Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles


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       Bremer Hochschulzeitung Nr. 43, 16.11.1981
       
       Der Veranstaltungskommentar
       

WEN STÖREN DIE RUSSEN?

Im Alltagsleben eines normalen Bundesbürgers stören die Russen so wenig wie sie helfen, behauptete der Redner der MG auf dem Teach- In in der Stadthalle zu dieser Fragestellung. Die Russen kommen ihm überhaupt nicht unter, wenn er sein Bestes tut, ein ordentli- ches Leben für sich und seine Familie zusammenzubringen, was ihm ganz andere "Störenfriede" schwer bis unmöglich machen. Es sind doch nicht die Russen, die ihm am Arbeitsplatz ständig neue Lei- stungen vorschreiben und denen er schon wieder gestiegene Preise und Steuern zu zahlen hat; und daß wegen unerfüllbarer Wünsche der Lieben der Haussegen daheim schief hängt, hat ihm auch kein Breshnew beschert. Die Russen können ihm nicht einmal verbieten, auf Russen schießen zu lernen. Das gebieten ihm deutsche Staats- männer, die ihm alle andere Gewaltanwendung verbieten. Einer der ca. 800 Besucher, ein älterer Herr, hielt dagegen: "Mich stören die Russen schon; schon am Frühstückstisch, wenn ich an die Bedrohung durch die SS20 denke, die auf mich gerichtet sind." Daß auf ihn als Werkeltagsmichel sowjetische Mittelstreckenrake- ten angesetzt sind, kann der Mann im Ernst nicht gemeint haben. Sicher erfüllt er täglich so brav seine Pflicht, daß er nicht einmal der Bremer Polizei als einer auffällt, gegen den staatli- che Gewaltmittel in Anschlag zu bringen rechtens ist. Wie sollen da die Strategen im fernen Kreml an ihm einen Anlaß haben, ihn mit Raketen zu bedrohen? Vielleicht hätten sie sogar gerne selbst solche Untertanen, die wertarbeiten und an ihrer Herrschaft bei weitem weniger herummeckern, als das unter östlichen Staatsbür- gern gang und gäbe ist. Andererseits stimmt ja, daß dieser Mann im Ernstfall einer der ersten sein dürfte, dem die SS20 auf den Kopf fallen. Warum? Weil er ein D e u t s c h e r ist. Daran spätestens hätte ihm auf- fallen können, wie fatal es ist, arbeitsam und brav einem deut- schen Staat zu dienen. Der richtet nämlich in West und - späte- stens seit der Entspannung und dem Osthandel - in Ost mit Ge- schäften, politischen Freundschaften und Erpressungen und militä- risch einiges an, das sowjetischen Staatsmännern eine "Bedrohung" dieses S t a a t e s mit SS20 angeraten erscheinen läßt. Nicht nur, daß ihm der Reichtum, den ihm sein Volk schafft, ein An- spruch ist, überall auf der Welt für seine Vermehrung zu sorgen, wozu er "unsere Ölquellen" usw. braucht, deren Besitzer "unsere Freunde" zu sein haben. Aus diesem Reichtum entnimmt er auch nicht zuletzt die militärischen Mittel, auf die sich sein weltpo- litischer Anspruch stützt. Die Russen sind im wörtlichen Sinn die letzten von denen er sich dabei "stören" läßt. Deshalb bean- sprucht die BRD heute an vorderster Front der NATO, darüber zu befinden, wie sich die Russen nicht nur in der Welt, sondern im eigenen Block aufzufahren haben und welche Waffen "ihrem Sicher- heitsbedürfnis" vom Westen zuzubilligen sind - also eigentlich keine. Das zwingt die SU zu der Überlegung, ob sie sich das ge- fallen läßt. Oder ob sie ihrerseits den westlichen Staaten, dar- unter der BRD, diese Freiheit bestreitet, indem sie deren Grund- lage bedroht und im Ernstfall zerstört. Dann widerfährt in der Tat d e m D e u t s c h e n der Ernstfall dessen, wozu er sich von seinen Herrschern machen läßt: Manövriermasse dieses Staates zu sein. Im Grundgesetz heißt das: "Alle Macht geht vom Volke aus." Gegen diese Macht sind die SS20 in Stellung. Schlimm genug, daß dem Diskutanten nicht auffallen wollte, welche Wahrheit er über die lebensgefährliche Abhängigkeit von seiner Herrschaft ausgesprochen hatte, darüber, was ihn zum Deutschen macht und was er davon hat. Noch schlimmer, daß er meinte, einen Grund gefunden zu haben, auch noch f ü r diese Herrschaft zu rein - als Schutz vor einer "Bedrohung", die es ohne ihr Wirken gar nicht gäbe. So liefert ein Bürger auch noch selbst das Argument dafür, von den Bonner Befehlshabern in die Pflicht genommen zu werden - zu i h r e m Schutz gegen den Osten, den sie zum Feind erklärt hat. Und das, wo diesem Mann in seinem langen Leben schon mindestens einmal zugemutet worden ist, sein angeblich so persönliches Feindbild zu ändern, weil seine Regierung umdisponiert hat ge- stern gegen England, heute gegen die Russen. Er ist da nie drauf gekommen, wie auch. Er muß dafür einstehen, auch schon in Frie- denszeiten, wenn die Regierung an ihm zugunsten der "Sicherheitspolitik" spart. Es ist eben ein folgenschwerer Fehler, nur weil die Politiker der BRD die Russen zu Störern gemacht haben, die sie nicht gelten lassen wollen, s i c h von den Russen gestört zu meinen. zurück