Quelle: Archiv MG - BRD BUNDESWEHR ALLGEMEIN - Vom deutschen Militarismus
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Arme Bundeswehr
IM INTERESSE DER SICHERHEIT
Nichts am Fall des Generals Kießling ist unklar. Was ist mit die-
sem Mann? Er ist in den Verdacht geraten, ein "unsicherer Kanto-
nist" zu sein, und ist deshalb im obersten Staatsinteresse vor-
sorglich in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Für die
Staatsorgane, die den General aus dem Dienstverkehr gezogen ha-
ben, ist dieser Fall erst recht eine eindeutige Angelegenheit.
Die Akte Kießling
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ist und bleibt geheim, weil sie einen normalen Bürger nichts an-
geht. Doch über die Gründe der Entscheidung haben die zuständigen
Staatsorgane trotzdem niemanden im Zweifel gelassen. Und diese
Gründe sind so beschaffen, daß sich eine D e b a t t e über sie
als reichlich absurd erweist. Denn wenn die obersten politischen
und militärischen Führer der BRD über jemand aus ihrem Kreis den
Beschluß fällen, er sei für i h r e Sicherheit ein "untragbares
Risiko" geworden, so steht das damit fest. Zudem ist eine Sache
wie die "Sicherheit der BRD" von vornherein vom Kaliber eines
derart fraglosen Gutes, daß sich Einwände gegen dieses Kriterium
von selbst verbieten. Finge man d a m i t an, den Zweck
"Staatssicherheit" zu problematisieren, muß man sehr aufpassen,
daß man nicht selbst zu einem "Sicherheitsrisiko" wird!
So bleibt einem nur übrig, die Mitteilungen der Staatsgewalt über
einen in Ungnade gefallenen General so zur Kenntnis zu nehmen wie
sie gemeint sind. A u f k l ä r u n g enthalten diese Mittei-
lungen an den Bürger reichlich, es kommt nur auf den Willen an,
sie auch wahrzunehmen. Die Sicherheitsorgane dieses Staates sind
so gut ausgebaut und arbeiten so gut, daß ihnen, wenn es darauf
ankommt, auch ein höchster General nicht durch die Lappen geht,
der stets nur durch seine pflichtbewußte Dienstauffassung auffal-
len wollte. Wofür man dem KGB insgeheim Bewunderung zollt - die
"Kunst", für den feststehenden Beschluß, einen Mann in Ungnade
fallen zu lassen, die nötigen "Beweise" zu liefern -: der Fall
Kießling ist der Beweis (für den, der es erst jetzt zur Kenntnis
nehmen will), daß sich demokratische Geheimdienste mit ihrer
Kunst, Dossiers über mißliebig Gewordene anzufertigen, nicht zu
verstecken brauchen. Allerdings: Ein Geheimdienst k a n n auch
gar nicht an einem Auftrag scheitern, der von oberster Stelle
kommt und der die Anweisung enthält, Beweise g e g e n eine
Person zu beschaffen. Wenn der politische Beschluß steht, die ob-
ligatorisch zu führende Personalakte eines Generals zu einem Ar-
gument gegen ihn zu machen, in der sich die Vermerke finden:
"Ledig, Pech mit Frauen; gilt privat als Eigenbrötler", so ist
der Mann geliefert, noch bevor die Geheimmänner mit ihrer Wühlar-
beit beginnen.
Und gleichgültig, ob "ausreichend" oder nicht, auf jeden Fall
werden von Agenten die "Beweise" beschafft, die man haben möchte.
Auf Schritt und Tritt beobachtet und überwacht, haben sich beim
Bürger Kießling daher notgedrungen wie von selbst Befunde wie
"undurchsichtige Privataktivitäten in höchst auffälliger Häufung"
und der Verdacht auf "sexuelle Abnormität" eingestellt. Pech für
diesen ansonsten untadeligen Offizier, aber sehr wohl ausrei-
chend, um diese Person eines politischen Verbrechens gegen die
"freiheitlich-demokratische Grundordnung" zu überführen. Die An-
klage lautet auf "Erpreßbarkeit für eine fremde Macht", ein De-
likt, bei dem es logischerweise nicht darauf ankommt, ob der
Schuldige zum Feind überlaufen w o l l t e. Ganz unabhängig da-
von, welche subjektiven Erklärungen der General für seinen Le-
benswandel haben mag - hier zählt offenbar nur der beschlossene
Verdacht, er könne m ö g l i c h e r w e i s e zu einem Problem
für die Staatssicherheit werden - ein o b j e k t i v unver-
zeihlicher Fehler seiner Person, der seine Entfernung von der
Truppe unbedingt erforderlich macht.
So bringt der Fall des Generals Kießling die Gewißheit, daß an
der Wachsamkeit der demokratischen Staatsmacht in bezug auf die
Abwendung innerer und äußerer Gefahr kein Zweifel bestehen kann.
Die ist auch geboten, wenn man bedenkt, daß die BRD ja nicht in
einem gesicherten Frieden lebt, sondern sich in ihrem selbst auf-
erlegten antikommunistischen Kampfauftrag gegen den Osten bewäh-
ren will, der unter der Parole: S i c h e r h e i t die alltäg-
liche Spitzeltätigkeit der zuständigen Geheimdienstbehörden gegen
alle möglichen i n n e r e n F e i n d e der Republik so not-
wendig macht. Angesichts des derzeitigen politischen Klimas wird
gemäß dem Gesichtspunkt der Sicherheit nicht das geringste Risiko
eingegangen und jedem kleinsten Verdacht doppelt nachgegangen -
das leuchtet ein. Eine eindeutige Perspektive, mit der die Obrig-
keit im Fall Kießling gehandelt hat: Für sie besitzt die Gefahr
der W e h r k r a f t z e r s e t z u n g nicht nur viele Ge-
sichter, es existiert auch keine Sphäre der Gesellschaft, die von
ihr nicht betroffen wäre. Für den demokratischen Staatsschutz be-
ginnt die Wehrkraftzersetzung auf der Straße, wenn jugendlicher
Mob für den Frieden demonstrieren geht, und endet beim General
mit unbürgerlichem Privatleben, durch den Geheimnisse der NATO-
Kriegsplanung auf dem Spiel stehen. Verschiedene Fälle, e i n
Problem: Erhaltung demokratischer Wehrbereitschaft. Diesem Zweck
wird auch einmal ein General geopfert, um so mehr, als gerade
eine solche Figur fürs Volk den schauerlichen Beweis erbringt,
wie schnell man - "dran" sein und zu einem Landesverräter werden
kann.
Die "Affäre" Kießling
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ist dagegen ausschließlich das Produkt einer Idiotie namens demo-
kratisch gelenkte Öffentlichkeit. Was wird unter dem Deckmantel
des Verlangens nach "rückhaltloser Aufklärung" landauf, landab in
den Medien belabert? Die Erörterung von S t i l f r a g e n der
Politik im allgemeinen, das Problem der mangelnden Menschlichkeit
zwischen politischer Führung und Generalität im besonderen und
ganz besonders nachdrücklich die sachkundige wie einfühlsame Be-
gutachtung d e s e i n e n S c h ö n h e i t s f e h l e r s,
der die Kaltstellung des Generals in der Tat ausgezeichnet hat.
Zu schön wäre es nämlich gewesen, wenn der Mann ein Geständnis
abgelegt hätte oder wenn er wenigstens auf die Modalitäten einge-
gangen wäre, die der Minister für seinen Abgang vorgesehen hatte.
Warum bloß mußte der alte Herr widerspenstig werden, partout
seine Unschuld beteuern und seine Ehre verteidigen wollen? Ande-
rerseits: Warum konnte der Wörner nicht einen hieb- und stichfe-
sten Homo präsentieren?
S o l c h e Peinlichkeiten erregen den Bürgerverstand und setzen
das typisch demokratische Aufklärungsbedürfnis in Gang, das keine
Illusionen über seinen kritischen Impetus zuläßt und wieder ein-
mal zu einem Vergleich zwischen Ost und West herausfordert. Klar,
das glaubt jeder bei uns zu wissen: Wenn im "kommunistischen
Machtbereich", was oft genug vorkommen soll, eine Figur vom Rang
eines Generals verschwinden muß, weil er sich aus willkürlich ge-
setzten Gründen unbeliebt gemacht hat, dann erfährt davon natür-
lich kein Mensch. Wenn bei uns ein General gefeuert werden muß,
weil er nicht astrein gewesen sein soll, dann läßt sich das nicht
so einfach machen. Hier steht die Öffentlichkeit als "Kontroll-
instanz" davor und sagt schon einmal: "Aber Herr Minister, was
erlauben Sie sich. So geht das nicht!" Nur, das Geschreibsel der
Skandalberichterstatter einmal nüchtern betrachtet, worum geht es
denn der öffentlichen Meute?
Nur um ein paar glaubwürdige Anhaltspunkte dafür, daß man
n i c h t kritisieren muß. Dabei muß man Kritik gleich doppelt
und dreifach in Anführungszeichen setzen. Bemängelt wird ja nur,
daß es die zuständigen Organe nicht geschafft haben, die Öffent-
lichkeit aus der Sache Kießling herauszuhalten. Der Verteidi-
gungsminister ist daran gescheitert, ein Aufsehen zu vermeiden.
Eine Öffentlichkeit ist das, die höchst freiwillig ihre Überflüs-
sigkeit beweist. Denn der Skandal dreht sich ja nur um das Eine:
um das Problem, d a ß der Fall eines vorzeitig zu pensionieren-
den 4-Sterne-Generals für die Öffentlichkeit nicht mit ordentli-
chen Gründen versehen und geschickt aufbereitet wurde. Mit einem
Wort: Schlamperei!
Also muß hier entschieden Licht in das Dunkel gebracht werden.
Wegweiser gibt es genug. Kann man vielleicht einen Staat haben,
der sich bei der A b w i c k l u n g solcher Fälle nicht so
dämlich anstellt? Einen MAD, bei dem nicht lauter Idioten rumlau-
fen? Einen Verteidigungsminister, der sich bei der Legitimation
seiner Entscheidungen nicht in Widersprüche verwickelt und der
mit einer Begründung auskommt, statt sich immer neue Argumente
einfallen zu lassen? Läßt sich der Moloch "Hardthöhe" nicht end-
lich in den Griff kriegen, so daß wir auf der Mattscheibe auch
einmal einen gesunden und fröhlichen Amtschef genießen dürfen?
Das wird man doch wenigstens erwarten dürfen, daß das Ansehen der
Bundeswehr gewahrt bleibt, wenn ein General, und sei es auch et-
was außer der Reihe, in den Ruhestand versetzt wird!
Und wenn dies alles nicht zu haben ist und zudem die Entlassung
Kießlings sich als Mißgriff herausstellen sollte - eine ungemein
scharfe Kritik! -, dann sollte sich das Verteidigungsministerium
wenigstens ein Beispiel daran nehmen, wie unter Hitler vergleich-
bare Fälle gelöst worden sind. Also sprach Nationaldemokrat Som-
mer in der ZEIT:
"In Hitlers Drittem Reich war es möglich, die anrüchige Affäre
Fritsch binnen fünf Wochen so zu bereinigen, daß die Sachlage ge-
klärt und die Ehre des angeschuldigten Generalobersten wiederher-
gestellt war." (Jawoll!) "Der Versuch, in einem informellen Eh-
rengerichtsverfahren ähnliches im Fall Kießling zu bewirken, ist
letzte Woche gescheitert. Das enthebt unsere Demokratie nicht der
Pflicht, auf andere Weise dem bösen Spiel ein rasches Ende zu
setzen. Was 1938 möglich war, sollte doch 1984 nicht unmöglich
sein."
Schon jetzt hat die öffentliche Sorge um den geschaßten General
ihren Nutzen gehabt. Die Politiker trösten die Nation und ver-
sprechen: Beim nächsten Mal darf so etwas nicht noch einmal pas-
sieren. Die Opposition funktioniert auch. Sie bemüht sich eifrig,
den durch die ministerielle Unfähigkeit entstandenen Schaden von
der Bundeswehr abzuwenden - auf die Person des Ministers. Die SPD
bemüht sich darüberhinaus, der Regierung dabei zu helfen, die
Grünen nicht an Geheimnisse in dieser Affäre herankommen zu las-
sen. Bei denen sollen ja einige Kommunisten herumlaufen, wie
mittlerweile auch schon deren eigener, auch abgehalfterter Ex-Ge-
neral gemerkt haben will. Der Nachfolger von Kießling bei der
NATO muß unbedingt ein General sein, der eine Ehefrau hat. Sonst
werden die Gerüchte um die Tauglichkeit der deutschen Generalität
in gewissen Kreisen der Brüsseler NATO-Szene nicht mehr aufhören.
Beim MAD schließlich wird durchgegriffen, damit er endlich den
Standard der änderen Geheimdienstabteilungen erreicht.
Sonst noch Sorgen?
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Die beiden ersten Exemplare von ihrem neuen Wunderflugzeug Tor-
nado sind der Luftwaffe heruntergefallen. Noch eine Soldatengene-
ration weiter, und der Nachwuchs bleibt ihr (fast) aus. Der Sold
"konnte" wieder einmal nicht erhöht werden.
Bemerkenswerte Sorgen! Sie sind so recht die Antwort auf einen
"heißen Herbst", in dem die demokratische Öffentlichkeit sich
einmal vorübergehend in die Nähe der Frage nach dem strategischen
Zweck der Bundeswehr und ihrer Waffen bewegt hatte. Denn sie rüc-
ken die Maßstäbe zurecht, nach denen eine deutsche Wehrmacht ge-
fälligst beurteilt zu werden hat:
- Für ihr Tötungsgerät gilt der Maßstab höchster Perfektion. Kein
Ausfall bei größter Durchschlagskraft! Alles andere ist der Armee
nicht zuzumuten.
- So sehr ist die Wehrmacht fürs Volk da, daß selbstverständlich
das Volk auch die Pflicht hat, das nötige Menschenmaterial für
die Wehrmacht herzustellen. Daß nach den Gesetzen der Marktwirt-
schaft, die die Bundeswehr schützt, besagtes Menschenmaterial an-
sonsten unnütz ist und per Almosen durchgefüttert wird, ist über-
haupt keine Entschuldigung für gesunde Eltern, ihre Zeuge- und
Gebärpflicht zu vernachlässigen. Nachdem der "Pillenknick" nun
schon mal eingetreten ist, werden die Kinder unlustiger Eltern
mit verlängertem und auf Frauen erweiterten Wehrdienst büßen müs-
sen.
- Einerseits muß die bewaffnete Macht dem Volk so lieb sein, daß
sie auch beliebig teuer kommen kann. Andererseits ist die natio-
nale Ehrenpflicht Pflicht und Ehre für die, die sie verrichten,
und kein Geschäft. Also: mehr Geld für die Wehrmacht - weniger
Taschengeld für ihre Rekruten. Das ist gleich doppelt gerecht.
- Der Staat und sein Gewaltapparat müssen uneingeschränkte Freude
aneinander haben, alles andere ist anormal. Und das Volk hat ein
Recht darauf, daß diese Zufriedenheit sich in den Zügen eindeutig
heterosexueller Oberbefehlshaber unmißverständlich abmalt. Wenn
Sunny Boy Wörner zu oft Anlaß bietet für negative Schlagzeilen,
muß halt ein überzeugenderer Freudenspender ran.
Die Lüge von der Harmlosigkeit der Bundeswehr!
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hat noch immer den Rang eines unantastbaren Rechtsguts. Wer z.B.
einen deutschen Panzer für gefährlicher hält als einen PKW auf
Deutschlands Straßen, ist schief gewickelt - so jedenfalls hat
ein norddeutsches Oberverwaltungsgericht letztinstanzlich gegen
einen K r i e g s d i e n s t v e r w e i g e r e r entschie-
den. Der hatte nämlich nach Auffassung seiner zuständigen Gesin-
nungsprüfungskommission seine fromme Überzeugung von der Unan-
tastbarkeit menschlichen Lebens dadurch unglaubwürdig gemacht,
daß er aus beruflichen Gründen vom Fahren eines Kraftfahrzeugs
nicht lassen wollte. Damit nähme er, so das Gericht, die Tötung
von Passanten und anderen Verkehrsteilnehmern in Kauf - nicht
grundsätzlich anders als ein deutscher Soldat im bewaffneten Ein-
satz.
Und wer - Beispiel Nr. 2 - die Bundeswehr unter dem Feuerschutz
ihrer Mittelstrecken-Atomraketen für noch gefährlicher hält als
vorher und diese Auffassung mit Vertretern der Bundeswehr disku-
tieren will, wird von den Dienstherren der Wehrmacht nicht wider-
legt, sondern von den Untergebenen ferngehalten. Verteidigungsmi-
nister Wörner jedenfalls erklärte sich und seine Armee für zu-
tiefst beleidigt durch entsprechende Thesen des Ex-Offiziers
Mechtersheimer und verbot den eingeladenen Soldaten die Teilnahme
an einer Akademie-Tagung unter evangelisch-kirchlicher Leitung,
weil dieser Mensch mit am Podium sitzen sollte (was in einer de-
mokratischen Diskussionskultur eben schon so viel wie anerkannte
Autorität bedeutet).
Was soll man daraus lernen? Offenbar Folgendes: Der Verfassungs-
auftrag der Bundeswehr gebietet seit jeher nicht eine begrenzte
Zahl von Leichen auf der gegnerischen Seite, sondern den Sieg
über sie; und dafür ist selbstverständlich das beste Gerät gerade
gut genug. Wer dabei Skrupel hat, der hat die Erziehung zur
Skrupellosigkeit, die der demokratisch-marktwirtschaftliche All-
tag ihm gratis anbietet, noch nicht richtig beherzigt - muß also
erst recht schleunigst in die "Schule der Nation". Und wer von
den M i t t e l n der NATO-Kriegsführung in kritischer Absicht
auf deren Zweck schließen will - statt im Namen der offiziellen
Ideologie alle Mittel zu heiligen -, der hat sein Recht auf Mit-
gliedschaft in der BRD moralisch verwirkt.
Tötung im Staatsauftrag - sehr viel verantwortungsbewußter als
Autofahren. Vorwärtsverteidigung mit Atomraketen - ein öffentli-
cher Dienst, über den sich ab sofort nicht mehr diskutiert ge-
hört. Wer's anders sieht, gehört nach drüben!
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