Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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30 Jahre Bundeswehr
WENN DAS MILITÄR SICH FEIERT
...dann ist das ganze Volk eingeladen, weil es sich um "unsere"
Armee handelt. Die Feier kann nicht schiefgehen. Extra Stimmungs-
macher braucht es nicht. Das Militär selbst ist die Stimmungska-
none. Auf seine unnachahmliche Art präsentiert das Militär Solda-
ten, Gerät und Anführer und ziert sich mit guten alten Ritualen,
die wundersamerweise noch alle Armeen der Welt so draufhaben. Bei
so unsymbolischen Symbolen, die für sich selbst sprechen, kann
die Rührung nicht ausbleiben ("Rührt Euch!", weiß Papi am Fernse-
her ganz genau, ist das Gegenteil von "Stillgestanden!"):
T r u p p e n p a r a d e, ein ganzes Battaillon zieht auf
(Vater weiß, wieviel Kompanien ein Battaillon hat), Meldung an
einen Offizier, Meldung an einen weiteren Offizier, Meldung an
den Bundeskanzler (der in Kampf-Parka), Bundeskanzler, Generalin-
spekteur und Verteidigungsminister schreiten die Front der Solda-
ten ab, alle Soldatenaugen gehen mit den Dreien - man darf die
Präzision bewundern, wie ganze Hundertschaften wie am Schnürchen
aufziehen, "Stillgestanden!" machen und auf einen Schlag "die Au-
gen links" drehen. Jawoll, da ist Zug drin. Zackig auch die Be-
fehle. (Der Reporter berichtet, daß im Ernstfall der Bundeskanz-
ler der oberste Armeeführer ist.)
B e w e g l i c h e s G e f e c h t im offenen Gelände mit
scharfer Munition; dem feindlichen Angreifer wird standgehalten
und zum Gegenangriff übergegangen; Flugzeuge donnern über das Ge-
lände und schießen mit Raketen; Treffer; die Panzerkanonen schie-
ßen, bei voller Fahrt, daß es nur so kracht; eine deutsche Sta-
linorgel haut 30 Raketen in einer Sekunde raus; es macht bum und
blitzt; Vorneverteidigung gelungen - man darf sich freuen über
das Geballere, über die Schnelligkeit der Panzer, die Treffsi-
cherheit der Raketen, über die gute Abstimmung zwischen den ver-
schiedenen Attacken. Jawoll, kampfbereit sind sie, unsere Jungs.
(Der Reporter erzählt, wie lange die Soldaten heute schon in ih-
rem Panzer sitzen.)
"A b s i t z e n!" D e r B u d e s k a n z l e r gibt jedem
der Soldaten, die gerade geübt haben, die Hand und spricht mit
jedem dritten: "Sie sind Wehrpflichtiger? Ja, Herr Bundeskanzler.
Wie lange schon? Seit 7 Monaten, Herr Bundeskanzler. Und sonst:
Bäcker, Herr Bundeskanzler. Haben Sie nachher einen Arbeitsplatz?
Ja, Herr Bundeskanzler." Ein Feldwebel holt völlig überraschend
eine Sektflasche aus dem Kampfanzug und drei Gläser. "Ein guter
Einfall, wirklich ein guter Einfall." sagt der Herr Bundeskanz-
ler. Prost! - Man darf zur Kenntnis nehmen, wie gut sich der Bun-
deskanzler mit seinen Soldaten unterhält und wie selbst einfache
Soldaten sich mit ihm unterhalten können. Die menschliche Seite
ist bei beiden gut ausgebildet. Von den Soldaten haben die mei-
sten nachher einen Arbeitsplatz, andere nicht. Und der Einfall
von dem Feldwebel, echt gut. (Mutti weiß nicht, was bei den Wehr-
pflichtigen das "Bergfest" ist.)
F e l d p a r a d e; Vorbeimarsch von zwei Panzerbrigaden mit
all ihrem motorisierten Gerät; ein Regiment der Luftwaffe über-
fliegt gleichzeitig in geordneten Verbänden (beim Üben hätten
sich zwei Tornados am Vortage fast berührt, sagt der Reporter)
den Ort des Geschehens; die Militärkapelle spielt dazu; jedesmal,
wenn ein Anführer salutierend vorbeifährt, stehen die Politiker
auf der Tribüne auf - man darf stolz sein auf die Spitzenwaffen,
die vorbeirollen. Leo, Marder, Gepard, Jaguar, Glattrohrkanone,
Haubitze Kaliber 155mm. Fast alles deutsche Produkte. Eindrucks-
voll. Man darf bei dem Gedonner der Flugzeuge, dem Dröhnen der
Motoren und dem Rasseln der Panzerketten (die Musik der Kapelle
hört man kaum mehr) erschauern ob der in Bild und Ton draußen
vorgeführten geballten Kraft "unserer" Streitkräfte. Man fühlt
gleichsam die erzeugten Bodenschwingungen. (Der Reporter erklärt,
daß bei der Artillerie die Kompanie Batterie heißt.)
G r o ß e r Z a p f e n s t r e i c h, Soldaten aller Waffen-
gattungen mit Fackeln sind "stillgestanden", Meldung an den Bun-
despräsidenten; Militärkapelle mit Schellenbaum; "Reitermarsch
des großen Kurfürsten"; "NATO-Sound" aus Amerika; noch ein
Marsch. - Man darf den Einfall mit dem Ami-Hit gut finden:
"unsere" Bundeswehr ist nicht verstaubt. Vor allem darf man sich
aber die Scene mit Fackeln, schattigen Gesichtern unter Helmen,
total strammstehenden Soldatenhundertschaften, Märschen in die
Knochen gehen lassen: schaurig schön! Der eigentliche Große Zap-
fenstreich; Scheinwerfer aus; totale Stille; "H e l m a b
z u m G e b e t. Wir beten an die Macht der Liebe." Trommelwir-
bel, Flöten. - Man darf eine Gänsehaut bekommen. Gott, Armee und
wir eins beim leisen Trommelwirbel. Man darf die Gewalt feierlich
verehren als ein Teil von "uns". Man darf im Gefühl dieser hehren
Gemeinsamkeit Tränen der Ergriffenheit in die Augen bekommen.
Nur denken, d e n k e n d a r f m a n n i c h t. Dann wäre
ja auch die von oben gebotene Verherrlichung der Gewalt sofort
beendet.
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Die SPD zur Wehrmacht
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TRADITION
"Die SPD hat von ihren Anfängen an für die Vaterlandsverteidigung
gestanden, und sie hat dafür schwere Opfer auf sich genommen."
(S. 5; alle Zitate aus der SPD-Broschüre "30 Jahre Bundeswehr.
Von A-Z")
Wir sind die Militaristen mit der längsten Erfahrung!
AUFRÜSTUNG
"Die Bundeswehr ist unter sozialdemokratischer Führung zu dem ge-
worden, was sie heute ist; eine der modernsten und am besten ge-
führten Streitkräfte im deutschen Bündnis." (Ehmke, S. 35)
Wir sind die Militaristen mit den größten Aufrüstungserfolgen!
FEINDBILD
"Minister Leber meinte, daß in der Bundeswehr kein Bedürfnis nach
einem Feindbild bestehe, daß man aber andererseits nicht die Au-
gen verschließen dürfe vor dem enormen militärischen Potential,
das auf der anderen (?) Seite vorhanden sei und allein schon auf-
grund seiner Existenz eine Bedrohung darstelle." (Leber, S. 22)
Wir Sozialdemokraten brauchen kein Feindbild, wo wir doch den
Feind klar im Visier haben.
ARBEITERKLASSE
"Die Sozialdemokratische Partei ist stolz, daß die Gräben, die
zwischen Arbeiterschaft und Streitkräften in Deutschland klaff-
ten, im ständigen Bemühen von Sozialdemokraten, Gewerkschaften
und Soldaten der Bundeswehr zugeschüttet worden sind. Wir werden
niemandem gestatten, diese Gräben wieder aufzureißen."
(Parteivorstand, S. 45)
Wir sind unentbehrlich, wenn es darum geht, das bevorzugte Kano-
nenfutter ein drittes Mal bei der Stange zu halten.
REIFE
"Beide (Wehrdienstler und Wehrdienstverweigerer) dienen, keiner
soll sich drücken dürfen, denn es geht um Dienst am Volk. Dienst
für die Sicherung des Friedens, Dienst für unser Vaterland. Und
wenn Sozialdemokraten sich nicht kompetent fühlen, das zu erklä-
ren und zu erläutern, tun sie mir leid. Dann haben sie die reife-
prüfung als Sozialdemokraten noch nicht verstanden." (Wehner, S.
32)
Wir sind reife Sozialdemokraten, die Vaterland mit drei Buchsta-
ben buchstabieren können.
EINSATZBEREITSCHAFT
"Wir (die SPD unter Schmidt) haben die Fähigkeit erarbeitet, in
etwa 72 Stunden insgesamt 1,2 Millionen Soldaten ausgebildet und
bewaffnet einsatzbereit zu haben."
Wir haben die eindrucksvollsten Verdienste um die westdeutsche
Schlagkraft...
WEHRKRAFTZERSETZUNG
"Der Verteidigungsminister (Wörner) versucht, leichtfertig ohne
die notwendige finanzielle Deckung der Öffentlichkeit, der Bun-
deswehr und unseren verbündeten NATO-Partnern zu suggerieren, als
sei der Friedensumfang der Streitkräfte in den 90er Jahren auf-
rechtzuerhalten." (Bundestagsfraktion, S. 40)
...Und das lassen wir uns von der CDU nicht wieder kaputtmachen!
In Sachen Militarismus will sich die SPD von keinem überbieten
lassen!
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Freitag abend, 1.11.85, 22 Uhr: NDR-III-Talkshow "30 Jahre Bun-
deswehr"
Wörner diskutiert, zwo, drei, vier...
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Gäste u.a.: Wörner (CDU, Verteidigungsminister), Glotz (SPD), Al-
tenburg (des Wörners General), Scheibner (kritischer Liederma-
cher), Schuller (kritische Frauenrechtlerin)
Zum Fest angetreten: die Gäste.
Vollzählig zum Applaus erschienen: das Publikum. Fast durchwegs
in vollem Wichs: Kampfanzug oder Schulterklappen. Für Stimmung
ist gesorgt: Leo und Phantom tummeln sich pausenlos auf einer
Großleinwand zur Erquickung der Zuschauer. Die Big-Band der Bun-
deswehr paßt mit Paukern und Trompeten auf, daß etwaige Mißtöne
in der Diskussion keine Chance haben.
Es geht los. Mit einem Mißverständnis. Der Liedermacher kann kein
Englisch. Er verwechselt eine Talk-Show mit dem Angebot, seine
Meinung zu sagen.
Scheibner: Der Berufsstand des Soldaten erinnert eher an legalen
Massenmord.
Wörner: Üble Verleumdung! Ohne die Massenmörder könnte Scheibner
nicht einmal seine Lieder singen und solche Sachen erzählen, die
er hier nicht erzählen darf.
Scheibner: Glaubt's nicht. Hat noch keine einzige Granate zum
Komponieren und Diskutieren zu Hilfe genommen.
Damit er's glaubt, wird er kräftig niedergebuht, dann totge-
klatscht.
Glotz: stellt sich in dieser Situation mutig vor die Bundeswehr.
Eine Frauenrechtlerin: ist schockiert, wie Freiheit und Friedens-
armee dein Scheibner übers Maul fahren. Sie meldet Zweifel an.
Wörner soll aufhören zu heucheln. Von wegen Freiheit und so. Fa-
schistische Obristen damals in Griechenland und heute in Chile
gehören zu den besten Freunden der Demokratie.
Die Big-Band der Bundeswehr: ist hier wegen des Schutzes der Mei-
nungsfreiheit zuständig. Zweifel dieser Art werden nicht ausge-
räumt, sondern weggeblasen. Sie stören die Feier der Wehrmacht.
Und das braucht sich das Volk nicht gefallen zu lassen. Es zahlt
Gebühren und hat ein Recht darauf, daß sich seine Herren aus Bonn
Widerworte aus dem Volk verbitten. Leute, die sowas trotzdem ma-
chen, gehören nämlich gar nicht zum Volk. Nach Wörners Zählweise.
Ein schwarzer Major aus Burundi: soll erzählen, was er von der
Demokratie gelernt hat. Er kann jetzt Ordnung in eine Truppe
bringen. In Bonn hat er studiert, wie man Frischlingen den Arsch
aufreißt. So kommt ein Stück Menschlichkeit zu den Hirsebäuchen
in den Dschungel. Und eine Truppe, auf die sich die NATO verlas-
sen kann. Da kommt Freude auf!
Ein weißer Bundeswehroffizier im Fliegerdreß: berichtet, wie er
mit seinem Tornado in Schleswig-Holstein Schnee geschippt hat.
Schneekatastrophe.
Scheibner: 500.000 Mann unter Waffen, und das alles bloß, um alle
Jubeljahre Schnee zu schippen?
Der Mann fragt ja bloß.
General Altenburg: platzt die Helmschnur. Nur weil die Bundeswehr
diesen Unsinn vom Schneepflug-Ersatz verbreitet, soll man ihr
doch nicht unterstellen, daß sie diesen Mist auch glaubt.
Das meint er als Kritik an Scheibner. Klartext: Ein reifes Volk
ködert man nicht mit Ammenmärchen über die Wehrmacht. Umgekehrt:
Die wird genauso geliebt wie ihr weltweiter Auftrag. Und
d i e s e Liebeserklärung darf ein guter Deutscher ausschmücken.
Am menschlichen Antlitz der Wehrmacht darf herumgepinselt werden.
Margot Werner: ist so ein Pinsel, der die Bundeswehr verziert.
Sie versucht es mit Singen. Im Fernsehen und in Offiziers-Casi-
nos. Warum gerade da: Wer's dem Feind an der Front besorgt, dem
soll es auch die Frau an der Heimatfront besorgen. Sagt Margot.
Tosender Beifall im Saal! Margot ist eine geile Truppenbetreuung.
Nur Nutten verdienen Aids, Margot das Bundesverdienstkreuz.
Scheibner: will noch einen Satz...
Wörner: Der Mann ist ein Betriebsclown. Der wird abgeschaltet,
wenn der sich im Ton vergreift. Dafür sorgt die Bundeswehr-Big-
Band. Tusch. Außerdem hat die Moderation versagt. Tusch. Hier mo-
deriert ab sofort nur noch einer. Tusch. Und Applaus zwo, drei,
vier.
Alle wollen nur noch die Frontbetreuungsmieze. Ein Lied, zwo,
drei, vier...
Margot: Vor der Kaserne, vor dem großen Tor
Alles unter Kontrolle. Die Stimmung ist ausgezeichnet. Bei der
Truppe. Und nicht nur dort.
Militarismus? Woher denn! Geistige Mobilmachung? Aber nicht doch!
Das war bloß ein Fernsehunterhaltungsprogramm am Freitag abend...
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