Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN ALLGEMEIN - Von Dichtern und Denkern
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Die Koalitionskrise
DER DEMOKRATISCHE STAAT MACHT WIEDER FORTSCHRITTE
Was in Bonn zur Zeit läuft: beraten und beschlossen wird der
"Sparhaushalt '83". Dem werden die Koalitionsparteien gerecht,
indem sie über die Höhe der "Neuverschuldung" streiten, mehr un-
ter oder mehr über 30 Milliarden. Denn an den Notwendigkeiten ei-
nes NATO-Frontstaats, sich für den endgültigen Verteidigungs-
schlag gegen den Osten grenzenlos aufzurüsten und die nationale
Wirtschaftskraft durch Investitionen zu fördern, darf nicht ge-
spart werden - künftig dauert der Dienst in der Armee 18 Monate,
und am 'kleinen Unterschied' soll das Programm: ein Volk in Waf-
fen! nicht scheitern: auch Weiber dürfen zum Bund. Für die Finan-
zierung dieser Aufgaben wird eine neue Runde Zwangssparen am Volk
eingeläutet, und nach bereits bewährtem Muster werden Arbeitslo-
sen-, Renten- und Krankenkassenabgaben neu heraufgesetzt. In die-
ser Hinsicht überbieten sich alle Parteien in der einheitlichen
Bekundung des "Mutes, heilige Kühe zu schlachten" und "den eige-
nen Anhängern bittere Wahrheiten nicht zu verschweigen" (Glotz,
SPD); und die Rede von der damit bezweckten "Rettung und Schaf-
fung von Arbeitsplätzen" kommt gar nicht mehr auf. So darf jedoch
niemand das Geschehen in Bonn betrachten: der selbstsichere Um-
gang der Staatsgewalt mit ihrem Wähler- und Arbeitermaterial ist
als Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit abgehakt. Be-
troffen hat der Bundesbürger sich davon zu zeigen, ob der dicke
Genscher die Haushaltsdebatte zum Anlaß nimmt, aus der Koalition
auszusteigen, oder ob er noch etwas abwartet, die "Wende" zum an-
deren Helmut zu vollziehen. Denn nach dem Beschluß der SPD und
FDP entscheidet sich an den Eckdaten des Haushalts die Schick-
salsfrage der Nation, ob das Arbeitsvolk weiterhin mit dem Spruch
geschröpft wird, es gelte, die Koalition zu retten, oder ob es
für den CDU-Slogan, man müsse die Versäumnisse der Regierung aus-
bügeln, zur Kasse gebeten wird. Gäbe es den deutschen Untertan,
der an das Lob der Demokratie glaubt, seine Politiker wären das
ausführende Organ des Wählerwillens und verwandelten Interessen
ihrer Wähler in Politik, er müßte glatt verzweifeln an der Illu-
sionslosigkeit demokratischer Politiker. Da wird mit den Sparal-
ternativen von allen Verantwortlichen taktiert mit der absoluten
Sicherheit und verwöhnten Erwartung, daß einer jedenfalls keine
Schwierigkeiten machen wird, das absehbare Ergebnis zu schlucken:
das betroffene Volk. über das wird nämlich noch ganz anders ver-
fügt und geredet: Was erwarten die Wähler von uns? Sollen wir
weiter mit der FDP, mit der SPD die Regierung bilden, oder erwar-
ten sie einen Wechsel der Regierung(skoalition)? Dabei wird das
Volk genausowenig gefragt wie bei den "Sachproblemen". Nicht ein-
mal als Wähler, der darüber entscheiden soll, wer jetzt das Rü-
stungs- und Sparprogramm verwaltet. Genau umgekehrt verfahren die
Herren der Politik mit dem "Volkswillen", auf den sie sich beru-
fen. Sie werfen selber die Frage auf, wer denn nun am besten die
Freundschaft zu Amerika, die Feindschaft gegen die Russen, die
Beschaffung von Raketen und Panzern und die dafür nötigen
"Einschnitte ins soziale Netz" vertritt. Damit schaffen sie sel-
ber die öffentliche Stimmung, auf die sie sich dann berufen. Und
über den Stand dieser internen Streitereien um die Macht sind sie
inzwischen so sicher, daß der Wechsel der FDP die Befragung des
Volkes überflüssig macht. Die Berechnungen der Parteien, wie sie
am besten an der Regierung bleiben oder an sie kommen, werden den
braven Untertanen öffentlich vorgeführt - und ihnen damit die
Sorge um die Koalition oder die Hoffnung auf einen Regierungs-
wechsel angetragen, als hin davon das Wohl und Wehe der Nation
ab. Das der Bürger kommt dabei schon gar nicht mehr vor. Auf
diese Weise schaffen die Politiker ganz einig in der harten Sache
des Regierungsgeschäfts gegen das Volk - selber die Stimmungs-
lage, schreiben den Wählern, von denen sie angeblich so abhängig
sind, selbst die Überlegungen vor, mit denen die dann in den
Landtagswahlen den Beweis ablegen dürfen, daß gegenwärtig wirk-
lich die CDU vorne liegt. Also braucht man das Volk auch nicht
einmal mehr demokratisch zu befragen, ob es mit einem Bonner
Wechsel einverstanden ist. Wenn die FDP sich auf die Seite der
CDU schlägt, i s t das der Wählerwille. Die Freiheit, sich zum
Affen dessen zu machen, was die Politiker mit einem anstellen,
bleibt dabei unangetastet, ja sie wird in ganz neuer Weise gefor-
dert. Kaum ist von oben ein "politischer Klimawechsel" angesagt,
schon darf man die spürbaren Auswirkungen der politischen Maßnah-
men der Regierungskoalition auf den eigenen Geldbeutel und das
eigene Leben vergessen und die politiklose Zeit der letzten Jahre
beklagen:
"Seit Monaten, wenn nicht tatsächlich schon seit Beginn dieser
Wahlperiode vor nun fast zwei Jahren diese sozialliberale Regie-
rungskoalition (vierter Aufguß) so intensiv mit sich selbst be-
schäftigt, daß sie sich nicht mehr um Politik kümmern kann."
(Frankfurter Rundschau, 23.6.82)
Sorgen darf man sich machen um die umstandslose Freiheit der
Staatsgewalt im Umgang mit ihrem Volk, weshalb jede "Wackelei"
die Kontinuität der Politik stört. Die Macht, nach Belieben über
die Untertanen zu verfügen, ist eben kein Mittel, sondern ober-
ster Zweck der Politik - auch dies eine Klarstellung, die jedem
Sozialkundebuch Hohn spricht. Wer erst einmal von sich selbst
ganz absieht, dem steht der Genuß an dieser Macht frei, und er
kann sich Gedanken darüber machen, ob die FDP das demokratische
Programm: die beste Politik ist, an dieser Macht zu bleiben, auch
verwirklichen kann.
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