Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR KDV - Dienst bleibt Dienst
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Korrespondenz
"Eine Instanz namens Gewissen"
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"Betr.: Ihren Artikel 'Dienst bleibt Dienst' (MSZ 3/85).
Sie schreiben: 'Mit dem Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus
Gewissensgründen zu verweigern, erlaubt der Staat eine individu-
elle Ausnahme von der Pflicht zur Vaterlandsverteidigung. Nicht
rechtgegeben wird damit einem Menschen, der eine Kritik an den
Taten, Absichten und Feindbildern der Politik hätte - es muß
schon das Gewissen, der Unsinn einer 'abstrakten, nicht situati-
onsbezogenen Grundentscheidung' sein.' (p. 8)
Es gibt zwei Sorten von Kritik: Taten und Feindbilder können rein
sachlich bzgl. ihrer Effektivität als Mittel für nicht in Frage
gestellte Ziele kritisiert werden.
Eine Kritik an Zuständen und Zielen als solchen, und das ist hier
doch wohl mit Kritik gemeint, ist dagegen ohne moralische Basis,
allein aufgrund von Empirie und Logik, nicht möglich. Kritik ist
aus Tatsachen allein nicht abzuleiten!
Hierzu benötigt man noch eine Instanz, die einen Zustand oder ein
Ziel mit dem Ideal des Sein-Sollens vergleicht und diese hier-
durch erst als zu kritisierende anerkennt; diese Instanz nennt
man Gewissen.
F.P., München
Über Kritik, Moral und Interesse
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An unserer Bemerkung über die Anerkennung, die einem Kriegs-
dienstverweigerer zuteil wird, sind Dir Bedenken eingefallen; und
zwar hinsichtlich unserer Vorstellung von Kritik. Den von uns be-
haupteten Gegensatz von Gewissen und Kritik willst Du nicht gel-
ten lassen. Dein Argument lautet schlicht: Ohne die Maßstäbe, die
das Gewissen an die "Tatsachen " anlegt, kommt Kritik nicht zu-
stande.
So sehr wir mit Dir übereinstimmen, wenn Du darauf bestehst, daß
beim Kritisieren allemal ein Vergleich stattfindet, so wenig kön-
nen wir einsehen, daß dieser Vergleich einer zwischen "Tatsachen"
und vom Gewissen aufgemachten Idealen sein muß. Den von Dir ange-
führten Typus der Kritik kennen wir - er ist ein durchaus übli-
ches Verfahren, sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Anerkennen
mögen wir ihn aber nicht. Hier unsere Gründe, die ganz nebenbei
auch beweisen, daß Deine Erläuterung des von Dir für unerläßlich
befundenen Vorgehens nicht zutrifft.
1. Die Sache mit den Kriegsdienstverweigerern einmal als Beispiel
für Kritik ernstgenommen: Die "kritisierten" Instanzen, welche
eine Wehrmacht unterhalten und ganz selbstverständlich - per Geld
und Dienst - den Bürger darauf verpflichten, ihren Militärapparat
in Schwung zu bringen, lassen sich die Kritik des Verweigerers
ganz sicher nicht gefallen. Sie übernehmen auch kein Urteil von
den Leuten, die meinen, sie könnten es mit ihrem Gewissen nicht
vereinbaren, andere um die Ecke zu bringen oder einfach mit Tö-
tungsgerät zu hantieren. Im Gegenteil - die Vertreter des Staates
verlassen keinen Augenblick die Position der p r ü f e n d e n
I n s t a n z, auf deren Seite das Recht ist. Den Verweigerer
nehmen sie nicht als einen, der triftige Einwände gegen die
Kriegskunst vorbringt, so daß aus diesen Einwänden Konsequenzen
für das Kasernenwesen fällig sein könnten. Sie reden mit ihm auch
nicht über das Für und Wider der nationalen Bewaffnung, sondern
über seine Glaubwürdigkeit. Umgekehrt geht es dem Verweigerer -
zumindest in seinem Verfahren - nicht um ein Urteil über das
Kriegshandwerk, sondern um seine höchstpersönliche
E i n s t e l l u n g zum Schießen. In der Berufung auf s e i n
Gewissen will er gerade nicht die Be- und Verurteilung des Mili-
tärs geltend machen; und als a l l g e m e i n e s Urteil über
eine Sache, das auf Überzeugung dringt, ist keine seiner Einlas-
sungen vorgesehen. Das einzige, wovon er "überzeugen " muß, ist
das Bekenntnis, daß er in der leidigen "Gewaltfrage" den Part des
Betroffenen spielen will. Den anderen Part spielt sein Staat un-
gerührt weiter und kritisiert praktisch den Gewissenswurm. Er
verdonnert ihn dafür, daß er mit seiner Besonderheit in einer
Staatsbürgerpflicht säumig wird, zum alternativen Dienst.
Insofern ist das ganze Hin und Her ein Beispiel dafür, wie in der
Welt von Recht und Pflicht ein Kritikverbot inszeniert wird.
2. Zu Deiner ersten "Sorte von Kritik", die sich an der Korrektur
von M i t t e l n zu schaffen macht: Diese Veranstaltung können
die Kritisierten allemal getrost über sich ergehen lassen.
Schließlich teilt der Kritiker ja höchstförmlich das Anliegen
seines Adressaten, und die einschlägigen Streitereien dienen al-
lesamt dem gründlichen Vollzug derselben Sache.
Leider ist dergleichen unter dem schönen Titel "konstruktive Kri-
tik" gerade in der Sphäre der Politik und Wirtschaft zum Impera-
tiv erhoben worden. Die Gnade, überhaupt etwas vermelden zu dür-
fen, hat ein mündiger Bürger damit zu honorieren, daß er seinen
Willen zu "Alternativen " unter Beweis stellt. Das tut er ganz
locker dadurch, daß er die Programmpunkte der Zuständigen über-
nimmt und als eine N o t w e n d i g k e i t anerkennt. So
"weiß" heute jedes besinnungsaufsatzende Schulkind, daß es in
Bonn um Frieden, Arbeitsplätze und Umwelt, beim Staatshaushalt
ums Sparen geht. An den einschlägigen "Maßnahmen" und
"Initiativen" darf es dann wohlformulierte Zweifel in bezug auf
ihre Tauglichkeit zusammensuchen. Die Medien machen es jeden Tag
vor, wie das geht. Und gelangen, erstaunlicherweise in Einklang
mit der kritisch begutachteten Herrschaft, immerzu zu demselben
Ergebnis. In allen vier genannten Hauptposten des nationalen Re-
gierungsgeschäfts nichts wie "Versäumnisse", "Halbheiten" und
"Scheitern". Und regelmäßig lauter "gute Gründe" dafür, daß Bes-
seres leider (noch) nicht zu haben war: Die ganze Welt, von der
Kompromisse fordernden Parteienkonkurrenz über die Marktlage bis
zu denen im Ausland, marschiert als Entschuldigungsgrund dafür
auf, daß die unanfechtbaren Ziele nicht zu realisieren gehen.
Der MSZ fällt dazu seit geraumer Zeit immer dasselbe ein. Zumin-
dest im Bereich der Politik ist Deine erste "Sorte von Kritik"
nur ein schön inszenierter Schein, genauer gesagt: eine
g e w i s s e n h a f t e H e u c h e l e i. Zielsetzungen,
welche aufgrund von "Sachzwängen" gar nicht gehen, gibt man näm-
lich auf. Irgendwann haben es die Naturwirte ja auch unterlassen,
ausgerechnet aus Porzellan Gold machen zu wollen. Wenn die Poli-
tiker das anders halten, so stehen ihre Programme für den Titel
einer guten Absicht, der ihre Handlungen allemal dienen, wenn-
gleich sie ganz andere Z w e c k e vollziehen. Anders aufge-
löst: Es gibt auch noch das logische Hilfsmittel eines Schlusses,
und zwar von den Mitteln auf die dazugehörigen Zwecke. An dem
hindern sich freilich all diejenigen Kritiker, die sich aus Um-
welt und Frieden, Arbeitslosigkeit und Staatsschulden ein Gewis-
sen machen und damit der Heuchelei der Macher schon vor jeder
Prüfung ihrer Taten recht geben.
3. Von wegen "Tatsachen plus Moral = Kritik"! Dieses Verfahren
bringt so schnell keiner hin; und wenn er es versucht, wird er
stets auf die Frage stoßen, ob er nicht einen frommen Wunsch mit
"Zuständen" konfrontiert, die die eine oder andere
N o t w e n d i g k e i t auf ihrer Seite haben. Dann wird er
zwar zum Verfechter lauter besserer Absichten, zum guten Menschen
eben, der sich im Konditional alles anders vorstellt. Aber zum
Kritisierten wird e r darüber. Die einschlägigen und billigen
Zurechtweisungen lauten "unrealistisch" und "utopisches" Wunsch-
denken.
D i e s e n Vorwurf kann man sich durch eine dritte "Sorte von
Kritik" ersparen, die bei Dir gar nicht vorkommt. Wenn es schon
unter den maßgeblichen Parteigängern der "Realität" üblich ist,
sich auf "Notwendigkeiten" und "Sachzwänge" zu berufen, dann
sollte man sich über diese erst einmal Rechenschaft ablegen. Sich
also ein Wissen verschaffen darüber, warum welche Zwecke und Mit-
tel zum gültigen Programm geworden sind. Dann braucht man zum
Vergleich auch keine M o r a l mehr. Das I n t e r e s s e
reicht da völlig aus, zumal es auch - am Wissen über die Gründe
gemessen - Aufschluß über die einzig "realistischen", weil not-
wendigen Wege der Veränderung gibt. Gewisse Feindseligkeiten
bleiben allerdings bei diesem Verfahren nicht aus.
Aber die moralischen "Traumtänzer" (Strauß, Zimmermann, Wörner
etc.) landen ja auch im Verfassungsschutzbericht.
MSZ-Redaktion
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