Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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Gesundheitssicherstellungs-Gesetz
"DER TOTALE MEDIZINISCHE BEHANDLUNGSFALL"
Es gibt keine gängigere, aber auch keine dümmere Ideologie unter
friedliebenden Menschen als diejenige, daß die gegenwärtige Poli-
tik des Westens die "Gefahr in sich berge", sie könne "uns alle"
in "einen Krieg stürzen", den "keiner will". Dabei läßt sich an
den Taten der Politiker ganz offen ablesen, daß der Einsatz der
Waffen von ihnen als mögliche Notwendigkeit einer Politik, die
sie wollen, miteinkalkuliert ist und daß sie alle Vorkehrungen
treffen, auch die Etappe des Krieges auf ihre Aufgaben vorzube-
reiten. Das geschieht demokratisch auf dem Wege der Legalität.
Ein Beispiel dafür ist das Gesundheitssicherstellungsgesetz, auf
das Mediziner mit dem Vorwurf reagiert haben, eine ärztliche Ver-
sorgung sei im Atomkriegsfall unmöglich.
Dabei beweist ihnen das Gesetzeswerk, daß sie nicht nur möglich
ist, sondern bereits vorbereitet und geplant wird. In der ärztli-
chen Kritik an diesem Gesetz sind alle Illusionen enthalten, die
man sich über den Zweck des Gesundheitswesens in Friedenszeiten
machen kann. Folglich räumt eine richtige Kritik der staatlichen
Vorsorge für Kriegszeiten auch mit falschen Vorstellungen über
die Funktion des Arztberufs in Friedenszeiten auf:
Daß sich die staatlichen Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge und
-wiederherstellung einzig dem Zweck der ruinösen Benutzung seines
Menschenmaterials für nationale Interessen verdanken - daß also
jede Reparatur lädierter Physis nur zur staatsnützlichen weiteren
Zerstörung gewährt wird - stellt der Gesetzgeber umstandslos
klar, wenn er seinen nächsten Krieg vorbereitet.
Das Gesundheitswesen wird kriegstauglich gemacht.
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Gleich zu Beginn der von den Machern der Weltpolitik als
"schwierig" angekündigten 80er Jahre wurde in Bonn der Referen-
tenentwurf eines Gesetzes zur zeitgemäßen Ausgestaltung des Ge-
sundheitswesens vorgelegt, das die Institutionen und das Personal
dieses Sektors "an besondere Anforderungen eines Verteidigungs-
falles anpassen" soll. Mit 46 Paragraphen und deren Ausführung
über 175 Seiten (daraus im folgenden die Zitate) wird mit dem Ge-
sundheitssicherstellungs-Gesetz für den kalkulierten Waffengang
"ein Instrumentarium (ge)schaffen, das darauf ausgerichtet ist,
bei einer kriegerischen Auseinandersetzung die Funktionsfähigkeit
(des Gesundheitswesens) zu erhalten und eine Ausweitung der Lei-
stungsfähigkeit zu erreichen" (S. 32). Bei dem in Aussicht ge-
stellten verschwenderischen Einsatz von Gesundheit und Leben der
Bevölkerung für die imperialistischen Freiheiten der BRD wird
staatlicherseits - entgegen einschlägigen Vorhaltungen "kriti-
scher" Menschen - sehr umfassend für den k r i e g s t a u g-
l i c h e n medizinischen Umgang mit der eingeplanten "großen
Zahl von Opfern" gesorgt.
Dazu "muß so früh wie möglich mit den notwendigen Vorbereitungen
begonnen werden" (S. 102), sprich: die Aufrüstung des medizini-
schen Apparats betrieben werden.
Die "Einbeziehung sämtlicher vorhandener und zuzuweisender bauli-
cher, betriebs- und verwaltungstechnischer sowie personeller Mit-
tel" (Paragr. 17), durch die "die Leistungskapazität des Vorhan-
denen bis zum äußersten ausgenutzt wird" (S. 106) schließt für
die "personellen Mittel" die bedingungslose "Verpflichtung zur
Mitwirkung an der Durchführung des Gesetzes" ein. Jeder, der je-
mals "in einem Beruf des Gesundheits- oder Veterinärwesens ausge-
bildet" (vgl. Paragraphen 2 und 6) wurde, gehört ab sofort zur
"Personalausstattung "der Wehrmedizin. Jeder Tierarzt, jede Rot-
Kreuz-Helferin hat per Dienstverpflichtung für die medizinischen
Aufgaben des Ernstfalls unter Bedingungen militärischer Disziplin
zur Verfügung zu stehen.
Daß diese Situation für die Ausübung des ärztlichen Handwerks
zwar extrem ist; aber eben das Extrem seiner n o r m a l e n
Betätigung darstellt, spricht der Gesetzgeber mit nüchternen Wor-
ten aus:
Die Pflichten einer "besonderen beruflichen Qualifikation"
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"Die Verpflichtungen stehen in engem Zusammenhang mit dem aus-
geübten - zumindest aber mit dem erlernten - Beruf des Betroffe-
nen. Die Tätigkeiten, die ihm hiernach auferlegt werden können,
sind für ihn nicht berufsfremd, sie betreffen ihn vielmehr gerade
wegen seiner besonderen beruflichen Qualifikation..." (S. 146)
Die staatliche Wertschätzung ärztlicher Kunst, die in Friedens-
zeiten zwar nicht den Kranken, aber den Ärzten als ziemliches
Wohlwollen begegnet, präsentiert sich hier als Zwang zur Erfül-
lung der anstehenden Aufräumarbeiten unter dem von einem
"Verteidigungsfall" betroffenen Menschenmaterial. Ganz ohne das
sonst übliche Beiwerk definiert der oberste Arbeitgeber den Witz
der Pflege- und Heilberufe: Daß die Taxierung und Aussortierung
von "Patientengut" nach dem Maßstab einer weiteren Benutzbarkeit
eine dem Mediziner "berufsfremde Tätigkeit" wäre, läßt sich ja in
der Tat auch nicht von den Gesundheitsdienern in Friedenszeiten
behaupten, die als Kassen- und Krankenhausärzte ihr medizinisches
Wissen und Können ganz freiwillig nach dem gesetzlich angeordeten
Maß an ärztlicher Hilfe auf ihre Klienten anwenden.
Auf deren oft bewiesene Erfüllung seines Auftrags zum Dienst an
der kostengedämpften Volksgesundheit will sich der Staat für den
"Ernstfall" dennoch nicht verlassen (so ernst ist es ihm damit!)
und sorgt mit seiner Gewalt, nämlich per "Melde- und Auskunfts-
pflicht" ( Paragr. 5), "Erfassung nichtberufstätiger Personen"
(Paragr. 6), der "Pflicht zur Fortsetzung eines selbständig aus-
geübten Heilberufs" (Paragr. 23) usw. für einen "reibungslosen
Übergang von der Wahrnehmung der Friedensaufgaben zur Einstellung
auf besondere Anforderungen des Verteidigungsfalles" (S. 37).
Zwecks Herstellung der Reibungslosigkeit "unterstützen" schon
jetzt fachkundige "Stellen des Sanitäts- und Gesundheitswesens
der Bundeswehr", die Berufsvertretungen (der Ärzteschaft) bei der
Durchführung der besonderen Fortbildung" (Paragr. 31), zu der je-
der medizinisch Ausgebildete zwangsverpflichtet ist.
Triage: Die Quintessenz ärztlicher "Qualifikation"
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Diese "Fortbildung der Angehörigen der Heilberufe" (vgl. S. 84)
macht das medizinische Personal staatlicher "Verteidigungs"- Ab-
sichten mit den Kriterien und Techniken der "Triage" (laut Duden
bisher "Ausschuß bei Kaffeebohnen" ) vertraut. In Kriegszeiten
"muß der Arzt eine große Zahl von Opfern einer Sichtung unterzie-
hen und eine Entscheidung über Prioritäten der medizinischen Ver-
sorgung jedes einzelnen fällen." (S. 34)
Wenn das gemeine Volk in nationaler Pflichterfüllung nicht mehr
nur seine Gesundheit bei der täglichen Arbeit verschleißt, son-
dern mit seinem Leben an der Front und im Hinterland derselben
für die Freiheiten des Westens einsteht, wird die sachverständige
Auswahl der für die Verteidigung Deutschlands noch brauchbaren
Opfer militärischer Kalkulation zur vorrangigen Unterscheidung,
nämlich die zwischen Frontkämpfer und Zivilist, hat ihm der Staat
schon vorgegeben. Für die Entscheidung, die für das menschliche
Material innerhalb dieser Hauptgruppen anfallen, kann der medizi-
nisch Gebildete seine Kenntnisse über Funktionieren und notdürf-
tiges Reparieren der menschlichen Anatomie dafür voll zur Anwen-
dung bringen. Diejenigen, deren Zusammenflicken weitere Tauglich-
keit beim Kriegführen verspricht, dürfen sich hernach den Truppen
für erneute Zerstörung zur Verfügung stellen; wer aber bei der
ärztlichen Sichtung seiner Verwendbarkeit als "nicht mehr kvf (=
kampfverwendungsfähig)" eingestuft wird, hat das Recht auf Hilfe
verwirkt. In Kriegszeiten wird die staatliche Erpressung der Ge-
sundheitsvor- und -fürsorge, die ausschließlich nach Maßgabe der
Benutzbarkeit für das Nationalwohl gewährt und versagt wird, auf
ihren harten Kern reduziert: Wer keine Tauglichkeit für staatli-
che Zwecke besitzt, erhält nicht das Recht auf Hilfe, wer es er-
hält, muß dafür sein Leben im Dienste des Staats aufs Spiel set-
zen.
Es ist schon erstaunlich, zu welchen Bekenntnissen sich kritische
Mediziner selbst aufrufen. Kaum haben sie mit einem Appell gegen
die Kriegsvorbereitungen ihres Staates Stellung bezogen, da
scheint ihnen nichts dringlicher zu sein, als (statt gegen die
Politiker) gegen jedweden Verdacht in ihre eigene
V e r l ä ß l i c h k e i t hinsichtlich ihrer Dienste an der
nationalen Gesundheit anzukämpfen! Gleich zum Auftakt einer dem
Thema nach gegen "Katastrophenmedizin" und Gesundheitssicherstel-
lungsgesetz gerichteten Podiumsdiskussion (2.12., Uniklinik
Frankfurt) sah sich Dr. W. Beck, Mitglied der "Liste Demokrati-
scher Ärzte" und Mit-Initiator des Aufrufs "Ärzte gegen Atomrake-
ten", unaufgefordert zu der Klarstellung bemüßigt, daß man als
Mediziner "n i c h t gegen Triage überhaupt sein" dürfe, wenn
man "sich nicht unglaubwürdig machen will". Man müsse nämlich
sauber "zwischen Notwendigkeiten der Selektion bei zivilen Kata-
strophen und der Triage nach militärischen Kriterien unterschei-
den." Sortieren des Patientenmaterials gehört eben zum Alltag der
ärztlichen Kunst, und ein gestandener Mediziner bekennt sich
"glaubwürdig" zum Zynismus seines Geschäfts. So stehen die Ethi-
ker ärztlicher Hilfe offenbar zu ihren Politikern: Während diese
bereits den kriegstauglichen ärztlichen Umgang mit dem künftigen
Kanonenfutter an der Front und im Hinterland der Front per Gesetz
sicherstellen wollen, fühlen "Ärzte gegen Atomraketen" sich auf-
gerufen, ihre Obrigkeit vor einem I r r t u m zu warnen, und
zwar mit dem eindrucksvollen Hinweis auf die "Unmöglichkeit medi-
zinischer Hilfe" bei einem "nuklearen Fall-out". Die
U n t e r t ä n i g k e i t dieser Stellung zur nationalen Poli-
tik setzt sich konsequent fort: Beck und Freunde erklären mitt-
lerweile programmatisch ihre D i e n s t b a r k e i t bei al-
len "zivilen Notwendigkeiten" u n t e r h a l b des "atomaren
Ernstfalles". Solange ihnen nicht der Einsatz von
Atom b o m b e n "jegliche gesellschaftliche Organisation und
menschliches Zusammenleben unvorstellbar" erscheinen läßt, zeigen
sich kritische Mediziner willens und bereit, neben der kostenge-
dämpften Gesundschreibung und Sortierung von ganz ohne "Kata-
strophe" verschlissenen Leuten auch die Triage unter den Opfern
eines größeren oder kleineren AKW-Schadens vorzunehmen - oder was
sonst sind wohl "zivile Katastrophen", deren "Notwendigkeit"
diesen Moralaposteln so selbstverständlich sind?!
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