Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR KDV - Dienst bleibt Dienst
zurück
Kriegs-Dienst-Verweigerung
DIENST BLEIBT DIENST
Das Bundesverfassungsgericht befaßt sich mit der Rechtmäßigkeit
des Wendegesetzes zur Kriegsdienstverweigerung. Daß von der Ver-
längerung des Zivildienstes und der prinzipiellen Erschwerung des
Anerkennungsverfahrens etwas zurückgenommen wird, ist nicht zu
erwarten, denn das Gericht hatte bereits mit seinem letzten Ur-
teil festgestellt, daß Gewissensprüfung sein muß und diese so
aussehen könne wie jetzt realisiert.
Die SPD will den Zivis das Leben auch nicht erleichtern. Das
steht mit ihrer Oppositionsauslegung von Gerechtigkeit fest: Die
"Kumulation" von möglicher mündlicher Befragung und Dienstzeit-
verlängerung verstoße gegen das "Übermaßverbot", weil sie das Ge-
wissen gleich zweimal auf die Probe stelle. Wirklich sehr unge-
recht: Der Preis für eine Eisenbahnfahrkarte stört mich nicht,
aber wenn sie dann zweimal vom Schaffner kontrolliert wird, dann
geht mir doch der Hut hoch!
Eine zweckmäßige Ausnahme
-------------------------
Mit dem Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgrün-
den zu verweigern, erlaubt der Staat eine individuelle Ausnahme
von der Pflicht zur Vaterlandsverteidigung. Nicht recht gegeben
wird damit einem Menschen, der eine Kritik an den Taten, Absich-
ten und Feindbildern der Politik hätte - es muß schon das Gewis-
sen, der Unsinn einer "abstrakten, nicht situationsbezogenen
Grundentscheidung" sein. Nicht erlaubt ist aber auch, daß so ein
Gewissen jetzt an seiner prinzipiell kriegsbereiten Obrigkeit An-
stoß nähme - seine Urteile dürfen nur die eigene Person und deren
ganz privaten Seelenfrieden betreffen. Und erst recht nicht ge-
meint ist, daß sich einer der staatlichen Inanspruchnahme von Le-
ben und Gesundheit im Ernstfall entziehen könnte -
"Die Gewissensentscheidung richtet sich dagegen, einen anderen
töten zu müssen; das eigene Leben einsetzen zu müssen für den an-
deren oder für die Gemeinschaft, kann mit dem eigenen Gewissen
nicht in Widerspruch stehen. " (Geißler)
Der ideale Kriegsdienstverweigerer ist also einer, der sich zu
dem jämmerlichen Standpunkt "i c h k a n n n i c h t
t ö t e n", was etwas anderes ist als "ich w i l l nicht",
vorgearbeitet hat und erwarten läßt, daß er diese persönliche Un-
tauglichkeitserklärung unter allen Umständen wahr macht. Mitglie-
der dieser Minderheit werden genauso wie andere Spinner, Kranke
oder Kriminelle in jeder Armee der Welt für störend erachtet und
folgerichtig ausgemustert oder gesondert behandelt. Demokratische
Staaten allerdings rechnen sich diese Zweckmäßigkeitsüberlegung
noch zur Ehre an, heucheln also Respekt vor der Gewissensqual
einzelner, wo sie lässig mit der Erzeugung von Millionen Leichen
kalkulieren. Dies gilt insbesondere für die BRD, die, zwecks
leuchtendem Kontrast zu rüden Nazi-Praktiken, die Sache gleich
unter die Grundrechte aufnahm. Allerdings: Heutzutage geht es um
mehr als die Handvoll religiöser Außenseiter, an die die Väter
der Verfassung dachten.
Wenn die Wende-Regierung den Erfolg ihrer Neuregelung der Kriegs-
dienstverweigerung wie folgt bilanziert:
"- Rückgang der Verweigerungszahl von rund 68.000 (1983) auf
45.000 (1984) - Erhöhung der Zivildienstplätze auf 60.000 bei ei-
nem Ziel von 80.000",
dann bekennt sie sich zwar ausdrücklich zur Priorität des Wehr-
dienstes, versucht aber deswegen noch lange nicht, das Verweigern
wieder zu der Rarität zu machen, die es bis zum Ende der 60er
Jahre war. Denn die angestrebten 80.000 Plätze sollen zwar den
potentiellen Verweigerer mit einer abschreckenden Perspektive
konfrontieren - keiner kommt um den Dienst herum -, beinhalten
aber Tätigkeiten, die keineswegs eigens dafür erfunden wurden.
Es g i b t Verwendung für diese jungen Idealisten. Sie dürfen,
beinahe zum Nulltarif, disziplinpflichtig und sehr gewissenhaft,
dem Staat bei der kostengünstigen Erledigung seiner sozialen Auf-
gaben helfen. Und die "Schaffung" von Zivildienstplätzen besteht
darin, sie zu einer erheblichen und deshalb auch geplanten und
unentbehrlichen Größe in der Personalausstattung der einschlägi-
gen Institutionen zu machen.
Dieser angenehme Aspekt der leidigen Sache wurde von der sozial-
liberalen Koalition entdeckt, als das Verweigern in jenen Reform-
tagen populär wurde. Und neben dem Verwaltungsapparat zur Benut-
zung dieses Potentials fiel der damaligen Regierung folgerichtig
auch die sogenannte "Postkartenlösung" der Gewissensprüfung ein.
Der junge Mensch sollte einfach mitteilen dürfen, ob er lieber
militärisch oder sozial dienen wollte. Diese Freiheit der Wahl
wurde von den Karlsruher Richtern auf Antrag der CDU/CSU, aber
ohne große Schmerzen der SPD, gekippt: Dem schönen Konzept der
zweigestaltigen Pflicht fehlte der verfassungsmäßige Vorrang des
Kriegsdienstes. (Merke: Verfassung ist nicht, daß man sich gegen
den Staat was rausnehmen darf.) Diesem Vorrang wird im neuen,
derzeit gültigen Gesetz auf zweierlei Weise Rechnung getragen.
Erstens dauert der Zivildienst um ein Drittel länger als der
Wehrdienst, was, entgegen der offiziellen Kommentierung nicht
"die Spreu vom Weizen", soll heißen den echten Gewissensnotstand
von der Berechnung, sondert, aber sehr wohl das Ergebnis der Be-
rechnung zu beeinflussen geeignet ist. Es wird ganz einfach der
Preis erhöht, der für die Vermeidung des Barras zu zahlen ist.
Zweitens muß der Antragsteller statt einer Postkarte einen or-
dentlichen Aufsatz über seine Beweggründe schreiben. Das erfor-
dert zwar auf seiner Seite weder mehr Besinnung noch Ehrlichkeit,
unterwirft ihn aber der F o r d e r u n g nach Glaubwürdigkeit
und gibt dem Staat den gewünschten Ansatzpunkt, das Verweigerer-
aufkommen nach seinen Vorstellungen mit Ablehnungsbescheiden,
Verhandlungen etc. zu steuern. Konsequenterweise hat der zustän-
dige Minister selber gleich mehrfach ausposaunt, welche Argumente
im Antrag vorkommen müssen und welche es nicht dürfen; so sind
die einzigen anerkennenswerten Gründe zugleich keine höchst per-
sönlichen Gewissensgründe und um so leichter in Zweifel zu zie-
hen.
Eine alternative Pflicht
------------------------
Der staatlichen Handhabung der Ausnahme von der Wehrpflicht ent-
spricht leider auch der Geisteszustand der Leute, die diese Aus-
nahme sein wollen: Sie begreifen den Zivildienst durchaus als Al-
ternative innerhalb der ihnen nun mal auferlegten Pflicht. Zwar
ist dafür gesorgt, daß sich handgreifliche Vorteile ganz gewiß
nicht einstellen, aber es gibt auch dringende Bedürfnisse anderer
Art:
"Trotzdem: Ich glaube nach wie vor, daß der Zivildienst für mich
eine persönliche Bereicherung ist. Und wenn ich mir heute vor-
stelle, daß ich mich von einer aufgeblasenen Uniform sinnlos her-
umkommandieren lassen müßte, anstatt mit der blinden Regine durch
den Vogelpark zu spazieren, so kommt mir das wie zwei verschie-
dene Welten vor. Mit der meinen bin ich eigentlich ganz zufrie-
den. " (Erfahrungsbericht eines Zivis, aus der Dokumentation von
K. Pokatzky)
Diesem Kriegsdienstverweigerer erscheint es bei seiner Abwägung
nicht der Rede wert, daß er nichts hält von Atomwaffen und Rake-
ten, Verteidigungsauftrag und NATO-Strategie. Oder schlimmer: Für
ihn ist das alles genau dasselbe wie die Vorstellung von einem
albernen Militärpopanz. Was er als Rekrut erlebt hätte, die Aus-
bildung, Übung, Disziplin, erscheint ihm als sinnlos. "Wahnsinn",
der meinem Sinn für Sinn nicht entspricht, heißt der Lieblings-
vorwurf solcher Leute gegen das moderne Kriegshandwerk. Pazifi-
sten werden sich selbst zum Thema, wenn sie die Behauptung, das
Militär und seine Aufgabe einfach nicht einsehen zu können, zum
Argument erheben. Für mich ist das nichts, mit mir persönlich
verträgt sich sowas nicht, lautet der Beschluß solcher Friedens-
freunde, die bei sich selber die Gründe für oder gegen den Krieg
suchen und finden. Das beginnt mit der Stilisierung der eigenen
Person zu einem leibhaftigen Gegenteil von "Aggressivität" und
vermag sich die weltanschauliche Differenz zum Militär noch an
den letzten Trivialitäten von Umgangston und Kleiderordnung zu
beweisen; selbst Tierliebe ist schon gegen die Bundeswehr einge-
wendet worden.
Dieser Vergleich von Bundeswehr und privater Selbstdeutung ist
zwar nicht der berühmte "Gewissensnotstand", aber offenbar nahe
genug daran, um praktische Konsequenzen zu zeitigen. Wer sich
selbst als Mann der Friedfertigkeit und des Verständnisses sehen
will, erhält im Zivildienst eine Gelegenheit zu entsprechender
Selbstverwirklichung. In Opposition zur "sinnlosen Welt" der Ge-
walt darf er sich eine "sinnvolle Welt" menschlicher Zuwendung
und Hilfe zurechtlegen. Und um ein Zurechtlegen handelt es sich
allemal. Die Qualität der Urteile, die Zivildienstleistende über
die soziale Abteilung des Staates fällen, entspricht genauestens
dem, was sie über die Vaterlandsverteidigung denken.
Getreu dem Prinzip moralischer Selbstbestätigung, daß das Elend
die beste Gelegenheit für Wohltätigkeit ist, kümmert sie die
Frage wenig, woher denn all die Hilfsbedürftigkeit stammt, mit
der sie befaßt sind. Und die Realitäten der Irren-, Krüppel- und
Altersheime lassen sie auch nicht an deren fundamentaler Sinnhaf-
tigkeit zweifeln. Jedes Detail des Vollzugs in solchen Einrich-
tungen beweist, daß der Staat hier die kostengünstige Verwaltung
funktionsunfähiger Individuen bezweckt, also gewissermaßen zu
verhindern versucht, daß der Normalbürger, wenn er morgens in
seine Arbeit eilt, einen Toten vor der Haustür findet. Aber einem
Zivi beweist das alles, daß es ihn und seine Einstellung braucht:
"Basteltips für Zivildienstleistende: Hilfsmittel für Behinderte.
Ausgeklügelte industriell gefertigte Geräte werden nur bezahlt,
wenn sie unbedingt notwendig sind. Außerdem muß man sich noch
durch die Verwaltung bohren. Primitive selbsthergestellte Geräte
fördern die Geschicklichkeit des Benutzers, sind individueller
und strahlen Spontaneität aus..." (Der Zivildienst, 11/1983)
Klagen werden von Zivildienstlern häufig geäußert, aber sie be-
treffen nicht die Zustände, die sie vorfinden. Und erst recht
nicht die psychischen und physischen Härten, denen sie selber
ausgesetzt sind, sondern eher deren vermeintliche Abwesenheit.
Die Entdeckung, daß sie oftmals einen Arbeitsplatz ausfüllen, wie
er auch ohne sie üblich ist, empfinden sie als Widerspruch gegen
ihr Engagement, und sie beschweren sich über Routine und Lange-
weile. Keine Sorge, Minister Geißler bemüht sich unablässig,
"laue Jobs" durch solche zu ersetzen, bei denen einem wirklich
schon mal schlecht werden kann.
Solcherart um sich selbst besorgt, hat ein Kriegsdienstverweige-
rer mit der laufenden Politik nur dies zu tun, da er sich ihr un-
terwirft und noch alle möglichen Ideale von einer lebenswerten
Republik dazuerfindet. Wenn die Friedensbewegung das Verweigern
propagiert, "weil nur so der einzelne einen wirksamen Beitrag zur
Verhinderung der atomaren Katastrophe leisten kann", dann setzt
sie falsche Vorstellungen in die Welt. Denn erstens ist schon mit
dem Anerkennungsverfahren dafür gesorgt, daß auf diesem Wege nie
und nimmer der Bundeswehr die personelle Basis entzogen werden
kann. Und wenn man zweitens demonstrieren will, daß man etwas ge-
gen die NATO-Politik hat, dann soll man eben diese seine Gegner-
schaft demonstrieren. Anstatt dem Bundesamt für Zivildienst
brieflich darlegen, daß man ein besonders sensibles Würstchen,
aber mit um so mehr Mitmachertugenden ist.
***
Ein Gewissensgrund
------------------
"Wegen Tierversuchen nicht zur Bundeswehr
Erstmals in der Geschichte der Bundeswehr verweigern vier Wehr-
pflichtige den Dienst an der Waffe wegen Tierversuchen der
Streitkräfte. Der Münchner Rechtsanwalt der jungen Männer, Heinz
Heidrich, berichtete gestern in Wiesbaden, seine Mandanten lehn-
ten den Wehrdienst aus Gewissensgründen ab, da sie keine Tierex-
perimente billigen könnten. Die Versuche der Bundeswehr dienten
nicht der Verteidigung, sondern der Erprobung von Waffen und
Kampfstoffen zur Vorbereitung eines Angriffskrieges."
(Weserkurier, 5.1.)
Daß das eigene Leben nie und nimmer ein Argument dafür hergibt,
sich dem Dienst an der Nation zu verweigern, haben diese jungen
Menschen ja offensichtlich kapiert, und das fremder Russkis schon
gleich gar nicht. So weit, so schlecht. Bloß, ob Schweine, Hunde;
und anderes Viechzeug in puncto schützenswerten Lebens das Gelbe
vom Ei sind, ist sehr die Frage - schließlich sind ja auch Rob-
benbabies und Leoparden als verteidigenswerte Güter längst out.
Wie wär's denn mit Wald und Flur, den deutschen, die die Panzer
so ganz ohne ehrenwerte Verteidigungsabsicht und ohne Abgasent-
giftung planieren?
zurück