Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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Manöver 1983
ERNSTER DENN JE
Wo der Ernstfall als Manöver deklariert wird - US-Kriegsschiffe
vor den Kriegsschauplätzen in Nahost und Mittelamerika - kann es
nicht ausbleiben, daß auch im Manöver so scharf geschossen wird,
daß es noch vor dem Ernstfall die ersten Opfer gibt.
Das vielgeschmähte Kriegsspielzeug erfüllt mit dem Schein von
Schießen, Geländefahrten, Schlachten usw. seinen harmlosen Zweck.
Die Kinder haben ihren Spaß. Bei den Kriegsspielen der Staaten
liegt das ganze Problem genau darin, daß sie nur Simulationen
sind: zwar mit dem handfesten Material an Mensch und Gerät, das
zum Töten und Vernichten da ist, verunstaltet, aber eben doch im-
mer ohne den wirklichen Feind, ohne den letzten Einsatz der Zer-
störungsinstrumente, also ohne die kriegsentscheidende Rück-
sichtslosigtieit gegen Soldat und Zivilist, Freund und Feind.
Manöver, also "Handwerk", heißen diese Übungen schlicht, bei
denen die Verwirklichung von Strategie und Taktik bis zur letz-
ten, aber ohne die letzte Konsequenz geübt wird - mitten im Frie-
den, nicht nur bei den "traditionellen" Herbst- und Frühjahrsma-
növern der NATO und nicht nur in Europa. Die feindlichen Angriffe
und eigenen Verteidigungsoperationen, die da inszeniert werden,
die Atomraketen, die zum Schein abgeschossen und in ihrer Wirkung
kalkuliert werden, die Raketen, die wirklich abgefeuert werden,
die fiktiven Leichen, die produziert, registriert und bestattet
werden, all das dokumentiert, daß es immerhin der Krieg ist, den
die militärischen und politischen Planungsstäbe üben. Und klar
ist auch, gegen wen und wie sie den siegreichen Waffeneinsatz
planen gegen Osten, weltweit und nicht bloß als Verteidigung ge-
gen einen lokalen Angriff.
- Ebenso wie die NATO in der Ostsee spielen US-Verbände und japa-
nische Truppen im Fernen Osten die Abriegelung der kriegswichti-
gen sowjetischen Flotten- und U-Boot-Wege durch, erkunden und te-
sten gleichzeitig die Qualität sowjetischer Aufklärung und Ab-
wehr. Dem erklärten Feind freilich ist die Bewertung solcher sehr
ernsten Manöver als Ernstfall verboten. Da gilt ein planmäßig vom
Kurs abgekommenes Flugzeug mitten über sowjetischem Hoheitsgebiet
als "unglücklicher Zufall". Und die "mitten im Frieden ermordeten
unschuldigen Zivilisten" bestätigen das Feindbild, mit dem die
Notwendigkeit "realistischer, feindnaher Manöver" begründet wird.
Die Liste der westlichen Manöver ist stattlich, und die Übungen
im zerstörerischen Machtgebrauch sind weit mehr als bloße Übungen
- sie sind zugleich Machtdemonstrationen mit durchschlagender
Wirkung.
- Amerikanische Flottenverbände üben die Blockade des Golfs von
Nicaragua so lebensnah, daß sie sowjetische Frachtschiffe nach
Nicaragua aufhalten, den Nachschub und die Versorgung behindern.
Eine dem Westen gefällige Entscheidung in Nicaragua und El Salva-
dor lassen sich die USA schon ein Dauermanöver in Honduras und
Costa Rica kosten. Ein paar Tausend GI's, die mit honduranischen
Truppen die "Verteidigung" des Landes üben, sorgen als wirkungs-
volle "Abschreckung" dafür, daß die sandinistischen Milizen die
Marodeure der Contra nicht dahin verfolgen, wo sie herkommen. Und
im Schutz der "Schutzmacht" ziehen die von "Militärberatern" aus-
gebildeten und vom CIA ausgerüsteten Somozistas ins Feindesland,
gegen das die "Manöver" erklärtermaßen gerichtet sind. Tote Nica-
raguaner und die Zerstörungen in der Wirtschaft des Landes zählen
also nicht als Manöverschäden.
- Im Mittelmeer wird die Schließung des dritten strategischen Na-
delöhrs der Sowjetunion, der Dardanellen, geprobt. Vor der Küste
des Libanon bomben amerikanische und französische Flottenverbände
mit ihrer überlegenen Feuerkraft ganz generalstabsmäßig die
Feinde eines westlichen Libanon an den Verhandlungstisch. Und
ihre syrischen und sowjetischen "Hintermänner" werden mit der
Kriegsgefahr zum Stillhalten erpreßt. Denn sie haben natürlich
keine Berechtigung, auf eindeutige K r i e g s m a ß n a h m e n
mit Gegenwehr zu reagieren: Expeditionscorps aus den USA und
Frankreich in Beirut werden da zu wehrlosen, angeblichen Nicht-
kombattanten, die einem "heimtückischen Anschlag" zum Opfer fal-
len, wenn ihr Hauptquartier angegriffen wird.
- Und in der BRD, in der jedermann gerade über das Pro und Contra
der beschlossenen Nachrüstung debattiert und mancher vor der im-
mer bedrohlicher werdenden 'Kriegsgefahr' warnt, sind unbehelligt
deutsche, britische, französische und amerikanische Truppen, Pan-
zer, Flugzeuge, Raketen und Schiffe im vorgestellten Einsatz ge-
gen 'die Roten'. Von der Beseitigung störender Leichen bis zum
Schießen mit scharfer Munition über friedlich weiterwerkelnde Be-
völkerung hinweg wird alles geprobt, was kriegs- und siegsnotwen-
dig ist. Und wie man hört, wird auch für den Ersatzkrieg kein
Aufwand gescheut: Die US-Army hat eine "neue Übungsmunition aus
Plastik entwickelt, mit der das Schießtraining in dicht besiedel-
ten Stationierungsgebieten, vor allem in der Bundesrepublik
Deutschland, intensiviert werden soll", damit die Soldaten wegen
mangelnder Übung nicht das "Schießgefühl, die Gewöhnung an Schuß-
geräusche, Pulvergeruch und die Eigenarten der Waffe beim
scharfen Schuß" verlieren. Erfahrungen, "die einen guten Soldaten
ausmachen". Es scheint den Generälen fast schon leid zu tun, daß
ihnen nur die zweitbeste Übungsmöglichkeit offensteht und nicht
eine echte Feuerprobe am lebendigen Material!
Die Öffentlichkeit nimmt lebhaften Anteil - und sorgt so für die
Öffentlichkeit des Soldatenhandwerks. Gelingen und Mißlingen der
Übungen, die Moral der Truppe, die Anteilnahme der politischen
Dienstherren vor Ort, solche Gesichtspunkte machen deutsche Jour-
nalisten kritisch oder froh. Pannen bei der Pershing-Erprobung,
unplanmäßig ausgeklinkte Raketen, ein Flugzeugabsturz beim Schul-
fliegen, der eine brave Pfarrersfamilie das Leben kostet, ein
Granatschuß zum falschen Zeitpunkt an den falschen Ort mit Opfern
in den eigenen Reihen - da fragt man sich doch, ob Gerät und
Mannschaft in Schuß sind und gegen den Richtigen reibungslos
funktionieren. Waffenschauen und Manöver - aber immer, aber doch
nicht mit Gefahren für die berufsmäßigen und freiwilligen Schau-
lustigen aus dem eigenen Lager. Politikerbesuche - natürlich,
aber doch nicht dauernd und auf Kosten der täglichen Übung für
den Ernstfall.
Daß das Mittelmeermanöver unter griechisch-türkischen Streitig-
keiten leidet, das gehört sich gar nicht. Und daß die Amerikaner
Massengräber ausheben, während hierzulande gerade mit der Verun-
möglichung eines Atomkrieges durch Atomraketen für die Pershings
Propaganda gemacht wird, das muß auch nicht gerade sein, meinen
die feinfühligen Stilkritiker. Nicht, daß der Krieg mit allen
Schikanen geprobt wird, regt im Stationierungsjahr '83 die Öf-
fentlichkeit auf, sondern die für die Kriegsübungen
"überflüssige" "Instinktlosigkeit", die dabei vorkommt. Das
könnte die Moral der Zivilisten aufweichen und denen Auftrieb ge-
ben, die sich noch über die Vorbereitungen für einen Weltkrieg 3
aufregen.
Fragen des Takts, der Zielsicherheit, der präzisen Planung, der
Güte des Geräts, der politischen Einigkeit des Westens - die
Journalisten machen sich um die Wehrbereitschaft an der Heimat-
front nach Kräften verdient. Die Bild-Zeitung gibt stellvertre-
tend dem entsprechenden Geist der Völkerfreundschaft Ausdruck,
der da nebenbei mitgedrillt wird: "Bei den US-Herbstmanövern in
Hessen werden die 'Amis' mit Beifall von der deutschen Bevölke-
rung empfangen..., und die Soldaten, unter ihnen viele Farbige,
revanchierten sich mit 'echten' Ami-Zigaretten und Kaugummi." Vor
dem nächsten Krieg ist es fast schon wieder wie nach dem letzten.
Mit solchen geistigen Manövern wird das Volk auf die brüderlichen
Waffeneinsätze eingestimmt, für die die Manöver das notwendige
Vorspiel sind.
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CSU-Bundestagsabgeordneter Wittmann
Der erste deutsche (Vor-)Kriegsheld
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Die Bundeswehrmacht veranstaltete am 3. Oktober bei Münsingen
(Kreis Reutlingen) vor starker Zuschauerkulisse einen Waffentest.
"Ich wollte allen Soldaten und Zivilisten ein gemeinsames Schie-
ßen der Brigade im scharfen Schuß vorführen, so etwas hatten die
meisten Soldaten noch nie gesehen." (Ein Bundeswehrsprecher) Ge-
sehen hat es auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Wittmann - und
war sichtlich beeindruckt:
"FRITZ WITTMANN, CSU-Bundestagsabgeordneter, ist voll des Lobes
über die Münsinger Schießübung der Bundeswehr, bei der er in der
vergangenen Woche durch eine zu früh abgefeuerte Sprenggranate
ein Bein verloren hatte. Wittmann beteuerte vor Journalisten, die
Anlage des Manövers, das zwei Tote und zwei Dutzend Verletzte ge-
kostet hatte, sei 'bis ins letzte ausgetüftelt' und die beteilig-
ten Einheiten hervorragend ausgebildet gewesen. Er selber habe
sein Verhältnis zur Bundeswehr in keinster Weise geändert, bleibe
Reserveoffizier und werde an Übungen wieder teilnehmen 'sobald
ich meine Prothese habe'. Die Bundeswehr solle sich auch nicht
davon abbringen lassen, zu solchen Übungen mit scharfer Munition
Zuschauer einzuladen." (Frankfurter Rundschau)
Der Mann muß es ja wissen! Er ist schließlich Politiker und Offi-
zier zugleich. Daß er selber ein Opfer der gelungenen Gewaltde-
monstration geworden ist und daß er diese nichtsdestotrotz gerade
deswegen feiert, indem er sein abgeschossenes Bein zum Argument
für das Kriegsgeschäft macht, zeigt, daß ihm der gewalttätige In-
halt seines Doppelberufs zum allerpersönlichsten Anliegen gewor-
den ist. Wenn dieser Volksvertreter mit seinem abgebrühten Fana-
tismus auch noch wirbt, indem er sich als soldatisches Vorbild
präsentiert, dann zeigt das obendrein, wofür er und seinesglei-
chen das Volk gegenwärtig präparieren!
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