Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN ALLGEMEIN - Von Dichtern und Denkern
zurück Teach-InSCHMIDT UND STRAUSS
Noch nie waren die M e t h o d e n der staatstragenden Par- teien, für sich um Stimmen bei der Wahl zu werben, so schnörkel- los und aller Illusionen abhold wie im Wahljahr 1980. Die Politi- ker, allen voran die Spitzenkandidaten, haben F o r m e l n für die korrekte Auffassung der Nation erfinden lassen, für deren Lö- sung sie mit ihrer Person und den zu ihrer Mannschaft gehörigen Persönlichkeiten einstehen. Diesmal, so weiß der journalistische Volksmund zu berichten, nimmt man an einer "Persönlichkeitswahl" teil, und die politisch-sachliche Auseinandersetzung tritt in den Hintergrund. Wir meinen, die insbesondere unter Intellektuellen und Spiegellesern übliche Tour, nach "Sachlichkeit" zu schreien, in der Auseinandersetzung zwischen demokratischen Parteien, ist alles andere als eine K r i t i k am Wahlkampf. Mit welchen sachlichen Argumenten bitteschön soll man denn dafür eintreten, daß das freie gleiche und geheime Volk denen seine Zustimmung er- teilt, die ihren eigenen Worten zufolge nichts anderes wollen als die Macht? II Wenn die Politiker beider Lager mit dem "Argument" daherkommen, daß sie die Macht wollen und sonst nichts - nicht einmal die Übersetzung in "Verantwortung tragen" und so wird gewöhnlich für nötig befunden - so demonstrieren sie doch wahrlich eindeutig ge- nug, wie sie das Volk schätzen. Weil die Gewinner politischer Großtaten f ä h i g sind, gebührt ihnen das V e r t r a u e n der Leute, sodaß irgendeine Form der Überzeugung überflüssig ist. Die Kandidaten müssen die Wähler eben nicht von der Notwendigkeit unterrichten, mit ihrer Stimme zu bekunden, daß sie sich wieder einmal vier Jahre lang regieren lassen wollen. Das V e r t r a u e n ist vorhanden, die Weltlage ist für beide Kan- didaten der Gesichtspunkt, unter dem man sie zu wählen hat - und der Streit geht nur darum, wer den größeren Part des vorhandenen Vertrauens auf sich vereinigt. Da ist doch eine Wahlentscheidung nach den Kriterien von Sympathie/Antipathie nicht abwegig. So vertraut sind den Leuten eben heutzutage die Dummheiten und Gemeinheiten der Politiker, daß sie ihre Entscheidung im Herbst nach den Kriterien des persönlichen Respekts und der Wertschät- zung vollziehen. Da sollten sich auch Intellektuelle und Linke nicht mehr die idealistische Überlegung leisten, von welcher Mannschaft mehr zu e r w a r t e n sei. III Das unumwundene Bekenntnis zu der Absicht, sich die Macht im Staate unter den Nagel zu reißen, wäre zwar auf einem Flugblatt mit dem Kopf der MARXISTISCHEN GRUPPEN darüber eine staatsfeind- liche Angelegenheit, die sich im Verfassungsschutzbericht nieder- schlagen würde. Daß hier der gewaltsame Umsturz propagiert würde, dürfte bei keiner maßgeblichen Stelle irgendeinem Zweifel unter- liegen als Bestandteil des Wahlkampfes von denen vorgetragen, die die Macht schon h a b e n, vermag selbiges Bekenntnis jegliche agitatorische Bemühung um Überzeugung lässig zu ersetzen. Sie bringt ihren Urhebern sogar noch 3,50.- DM pro Stimme ein und gibt ihnen Gelegenheit, ihre Politik als das gewaltloseste Ge- schäft anzupreisen, das man sich vorstellen kann. So geht parla- mentarische Demokratie auch und gerade dann, wenn per Stimme den kundigen Machern die Entscheidung der Frage "Krieg oder Frieden" überantwortet wird. IV Wenn beide Lager die Erhaltung des Friedens in ihre Hauptparole aufgenommen haben, so bitten sie das Volk um nichts geringeres als um ihre außen- und weltpolitische H a n d l u n g s- f r e i h e i t. So sicher sind sie sich darüber, daß ihnen ihre Wähler auch in dieser Frage nicht in die Quere kommen wollen, daß sie außer dem Bekunden ihrer F ä h i g k e i t, Reichtum, Volk und militärisches Arsenal in der Welt im Interesse der N a t i o n zweckmäßig einzusetzen, gar nichts mehr anderes als Argument gelten lassen möchten. Da ist es doch einmal angebracht, sich zu fragen, wozu diese netten Kerlchen tatsächlich fähig sind, wer sie sind und was sie leisten - statt sich in Skrupeln zu wälzen, mit welcher Begründung man sein Kreuzchen wem hinmalt. Wetten, daß einem gewöhnlichen Menschen, wenn er so daherredet und handelt wie die Führer der Nation, von keinem anderen gewöhnlichen Menschen V e r t r a u e n entgegengebracht würde? Gelegenheit zur nüchternen Betrachtung über die im Herbst anste- hende Neuverteilung der Macht in diesem unserem Lande, ebenso wie über das blendende Funktionieren einer parlamentarischen Demokra- tie, die so mancher mitmacht, weil er sie "durchschaut", besteht auf unserem Teach-In. zurück