Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN ALLGEMEIN - Von Dichtern und Denkern


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EINE WOCHE DEMOKRATISCHE OFFENSIVE - UND WIE INTELLEKTUELLE DAMIT FERTIG WERDEN

Die Zeit und ihr Geist ---------------------- Der Marxismus ist tot - dieser Lehrsatz steht für einen mitden- kenden Bundesbürger von heute so unumstößlich fest wie die Prü- fung am Semesterende, der Papst in Rom oder die Nato. Daß es in dieser Welt auf nichts so sehr ankommt wie auf die profitträch- tige Benutzung von Arbeitern; daß deswegen auch laufend Arbeiter freigesetzt werden, für die ihre Nicht-Beschäftigung keine Erho- lung, sondern materielle Not bedeutet; daß die Staatsmacht dafür da ist, der Ausbeutung alle Wege zu ebnen, auch die ins Ausland, und die Unkosten dafür auch noch den Ausgebeuteten aufzuhalsen; daß immer dann, wenn eine Staatsmacht andere Staaten zu einer nicht mehr erträglichen Einschränkung ihrer weltweiten Bewegungs- freiheit erklärt, Kriege fällig werden; daß das alles in der De- mokratie seine beste Verlaufsform hat und deswegen durch demokra- tisches Unterordnen und Mitmachen nicht aus der Weit zu schaffen ist; - die Marxschen "Prognosen" also über Verelendung, den Klas- sencharakter der bürgerlichen Freiheiten, die Notwendigkeit von Kriegen und die Unabdingbarkeit einer Revolution - über so etwas ist ein gebildeter Zeitgenosse erhaben. Einem Ökonomen ist das zu ökonomistisch gedacht, einem Soziologen zu wenig komplex, einem Theologen zu ersatzreligiös, einem Philosophen zu metaphysisch... Dabei macht jede Woche Wirtschaft und jede Woche Politik alle "Hypothesen" des alten Marx in der brutalsten Weise wahr. Ein Beschäftigungsprogramm -------------------------- hat der DGB, jetzt schließlich mit Erfolg, zu Beginn der diesjäh- rigen Tarifrunde in die öffentliche Debatte geworfen. Im Namen aller lohnabhängigen Deutschen fordert er Milliardensubventionen fürs Gewinnemachen, damit sich vielleicht die Beschäftigung von einigen der eineinhalb Millionen offiziellen Arbeitslosen wieder lohnt. Konstruktiv, wie er ist, und als Beweis dafür, ein wie ernstes Anliegen die "Eindämmung" der von den Politikern ausgeru- fenen "Beschäftigungskrise" für ihn ist, bietet der DGB gleich die Geldbörsen derer, die er vertritt, als Fundus an, aus dem der Staat sich für die geforderten Geschenke an die Unternehmer be- dienen soll. Und gerüstet mit sämtlichen Idealen der "ausgleichenden Gerechtigkeit" zettelt er mit der FDP einen Streit um die finanztechnischen Modalitäten an, nach denen die braven Bürger sich sollen schröpfen lassen. Zur Auswahl stehen: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die am arbeitsamen Massen- menschen in seiner vornehmen Eigenschaft als "König Kunde" hän- genbleibt und so ganz ohne öffentliches Theater und Tarifstreit eine allgemeine 1-prozentige Lohnkürzung vollstreckt; dagegen: eine spezielle "Arbeitsmarktabgabe", durch die der DGB einen je- den Volksgenossen gleich an seiner Einkommensquelle spüren lassen will, was die Solidarität mit den Arbeitgebern kostet, die im Sinne ihrer höheren Berufung, Arbeit zu geben, die "Beschäftigungskrise" überwinden sollen. Einem praktisch interessierten Menschen müßten sich da mindestens die folgenden theoretischen Schlußfolgerungen aufdrängen: 1. Ganz offensichtlich ist der Gewinn der Arbeitgeber Grund und Maßstab dafür, ob hierzulande ein Lohnarbeiter einen Arbeitsplatz findet. Wird er entlassen, dann folglich deswegen, weil seine Be- schäftigung sich für seinen Anwender nicht mehr lohnt. Die Grunde d a f ü r können verschiedener Natur sein; derzeit ganz oben rangiert das Interesse und erfolgreiche Bemühen bundesdeutscher Kapitalisten, ganz neue Maßstäbe für eine effektive Benutzung produktiver Arbeitskräfte zu setzen und weltweit durchzusetzen. Die Masse der Entlassenen, ganz ohne spektakuläre Massenentlas- sungen zusammengekommen, gibt einen Hinweis auf Ausmaß und Durch- schlagskraft solcher Steigerung der Produktivität bundesdeutscher Lohnarbeit. Der Konkurrenzerfolg der "Arbeitgeber" führt mit bru- taler Folgerichtigkeit zu dem Ergebnis, daß denen, die diesen Er- folg zu erarbeiten und auszuhalten haben, nicht einmal diese Ar- beit sicher ist. Und nach dem Grundgesetz der Lohnarbeit - "Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!" - bedeutet das: Unsicher- heit des Lebensunterhalts, Zwang zur Einschränkung - notwendige V e r e l e n d u n g. 2. Die Vorstellung, der zunehmenden Zahl von Entlassungen wäre mit einer Subventionierung der Gewinne zu begegnen, ist absurd. Investitionen werden doch gerade für die Steigerung der Ar- beitsproduktivität getätigt. Sie zu fördern, heißt: Hilfe fürs Überflüssigmachen von Arbeitern. 3. Eine Gewerkschaft, die den entgegengesetzten Schluß zieht, hat die Verhinderung von Entlassungen ganz gewiß nicht im Sinn. Sie quillt ja geradezu über vor Verständnis für die harten Kalkula- tionen der Gegenseite - so sehr, daß sie diesen sogar noch ihr Gegenteil, die Schaffung von Arbeitsplätzen, als ihren eigentli- chen Beruf und tieferen Zweck unterschiebt. Was für ein Argument könnte ihr denn einfallen, wenn ein zu Entlassungen entschlos- senes Unternehmen ihr mit seiner Bilanz daherkommt? Eine solche Gewerkschaft stellt erst recht für die Entlohnung von Arbeitern keine Ansprüche: Wer B e s c h ä f t i g u n g ü b e r- h a u p t zum höchsten Gut für einen Lohnabhängigen erklärt - gerade so, als brauchte der Mensch nicht G e l d zum Leben, sondern A r b e i t, ganz unabhängig von der dafür gezahlten Geldsumme -, und das noch dazu zum Auftakt einer Tarifrunde, der signalisiert damit ja geradezu überdeutlich seine Bereitschaft zum Lohnverzicht. Mehr noch: Dieser Gewerkschaft erscheinen die gezahlten Löhne sogar schon als überreichlich. Ein Prozent davon will sie ja partout via Staat den Unternehmern schenken - man wagt kaum, sich die gewerkschaftliche Reaktion auf den bescheidenen Vorschlag vorzustellen, man sollte die Milliarden für ein "Beschäftigungsprogramm" doch gleich den Arbeitslosen zustecken... Läßt diese Gewerkschaft noch einen Zweifel daran of- fen, daß der Weg der Arbeiter zu ihrem Vorteil ganz b e s t i m m t n i c h t ü b e r s i e führt? Dann doch schon eher über eine Revolution. * Der bildungsbeflissene Nachwuchs der Nation zieht derartige Schlußfolgerungen nicht - die angeblich in so großer Zahl an die Unis vorgedrungenen Arbeiterkinder offenbar auch nicht oder sogar erst recht nicht. Dem gebildeten Geist kommen die wesentlichen Sachverhalte dieser Welt unter ganz anderen, weit vornehmeren Ti- teln und Gesichtspunkten unter als denen, unter denen Macher wie Betroffene der Politik und der Wirtschaft herumlaufen. Ein "g e s e l l s c h a f t l i c h e s P r o b l e m" ist das mindeste, als was er die große Zahl beschäftigungslos und damit brotlos gemachter Arbeiter verstanden haben will, - vorausge- setzt, er macht sich so etwas überhaupt zum Problem; ein Akademi- ker verschafft sich ja gerade dadurch, daß er gewisse Sachver- halte zu "Problemen" "der Gesellschaft" erklärt, die Freiheit, sie überhaupt einer Betrachtung für wert zu befinden oder nicht. "Problem" läßt sich sogar noch steigern - wenn man einmal vom ba- nalen Grund zunehmender Arbeitslosigkeit nichts wissen will: Ar- beiter dürfen sich ihren Lebensunterhalt verdienen, weil, also auch nur s o l a n g e ihre Ausnutzung sich für den Benutzer lohnt! -; so wird eine "Krise" daraus. Der i d e a l i s t i s c h e Fehler einer solchen Identifizierung gewisser für unliebsam erachteter Resultate kapitalistischen Wirtschaftens als "gesellschaftliches Problem" oder "Krise" liegt in dem Entschluß, diesen Erscheinungen die eigene Unzufriedenheit mit ihnen als i h r e n B e g r i f f anzuhängen: so als wäre die kapitalistische Welt "eigentlich" dafür gemacht, jedermann mit einem Arbeitsplatz zu beglücken, und so als gäbe es nun "Fehlfunktionen", betriebliche Abweichungen, womöglich das Risiko eines Untergangs zu beklagen. Von den tatsächlichen Zwecken des herrschenden ökonomischen Systems hat diese Betrachtungsweise sich gelöst; den Umstand, in die praktischen Affären des Wirt- schaftslebens nicht direkt verwickelt zu sein, sie sich als den "Alltag" gegenüberstellen und für nur bedingt wichtig erklären zu können, nutzt der akademische Geist von heute als Gelegenheit, sich auch theoretisch von ihnen freizumachen und sie auf die Idee eines "eigentlichen" Zwecks zu beziehen, der durch die Welt, wie sie ist, in Mitleidenschaft gezogen würde. Diese Idee, das leere Ideal einer Welt ohne das, was dem Betrachter an ihr mißfällt, ist mancher gelehrten Benennung fähig, ohne dadurch einen Inhalt zu bekommen, geschweige denn einen begründeten: Wenn die "S t r u k t u r" in der "Krise" ist, dann hat ein gebildeter Mensch die Welt mit seiner tiefsinnigen Vorstellung verglichen, der Zusammenhang der gesellschaftlichen Welt bestünde darin, ei- ner zu sein. Ist es der "S i n n", den die Arbeitslosigkeit als Krise befallen hat, dann muß ein kundiger Betrachter in seine Forderung verliebt sein, die Welt müßte doch jedem ihrer Bewohner einen Gesichtspunkt zur Verfügung stellen, unter dem er mit ihr "letztlich doch" e i n v e r s t a n d e n sein kann. Und wenn ein kluger Kopf die Welt unter dem Aspekt der H e i m a t schätzt, also sein Einverständnis mit ihr auf das Ideal einer be- griffslosen Vertrautheit mit ihrem Erscheinungsbild gründen will, dann steht ihm zur Deutung der kapitalistischen Einstellungs- und Entlassungspolitik die Kategorie der "Umwelt" zur Verfügung, und er mag an der monströsen DGB-Parole von der "sozialen Umweltver- schmutzung" seinen Gefallen finden-... Eine Haushaltsdebatte --------------------- hat den Deutschen Bundestag eine Woche lang in Atem gehalten, den deutschen Journalisten ihre Leitartikel in die Feder diktiert und den normalen deutschen Bürger kalt gelassen - ganz zu Unrecht. Im Unterschied zu genauso beschränkten Debatten in anderem Rahmen wurde in Bonn nämlich jede Diskussionsrunde mit einem B e s c h l u ß beendet. Mit jedem dieser Beschlüsse bekam der Fiskus erstens den allerhöchsten Auftrag, sich bei seinen Bürgern ungeniert zu bedienen; per Steuern und Sozialabgaben, die für die lohnabhängigen Massen wieder einmal "punktweise" angehoben wur- den, sowie per Kreditaufnahme. Auch dies eine Form staatlicher Geldbeschaffung, mit der die bundesdeutsche Obrigkeit dem marxi- stischen Vorwurf, die kostspielige politische Gewalt einer Klas- sengesellschaft zu sein, alle Ehre macht. Für die, die Geld ha- ben, betätigt der Fiskus sich da als todsichere Sparkasse mit Su- perzins; die Geldentwertung, die er auf diese Weise zustande- bringt, trifft andererseits bloß die, die kein Geld haben, son- dern von Woche zu Woche, von Monat zu Monat ein neu verdientes Geld b r a u c h e n, um bis zum nächsten Lohnzahlungstermin über die Runden zu kommen. Denn für die - und nur für die - sind steigende Preise kein durchlaufender Posten, den sie auf ihre "Kundschaft" abwälzen könnten, sondern schlagen direkt als Ein- schränkung ihres Lebensunterhalts zu Buche - marxistisch gespro- chen: als Senkung des Werts der Arbeitskraft. Das kommt zwar nicht ihrer Beschäftigung zugute, dafür aber um so mehr ihren Be- schäftig e r n. - Zweitens wurde das bundesdeutsche S p a r- p r o g r a m m Stück um Stück in verbindliche Vorschriften umgesetzt, die Wahrheit über den so modellhaften BRD-Sozialstaat leicht zu entnehmen wäre. Dessen "Leistungen" nämlich, das wurde Paragr. für Paragr. festgelegt, sind keineswegs dafür da, in Anspruch genommen zu werden: Für den Fall, daß die versprochenen und per Sozialabgaben voraus- bezahlten "Sicherheiten" für Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit - was für Lohnarbeiter gleichmäßig Verelendung bedeutet - massen- haft f ä l l i g werden, werden sie nach Kräften zurückgehal- ten, eingeschränkt, unter Vorbehalte gestellt, erweisen sich also dank parlamentarischer Machtvollkommenheit als höchst u n s i c h e r e Angelegenheit. Für alles das s o l l t e das staatsbürgerliche Publikum sich aber auch gar nicht interessieren, obwohl immerzu davon die Rede war und speziell die christlich-konservative Opposition Töne ge- schwungen hat, als wollte sie die Massen zur Empörung gegen die faux frais der bürgerlich-demokratischen Klassenherrschaft aufru- fen. Beziehungsweise: Es sollte sich dafür unter einem ganz spe- ziellen G e s i c h t s p u n k t interessieren, und u n t e r d e m war von den beschlossenen Einschränkungen der lohnabhängi- gen Massen immerzu und sehr offen die Rede. Gegenstand der De- batte war, jenseits aller Differenzen und Übereinstimmungen in der Sache, die heiße Frage: Wer sieht besser aus? Welche Seite imponiert durch den Anschein größerer Tüchtigkeit bei der Handha- bung der selbst beschlossenen "harten Zeiten" für die Untertanen? Wem steht der Anspruch auf Herrschaft über andere am passendsten zu Gesicht - wer ist der glaubwürdigste G e w a l t m e n s c h? Ein urdemokratischer Wettstreit, ausgetragen mit markigen Be- schimpfungen, demonstrativer Arroganz, Rücktrittsforderungen und unverschämten Berufungen auf das einmal eroberte politische Man- dat, der einem praktisch interessierten Betroffenen einige Auf- schlüsse geben konnte: darüber, wie sicher bundesdeutsche Politi- ker sich ihrer Macht über ihre Bürger sind; wie frei sie sich wissen von denkbaren Ansprüchen der Regierten; wie unbehelligt sie sich als Protagonisten der staatlichen Gewalt aufführen. Im- mer führen sie die Opfer im Munde, die sie ihrem Volk zumuten, - und immer berufen sie sich auf das Volk für ihre Manier, ihm Op- fer aufzuerlegen. Ein Lehrstück für die marxistische Kritik der Demokratie als einer Sorte staatlicher Gewalt, der ihre Emanzipa- tion von der "Basis", auf deren Gehorsam und Fleiß sie für ihren Bestand angewiesen ist und bleibt, am perfektesten gelingt; ein Lehrstück, das an Deutlichkeit jedenfalls nichts zu wünschen üb- riggelassen hat. * Die Demokratietheorie des akademischen Publikums allerdings geht andere Wege -- wenn es denn überhaupt die Machenschaften des Bon- ner Parlaments seiner durch "Prüfungsanst", Karneval und "Beziehungsprobleme" hinreichend beanspruchten Aufmerksamkeit für wert befindet. Ganz ohne Meinungsumfrage zu diesem Thema unter den 30.000 Bochumer Studenten sind wir uns des dabei zu erzielen- den Ergebnisses sehr sicher: - Die d e m o k r a t i s c h e n V e r f a h r e n s w e i- s e n der Bonner Politik würdigen 98% als angebliches "Showgeschäft" mit "Fensterreden" ohne "politische Substanz" mit jener eingebildeten Verachtung, die den Machthabern das Leben so leicht macht und den Untertanen so trefflich zu Gesicht steht, weil sie sich damit zu so vollends lächerlichen Figuren machen. 37% behaupten auf eindringliche Nachfrage, sie hielten die Manieren der Politiker für ein Problem, weil sie geeignet wären, deren Ansehen zu untergraben; 18% bekennen sich dabei mehr oder weniger offen zu dem alten faschistischen Gemeinplatz von der "Quasselbude", in der doch nichts Rechtes entschieden würde. 3,7% halten dieses Problem für eine Krise, nämlich der Legitimation, und behaupten von sich selbst, deren Wirkungen in Form einer gewissen "Demokratie"- und "Parteienverdrossenheit" an der eigenen Person festgestellt zu haben. 0,37% ziehen aus diesem Zustand "politischer Umweltverschmutzung" den praktischen Schluß, es einmal mit den intakten "ländlichen Strukturen" der Lüneburger Heide versu- chen zu wollen. - Den Sozialstaat und seine Finanzierung halten 98% für ein schwieriges Problem, dem mit einfachen Mitteln nicht beizukommen sei. Auf die Nachfrage, ob die Bonner Maßnahmen ihren Vorstellun- gen von nicht-einfachen Mitteln entsprächen, verweigern 49% be- leidigt die Antwort. Die anderen halten die Ausgewogenheit des "Sparpakets", das sie im übrigen nicht kennen, für problematisch, sich selbst als Studenten für dessen Opfer. Auf Nachfrage führen 30% den Mangel an Sitzplätzen im Seminar, 11% einen unbesetzten Lehrstuhl im Fachbereich Pädophilie, 7% das Bafög als Beweis ins Feld. 26% bekunden ihre Sympathie für kindgemäße Aktionen und Rollenspiele, mit denen Studenten einander ihre Betroffenheit vorführen; 0,26 % bekennen sich dazu, die Initiatoren solcher Idiotien zu sein. 37% halten nach komplexer Analyse aller zugäng- lichen Fakten den R o t s t i f t für das maßgebliche Subjekt der Bonner Finanz- und Sozialpolitik. - Von den 2 x 98% halten 100% ihre Auffassungen für realitätsnah und differenziert, 0% für einen Schwachsinn, den sie sich leisten in der Erwartung, spätestens nach dem Studium in gesellschaftli- chen Positionen zu landen, von denen aus das "soziale Netz" mehr gemacht als gebraucht, die Demokratie mehr durchgesetzt als hin- genommen wird. 97% verwahren sich gegen jede "Störung" ihres Stu- diums mit dem Argument, sie "müßten" doch jene Prüfungen machen, die zu nichts anderem als dazu taugen, an solche Positionen hin- zugelangen... Einen Polenboykott ------------------ hat die EG beschlossen, der US-Präsident über den bisherigen hin- aus in Aussicht gestellt. Den zuständigen Herrschaften geht nach offiziellem Bekunden die Gründung eines neuen klerikal-korporati- stischen polnischen, Staates, getragen von reaktionären Kirchen- männern, Staatsgewerkschaftern neuen Typs und einem antisowjeti- schen Nationalismus, nicht schnell genug. Für ein Mittel, diesem weitgesteckten Anliegen beschleunigt voranzuhelfen, halten sie eine zielstrebig weitergetriebene Ruinierung der polnischen Volkswirtschaft, deren Produkte kaum mehr zur Bedienung der Kre- ditverpflichtungen an westliche Banken und Staaten, schon nicht mehr zur ökonomischen Erhaltung einer Staatsgewalt, schon längst nicht mehr zur Aufrechterhaltung eines geregelten nationalen Re- produktionsprozesses und schon gleich gar nicht zur Versorgung des Volkes ausreichen. Die offiziell angeordnete Verschickung von Päckchen nach Polen wird sinnreich ergänzt durch die Streichung fest zugesagter verbilligter Lebensmittellieferungen für eine gute halbe Milliarde DM; letztere könnte ja womöglich die falsche Regierung sich zugutehalten; bei ersteren sind Herkunft und tie- fere Bedeutung nicht zu verkennen. Außerdem steigt der Wert von 1/2 Pfund Haferflocken mit dem Elend des Beglückten. Zu lernen wäre aus diesen Boykottmaßnahmen 1. einiges über den Zynismus, mit dem regierende Westdemokraten auf die materielle Not als Mittel für eine Unzufriedenheit des polnischen Volkes spekulieren, die sie ausnutzen können zur erpresserischen Durch- setzung ihrer Umgestaltungspläne für Osteuropa - ein subalterner Schwachkopf, wer da noch an Menschenfreundlichkeit als letzten Beweggrund des demokratischen Imperialismus glauben mag. 2. einiges Unerfreuliche über das Verhältnis zwischen Geschäft und Politik in den Außenbeziehungen einer kapitalistischen Demo- kratie. So sehr die Ansprüche der westlichen Staaten auf die Ver- fügbarkeit der ganzen Staatenwelt, ohne die ärgerliche Ausnahme eines "sozialistischen Lagers", auf einem gut materialistischen "Argument" beruhen - Fähigkeit und Wille erfolgreicher nationaler Kapitale, Reichtum, Natur und Menschenmaterial ihrer Nachbarn für sich zu nutzen, sind schrankenlos, dulden also keinen "Eisernen Vorhang" -: Für das hohe Anliegen, den widerspenstigen Rest der Welt niederzukämpfen, zählen eben deswegen opportunistische Erwä- gungen vom Standpunkt des dadurch gefährdeten Geschäftsvorteils letztlich nichts. Aus ganz materiellen Gründen wird da die Außen- politik kompromißlos i d e a l i s t i s c h: um d e n F e i n d entscheidend zu schwächen, ist eine Schädigung der ei- genen Ökonomie kein zu hoher Preis. - Ganz davon abgesehen, daß die Polenkredite noch längst nicht abgeschrieben sind. Einstwei- len treibt die D r o h u n g mit einer Eskalation westlicher Boykottmaßnahmen gegen den gesamten Osten die Sowjetunion noch zu einer finanzpolitischen "Solidarität" mit dem bankrotten Polen, die bereits an den Nerv ihrer Finanzkraft geht. - Ein Schwärmer jedenfalls, wer da immer noch an die friedensfördernden Qualitä- ten des internationalen Handels und der "wirtschaftlichen Koope- ration" mit dem Osten glauben mag und auf sie seine Hoffnungen setzt. 3. etwas über die unverschämte Selbstsicherheit, mit der die NATO-Partner inzwischen mitten im Ostblock politisch zu Werke ge- hen. Ein Verteidigungsbündnis, das einen erklärten einzigen Geg- ner straft, weil der den eigenen Staatenblock überhaupt auf- rechterhalten will, das sieht sich in gar keiner Weise unter ei- nem Druck seines Kontrahenten; es ist von dessen militärischer Pracht in all ihrer Wacht ja nicht im geringsten beeindruckt, so daß ihm Zurückhaltung in Sachen politischer Erpressung ratsam schiene. Wer seine Maßnahmen gegen seinen Feind als S t r a f e deklariert, der signalisiert damit in diplomatisch gar nicht mehr zu überbietender Deutlichkeit, daß seine Entschlossenheit keine Rücksichten mehr kennen will: der erklärt sich k r i e g s- b e r e i t. 4. also etwas darüber, daß mit Eroberungssucht und Kriegslüstern- heit ein Weltkrieg Nr. 3 so folgerichtig machen, daß die gesamte Staatenwelt sich bereits beschleunigt darauf einstellt, sondern der in ganz handfesten Geschäftsinteressen begründete, ihnen ge- genüber zugleich sehr freie Anspruch der politischen Gewalt in den kapitalistischen Demokratien, die gesamte Staatenwelt hätte ihnen zu Gebote zu stehen. * Einen Akademiker von heute lassen solche heißen Fortschritte irn- perialistischer Weltpolitik kalt: er hält sie für eine Frage der Deutung, also des Glaubens an eine bestimmte Deutung unter vielen möglichen - und eben diese g l a u b t e r n i c h t. Dafür müßte er ja glatt seine Freiheit aufgeben, den Lauf der Welt, wohlwollend-kritisch, an einem vorgestellten e i g e n t l i c h e n Zweck zu messen und sie so, ob gut, ob schlecht, auf alle Fälle i n t e r e s s a n t zu finden. Denn interessant ist die Folgerichtigkeit, mit der die imperialisti- sche Politik des Westens derzeit Gründe für Kriege auch des größ- ten Kalibers in die Welt setzt und anschließend als "Gefahr" ent- deckt, überhaupt nicht - und eben deswegen für einen gebildeten Zeitgenossen viel zu banal zur Interpretation einer Brutalität, die er für eine l e t z t e F r a g e hält. Eine geschichts- philosophische Perspektive muß da schon her. Die Politik des We- stens nimmt sich doch schon viel tiefsinniger aus, wenn man nicht sie analysiert, sondern vom Standpunkt der heute erreichten und in Frage gestellten Aufteilung der Welt aus über "weltgeschichtliche Weichenstellungen" räsonniert und unter dem Stichwort "Jalta" die Ansprüche der eigenen Herrschaft auf Osteu- ropa in das Phantasiegebilde eines alternativen Geschichtsver- laufs übersetzt: Was wäre, wenn... Und wenn schon Krieg, dann will der Untergang der Welt, das Ende der Gattung, ein "flammendes Inferno" ausgemalt und ein veritabler Abgrund im See- lenleben der Menschenart, eine tiefgründige "Selbstmordneigung" entdeckt sein. Dies vollbracht, ist die Welt der "alltäglichen" Politik natürlich aufs glücklichste aus dem Blick geraten: gerade und ausschließlich jenseits davon, als hintergründiges Sinnge- schehen, sollen die Geschäfte der imperialistischen Gewalt ihre angemessene Würdigung erfahren. Für lächerlich befindet ein auf- geklärter Student von heute die Zumutung, im Krieg eine Machen- schaft aktueller bundesdeutscher Politik zu entdecken - wozu hat er ihn sich denn als weltanschauliche Grundfrage zurechtgelegt, die in der Sphäre der Phantasie ihr interessantes Eigenleben führt? Die härtesten Konsequenzen demokratischer Politik in die Rubrik Feuilleton verbannt zu haben: darin genießt die bornierte Botmäßigkeit eines akademisch gebildeten Verstandes ihre Lei- stungsfähigkeit. zurück