Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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ABC des dritten Weltkriegs
Den Nutzen einer MSZ-Serie über Perspektiven des Dritten Welt-
krieges sehen wir, ohne Umschweife, als äußerst beschränkt an.
Perspektiven hat der Dritte Weltkrieg nämlich nicht anzubieten.
Allein die Tatsache, daß der kostbare Platz der MSZ mit Labereien
über Themen wie: Zu was ist der "Tornado" gut? Was ist der Zweck
der Bundeswehr? Wie funktioniert ein Atomkrieg? Kann der Westen
das Gleichgewicht noch halten? Haben die Russen schon genug? usw.
verschwendet werden muß, ist ein Skandal. Ausnahmsweise geben wir
der Behandlung dieser Fragen, die keine Antworten verdienen,
durch den Feind vollständig recht, abzüglich der kleinen unab-
dingbaren Lüge, bei diesen Erörterungen ginge es um die Sicherung
des Friedens. Abgesehen von den für Kriegsführung absolut notwen-
digen Geheimnissen verhandeln unsere Militärs ganz öffentlich
über taktische und strategische Fragen des nächsten Weltkrieges.
Und wer wollte den Militärs daraus einen Vorwurf machen, daß sie
neben ihrer vom Auftrag diktierten Ehrlichkeit auch noch das
glatte Gegenteil behaupten, solange Intellektuelle beim Anblick
eines Panzers anfangen, über die Sinnlosigkeit des Krieges und
die Aggressivität der Menschennatur zu philosophieren?
I. DIE BUNDESWEHR
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A. Die Ideologie
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Ohne Zweifel ist die Bundeswehr die größte deutsche Friedensarmee
und die friedlichste deutsche Großarmee aller Zeiten - jedenfalls
ist das die einzig zulässige Meinung über sie, und daran wird
sich in unserer linientreuen Republik gehalten. Die offizielle
Sprachregelung lautet: Unsere Wehrmacht ist dazu da, nie einge-
setzt werden zu brauchen; sie hätte ihren Kampfauftrag verfehlt,
wenn sie ihn je erfüllen müßte; also ist jeder Mann und jede
Waffe ein Stück Friedensgarantie. Und dieser dialektische Gedanke
dient keineswegs nur Politologenhirnen zur Erbauung: bis zum
letzten Rekruten prägt er das Selbstverständnis unserer demokra-
tischen Armee.
Kein Wunder, daß das bei schlichteren Gemütern zu mancher Verwir-
rung führen muß. Denn den normalen staatsbürgerlichen Gedanken,
daß die eigene bewaffnete Macht allein für den edlen und mora-
lisch unanfechtbaren Zweck der Verteidigung bereitsteht, den be-
herrscht zwar ein jeder halbwegs erwachsene Mensch bei uns. Es
gehört zum Grundbestand staatsbürgerlicher Vernunft, von den mi-
litanten Absichten der eigenen Herrschaft, bloß weil es die ei-
gene ist, zu abstrahieren und deren Fähigkeit zum Krieg für so
etwas Ähnliches wie die eigene Armeskraft zu halten, umgekehrt
dem Feind jegliche böse Angriffsabsicht zu unterstellen, bloß
weil die eigene Herrschaft ihn zum Gegner erklärt hat, und an
dessen Militär die gediegene Vorbereitung eines oder mehrerer
Völkermorde zu erkennen. Denn das gehört nun einmal dazu, um ei-
nem Staat die Treue zu halten, der für s e i n e Verteidigung
seine geliebten Bürger in den Tod schickt und dafür alles Nötige
vorbereitet.
Über diesen schon ziemlich ungeheuerlichen Trost geht die Ideolo-
gie der Bundeswehr aber weit hinaus. Sie möchte allen Ernstes so
verstanden werden, als wäre ihre Kampfkraft der größte Bluff der
Weltgeschichte und die Kriegs v e r h i n d e r u n g durch
"Abschreckung" ihr höchster und letztlich einziger Daseinszweck.
Dabei läuft die ganze Logik der "Abschreckung" darauf hinaus, dem
Gegner seine unterstellten Angriffsabsichten dadurch zu vermie-
sen, daß man ihm überlegen ist; d.h. also für den Kriegsfall auf
Sieg zu kalkulieren und damit für die eigene Seite die Freiheit
zu reservieren, allein und ohne "Sachzwang" von der anderen Seite
über die Aufnahme von Kampfhandlungen zu entscheiden - kurzum,
mit möglichst viel und schlagkräftigem Material die Rolle des An-
greifers für sich zu monopolisieren: Alle Vorkehrungen dafür zu
treffen, um s e l b s t zu gewinnen ist die Wahrheit der Ideo-
logie, daß heutzutage keiner mehr gewinnen könne, weshalb ein
Krieg eigentlich unmöglich sei.
Und diese Wahrheit des Militärs, auch des eigenen, kriegt der
einfache Soldat natürlich irgendwie ganz praktisch mit - damit
aber auch das Verrückte an der dialektischen Parole von der
Kriegsverhinderungsarmee. Deswegen schlägt er sich entweder auf
die Seite der ihm abverlangten ehrlichen Kampfbereitschaft, ba-
stelt sich nach ungebrochener Überlieferung sein Feindbild und
gewöhnt sich an die Sorte Faschismus, ohne die die Bereitschaft
zum Opfer fürs Vaterland nun einmal nicht geht. Oder er sieht den
mit der permanenten Kampfbereitschaft für ihn verbundenen Zwang
nicht so recht ein und fällt durch mangelnde Moral unangenehm
auf. Vorsorglich muß sich jeder auch schon 'mal von einem so li-
beralen Bundespräsidenten wie Scheel daran erinnern lassen, daß
so das goldene Wort von der Friedensarmee natürlich nicht gemeint
sei, "Verteidigungsbereitschaft" vielmehr auch bei uns eine posi-
tive innere Einstellung zum Krieg verlange:
"Der schwierige Gedanke der Abschreckung...: Die Erziehung zum
Frieden schließt die Bereitschaft ein, dafür auch in den Krieg zu
ziehen."
Gründe, aus denen die Bundeswehr etwas wirklich anderes wäre als
jede normale Armee eines normalen demokratischen Staates mit
weltweiten Interessen von einer gewissen Brisanz, sind also nicht
auszumachen. Dann muß es aber wohl Gründe geben, aus denen sie
dermaßen penetrant ihren angeblichen Pazifismus herausstreicht.
Sollte denn wirklich noch immer, ein halbes Menschenalter seit
Hitlers Krieg und nachdem die Nachkriegszeit schon mehrfach für
nun endgültig vergangen erklärt worden ist, das alte antifaschi-
stische "Nie wieder Krieg!" der Gründerjahre der Republik her-
überwirken? Sollte womöglich die unmittelbare Nachbarschaft des
Feindes, verharmlosende Sprachregelungen angeraten sein lassen?
Eines Feindes, dessen ostdeutschem Vorposten die BRD immerhin
nach wie vor die ganz richtige Souveränität abspricht und dem man
in jeder Friedensfreiheitswohlstandsrede die Auskunft erteilt,
daß seine Existenz im Widerspruch zu den Prinzipien des eigenen
Staatswesens steht, was als prinzipielle Kampfansage ja wohl un-
mißverständlich ist. Oder ist es etwa ganz einfach so: daß die
Bundeswehr etwas z u v e r b e r g e n hat...?
B. Kampfauftrag und Kriegsziel
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Selbst dann, wenn unsere Generäle Klartext reden, brechen sie
sich vor lauter ideologischem Pazifismus beinahe die Zunge ab
eine Kostprobe:
"Die stärkste Panzerabwehr(!)waffe ist der Kampfpanzer, der
zugleich Rückgrat des taktischen Gegen(!)angriffs im Rahmen der
Defensiv(natürlich!)strategie des Bündnisses ist." (Weißbuch
1979)
Ganz in diesem Sinne hieß das strategische Ziel der bundesdeut-
schen Wehrmacht von Anbeginn an "Vorwärtsverteidigung", im Zuge
der Entspannungspolitik sozialliberal umformuliert in "Vornever-
teidigung". Dieses hübsche Bild will nicht sagen, daß die
Bundeswehr aufpassen muß, sich im Einsatzfall nicht selbst im Weg
zu stehen, sondern soll ein außerordentlich hochgestecktes
Kriegsziel ausdrücken.
Grundlage - und nicht etwa das Ende - aller strategischen Planung
für die Bundeswehr ist der Umstand, daß die BRD unter strategi-
schen Gesichtspunkten ein einziges Ärgernis darstellt:
"Die geostrategischen Gegebenheiten unserer Lage können für ein
Land kaum ungünstiger sein. Erinnern wir uns:
1. Wir haben eine gemeinsame Grenze mit Staaten des Warschauer
Pakts von über 1400 km Länge.
2. In einem nur 100 km breiten Raum westlich der innerdeutschen
Grenze sind 25% unserer Industrie angesiedelt, und es leben dort
30% unserer Bevölkerung in Großstädten wie Nürnberg, Hannover,
Hamburg." (Generalinspekteur Brandt)
Ein Glück nur, daß die Bundeswehr nicht auch noch Westberlin zu
verteidigen hat!
Strategisch also eine einzige Fehlkonstruktion, dieses Land. Aber
auch ein Militär wächst mit seinen Aufgaben. Die adäquate Antwort
auf den "Mangel an strategischer Tiefe", in der man den als An-
greifer gedachten Feind abfangen kann, heißt schlicht: ihn gar
nicht erst hereinlassen.
"Wir können den Raum, den wir notfalls verteidigen wollen, nicht
vorher aufgeben." (Generalleutnant Hildebrandt)
oder genauer:
"Die NATO kann die Tiefe des Raumes nicht als Waffe (!) benutzen"
(wie dumm!!) (Wehrkunde 11/77)
Also, gegen alle Zweifler und Nörgler auch in der Bundeswehr:
"Verteidigt wird vor Hamburg und Kassel!"
Bloß, wie macht man so etwas, wenn man daran festhält, daß der
Feind der Angreifer ist und nicht man selbst? Hören wir nochmal
unseren Generalleutnant:
"Im Falle eines Konflikts müssen wir uns deswegen vorne mit aller
Kraft und von Anfang an mit großer Beweglichkeit und Wendigkeit
der Führung verteidigen." (Hildebrandt)
Zu solcher "Wendigkeit" gehört z.B. folgende Unterscheidung:
"Während die NATO-Truppenverbände den Kampf nur westlich der
Grenzen aufnehmen können, ist die Luftwaffe in der Lage, durch
Gefechtsfeldabriegelung in die Aufmarsch- und Bereitstel-
lungs(!)räume des Gegners zu wirken und den flüssigen Ablauf sei-
ner Operationen zu stören."
Und wer es nicht glaubt, daß der Präventivschlag zu den fest ein-
kalkulierten Mitteln bundesdeutscher "Vorneverteidigung" gehört,
der kann es sich auch noch einmal von General Schulze sagen las-
sen:
"Unser Ziel muß es sein, den gegnerischen Angriffsplan zu durch-
kreuzen, wenn er am verletzlichsten ist, nämlich beim Antreten
(!) zum Angriff, bevor der Angriff Schwung gewinnt."
Schon für dieses bescheiden formulierte Ziel - "hineinwirken",
"stören" - ist allerhand erforderlich, z.B. eine ständige Ein-
satzbereitschaft - für die die Bundeswehr auch tatsächlich ge-
rühmt werden darf: Journalisten, die den Auftrag haben, das Ge-
genteil zu beweisen, müssen sich schon einen Weihnachtsabend mit-
ten in Entspannungszeiten heraussuchen, um zu Gruselberichten
über die Verwahrlosung bundesdeutscher Gefechtsbereitschaft zu
kommen. Bereitschaft allein reicht aber natürlich nicht; denn
dummerweise enthält das Gerede über die "konventionelle Überle-
genheit" des Ostens ja etwas Wahres. Der Auftrag "Vornever-
teidigung" heißt also erst einmal: keinen Verlust an Territorium
- also: eine offensive Panzerschlacht (siehe die Definition der
Panzerwaffe im Weißbuch!); Erkämpfen der Luftherrschaft über dem
Schlachtgebiet, damit dieses auch wirklich im Lande des Gegners
liegt; Lahmlegung der "baltischen Flotte" des Gegners bereits in
der Ost-, spätestens in der Nordsee, jedenfalls noch ehe sie den
Atlantik erreicht und die "Nachschublinien" gefährdet. Also ein
umfassender Kampf von Spitzbergen bis zum Ararat, der auch mit
der strategischen "Lücke" im NATO-Mittelabschnitt fertig wird:
"Die Verteidigung unseres Landes wird dadurch gekennzeichnet, daß
ein zusammenhängender Abwehrkampf mit dem europäischen Südab-
schnitt der NATO nicht möglich ist. Die neutralen Staaten Schweiz
(!) und Österreich liegen zwischen der BRD und dem verbündeten
Italien." (Weißbuch 75)
- hallo Alpenfestung!
Den Nachschub wie die Operationsfreiheit im Rücken der voraus-
stürmenden Vorneverteidigungskräfte sichert das in der Öffent-
lichkeit zu Unrecht unbekannte "Territorialheer" (Heimschutz-
brigaden). Damit müßte sich dann doch das bundesdeutsche
Kriegsideal verwirklichen lassen, den Gegner zu schnellem
Einlenken zu zwingen. Denn:
"Wir wollen keinen längeren (!) konventionellen Krieg auf deut-
schem Boden, weil er genauso fürchterlich und genauso zerstöre-
risch wäre wie ein nuklear geführter Krieg" (eine interessante
Klarstellung von Militärseite über die Hoffnungen, die der Bürger
auf "seine" Verteidigung setzen darf!) ... Wir wollen aber (!) in
der Lage sein, mit konventionellen Mitteln den Warschauer Pakt zu
einer Verhandlungspause zu zwingen. Das heißt: Wir müssen einen
Abwehrerfolg erringen, der neue Verhandlungen möglich macht."
(Heeresinspekteur Poeppel)
Sie sind doch fröhliche Menschen, unsere Generäle. Sogar noch den
Befehl zu einem prompten Blitzsieg verstehen sie in der Diktion
unbedingtester Friedensliebe auszudrücken. Dabei sind ihnen nicht
nur die Wirkungen "konventioneller" Waffen von heute vertraut;
auch der Umstand ist ihnen nicht unbekannt, daß es dabei natür-
lich nicht wird bleiben können:
"Es geht dtm, von der ersten Stunde (!) eines Angriffs an, dem
potentiellen Gegner die Konsequenzen aus einer Eskalation im Ge-
brauch der Mittel zu demonstrieren." Und wie geht das? Natürlich:
indem man selbst als erster eskaliert: "Dazu gehört einerseits
die Fähigkeit unseres Bündnisses, im Rahmen der Triade flexibel
im notwendigen (?) Rahmen mit konventionellen, aber auch notfalls
(!) mit taktischen oder strategischen Nuklearwaffen zu reagieren.
Und dazu gehört auch die Fähigkeit, bereits mit konventionellen
Mitteln das kalkulierbare Verwirklichen von Angriffsplänen durch
eine flexibel, aktiv" (wozu soll denn das der Gegensatz sein?)
und beweglich geführte Verteidigung zu verhindern." (General-
leutnant Hildebrandt)
Letzteres dann wieder der Spezialauftrag, den die Bundeswehr vor
dem Szenarium zu erfüllen hat, das "notfalls" die extra so ge-
nannten "theatre nuclear forces", nämlich die atomaren Gefechts-
feldwaffen gehörig herrichten. Den erhofften Lohn ihrer Mühen
deuten unsere Militärs folgendermaßen an:
"Erfolg oder Mißerfolg der ersten Tage wird die Verläßlichkeit
der Satellitenarmeen entscheidend beeinflussen." (General
Schulze)
Auflösung des Warschauer Paktes als Frucht der ersten Kriegstage:
das ist das friedliche Ideal westdeutscher Militärplanung.
Das Ganze noch einmal ohne ideologische Sprachregelung.
"Verteidigung" bedeutet noch allemal, daß Bürger in großer Zahl
ihr Leben lassen müssen, um ihren Staat zu retten - in seiner Ei-
genschaft als Staatsbürger verteidigt zu werden, ist für einen
sterblichen Menschen heutzutage eine ziemlich sicher tödliche Sa-
che. Im Falle der BRD liegt die strategische Komplikation vor,
daß die Rettung des Staates, nach herkömmlichen Maßstäben ge-
plant, die alle eine gewisse "Tiefe des Raumes" einkalkulieren,
nicht mehr genügend Bürger leben läßt, daß die Regierenden hin-
terher noch Spaß am Regieren haben. Die Verteidigung der BRD
braucht deswegen aber keineswegs zu unterbleiben. Nur wird der
Verteidigungsauftrag an die zuständige Wehrmacht extrem: Sie hat
den Feind, möglichst auf dessen Gebiet, vernichtend zu schlagen
und gleichzeitig, natürlich auch in Feindesland, für ein hinrei-
chend breites Spektrum nuklearer "Demonstrationen" zu sorgen, so
daß dem Feind seine Unterlegenheit auch auf diesem Gebiet ein-
sichtig wird. Und das alles innerhalb kürzester Zeit. D a r a n
sollte man einmal die Propaganda von der angeblichen mehrfachen
östlichen Überlegenheit messen.
Worin dieser Auftrag sich von dem Plan zu einem Präventivkrieg,
also einem Angriffskrieg, unterscheiden soll, ist uns auch nicht
klar. Klar ist damit allerdings, daß die Bundeswehr mit einer
derartigen Aufgabe allein denn doch überfordert wäre - nicht zu-
letzt fehlt ihr ja die letzte Entscheidungsbefugnis über Bomben
und Munition für die nukleare Abteilung der "theatre forces";
aber auch für die konventionelle Schlacht reichen die 900000 Mann
des Heeres im Kriegsfall, obwohl sie durch 1,5 Millionen weitere
Reservisten immer wieder ergänzt werden können, nicht zuverlässig
aus. Das n a t i o n a l e Verteidigungsziel der BRD hat also
die Eigenart, daß es in n a t i o n a l e m Rahmen gar nicht zu
realisieren ist. Auch dies kein Grund, es zu lassen, im Gegen-
teil. Die nationale Verteidigung der BRD war von Anfang an ein
i n t e r n a t i o n a l e s Anliegen; und die westdeutsche
Kriegsvorbereitungspolitik setzt alles daran, daß sie das auch
bleibt.
C. Bundeswehr im Bündnis: Vorneverteidigung mit Raumtiefe
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Die politische Führung der BRD hat seit jeher umsichtig dafür
Sorge getragen, daß der geplante Verteidigungskrieg auch dann
keineswegs zuende zu sein braucht, wenn der Bundeswehr die Erfül-
lung ihres Siegauftrags nicht gelingt. Es soll sich wirklich kein
Bürger hinterher beschweren dürfen, er wäre nicht verteidigt wor-
den - wenn schon nicht im Feindesland, dann wenigstens bei sich
zu Haus, und wenn schon nicht durch deutsche, dann um so mehr
durch alliierte Soldaten und Waffen:
"Ein wichtiges Element unserer Verteidigungspolitik ist die Prä-
senz der Streitkräfte von sechs anderen Bündnispartnern auf unse-
rem Territorium. Sie sind Ausdruck des gemeinsamen Verteidigungs-
willens und zugleich Signal des Risikos für einen Aggressor.
Die Streitkräfte der USA auf unserem Boden bilden für uns die
wirksamste Verklammerung auch des strategischen Nuklearpotentials
der USA mit der europäischen Verteidigungskomponente."
(Generalinspekteur Brandt)
Da kann der deutsche Bürger doch gleich viel ruhiger schlafen,
wenn der ganze Westen sich zusammengetan hat, um seine Republik
zu beschützen - sogar die Franzosen sorgen sich um uns, wenn auch
erst ab der Pfalz. Auffällig allerdings, daß das Vertrauen auf
die Bündnispartner sich immer wieder in Mahnungen der folgenden
Art Luft macht:
"Die Anerkennung des Prinzips der 'Vorneverteidigung' im Bündnis
ist eine unabdingbare politische Voraussetzung jedes deutschen
Verteidigungsbeitrags und bildet damit eine Geschäftsgrundlage
unserer Mitgliedschaft im Nordatlantischen Bündnis." (wiederum
Generalinspekteur Brandt)
Den nationalen Egoismus im Kriegsfall zum internationalen Anlie-
gen zu machen, das ist eben eine schwierige Sache. Denn irgendwie
kann es ja gar nicht ausbleiben, daß die BRD sich damit von dem
nationalen Egoismus der Bündnispartner abhängig macht; und das
hat natürlich seine Nachteile.
Im Verhältnis zu den USA, der Führungsmacht des Bündnisses, be-
steht das strategische Problem darin, daß das nationale Verteidi-
gungsinteresse der BRD im Vergleich zu der strategischen Planung
der befreundeten Weltmacht nicht mehr als einen frommen Wunsch
bedeutet und von der Hoffnung leben muß, daß im Endeffekt beides
sich irgendwo deckt:
"Europäische Verteidigungspolitik muß... bereit sein, sich ameri-
kanischen Vorstellungen in einem gewissen Grade anzupassen;...
europäische Staaten können nur eine Verteidigungspolitik konzi-
pieren und realisieren, die mit den US-Verteidigungsinteressen in
Übereinstimmung gebracht werden kann. Diese Einschränkung ihrer
politischen Handlungsfähigkeit muß jede westeuropäische Regierung
in ihrem eigenen Sicherheitsinteresse hinnehmen, auch wenn es der
einen oder anderen Regierung schwerfällt oder sie es öffentlich
nicht zuzugeben wagt. Natürlich können die westeuropäischen Staa-
ten Ihrerseits erwarten(!), daß auch die USA Rücksicht auf euro-
päische Belange nehmen..." (General Ulrich de Maiziere)
Was der gute General da als prinzipielle Schranke autonomer euro-
päischer Kriegsplanung bemerkt -
"Damit haben sich die betreffenden Staaten eines ihrer wichtig-
sten Souveränitätsrechte begeben, nämlich der alleinigen und
letzten Entscheidung über den Einsatz ihrer bewaffneten Macht,
zumindest von wesentlichen Teilen ihrer Streitkräfte" -
das ist natürlich kein akademisches souveränitätstheoretisches
Problem; und ebensowenig trifft es zu, daß jede europäische Re-
gierung davon in der gleichen Weise betroffen wäre. Die ganze
Schwierigkeit liegt darin, daß die Logik der amerikanischen Stra-
tegie gebietet, Westeuropa und damit eben vor allem die BRD als
Vorfeld zu behandeln, also erstens mit dem Gebiet der BRD als
Schlachtfeld, zweitens als Feld für eine durchaus länger andau-
ernde, den Gegner zermürbende Schlacht zu kalkulieren:
"Wir sollten - abhängend von den Kosten - die Option haben, einen
nicht-nuklearen Feldzug auf unbegrenzte Zeit fortzusetzen" -
so sieht der a m e r i k a n i s c h e Annual Defence Report
die Lage, selbstverständlich ohne die "Option" auf einen ausgie-
bigen n u k l e a r e n Feldzug auf europäischem Gebiet preis-
zugeben.
Sogar noch in ihren liebevollen Beteuerungen ehrlichster Bünd-
nistreue lassen amerikanische Verteidigungsminister an ihrem
Standpunkt keinen Zweifel:
"Die US-Bereitschaft zum Einsatz in Europa ist nicht begründet
durch historische Bindungen oder durch die Tatsache, daß hier
seit 1945 rund 30 Milliarden Dollar investiert wurden, sondern
schlicht durch die Erkenntnis, daß Freiheit und 'american way of
life' nicht mehr das Gleiche wären, wenn Westeuropa von einer
Macht beherrscht wird, die den USA feindlich gesinnt ist. So ge-
sehen erkennen Verantwortliche bald, daß das NATO-Territorium
eine Einheit ist, die auch das Territorium der USA einschließt.
Der Atlantik trennt nicht, er ist Verbindung und Brücke." - nur
eben daß auf der einen Seite der "Brücke" die USA liegen und auf
der anderen Seite ihr Brückenkopf! (Schlesinger zu Lober laut
Generalinspekteur Brandt)
Das Ganze ist den Führern der deutschen Nation natürlich kein Ge-
heimnis; und als der derzeit Oberste noch in der Opposition war,
hat er sich sogar empört aufgespielt:
"Bei den Herbstmanövern der Nato 1960 in Schleswig-Holstein rech-
nete man infolge des Einsatzes taktischer nuklearer Waffen nach
48 Stunden mit 300.000 bis 400.000 Toten auf Seiten der Zivilbe-
völkerung. Was angesichts solcher Manöverergebnisse jeden unvor-
eingenommenen Beobachter überraschen muß, ist die Tatsache, daß
die deutsche Kritik an der Konzeption der Nato so überaus maßvoll
und zurückhaltend ist! ... Es ist unvorstellbar, daß es bei die-
ser Konzeption bleibt." (Helmut Schmidt 1961)
Das "Unvorstellbare" ist natürlich wahr geworden - und fand bei
demselben Herrn Schmidt bereits wenige Jahre später einen erheb-
lich "maßvolleren" Kommentar:
"Die unter der Überschrift 'Vernichtung Europas' behandelten Fra-
gen (?) der Verteidigung mit 'taktischen' Nuklearwaffen fallen
inzwischen in das schon mehrfach berührte Gebiet der innerhalb
der NATO umstrittenen strategischen Konzeptionen."
Aufgehört hat dieser "Streit" bis heute nicht - es ist auch gar
nicht abzusehen, wie das der Fall sein könnte.
Die Schlußfolgerung, dann doch lieber die Finger vom Verteidigen
zu lassen, folgt daraus aber noch lange nicht, schon gar nicht
für einen strategisch aufgeklärten sozialdemokratischen Kanzler.
Der praktische Schluß lautet genau umgekehrt: Die BRD muß sich
für die USA dermaßen nützlich machen, daß die USA die Rettung des
westdeutschen Territoriums für noch lohnender befinden als seine
Benutzung im Sinne von "Tiefe des Raumes als Waffe" und für einen
längeren Krieg im Vorfeld des großen Atomschlags: d e s w e-
g e n setzt die Staatsgewalt alles daran, die BRD nach
Möglichkeit zu einem einzigen riesigen Militärcamp sowie Raketen-
und Flugzeugträger der USA zu machen. Weiter: Die BRD muß für ihr
Konzept der "Vorneverteidigung" so viel tun, seine Erfolgsaus-
sichten dermaßen wahrscheinlich machen, daß der große Bruder es
auch im Ernstfall als Mittel für seinen Zweck, den Hauptfeind
verbluten zu lassen, akzeptiert und mit seinen Streitkräften un-
terstützt: deswegen ist das bundesdeutsche Militär so willig be-
reit, jede Hauptlast im NATO-Mittelabschnitt zu übernehmen und
sich in ein "konventionelles" Rüstungsabenteuer nach dem anderen
zu stürzen, so daß die BRD heute ein Waffenproduzent der interna-
tionalen Spitzenklasse und von den USA in diesem Punkt unabhängig
geworden ist. Und schließlich: Die BRD muß, um die Vormacht des
Bündnisses in beiden Punkten zu überzeugen, immerzu dafür sorgen,
daß die übrigen westeuropäischen Partner geschlossen hinter ihrer
Kriegsplanung stehen.
Und da hat sie viel zu tun. Denn wenn schon vom Standpunkt der
BRD aus das NATO-Bündnis das Mittel n a t i o n a l e r Vertei-
digungsplanung ist, indem dadurch nämlich die deutsche Grenze zum
internationalen Anliegen und so die "Vorneverteidigung" erst re-
alisierbar wird, dann gilt es immerzu darauf aufzupassen, daß die
Partner sich nicht die Freiheit herausnehmen, das internationale
Bündnisanliegen ihren nationalen Interessen unterzuordnen. So hat
Frankreich deutlich gemacht, daß es als Feld seiner Vornevertei-
digung die BRD einplant, weshalb seine Mittelstreckenraketen ent-
sprechend ausgerichtet sind. Bürde und Tugend des Oberaufpassers
im Bündnis lesen sich im Verteidigungsweißbuch 1979, programma-
tisch zusammengefaßt, folgendermaßen:
"Die Bündnisstaaten können auf bestimmte Probleme von Fall zu
Fall im Lichte der nationalen Interessen reagieren." Das ist zwar
ärgerlich; aber: "Dafür auch (!) Verständnis (!!) zu zeigen, ist
Teil richtig verstandener Bündnispolitik. Dabei muß allerdings
(!) in jedem Falle (!!) die Funktionsfähigkeit des Bündnisses er-
halten bleiben. Das Bündnis darf nicht zu einer Allianz unter-
schiedlichen Engagements und abgestufter Mitgliedschaft degene-
rieren."
Die BRD hat schon ihre Last mit ihren Freunden, die dummerweise
nicht so wie sie mit dem Osten noch eine offene "nationale Frage"
zu regeln haben, dem Hauptfeind weltweit als ökonomisch wie poli-
tisch potenter Konkurrent in die Quere kommen, mit jedem Ost-
blockstaat besondere handels- und entspannungspolitische Zwecke
verfolgen, im Ernstfall teils weniger interessant, teils weiter
weg vom Schuß sind - und deswegen am Konzept der
"Vorneverteidigung" ein elementares Interesse haben müssen. Da
muß die deutsche Militärpolitik sich schon die Freiheit nehmen
und sich um alles kümmern
- im Norden:
"Norwegen und Dänemark halten an ihren Vorbehalten gegen die dau-
erhafte Stationierung verbündeter Truppen und gegen die Dislozie-
rung von Nuklearwaffen im Frieden auf ihrem Territorium fest.
Aber auch in diesem Raum sind NATO-Manöver und rechtzeitige Zu-
fuhr von Verstärkungskräften aus Nordamerika und Großbritannien
ausschlaggebend für Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit des
Bündnisses."
wie im Süden:
"Die europäische Südflanke der NATO birgt strategische Probleme.
Politische Instabilität in den Ländern dieser Region könnte von
der Sowjetunion zum eigenen Vorteil genutzt werden. Das könnte
Rückwirkungen auf das Kräfteverhältnis Ost/West haben, zumal der
Südflanke eine wichtige strategische Aufgabe zufällt: Sperre ge-
gen ein Vordringen der Sowjetunion in den Mittelmeerraum, vor al-
lem in den Nahen Osten und an die nordafrikanische Gegenkü-
ste...", für die die BRD sich also auch noch zuständig fühlen
muß!
denn:
"Nord-, Süd- und Mittelabschnitte der NATO in Europa sind eine
strategische Einheit." (Weißbuch)
Bei bloßen Sorgen läßt die bundesdeutsche Bündnistreue es natür-
lich nicht bewenden. Die BRD ist auf allen Ebenen der Vorkämpfer
gegen Antiamerikanismus in Westeuropa. Den zivilisierten Nachbarn
im Norden und in der Mitte, die aus lauter innenpolitischer Rück-
sichtnahme ihre Bündnispflichten schleifen lassen, vor allem für
amerikanische Atombomben nicht die rechte Begeisterung aufbringen
oder sogar bei einem gemeinsamen Manöver unentschuldigt fehlen,
will diplomatisch auf die Füße getreten sein. Den unsicheren Kan-
tonisten und finanziellen wie politischen Schwächlingen im Süden
muß man anders kommen. Sie kriegen von der Bundeswehr die jeweils
zweitneuesten, gerade erst abgelegten Waffen geschenkt, dürfen
sich auch mit Sonderwünschen an die west-deutschen Waffenschmie-
den wenden. Bei ihnen wäre es auch ganz falsch verstandene Zu-
rückhaltung, wollte man ihnen ihre Innenpolitik ganz allein über-
lassen - also steht die BRD all den Türken, Griechen, Portugiesen
(und, wenn alles gut geht, den Spaniern demnächst innerhalb des
NATO-Bündnisses) mit demokratischem Rat, wirtschaftspolitischen
Diktaten und Geldern gar nicht einmal bloß für Militärisches zur
Seite. An Finanzen soll es nicht fehlen, wenn sich mit ihrer
Hilfe das "politische Umfeld" einer auswärtigen NATO-Streitmacht
"stabilisieren" läßt; und in der Frage, wer die Kaltstellung des
Volkes besorgen soll, ist die bundesdeutsche Demokratie sehr un-
dogmatisch.
D. Weltpolitik vom Standpunkt der Bundeswehr:
---------------------------------------------
"Abschreckung" universal
------------------------
Die strategische Kalkulation des bundesdeutschen Militärs läuft
darauf hinaus, über das NATO-Bündnis - plus Separatvertrag mit
Frankreich - die gesamte kapitalistische Welt in das "Vorwärts"
ihres Konzepts der "Vorneverteidigung" einzubinden, damit im Ide-
alfall des Notfalls der Sieg nach Tagen errungen ist, folglich
von der BRD noch genug zum Regieren übrigbleibt und womöglich der
atomare Vemichtungsschlag gar nicht mehr erst ausprobiert wird -
wenigstens nicht vom unterlegenen Feind. Es ist eine Kalkulation
auf Sieg im Blitzkrieg, die nur aufgehen kann, wenn sie zum in-
ternationalen Anliegen der "freien Welt" wird. Und das hat Konse-
quenzen über den Rahmen des Bündnisses hinaus.
Denn das ist ja klar: Nach dem Konzept "Abschreckung durch Über-
legenheit" ist der Sieg - pardon: der Friede am sichersten, wenn
d i e g a n z e W e l t wie ein Mann gegen den Hauptfeind des
Westens zusammensteht. Der Weltfrieden, so wie die BRD ihn sieht
und will, verlangt gebieterisch, daß nirgends auf der Weltkugel
der Sowjetunion ein Fußbreit Bewegungsfreiheit und die Gelegen-
heit zu "Überraschungen" gelassen wird - also weltweit eine so
gelungene "Eindämmung" des Hauptfeindes wie an der europäischen
Front. Leider sieht die Sowjetunion die Sache mit dem Weltfrieden
ungefähr genauso - bloß umgekehrt.
Gottlob sehen die NATO-Partner die Angelegenheit wiederum von
derselben Seite wie die BRD. In logischer Konsequenz der gemein-
samen NATO-Strategie enthalten die mächtigsten unter ihnen die
Hauptteile ihrer Streitkräfte dem gemeinsamen Bündnis-Oberkom-
mando vor, um sie im Rest der Welt, außerhalb des NATO-Bündnisbe-
reichs, wirksam werden zu lassen. Was umgekehrt bedeutet: Ameri-
kanische, französische und britische Flottenverbände und Ein-
greiftruppen bevölkern die Welt nicht bloß, um ihre nationale
Fahne aufzupflanzen, sondern im Interesse der gemeinsamen Sache.
So ist es also sehr gerecht und das Gegenteil von militärischer
Zurückhaltung im imperialistischen Weltgeschehen, wenn die BRD
wiederum ihren Verbündeten in Europa den Rücken freihält.
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