Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN ALLGEMEIN - Von Dichtern und Denkern
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Marxistische Schulzeitung Bremen, 04.11.1980
Unsere Meinung
PACKEN WIR'S AN - EINE REGIERUNG ENTSTEHT
"Wir bieten Stetigkeit." (Der alte und neue Kanzler)
(1)
In einer Hinsicht zumindest haben die Bonner Parlamentarier be-
wiesen, daß sie das neugewonnene Vertrauen ihrer Wähler verdie-
nen. Denn faul sind sie nicht, die Herren in Bonn. Täglich zeigt
das Fernsehen sie bei Sitzungen bis spät in die Nacht. Der BRD-
Graf jettet zwischen Bonn und Brüssel hin und her, der Ertl sieht
so gequält aus, als wolle man ihm persönlich das Haushaltsgeld
streichen. Es wird kräftig regiert in Bonn - und die Nowottnys
und Luegs machen es wahnsinnig spannend, was dabei herauskommen
mag.
(2)
Dabei sind Fraktionssitzungen und Koalitionsverhandlungen recht
simple Angelegenheiten. Noch ist das neue Kabinett nicht gebil-
det, schon ist die Erhöhung der Steuern auf Treibstoff und
Schnaps beschlossene Sache. Mit der Höherbesteuerung des Zeugs,
das das liebe Wählervolk b r a u c h t, ist der gewünschte
Nutzeffekt eines größeren Steueraufkommens gesichert. Die Wahl-
freiheit, auf die unsere Demokratie so stolz ist, bleibt dabei
voll und ganz gewahrt? verteuert man das Benzin um 7 Steuerpro-
zente und den Schnaps um 6, oder umgekehrt, oder entscheidet man
sich bei beiden Posten für 8? Das sind die heißen Probleme der
Regierungsbildung.
Ausgedacht hatte sich die alte und neue Regierung diese Form der
Mehreinnahme schon v o r der Wahl. Damals freilich sah die öf-
fentliche Vorankündigung, man müsse den Gürtel enger schnallen,
ein wenig anders aus: die staatliche Verteuerung von Sprit jeder
Art wurde als ein gangbarer Weg der Haushaltspolitik verhandelt.
N a c h der Wahl läuft das Ganze unter dem Motto: Mehrbelastun-
gen sind dem Bürger zuzumuten - und der muß seinen Politikern
fast dankbar sein, daß sie nicht auch noch seine Zigaretten ver-
teuern, für diesen Haushalt zumindest. Auch in Sachen Staatsver-
schuldung gibt es feine Nuancen im vorher und nachher. Vor der
Wahl ein riesiges Gezeter, ob denn mit so hoher Staatsverschul-
dung das Staatsschiff noch zu steuern sei. Jetzt wird die Ver-
schuldung gemacht, und jeder weiß sich dabei auf dem richtigen
politischen Kurs. Die Politiker wissen halt, was sich gegenüber
der Wählerschaft gehört - Vertrauen gegen Belastung - ein
ungerechter Tausch?
(3)
"Reformen gibt es eben nur noch, solange das Geld reicht."
(Frankfurter Rundschau)
Wann fällt den Reformidealisten mal auf, daß sie ihr "nur noch"
seit fünf oder mehr Jahren bemühen. Wo ist es eigentlich geblie-
ben, das Geld, das nie reicht? Hat es jemand aus der Bundeskasse
geklaut, oder haben es die Politiker versoffen? Weder noch. Es
ist gut und fest angelegt in all den Projekten, die den nationa-
len Reichtum unserer fortgeschrittenen Republik mehren und ihre
Geltung in der Welt stärken? "Ihr Geld ist gut angelegt", sagt
der Kanzler seinen ehemaligen Wählern, bittet sie zur Kasse und
streicht ganz kräftig an all den Vorhaben, die vor der Wahl ein
Segen für diese Generation und die kommende hießen. Wann endlich
werden sich die Idealisten unserer Demokratie den Gedanken aus
dem Kopf schlagen, eigentlich sei der hiesige Staat ein großer
Geschenkkorb für seine Bürger, und aufhören, sich darüber zu be-
klagen, daß immer weniger Süßigkeiten in diesem Korb stecken?
(4)
Gefahr für den Sozialstaat wittert noch jeder kritische Geist an-
läßlich von Koalitionsvereinbarungen und Haushaltsberatungen, den
Klassenstaat will man dabei partout nicht entdecken. Dabei ist
das recht einfach zu machen. Lest doch mal die Zeitungen der
letzten vierzehn Tage und fragt euch, wie taucht darin der Ar-
beitsmann mitsamt seinen Gewerkschaften auf, wie die Lieblings-
bürger unserer Nation? Zwei Zitate als Anhaltspunkt:
"In einer fast sechsstündigen Sitzung des SPD-Gewerkschaftsrates
äußerten die Gewerkschaftsvertreter 'großes Verständnis für die
wirtschaftspolitischen Probleme, vor denen die Bundesregierung
steht'. Sie hätten daher keinerlei Interesse an einem 'gesell-
schaftlichen Dauerkonflikt'."
"Die Metallarbeitgeber wollen die Löhne und Gehälter im kommenden
Jahr entsprechend dem Produktivitätszuwachs erhöhen, der auf 2.5.
bis drei Prozent geschätzt wird."
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