Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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MSZ Aktuell, Mai 1980
Demonstration zur Rekrutenvereidigung:
GROSSER ZAPFENSTREICH FÜR DEN ERNSTFALL
Das Ereignis
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Gestern abend in Bremen: 1200 junge Staatsbürger werden im Bremer
Weserstadion zusammengeholt, ohne daß sie vorher gefragt worden
wären, ob sie nichts Besseres vorhaben als sich zum Töten und Ge-
tötetwerden ausbilden zu lassen - und werden darauf auch noch
vereidigt. Im Namen der und für die Freiheit müssen sie geloben,
wann immer es der Regierung gefällt, ihren Kopf fürs Vaterland
hinzuhalten. Mit dem Schwur verkaufen sie nicht ihre Seele, son-
dern schlimmer noch, Leib und Leben für DM 6,50 pro Tag. Weil die
Zeit danach steht, findet die Sache öffentlich und mit allem Ge-
pränge des Kriegshandwerks statt. Der Bundespräsident kommt und
der Oberbefehlshaber aus dem Verteidigungsministerium. Es handelt
sich um einen Staatsakt, der veranstaltende Staat demonstriert
mit ihm, das, worauf er in diesen Wochen gesteigerten Wert legt.
Sein härtestes Machtmittel ist einsatzbereit. "Mitten im Frieden"
wird der nächste Krieg nicht nur vorbereitet - wozu ist der
Friede sonst auch da? -, als Feierstunde wird auch noch die Ent-
schlossenheit zum Vernichten und Vernichtetwerden propagiert. Und
keiner will merken, was gespielt wird - außer 10 000 Demonstran-
ten, die vor's Weserstadion ziehen. Und prompt sind Presse, Funk
und Fernsehen zugegen und entdecken einen Skandal. Sie meinen
nicht die Veranstaltung, gegen die da protestiert wird. In den
Tagesthemen des ARD-Fernsehens erklärt der Kommentator dazu: "Die
Demonstranten wollen nicht einsehen, daß die Unterhaltung einer
riesigen Kriegsmaschinerie und die Erklärung des Staates, sie
nicht für den Zweck zu benutzen, für den sie auf- und ausgerüstet
wird, k e i n Widerspruch ist." Recht hat der Mann! Wieso müs-
sen eigentlich die Rekruten s c h w ö r e n, für die Bundesre-
publik ihr Leben einzusetzen, wenn niemand daran denken würde,
sie auch beim Wort zu nehmen?
Die Störung
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Bei ihrem Protest gegen die Veranstaltung von gestern abend sind
die Demonstranten vor Gewaltanwendung nicht zurückgeschreckt. Das
hat ihnen Kritik eingebracht: 1. von den berufenen Hütern der
staatlichen Gewalt, also von denen, die darüber befinden, wann
eine "Organisation" legitimerweise Gewalt ausübt, und wann sie
zum "Verbrechertum" (Koschnick) gehört, und 2. auch von denen,
die nicht uneingeschränkt f ü r die Show gewesen sind.
Mußten die Demonstranten ihren Protest denn ausgerechnet auf
diese Weise vortragen? Wer so fragt, also so t u t, als gehöre
er eigentlich in die Reihen der Demonstranten, d e r muß sich
allerdings fragen lassen, wie denn sonst? Etwa am Eingang zum
Stadion in netter Form erklären, daß man es nicht so gut findet,
in einem Land leben zu müssen, das nach allen Verlautbarungen
Schlachtfeld des Dritten Weltkrieges sein wird? Hätten sie prote-
stieren sollen, indem sie höfliche Briefe an den Kanzler schrei-
ben, er möge doch bedenken, ob er seinen Krieg nicht doch noch
abblasen könne, oder wenn schon, ohne Beteiligung der Bevölkerung
fuhren möchte? Ausgerechnet dann, wenn der Staat beeiden läßt,
daß sein Zweck seine Mittel heiligt, sollen diejenigen, die was
dagegen haben, in der Wahl ihrer bescheidenen Mittel die Glace-
handschuhe anziehen?
Aus alledem folgt doch nur eines: w o in unserem Staat die
G e w a l t zuhause ist, und w e r die Leute sind, die mit Ge-
walt Politik machen. Das sind nämlich genau die, die sie machen -
und die, so man sie machen läßt, sich jede Kritik an ihrem Ge-
schäft verbitten, indem sie ihren Kritikern den Grundsatz vorhal-
ten: "Gewalt darf nie Mittel der Politik sein.". (Karl Carstens
ausgerechnet am Dienstagabend). Den dicksten Pflasterstein, der
gestern abend erhoben wurde, hielten doch ohne Zweifel Apel und
Carstens in der Hand; und zwar nicht nur in Gestalt der 1200 Re-
kruten, die dem Staat die Treue schworen, wie ihre Ehre immer
noch heißt, sondern die 500 000, die außerhalb des Weserstadions
immer noch einsatzbereit sind. Tatsächlich sind also Pflaster-
steine kein Mittel gegen eine Truppe, die über Panzer, Flugzeuge,
Zerstörer und nukleare Trägerraketen verfügt. Und wer Apel und
Carstens zwingt, mit dem Hubschrauber am Tatort zu landen, wird
die Phantomjäger und Leopardenpanzer nicht abfangen. Gegen die
Machtdemonstration der Armee ist die Demonstration gestern zwei-
fellos nur eine D e m o n s t r a t i o n der Ohnmacht gewesen.
Die Betroffenen
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waren zum größten Teil nicht bei, der Feier und bei ihrer Störung
anwesend. Teils verdankt sich das einer umsichtigen Regie - ins
Weserstadion kamen vor allen Dingen Reservisten -, teils dem Um-
stand, daß das potentielle Kanonenfutter zur Zeit vorwiegend an
einer anderen Front gebraucht wird und sich deshalb nicht nach
Feierabend auf öffentlichen Plätzen herumtreibt. Die arbeitende
Bevölkerung Bremens darf vorläufig noch im Fernsehen zuschauen,
wenn die Jugend der Nation antritt. Und wenn es so weit ist, wird
sich ihr männlicher Teil auch auf dem Felde der Ehre nicht zie-
ren. Es sei denn, er geht schon vorher drauf, noch ehe er Uniform
anziehen darf, weil er das Pech hat, in der "strategisch wichti-
gen norddeutschen Tiefebene" zu leben. Anwesend war das Bremer
Arbeitsvolk nur in der Rede des Herrn Bundespräsidenten: Die Bun-
deswehr verteidigt unser aller Freiheit, drohte er, und das muß
einem das Sterben schon wert sein. Auch die Freiheit der Demon-
stranten verteidigt die Bundeswehr! Schöner kann man es nicht sa-
gen, was die Freiheit ist. Auch wer für die BRD und ihre Demokra-
tie nicht verrecken will, wird mitgeschützt, ob er will oder
nicht.
Die Lehre
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aus den Ereignissen, des scheint sich Carstens sicher zu sein,
wird kaum jemand ziehen. Wie sonst konnte er, umgeben von 1200
Rekruten, im Namen einer waffenstarrenden Truppe, im Bündnis der
Nato mit ihrem nuklearen Potential, ausgerechnet gegen die Demon-
stranten ausrufen: "Mit Gewalt erreicht man nichts in unserem
Lande!" Daß die Polizei draußen vor der Tür mit Verstärkung aus
Niedersachsen und die Feldjäger im Stadion Demonstranten zusam-
menprügelten, war schon fast ein vergleichsweise, harmloser Ein-
satz der Gewalt, ohne die noch kein Staat etwas erreicht hat auf
der Welt, und unsere Bundesrepublik Deutschland schon gar nicht.
Freilich: bisher haben die USA die militärische Sicherung der
bundesdeutschen Freiheit miterledigt, allerdings nicht ohne bei
der Bundeswehr die vorläufigen "wirtschaftlichen" Beiträge zum
Freien Westen, der überall seine Soldaten hat, einzufordern.
Jetzt, wo die Bundeswehr sich auch als eine ordentliche Kriegsma-
schinerie betätigen soll, also auch die politische Führung der
BRD auf die Einheit von Militär und Volk drängt, stellt sich eben
die grundsätzliche Frage. Haben die Leute kapiert, daß sie für
die Verteidigung ihrer Freiheit geradezustehen haben, oder nicht?
Ist ihnen klar geworden, daß Demokratie und Militär zusammengehö-
ren, oder sind sie immer noch der veralteten Auffassung, daß
Freiheit - ausgerechnet Freiheit! - nichts kostet? Karl Carstens
zumindest hat in Bremen klar gesagt, wofür ein Bürger da ist!
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