Quelle: Archiv MG - BRD DEMOKRATISCHES-LEBEN ALLGEMEIN - Von Dichtern und Denkern


       zurück

       

DAS UNAUFHALTSAME ENDE DER AFFÄRE BARSCHEL

Politische Skandale sind dafür da, möglichst bald dorthin zu ver- schwinden, wo sie hingehören - zu den politischen Akten und in die Rumpelkammer historischer Belege für politische Kommentato- ren. Der Fall Barschel ist auf dem besten Wege dahin. Der Hauptakteur ist ja nun mausetot, eigenhändig verschieden, mit weihevollen Appellen an unser aller Staatsgewissen unter die Erde gebracht und zum prominentesten Opfer seines Falles aufgestiegen. Davon profitieren alle. Erstens: Der parlamentarische Untersuchungsausschuß --------------------------------------------------- der nach allen Kegeln kriminalistischen Spürsinns, juristischer Spitzfindigkeit und politischer Interpretationskunst jetzt ge- richtsnotorischen Tatsachen und parteipolitisch verwertbarem Ma- terial nachforscht. Bei den heißen Fragen, wer wann von wo mit wem über was telefoniert hat, ob das für einen konkreten Verdacht ausreicht und ob der vorveröffentlicht werden darf und soll..., steht eines fest: Der Hauptzeuge und -beklagte ist hin; also wird leider, leider vieles noch dunkler bleiben, als ohnehin zu be- fürchten steht. (Bekanntlich sagen ja die lebenden Barschels freizügig über ihre Machenschaften aus!) Noch ein paar Wochen eifrige Recherchen und Streitigkeiten in und außerhalb des Aus- schusses, und es wird feststehen, daß manches von dem, was längst jeder weiß, ohne daß es ihn noch heiß macht, möglich, wahrschein- lich oder so gut wie sicher und nachweisbar sein könnte. Während die parlamentarischen und gerichtlichen Mühlen alles Skandalöse kurz und klein mahlen, klagt die Presse schon ganz routinemäßig, hier werde wieder mal eine einmalige Chance vertan, mit rück- sichtsloser Offenheit und Ehrlichkeit zu werben - für Politik na- türlich. Zweitens: Die erlesenen öffentlichen Diskussionsrunden ------------------------------------------------------ in denen Journalisten und Politiker von Bölling bis Benda, Schily bis Biedenkopf, Carola Stern bis Lattmann sich reihum betroffen zeigen und sich je nach Bedarf parteilich angiften oder lieber in die lichten Höhen politischer Ethikdebatten abheben. Mit Bar- schels Leiche läßt sich prächtig statt über Gründe über Abgründe des Machtstrebens reden, statt über den Gang der Politik aufzu- klären, über Aufstieg und tragischen Fall von Politikern sinnie- ren. Der Umgang mit der Macht, da sind sich alle einig, ist eine ein- zige moralische Bewährungsprobe für ihre Inhaber, die sie allzu- leicht nicht bestehen. Ob und wie sehr im vorliegenden Fall, dar- über wird natürlich heftigst gestritten - man darf doch nicht vorverurteilen, aber auch nicht einfach alles vom Tisch wischen. Daß ein Amtsinhaber partout einer bleiben will und für die Bil- dung des Wählerwillens mit unerlaubten Amtsmitteln nachhilft, zählt jedenfalls allgemein unter die Verfehlungen, für die Anklä- ger wie Verteidiger aber schon wieder Verständnis aufbringen. Die extensiven Bemühungen des Modellkarrieristen gehören zu den dau- ernden Gefahren des schweren Amtes, denen ein schwacher Mensch nur allzuleicht erliegen kann. So wird aus dem Beschuldigten ein Opfer seines Dranges zur Macht, dem er ausgeliefert war; aus dem Regierungsposten eine Zwangslage, in die der Macher der Politik sich verstrickt hat - bzw. Politiker überhaupt sich zu verstric- ken drohen. Denn - da sind sich alle wieder einig - man darf den Herren noch lange nicht zutrauen, was sie machen. Die mit Bedacht aufgewor- fene fassungslose Frage: Wem kann man jetzt eigentlich noch ver- trauen? stiftet genau die Unsicherheit, derer sich die Frager prompt annehmen: Der SPD! Weiterhin der CDU! Auf irgendwen muß man jedenfalls bauen, sonst - Ja, was eigentlich? Sonst würde der Glaube an Politik leiden, und das will doch keiner. Das ist es dann auch schon; mehr haben die Ehrenretter der Politik nämlich an guten Gründen für Vertrauen nicht zu bieten als ihren uner- schütterlichen Willen, keinesfalls die matten Zweifel am Schein der Ehrenhaftigkeit und Selbstlosigkeit der Führungsfiguren stehen zu lassen oder gar zu schüren - jetzt erst recht nicht. Aber das reicht, um in die Offensive zu gehen. Denn wenn es schon mal ein Moralproblem sein soll, wie Politiker ihre Macht handha- ben, dann i s t damit das Niveau des Allgemein menschlichen er- reicht, auf dem alle Katzen grau sind und ein Untertan so fehlbar wie seine Obrigkeit. Richtig überhöht, der Fall Barschel zu einer Anfrage an die Sündennatur des Menschengeschlechts überhaupt - nicht bloß der unsägliche Bischhof Wilkens beherrscht diese Leier! - und wer da noch an den Politikern herumnörgeln möchte, muß sich moralische Arroganz vorwerfen lassen, weil vom Stand- punkt des Jüngsten Gerichts aus gesehen doch auch in ihm ein fehlbarer Barschel steckt. So raubt die moralische Übertreibung der Sache den fälligen Bedenken jede kritische Note und mündet in einen Vertrauensbefehl. Mit dem läßt sich - und darüber kann man schon wieder prächtig streiten - neben dem Absteiger aus Kiel und seinem Umfeld ein ganz anderer Mit- und Hauptschuldiger dingfest machen für die allseits beschworene Gefahr, die Politik könnte unter ihren Affä- ren an Ansehen verlieren: die Öffentlichkeit mit ihrem "Enthüllungsjournalismus". Das sagen Journalisten an erster Stelle und beschuldigen sich der Fühl- und Verantwortungslosig- keit, weil sie nicht gleich vor Mitleid mit Barschel erstorben sind und alle Zweifel an seiner Ehrenhaftigkeit hintangestellt haben. 'Seien wir doch endlich selber einmal ehrlich', heißt die neueste Heuchelmasche, jeder, der Kritiker eingeschlossen, ist doch fehlbar und parteipolitisch berechnend. Wer wollte da noch den ersten Stein werfen...' So bezichtigt sich die vierte Macht im Lande und läßt sich vorhalten, nicht genügend für das politi- sche Geschäft Partei ergriffen und geworben zu haben. Umgekehrt bekommen die Politiker zu hören, sie machten es ihren Anhängern aber auch nicht immer gerade leicht. Die Angesprochenen zeigen sich demonstrativ zerknirscht und warnen gleichzeitig vor "übertriebenen" Hoffnungen auf Besserung. Die Demokratie hat näm- lich ein unveräußerliches Recht auf Zustimmung, ganz gleich wie korrupt ihre Machthaber sich präsentieren. Das gemeinsame partei- übergreifende Resümee heißt: Nicht aussteigen, sondern einsteigen ist geboten - in die allbekannten demokratischen Pflichten. Zuguterletzt: Das Wählen nicht zu vergessen ------------------------------------------- Auch die Parteienkonkurrenz profitiert nämlich. Das Betroffen- heits- und Saubermannsgetue bietet ja schon wieder genau das pas- sende Material für die Persönlichkeitsprofilierung, um die Bar- schel sich bis zuletzt so aufopferungsvoll gekümmert hat. Schon streitet sich der sensible Engholm mit dem unbescholtenen Kribben um den besten Zeitpunkt fürs Wählen - alles im Interesse einer überparteilichen Untersuchung und einer unbelasteten Wahl, ver- steht sich. Wahlkampffairneß ist diesmal das Wahlargument, so daß jeder jedem jederzeit vorrechnen kann, bei ihm sei schon wieder der Ungeist politischer Diffamierung am Werk. Und weil aufge- klärte Demokraten nichts unbesprochen lassen, ist auch dieses Taktieren öffentliches Thema und Anlaß zu Mahnungen, man dürfe doch nicht einfach weitermachen wie immer... Einen zählbaren Ertrag hat die ganze Affäre auch schon. Laut Mei- nungsumfragen meinen gegenwärtig nur noch x statt y%, sie würden genau von den richtigen Männern und Frauen regiert. Andere fallen ihnen aber auch nicht ein; was anderes schon gleich nicht: Nach eigener Auskunft wollen 1% mehr SPD, 1% weniger CDU, ein paar mehr FDP und Grüne wählen. Wer weiß, ob es nicht sogar noch ein paar Prozentpunkte mehr werden, trotz oder wegen 'Langzeitwähler- bewußtsein' und so... Jeder Skandal ein Grund zum Wählen. Das macht diesem System so schnell kein anderes nach. zurück