Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR KDV - Dienst bleibt Dienst
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Recht
GEWISSEN ZEITGEMÄSS
"Was Recht und Pflicht ist, ist als das an und für sich Vernünf-
tige der Willensbestimmungen, wesentlich weder das besondere Ei-
genthum eines Individuums..., sondern wesentlich in allgemeinen
gedachten Bestimmungen, d.i. in der Form von Gesetzen und Grund-
sätzen... Der Staat kann deswegen das Gewissen in seiner eigent-
hümlichsten Form, d.i. als subjektives Wissen, nicht anerkennen."
(G.W.F. Hegel, Rechtsphilosophie, Paragr 137, Zusatz)
Daß die Wehrpflicht einer der obersten Werte des Grundgesetzes,
ist keine Erfindung der CDU und CSU an der Regierung. Am
Z w e c k dieser P f l i c h t hat sich seit seiner Einführung
in den Kanon der Grund r e c h t e auch dasjenige auf Kriegs-
dienstverweigerung relativieren lassen müssen.
Der Herr Minister Dr. Heiner Geißler entwickelt folglich auch
keine neue Hierarchie von Verfassungsgrundsätzen, wenn er anläß-
lich der parlamentarischen Erörterungen über die Neufassung des
Gesetzes zur "Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen" klar-
stellt:
"Die Verfassung ist 'kein Schlaraffenbett, in dem der arglose
Bürger vor sich hindämmern darf, sondern ein Haus, das ständig
verteidigt, erneuert und befestigt werden muß'. Es gibt kein
Wahlrecht zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst. Die Wehrpflicht
ist vielmehr die 'staatsbürgerliche Grundpflicht'." (Frankfurter
Rundschau, 17.12.1982)
Die Rechtsprechung deutscher Gerichte ist schon längst vor der
Bonner Wende darauf gekommen, daß das hochgepriesene Grundrecht
der Gewissensfreiheit seine Grenzen an der Reibungslosigkeit fin-
det, mit der die staatliche Zwecksetzung funktioniert.
Der Sachverhalt
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Das Bundessozialgericht hatte in einem seiner jüngsten Entschei-
dungen (Urt. v. 23.6.82 - Az.: 7 RAr 89/81) darüber zu befinden,
ob ein anerkannter Wehrdienstverweigerer, der arbeitslos geworden
ist, zu Recht die ihm vom Arbeitsamt vorgesetzte Anstellung in
einem Rüstungsbetrieb ablehnen durfte oder nicht. An dieser Frage
entschied sich auch die Folge, ob die gegen den Wehrdienstverwei-
gerer vom Arbeitsamt gemäß Arbeitsförderungsgesetz verhängte
Sperrzeit - Streichung des Arbeitslosengeldes für vier Wochen -
rechtens war oder nicht.
Die Begründung der letztinstanzlichen Entscheidung (daraus die
folgenden Zitate), mit der dem Arbeitslosen der Verzicht auf den
Lebensunterhalt für die Sperrzeit als "zumutbares Opfer" aufer-
legt wurde, gibt interessante Aufschlüsse über den Status des
Grundrechts auf Achtung des individuellen Gewissens, mit dem der
BRD-Staat als Ausweis seiner Menschenfreundlichkeit sich gerne
schmückt.
Quantität entscheidet
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Als erstes und oberstes Ziel gilt, daß das gesetzlich geschützte
Gewissen den eigentlich wichtigen staatlichen Zwecken nicht in
die Quere kommen darf. Ob es das tut oder nicht, liegt für das
BSG vorrangig an der Häufigkeit seiner Geltendmachung.
"Die Frage einer mehr oder weniger großzügigen Gewährung der in
Art. 4 Abs. 1 GG ausgesprochenen Freiheiten ist insoweit auch...
in einem Zusammenhang mit der Quantität ihrer Inanspruchnahme zu
sehen. Eine massierte Berufung auf das Gewissen, wie sie z.B. im
Bereich des Art. 4 Abs. 3 GG... zum Ausdruck kommt, könnte inso-
weit die Arbeitslosenversicherung vor schwerwiegende Probleme
stellen, etwa in regionalen Bereichen, in denen eine Vielzahl von
Betrieben für Zwecke der Bundeswehr arbeitet."
Sobald sich also z u v i e l e Bürger in puncto Krieg auf ihr
Gewissen berufen, müssen diesem zugleich S c h r a n k e n ge-
zogen werden. Abgeschafft wird es nicht gleich - aber es darf
nicht in Bereichen beansprucht werden, die, wie das Gericht nüch-
tern urteilt, für das Funktionieren des Staatswesens von höherem
Interesse sind als die Erlaubnis eines Gewissens bzw. der einzi-
gen praktischen Konsequenz, die ihm gestattet ist. Wo kämen wir
da hin, wenn das Arbeitsamt bei der Mobilmachung von Arbeitskräf-
ten auf kleinliche idealistische Vorbehalte Rücksicht nehmen (und
solche Leute auch noch finanzieren) müßte!
Anders sieht es mit dem Schmuckstück unseres Staates - der Gewis-
sensfreiheit - dann aus, wenn das Gewissen für etwas mehr Inner-
liches wie die private Religionsausübung reklamiert wird, noch
dazu dann, wenn es sich dabei nicht um die anerkannten Staatsre-
ligionen handelt und es folglich von kaum jemandem in Anspruch
genommen wird. Das BSG sieht daher in der jetzigen Entscheidung
nur die Bestätigung einer früheren, nach der eine Arbeiterin eine
Arbeit ablehnen durfte, deren Schichteinteilung es ihr verunmög-
licht hätte, die Sabbatruhe einzuhalten. Hatte es damals doch
schon "darauf hingewiesen, daß derartige Gruppen schon zahlenmä-
ßig nicht ins Gewicht fallen."
Fein heraus ist ein Grundrecht also immer dann, wenn es nicht in
Anspruch genommen wird!
Lauter Rüstungsarbeitsplätze
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Meint aber einer, aus seinem Gewissen, gegen den Krieg zu sein
(m e h r an Kriegsgegnerschaft erlaubt das Gesetz sowieso
nicht!), die Berechtigung ableiten zu dürfen,
"jede Tätigkeit, die nur im entferntesten dazu beiträgt, Bestand,
Organisation und Funktionsfähigkeit der bewaffneten Macht zu er-
halten, bzw. zu stärken, und sei es nur durch die Mitarbeit bei
der Herstellung von Nahrungsmitteln oder Bekleidung für militäri-
sche Organisationen",
dann wird er von der dritten Gewalt im Staate in seine Schranken
verwiesen: Zwar hat jeder das Grundrecht auf Kriegsdienstverwei-
gerung, aber dieses "erstreckt sich nicht auf jede Mitwirkung am
Krieg, sondern bezieht sich nur auf Tätigkeiten, die in einem
nach dem Stand der jeweiligen Waffentechnik (!) - unmittelbaren
Zusammenhang mit denn Einsatz von Kriegswaffen stehen. Nicht von
Art. 4 Abs. 3 GG geschützt ist daher... die Heranziehung zur
Kriegsfinanzierung oder der Einsatz in der Rüstungswirtschaft, d.
h. die Heranziehung zu - zivilen - Aufgaben, die der Herstellung
von militärischen Objekten oder auch deren Wartung dienen."
Geißlers Gleichung Wehrpflicht = Grundpflicht trifft also den von
den dazu Berufenen ausgelegten Geist des Grundgesetzes ganz ge-
nau. Wo käme man andernfalls auch hin: Das Gericht stellt nämlich
fest, daß es bei den heutigen Zuständen in der BRD kaum möglich
ist, irgendeine Sorte von Produktion zu finden, die nicht wenig-
stens mittelbar oder für den Ernstfall geplant für die
"Funktionsfähigkeit der bewaffneten Macht" von Belang wäre - und
diesem höchsten aller Staats-, also Rechtsgüter gegenüber ist
nicht einmal ein solch lächerlicher Vorbehalt wie das
G e w i s s e n eines Individuums statthaft; hier gilt der
Z w a n g zum Mitmachen! Es geht einfach nicht an, daß jemand
seine
"Arbeitsbereitschaft derart einschränkt, daß jedwede Berührung
der angebotenen Arbeit mit seiner gewissensorientierten Grundhal-
tung ausgeschlossen ist. Damit wäre... (die) Vermittlungstätig-
keit (der Arbeitslosenverwaltung) in derartigen Fällen weitgehend
blockiert, weil bei den vielfältigen Bedürfnissen der Bundeswehr
- namentlich im technischen Bereich - eine Vielzahl von Unterneh-
men als potentielle Zulieferer in Betracht kommen und deshalb bei
der Vermittlung nicht berücksichtigt werden könnten."
Schädigung im Namen der Solidargemeinschaft: aber immer
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Will jemand angesichts der von Staat und Kapital produzierten
zwei Millionen Arbeitslosen aus seinem Grundrecht die Rechtsposi-
tion ableiten, eine zugewiesene Arbeit ablehnen zu dürfen, weil
diese mit eben jenem Grundrecht konfligiere, dann zeigt das Ge-
richt klar auf, welches Gewicht dem Gewissen von Staats wegen
heutzutage zukommt.
"Eine im Rahmen von Paragr. 119 I 1 AFG (a.F.) zu beachtende ver-
fassungsrechtlich geschützte Gewissensposition kann eine zusätz-
liche Belastung der Versichertengemeinschaft (!) nur rechtferti-
gen, wenn bei der gebotenen Rechtsgüterabwägung der Gewissenspo-
sition des einzelnen ein höheres, Gewicht zukommt als dem verfas-
sungsrechtlich vorausgesetzten - oder angeordneten Gemein-
schaftsaufgaben, hier der Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenver-
sicherung... (Die dem Arbeitslosen) im Gemeinschaftsinteresse ab-
zufordernde Pflicht zur Entlastung der Solidargemeinschaft wiegt
schwerer als sein Interesse an einer folgenlosen (!) Verwirkli-
chung seiner gewissensorientierten Grundhaltung als Kriegsgegner
auch im Berufsleben."
Wenn es darum geht, die Funktionsfähigkeit der Arbeitslosenver-
waltung, - also die staatliche Erzwingung von "Mobilität" derer,
die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen, durch laufend härtere
Regelungen der "Zumutbarkeit", von Lohnminderung, stufenweise or-
ganisierter Deklassierung, kurz: der Funktionalität der kapitali-
stischen Reservearmee zu erhalten, dann ist es, für bundesdeut-
sche Richter klar, was das "höherrängige Gemeinschaftsgut" ist,
hinter dem das Recht auf Gewissensentscheidung selbstverständlich
zurückzutreten hat. Und das, ohne daß der "Kernbestand" dieses
Freiheitsrechts angetastet wird. Das Gericht nimmt nämlich seine
Befugnis wahr und definiert, was zum Kern- und was zum Randbe-
reich gehört.
So geht, Rechtsstaat! Und dabei firmieren nach gutem demokrati-
schen Brauch die - Leidtragenden noch - als Berufungsinstanz:
G e r e c h t ist es, daß in ihrem Namen der Anspruch auf die
S c h ä d i g u n g der anderen geltend gemacht wird!
Würde durch Opfer
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Das Gericht tut sich bei der Begründung der von ihm verordneten
Schädigung des Wehrdienstverweigerers, der auch den Arbeitsdienst
in einer Rüstungsfabrik verweigern wollte, nicht schwer: Kann es
doch die Moral der Idealisten des Gewissens selber ins Feld füh-
ren, die für sich als ihre glänzende F r e i h e i t beanspru-
chen, ihre D i e n s t b a r k e i t für die Nation nicht auf
dem Felde der Ehre, sondern an Kranken und Alten ausüben zu dür-
fen. Gerade die Beschaffenheit des idealistischen Staatsinstitus
Gewissen, das sich als den nützlicheren Diener der Gesellschaft,
den besseren Vertreter des Friedens und der Staatenfreundschaft
rühmt, wird von den Richtern ausgenutzt: Werden diese Idealisten
nicht immer als Drückeberger bezeichnet, sind sie nicht ständig
Anfeindungen ausgesetzt? Ein deutsches Gericht ist da viel nob-
ler: Es akzeptiert den guten Menschen und tut ihm darüberhinaus
auch noch den Dienst, daß es ihm per Zwang Gelegenheit ver-
schafft, die Glaubwürdigkeit seines Idealismus praktisch zu be-
weisen.
"Deshalb wird allgemein - ungeachtet ethischer Überlegungen, daß
erst das materielle Opfer der Gewissensentscheidung Würde (!)
verleiht - die Auffassung vertreten, daß der einzelne, der sein
Verhalten auf Gewissensgründe stützt, grundsätzlich daraus ent-
stehende Nachteile in Kauf zu nehmen hat, ihm Opfer zuzumuten
sind, insbesondere dort, wo es um finanzielle Folgen seines ge-
wissensgebundenen Handelns geht... Hierfür werden nicht nur Ge-
sichtspunkte der Gerechtigkeit angeführt, sondern auch auf die
praktisch - verfahrensmäßige Funktion derart "lästiger Nachteile"
hingewiesen; sie schützen (!) nicht nur die öffentliche Hand vor
einem Mißbrauch der Gewissensfreiheit, sondern ebenso die Gewis-
sensfreiheit selbst (!), weil sie für denjenigen, der sich auf
sein Gewissen beruft, zugleich nach außen den Beweis (!) führen,
daß er um seines Gewissens willen so handelt."
Das Gewissen beweist sich also am besten durch materielle Opfer,
indem das Aufgeben aller nicht-idealistischer Interessen ein-
gefordert wird. Auch mit diesem staatlichen Zynismus ist das Ge-
richt von der neuen Regierung inzwischen eingeholt worden: Mit
der Verlängerung der Ersatzdienstzeit wird man von Gesetzes wegen
dazu verdonnert, sein Gewissen auch ordentlich zu praktizieren.
Und auch ein Geißler versteht es, dies als staatlichen Dienst am
Kunden zu verkaufen.
Luxuriosität des Gewissens
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Was man aus diesem Urteil alles lernen kann? Erstens: Der demo-
kratische BRD-Staat schmückt sich mit den Grundrechten - gerade
im Vergleich zu Ebenbildern von ihm, in denen "die Freiheit"
nichts gegolten habe! - als Institution, in der das Individuum
geachtet ist. Und dabei macht ihm kaum jemand die
H e r a b l a s s u n g zum Vorwurf, mit der dies geschieht; im
Gegenteil: R e s p e k t soll man der Demokratie dafür entge-
genbringen, daß sie dem einzelnen Bürger doch tatsächlich sogar
gestattet, sich aus Zuständen ein Gewissen zu machen, die sich
einzig und allein staatlichen Taten verdanken (wer sonst verlangt
schließlich von der Menschheit, daß sie Kriegsdienst tut!). Zwei-
tens: Wie wenig den demokratischen Staat dieser Luxus kostet,
seinen Bürgern dem Prinzip nach eine abweichende Gewissens-Mei-
nung zu erlauben, stellt er dadurch klar, daß er da, wo die Idea-
listen, die er sich leisten will, ihm zu lästig zu werden schei-
nen, seine Gesetze eben ändert oder entsprechend enger auslegt:
Gemessen an den wirklich wichtigen Staatsaffären - Funktionsfä-
higkeit der Wehrmacht und der sozialstaatlichen Zwangsverwaltung
der Opfer der kapitalistischen Ausbeutung - muß das "Rechtsgut"
Gewissensfreiheit in seine Schranken gewiesen werden. Drittens
verfährt er dabei streng rechtsstaatlich - dafür ist die Gewal-
tenteilung schließlich da! - und beruft sich außerdem noch auf
lauter Dienste, die er den Leidtragenden seiner Maßnahmen damit
zuteil werden läßt. Und viertens gibt dies den Staatsorganen Ge-
legenheit, gemäß der von ihnen selber ausgegebenen Parole von den
"schwierigen 80er Jahren" den "Kern" des Staatsinstituts der Ge-
wissensfreiheit offensiv zu propagieren: Geld oder Gewissen! Daß
die Preisgabe des eigenen materiellen Interesses der Preis für
den Idealismus ist; daß in der Demokratie nur der Anerkennung ge-
nießt, der die aktuelle Losung "Dienen statt Verdienen" praktisch
beherzigt; darin liegt die Zeitgemäßheit der Botschaft, die Ge-
richt, Regierung und Gesetzgeber in Sachen Gewissensfreiheit ver-
künden!
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