Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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Zur öffentlichen Rekrutenvereidigung:
DIE FRIEDENSARMEE STEHT!
Was geschah wirklich im Weserstadion am Abend des 6. Mai? Nach
Ansicht aller K r i t i k e r der Rekrutenvereidigung vollzog
sich dort eine überflüssige Selbstdarstellung der Militärs ein
Anachronismus, eine Blamage der bundesdeutschen Demokratie. Alle
diese Urteile verdanken sich den Staats- und Friedensillusionen
derer, die sie fällen, sind also f a l s c h. Den handfesten
Beweis dafür erbrachten nicht nur die Ereignisse vor dem Weser-
stadion, die jetzt ausschließlich in aller Munde sind, sondern
das Ereignis i m Stadion selbst. Denn die Veranstaltung fand
durch und durch im Geiste der Politik statt, die den Krieg als
e i n e s ihrer Mittel weiß, und sich deswegen eine Armee hält,
die sich ihrem politischen Auftrag gewachsen zeigt, und auf ein
Volk zählen kann, das für die Freiheit jedes materielle und per-
sönliche Opfer zu bringen bereit ist, wenn seine Politiker be-
schließen, daß dies notwendig sei. S u b j e k t der ganzen
Veranstaltung waren nicht Militärs mit Imponiergehabe und nostal-
gische Ex-Offiziere, sondern demokratische Politiker. Adressat
der ganzen Veranstaltung waren nicht die Ehrengäste, sondern die
Bürger drinnen und draußen, denen der Staat vorführte, wie es um
seine Bundeswehr steht, und wie man zu ihr zu stehen habe.
M a t e r i a l der ganzen Veranstaltung waren einige tausend
junge und alte Soldaten, die der Staat in aller Öffentlichkeit
vorführen ließ, wie weit sie sich die soldatischen Tugenden schon
zueigen gemacht haben.
Geladen und ausgesperrt: der Bürger
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Anders als zu Zeiten der Wehrmacht wurde die Bevölkerung nicht zu
der Vereidigung abkommandiert, sondern geladen - und sie machte
von dem staatlichen Angebot auch Gebrauch. Daß das Stadion
schließlich halbleer blieb, war nicht Schuld der Veranstalter,
sondern verdankte sich einem Umstand, den der WESERKURIER so um-
schrieb:
"Die Polizei konnte nicht verhindern, daß einige der Radikalen
ins Stadion eindrangen... Viele Bremer (!) wurden nicht eingelas-
sen, obwohl sie gültige Eintrittskarten hatten."
Ob der Schwierigkeit, die Besucher mit Karten in Radikale und
Bremer zu sortieren, kapitulierten die Feldjäger schließlich,
nachdem sie eine zeitlang einem ganz einfachen Auswahlprinzip ge-
huldigt hatten: alles, was lange Haare hatte, Lederjacken oder
Parka trug, wurde "ausgesondert", weil mit Öffentlichkeit natür-
lich nicht gemeint war, daß Bürger irgendwelchen Unmut über die
Veranstaltung im Stadion loswerden sollten. Was mit Öffentlich-
keit gemeint war, konnte man an den Bremer Bürgern studieren, die
trotz Karten vor den Stadiontoren geblieben waren, und ihrer ein-
zigen Sorge, nicht drinnen dabeisein zu können, einen ganz und
gar unfriedlichen Ausdruck gaben: "Die müßte man alle aufhän-
gen!"... "Wie die schon aussehen." (Gemeint waren die mit den Le-
derjacken!)
Abschied vom "Bürger in Uniform"
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Diejenigen Bürger, die ins Stadion gekommen waren und die ande-
ren, die sich die Vorführung zuhause anhörten, durften ganz offi-
ziell Abschied nehmen von einer Vorstellung, die zwar nie die Re-
alität der Bundeswehr gewesen war, deswegen aber jetzt nicht mehr
zeitgemäß ist: von der Ideologie des "Bürgers in Uniform". Zu-
künftig soll man sich die Bundeswehr nicht einmal als bloßes
Dienstleistungsunternehmen v o r s t e l l e n dürfen, wo die
Ausbildung zum Töten nebensächliche Begleiterscheinung zu so
nützlichen Vernichtungen wie Katastrophenschutz oder Ausbildung
zum Automechaniker wäre. Heutzutage wird klargestellt, daß es mit
dem D i e n s t am Vaterland ernst gemeint ist: wer dafürhält,
daß das Militär Mittel der P o l i t i k ist, soll auch konse-
quent sein und sich daran erinnern, daß das M i l i t ä r Mit-
tel der Politik ist. Die Vorführung im Stadion glich also nicht
den Anzeigen der Bundeswehr, worin für den Wehrdienst mit dem
Versprechen einer gediegenen Ingenieurausbildung, körperlicher
Ertüchtigung oder dem Duft der großen weiten Welt geworben wurde.
Daß es mit dem D i e n s t am Vaterland ernst gemeint ist, daß
dieser Dienst die Erziehung zur Aufgabe des eigenen Willens und
zur Brutalität gegenüber dem Gegner voraussetzt, daß also Gehor-
sam gegenüber den Befehlen des Staates zur Eigenschaft des Solda-
ten werden muß, all dieses wurde am Dienstag mit allem notwendi-
gen Gepränge vorgeführt.
Keine Kriegsspiele fanden auf dem Rasen des Stadions statt, kein
Nahkampf wurde geprobt. Stattdessen war eine Ehrenkompanie ange-
treten, die allen Anwesenden demonstrierte, wem Ehre gebührt und
für wen sich der Heldentod lohnt. Es brauchte also kein Manöver,
sondern nur die Präsentation der alltäglichen soldatischen Tu-
genden, um die Leistungen vorzuführren, die ein Soldat an sich
selbst vollzieht. Es ist schließlich eine Leistung ganz eigener
Art, das eigene Leben dem staatlichen Kalkül zu überlassen, wenn
wieder einmal der Drohung mit den Waffen auch ihre Anwendung fol-
gen muß, damit der Frieden glaubwürdig gesichert bleibt. Schließ-
lich
"hat es keinen Sinn und ist auch das Geld nicht wert, einen Sol-
daten in eine Uniform zu stecken, nur zu dem Zweck, daß er sagt,
'ich will eigentlich nicht schießen!' Ein Soldat muß glaubwürdig
sagen können, 'ich kann schießen, und wenn ich muß, werde ich
schießen!" (Der Generalinspekteur der Bundeswehr)
Barras - die Schule der Nation
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Eine solche Bereitschaft muß e r l e r n t sein - entgegen al-
len psychologischen und anthropologischen Erfindungen, wonach der
Mensch einen angeborenen Trieb zum Töten und zur Unterwerfung
habe - und die öffentliche Darbietung der Lernerfolge, die die
Soldaten dabei erzielen, sich Brutalität zum eigenen Geschäft zu
machen, zeigt, daß auf dem Kasernenhof und gelegentlich auch in
Stadien aus dem Soldaten erst einmal "ein Mensch g e m a c h t"
wird. Deswegen steht er nicht bloß herum, sondern stramm; deswe-
gen geht er nicht, sondern marschiert; deswegen sagt er nicht
'Guten Tag', sondern salutiert - und die in Uniform und Gleich-
schritt anrückenden Truppenteile im Weserstadion demonstrieren,
daß unser Staat die Leute ausgebildet hat, das Töten und Sich-Tö-
ten-Lassen zum Inhalt ihres Willens zu machen. Es stört diese De-
monstration wenig, daß in ihrem Verlauf einer umfällt und ohne
Aufhebens weggetragen wird; daß einer den Willen aufbringt, bis
zur physischen Erschöpfung stehen zu bleiben, weil der Befehl es
so will, schließt durchaus ein, daß die Physis dem Willen einen
Strich durch die Rechnung macht. Soldatische Helden zeichnen sich
durch die Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrem Verstand und ihrem
Körper aus, wie der später öffentlich belobigte Soldat, der un-
längst in Bayern drei Tage hungernd eine Brücke bewachte, weil
man vergessen hatte, ihm den Abmarschbefehl zu geben. An solchen
Helden, wie sie im Weserstadion in Reih' und Glied standen, wird
klar, daß beim Bund Selbstaufopferung als das Gegenteil von Sich-
gehenlassen gilt, d.h. als die eiserne Konzentration des Willens
auf den einen Zweck, vor dem alle kleinlichen persönlichen Sorgen
zurückzutreten haben.
In der Demokratie ist der Soldat, der für seinen Staat fremde
Leute umlegt, nicht zur B e g e i s t e r u n g für diesen Job
verpflichtet; diejenigen, die ihm die Verrohung und die Unterwer-
fung abverlangen, wissen es schon zu würdigen, daß er sich dazu
b e r e i t f i n d e t. Der echt demokratische Zynismus tut so,
als wäre dieses Opfer eine ganz und gar freiwillige Angelegen-
heit, die sich der Soldat ausgesucht habe, weil ihm gerade kein
besserer Beruf eingefallen sei. Benutzen lassen muß sich der Sol-
dat in seinem Beruf für die Aufgaben, die der Staat ihm überträgt
- und das verlangt mehr, als sich nur herumschubsen zu lassen und
zuzusehen, wie man möglichst ungeschoren davonkommt. Irgendwie
muß man davon überzeugt sein, daß es sich lohnt, was man da
macht, wenn schon nicht für einen selbst, dann doch für das
"große Ganze".
Dem Dank, den die Politiker ihren Soldaten zollen, folgte am
Dienstagabend denn auch das A n g e b o t der Politiker, den
Männern in Uniform Gründe für ihr brutales Geschäft an die Hand
zu geben, z.B.:
"Bürgermeister Koschnick betonte, die Friedenssicherung sei das
Ziel jeder bewußten, nicht auf Untergang und Selbstmord reflek-
tierenden Politik."
Was keiner der Uniformierten falsch versteht: für ihn ist die Si-
cherung der BRD vor Untergang und Selbstmord höchstens die
C h a n c e, t r o t z dieser Sicherung zu überleben, indem er
selbst möglichst viele Feinde umbringt. Aber kalkulieren darf er
damit nicht - schließlich ist "Tapferkeit" im Eid gefragt und
nicht das Schielen auf das eigene Leben. Aber wenn "es" (jenes
ominöse Subjekt, das die Politiker immer in die Welt setzen, wäh-
rend s i e gerade lauter Gründe für den Krieg liefern) wirklich
nicht mehr anders geht, den Frieden und die Freiheit zu verteidi-
gen, hat er wenigstens die Gewißheit, d a ß es Grunde und
Zwecke g i b t, die ihm auch plausibel gemacht werden, wenn sie
auch nur diejenigen der Politiker sind, und damit solche, auf die
er von sich aus nie gekommen wäre: Freiheit, nationale Sicher-
heit, Deutschland. Auch in diesem Punkt hat sich also am Diensta-
gabend die Demokratie bewährt, statt blamiert: die Bürger werden
zwar u n g e f r a g t, aber nie ohne Grund in den Krieg ge-
hetzt.
Liebeserklärungen an die Macht
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Deswegen ist auch die öffentliche F e i e r der würdige Rahmen
der Einigkeit von Machern und M i t machern. Wenn es für den ge-
wöhnlichen Sterblichen schon keinen Grund geben kann zu sterben,
muß der Staatsbürger sein Leben w e i h e n. Mit dem Herzen muß
man bei der höheren Sache sein und vor allem mit dem Gefühl, weil
der Verstand einem noch allemal sagen könnte, daß man verrückt
ist, wenn man sich ausgerechnet in dem Geschäft, wo es um das
möglichst effektive Umbringen von verschiedenen Sorten Staatsbür-
gern in der kriegerischen Konkurrenz der Staaten geht, noch die
Möglichkeit des Davonkommens ausrechnen will.
Nirgends blamierte sich das Urteil, der Große Zapfenstreich sei
eine überholte Sentimentalität, mehr als bei den feierlichen und
gefühlvollen Passagen der staatlich organisierten Zeremonie. Weil
man in der Demokratie nicht b l o ß für den Staat ist, sondern
für die Errungenschaften, die e r für den Bürger darstellt,
singt man nicht "Deutschland, Deutschland über alles", sondern
"Einigkeit und Recht und Freiheit", was schließlich dasselbe ist.
Ergriffen lauscht man den Klängen des Großen Zapfenstreichs und
betet an "die Macht der Liebe" (dies der Schlager des Zapfen-
streichs); schließlich ist die nur dann eine Macht, wenn sie die
Liebe z u r Macht ist, auf die sich letztere bedingungslos ver-
lassen kann. Niemand glaubt an den obersten Kriegsgott im Himmel,
wenn er die Eidesformel mit dem Zusatz "so wahr mir Gott helfe"
spricht. Aber überflüssig ist jenes höhere Wesen nicht bei der
Zeremonie. Wo sonst soll der Tod sich lohnen, auf den man sich
hier einschwört, als im Himmel? Auf Erden lohnt er sich ja
schließlich nur für die, die die ersten Diener jenes höheren We-
sens sind, das hierzulande verehrt wird.
Die Schwüre, die einige Tausend Soldaten im Stadion ablegten,
oder erneuerten, waren also keine Meineide. Auch in dieser Hin-
sicht blamierten sich die Kritiker, die nicht nur vor den Toren
des Stadions, sondern auch drinnen in Gestalt der Rekruten lauter
von den Politikern provozierte Friedensfreunde entdeckten. Die
Kommentare und Beifallsäußerungen der jungen Soldaten zu dem Ein-
satz von Polizei und Feldjägern innerhalb und außerhalb des Sta-
dions zeigten jedenfalls, daß sie sich nicht nur die Uniform
übergezogen, sondern sich ganz und gar ihr angepaßt haben.
Warum also sollte man diese Kameraden sympathisch finden?
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