gut der Nation, ihrer Währung, sowieso nicht in die Tüte
kommt. Wenn Biedenkopf das 2:1 der Bundesbank herbeizitiert, so
gehorcht dies endgültig der Logik eines abgekarteten Spiels: Er
beruft sich auf eine Grenze dessen, was volkswirtschaftlich im
äußersten Fall zu verantworten wäre, d a m i t sein 1:1 - mit
dem er die Notwendigkeit, auf die er sich beruft, zugleich demen-
tiert - wie ein Gnadenakt fürs Volk erscheint, an dem es aber
dann auch nichts mehr zu kritisieren gibt. Der Dienst der Politik
am Volk und dessen sozialen Ansprüchen, den Biedenkopf damit vor-
stellt, besteht in nichts anderem als der Festlegung eines nied-
rigen Lohnniveaus; dessen Bezug zu dem materiellen Interesse ei-
nes Lohnarbeiters ist zwar rein negativer Natur, aber nur darin
besteht s e i n R e c h t im neuen Deutschland.
- Seinen eigenen ökonomischen Sachverstand beweist Biedenkopf,
indem er eine moralische Größe ökonomisch berechnet. Es geht um
die Beiträge der DDR und der BRD zum gemeinsamen Projekt
"Einführung des Kapitalismus in der DDR unter der Hoheit der
BRD". Diese Beiträge sollen gerecht verteilt werden. Biedenkopf
geht davon aus - und anerkennt das ausdrücklich -, daß die DDR
einiges an Lasten zu tragen hat: Die Aufgabe ihrer Souveränität,
die geistige Umstellung und den fälligen Lohnverzicht zählt er
zusammen und damit steht für ihn fest, daß auch die BRD "einen
beachtlichen ökonomischen Beitrag" zu leisten hat. Diesen Beitrag
berechnet Biedenkopf, indem er die jeweilige Leistungsfähigkeit
der beiden Volkswirtschaften vergleicht, wobei ihn überhaupt
nicht stört, daß in der DDR, bislang wenigstens, eine andere Pro-
duktionsweise mit einer anderen ökonomischen Zwecksetzung gegol-
ten hat. Er geht aus von dem Bruttosozialprodukt der beiden
Staatswesen; eine Größe, die den nationalen Reichtum einer kapi-
talistischen Gesellschaft als gemeinsames Produkt ihrer gegen-
sätzlichen Klassen vorstellig macht und durch Addition der jewei-
ligen Leistungen der Klassen zum Gemeinschaftswerk zustandekommt,
die sich zueinander verhalten "wie etwa rote Rüben, Notariatsge-
bühren und Musik". Das Bruttosozialprodukt pro Kopf multipliziert
er mit der Anzahl der Köpfe und gelangt so sehr wissenschaftlich
an den Ausgangspunkt seiner Rechnung zurück, daß nämlich das
Bruttosozialprodukt der BRD etwa 10mal so groß ist wie das der
DDR, und hat darin einen untrüglichen und sachlichen Maßstab für
Gerechtigkeit: der "ökonomische Beitrag" der BRD muß "beachtlich"
sein.
- In der Frage der Betriebsschulden hält es Biedenkopf dann auch
einmal für nötig, die Lüge, die Einführung kapitalistischer Ver-
hältnisse wäre so etwas wie ein Umtausch einer Währung in eine
andere, explizit zu dementieren. Von der Tauglichkeit dieser Lüge
in der Lohnfrage nimmt das ja nichts weg. Er beharrt darauf, daß
Planziffern aus dem alten Unrechtsregime schon aus moralischen
Gründen mit den Geschäftszahlen eines Geldkapitals, das den Zu-
griff auf den gesellschaftlichen Reichtum beansprucht, ziemlich
unvergleichbar sind und eine "höchst unterschiedliche Funktion"
haben, weil er das letzte Mal ein ökonomisches Recht der
"Bevölkerung" einklagt: das auf ein Unternehmertum, das frei nach
seinen Geschäftskalkulationen schaltet und waltet.
Das mußte schließlich auch einmal gesagt werden in einem Land, in
dem lauter Vorstellungen kursieren über die Sozialverträglichkeit
der Marktwirtschaft: Die Marktwirtschaft i s t die Soziallei-
stung, um deren Bereitstellung es gerade geht.
Geistiger Anschluß
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"Die sozialpolitische L e g i t i m a t i o n s g r u n d l a-
g e ist eng an die Überzeugung gebunden, der Staat sei lei-
stungsfähig und leistungswillig und berücksichtige die eigenen
Bedürfnisse und Ansprüche auf angemessene Weise... Die
F o l g e n dieser sozialpolitischen Legitimationsgrundlage sind
s o l a n g e u n e r h e b l i c h, solange der in Anspruch
genommene Sozialstaat in der Lage ist, die jeweiligen Ansprüche
seiner Bürger zu befriedigen und damit zur 'inneren Befriedung'
des Volkes beizutragen. S e i n e S c h w ä c h e n werden
jedoch deutlich, sobald der Staat weitere Erwartungen nicht mehr
erfüllen kann oder in bereits erworbene sozial- und umver-
teilungspolitische Besitzstände eingreifen muß. Legitimiert sich
der Staat durch sozialpolitische Leistungen, s o e n t-
z i e h t e r s i c h g e w i s s e r m a ß e n s e l b s t
d i e G r u n d l a g e, wenn er den sozialpolitischen
Erwartungen, die er begründet hat, nicht mehr entspricht... Wer
gewohnt ist, die Identität des staatlichen Gemeinwesens durch das
Bruttosozialprodukt und das Netz der sozialen Sicherheit zu
bestimmen, der muß es als Verunsicherung empfinden, wenn von ihm
Auskunft über a n d e r e D i m e n s i o n e n s t a a t l i-
c h e r I d e n t i t ä t erwartet wird... Ob wir auch im
geeinten Deutschland am bisherigen Selbstverständnis unserer
Bundesrepublik festhalten können oder uns um eine Neubestimmung
bemühen müssen: Darum geht es unterschwellig auch bei der
Auseinandersetzung um den richtigen verfassungsrechtlichen Weg
zur Einheit. Nüchtern betrachtet ist der Streit, ob die Einheit
auf dem Wege des Artikels 23 oder des Artikel 146 GG angestrebt
werden soll, eher unerheblich... Was für eine derartige
Bestandsaufnahme und Überprüfung der V e r f a s s u n g vor
einem Beitritt spricht, ist schließlich die Überlegung, daß die
Verfassung nicht nur Grundnorm des staatlichen Gemeinwesens ist,
sondern auch A u s d r u c k s e i n e r p o l i t i-
s c h e n, g e i s t i g e n u n d k u l t u r e l l e n B e-
f i n d l i c h k e i t. Die Bürger der DDR haben als Folge
ihrer j a h r z e h n t e l a n g e n A u s g e s c h l o s-
s e n h e i t von der Entwicklung der Demokratie in der
Bundesrepublik weder zur rechtlichen noch zur kulturellen Dimen-
sion unserer Verfassung eine innere Beziehung begründen können,
die a u s r e i c h t, m e h r z u g e w ä h r l e i s t e n,
a l s d i e f o r m a l e A k z e p t a n z des für sie neuen
Rechts. Eine Verfassungsdiskussion im Vorfeld des Beitritts nach
Artikel 23 kann auch zur Überwindung dieses Defizits und damit
zur Begründung der Akzeptanz unserer Verfassung beitragen, ohne
die das neu entstandene Deutschland keine w i r k l i c h e
I d e n t i t ä t entwickeln kann." (Süddeutsche Zeitung; alle
Hervorhebungen von der MSZ-Red.)
Biedenkopf hat mehr Recht, als er denkt. Davon, ob die Bürger das
Recht billigen, macht der Staat die Geltung seines Rechts wirk-
lich nicht abhängig. Sie beruht ja auch nicht auf Volksumfragen.
Wurscht ist dem demokratischen Staat die Einstellung seiner Bür-
ger zu ihm allerdings auch nicht. Er hat auch auf dem Feld des
Geistes a n s p r u c h s v o l l e r e Maßstäbe, als daß er
sich damit zufriedengäbe, lauter Mitmacher zu seinem Inventar zu
zählen, die sich bloß an das Recht halten, weil ihnen sowieso
nichts anderes übrigbleibt. G e i s t i g e s
E n g a g e m e n t, ein Bürger, der die Nation und deren Vorha-
ben als seine Sache "begreift" und deswegen auch mit seinem gan-
zen W i l l e n hinter ihr steht, ist gefragt; also
p f l e g t der Staat die nationale Gesinnung seiner Bürger. Mit
einer Aufzählung guter Gründe dafür, seiner Nation die Fahnen-
stange zu halten, hat diese Pflege weniger zu tun. Wie sollten
die auch aussehen: Eher schon ist das Gegenteil gefragt:
B e k e n n t n i s s e zu dem Zwangszusammenhang, dem man ange-
hört. Die sind das Prinzip aller staatlicher Legitimation.
Biedenkopf hat auch auf diesem Gebiet wahnsinnig viele Täuschun-
gen zu bekämpfen; und die Deutschen in Ost und West haben noch
furchtbar viel von ihm zu lernen. Die einen, weil sie noch viel
zu wenig mit einem Staat vertraut sind, der keine sozialistischen
Experimente macht; die anderen, weil sie immer noch viel zu sehr
an ihre Ansprüche denken, für die der Sozialstaat gar nicht da
ist. Was beides eigentlich auf dasselbe herausläuft: Erinnerungen
an das eigene Interesse - an die im DDR-Wahlkampf in die Zirkula-
tion geworfenen Wohlstandslügen z.B. oder an die seit Generatio-
nen im Sozialkundeunterricht in die Köpfe kleiner Bundesbürger
gehämmerten Ideologien - widersprechen einer gefestigten nationa-
len Gesinnung, die sowas nicht nötig hat.
Staatsbürgerunterricht tut also not und das ihm angemessene päd-
agogische Hilfsmittel ist eine Verfassungsdebatte über den An-
schluß der DDR, in der Identitäts-suchende noch-Zonis sich finden
dürfen und die jedem Bundesbürger ein hilfreicher Ersatz für ge-
strichene Sozialleistungen sein wird. Mit der stellt Biedenkopf
die staatlichen Ansprüche an ein
w e l t m a c h t t a u g l i c h e s d e u t s c h e s
N a t i o n a l b e w u ß t s e i n heraus: Das hat die feier-
lich vorzutragenden Prinzipien der Nation im Kopf, das
a b s t r a k t e Bekenntnis zu dem Staat, dessen Weltmachtpro-
gramm den zu allem bereiten Staatsbürger verlangt.
*
Biedenkopfs Antrittsvorlesung hat bei seinem Publikum Beifall ge-
funden und in DDR-Medien eine Einordnung erfahren, die zu denken
gibt:
"Das sind klare Worte im Interesse gutnachbarlichen Zusammenle-
bens in Europa, die man sich durchaus auch von anderen Bonner Po-
litikern wünschen würde... Grundtenor der Ausführungen Bieden-
kopfs war meines Erachtens folgender Gedanke: Im Prozeß der
Schaffung eines einheitlichen Deutschlands kann es nicht um Aus-
verkauf der DDR gehen, sondern um eine korrespondierende Partner-
schaftsleistung. Auch die DDR hat Erfahrungen und Werte einzu-
bringen, die beiden Teilen auf dem Wege der nun überfälligen so-
zialen und ökologischen Marktwirtschaft nützlich sein könnten. Da
diese Arbeit über das bisher Bestehende weit hinausgeht, ist
diese nur in partnerschaftlicher Gemeinsamkeit überhaupt zu lö-
sen. Eine echte Aufgabe für ein zukunftgestaltendes Volk." (Die
andere Zeitung)
Sämtliche in der DDR kursierenden I l l u s i o n e n über das
bundesdeutsche Anschlußprogramm, die Biedenkopf in seinen Ausfüh-
rungen a u f g r e i f t, um ihre Vertreter auf eben dieses An-
schlußprogramm zu v e r p f l i c h t e n, ihnen also eine
A b f u h r zu erteilen, figurieren in diesem Kommentar als der
Gehalt, auf den Biedenkopf hinauswollte. Diese Einordnung kann
man nur e r k l ä r e n. Sie beruht auf einer Verstandeslei-
stung, die in der DDR Realismus heißt und nicht totzukriegen ist.
Gemeint ist damit eine Haltung, die e r s t dem Interesse der
Bundesrepublik recht gibt, um d a n n die Frage aufzuwerfen,
was unter dieser B e d i n g u n g drin ist. Diese Frage h a t
Biedenkopf beantwortet: Alles ist drin, was das imperialistische
Interesse der BRD vorsieht; also der Anschluß der DDR; kapitali-
stische Verhältnisse drüben, sogar mit einer sozialkassenmäßig
organisierten Armutsverwaltung usf. - Kurzum: Er hat diesen Re-
alismus des Idealismus überführt und klargestellt, daß das Inter-
esse einer kapitalistischen Nation k e i n e B e d i n g u n g
i s t für Weltverbesserer. Diese sind deswegen vor eine Ent-
scheidung gestellt: Entweder sie lassen ihren Realismus und neh-
men einmal zur Kenntnis, worum es - nein, nicht ihnen! - geht.
Oder sie reihen sich ein, wie von Biedenkopf verlangt, in die
Schar g r o ß d e u t s c h e r F a h n e n t r ä g e r und
behalten sich bis ans Ende ihres Lebens - oder auch nicht - ihre
Illusionen als Sinn d a v o n.
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