Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles
zurück
Eine Klarstellung, die Honecker schuldig geblieben ist:
DIE MAUER - EIN NATIONALISTISCHES MAHNMAL
Mal ehrlich: Fehlt Ihnen wirklich etwas zu Ihrem Lebensglück,
weil Dresden und Leipzig nicht von Bonn aus regiert werden?
Denken Sie wirklich an "unsere Brüder und Schwestern", wenn Ihre
Verwandtschaft aus Karl-Marx-Stadt anreist? Oder sind Sie nicht
eher froh, wenn der Onkel wieder im Interzonenzug sitzt, weil er
nicht dankbar genug für das war, was Sie ihm Gutes geboten haben?
Wollen Sie wirklich wissen, wie "normal" das Leben eines DDR-
Bürgers ist, der täglich zur Arbeit geht, sich mit seiner Familie
herumschlägt, auf ein Auto spart und in der Kneipe und zu Hause
auf alles Mögliche schimpft - wie hier eben auch? Mit dem
einzigen Unterschied, daß er in einem staatlichen Betrieb
arbeitet und sein Geld in einem staatlichen HO-Laden ausgibt;
dafür erweist sich sein Staat durch garantiert billige Mieten und
sichere Arbeitsplätze erkenntlich.
Wie es drüben zugeht und daß in den Politikerreden über das
"traurige Los der Deutschen jenseits des Eiserenen Vorhangs" ge-
logen und geheuchelt wird, daß sich die Balken biegen, braucht
einen westdeutschen Bürger nicht zu kümmern. Er hat ja den sicht-
baren Beweis für die "unerträglichen Lebensverhältnisse" in der
DDR vor Augen - die Mauer in Berlin, für deren Errichtung ost-
deutsche Politiker einige Tonnen Zement aus der Produktion abge-
zweigt haben. Und damit er nicht vergeßlich wird, mahnen ihn
"Bild" und ARD dreimal am Tag an dieses "nationale Schandmal"
samt "unmenschlichem" Schießbefehl. In Bonn reist mit Honecker
eben nicht das Oberhaupt eines anderen Staates an, sondern vor
allem der "Mauerbauer"; und der Hinweis, daß die DDR eine Grenze
nach Westen hat und sie "schützt", macht alles klar. In der DDR
leben lauter verhinderte Republikflüchtlinge, die ohne westdeut-
sche Freiheit nicht leben können; und ohne den "kommunistischen
Polizeistaat" mit seiner "totalen Überwachung" und eben der ver-
brecherischen Mauer wären die ihrem Honecker schon längst alle
weggelaufen. Wenn es so wäre, hätte das "Unrechtsregime" dort
drüben schon längst abdanken müssen - mit einem Volk, das seinen
Politikern den täglichen Gehorsam verweigert, läßt sich nirgendwo
regieren. Umgekehrt dürfen "wir" der Mauer das Glück entnehmen,
in grenzenloser Freiheit zu leben und dafür glatt vergessen, wie
die tägliche Kleinmünze dieses Lebens aussieht.
Zu der gehört die Erfahrung, daß auch die BRD - wie überhaupt je-
der Staat - auf ihre Grenzen achtet, sie mit allen nötigen Siche-
rungsanlagen versieht und sich gegen unerlaubte Grenzübertritte
eine eigene militärische Abteilung hält. Ob und wie Ausländer
einreisen und das eigene Volk über die Grenzen schauen darf, re-
geln auch hier staatliche Behörden sehr genau; schließlich wacht
jeder Staat über das alleinige Verfügungsrecht über sein Volksma-
terial, das er mit niemandem teilen will. Daß ein fremder Staat
westdeutsche Untertanen abwerben will, indem er ihnen seinen ei-
genen Paß aufdrängt, würde sich die BRD nie gefallen lassen. Ge-
gen Hungerleider aus fremden Erdteilen, Asylanten genannt, er-
richtet Zimmermann Barrieren, die keinen Vergleich mit der
"Schandmauer" zu scheuen brauchen, aber selbstverständlich in
Ordnung gehen.
Daß die Elbgrenze etwas mehr Stacheldraht als gewöhnlich aufweist
und überhaupt ein Skandal ist, hat einen anderen Grund. Der
Staat, der so seine Hoheit sichert, widerspricht dem Wiederverei-
nigungsanspruch, auf den BRD-Politiker ihre Republik schon bei
der Gründung festgelegt haben. Weil dem sozialistischen Deutsch-
land kein Existenzrecht zugestanden wird, ist die DDR und ihre
Grenze ein unerträgliches "Verbrechen". Die Bürger der DDR werden
pauschal zu Untertanen der Bonner Republik erklärt; die westdeut-
sche Justiz führt sich als oberstes Schiedsgericht auf und regi-
striert alles, was wir an diesem Unrechtsstaat nicht leiden kön-
nen, als politisches Verbrechen. Und weil die Realität dem guten
bundesdeutschen Verfassungsrecht hinterherhinkt, leiden wir alle
unter der untragbaren "Teilung" unseres unteilbaren Deutschland.
Also ist Einmischung oberste Pflicht jeder Bundesregierung. Den
Bewohnern der DDR wird dauernd erklärt, daß sie nach wie vor ei-
gentlich zu dem größeren Deutschland gehören, das Hitler ver-
spielt hat. Für eine neue sozialistische Staatszugehörigkeit be-
stände gar kein Grund, und die eigentlich legitime Obrigkeit auch
für Sachsen und Pommern säße in Bonn. Ausgemalt wurde dieses na-
tionalistische Sonderangebot mit Kaffee, Bananen und dem
"Wirtschaftswunder", das die BRD mit amerikanischer Starthilfe
hinlegte - im goldenen Westen erfuhren die Republikflüchtlinge
dann, daß dieses Glück nicht gratis zu haben war.
Bei guten Deutschen, die sich in der DDR - anders als hier - auf
einige soziale Veränderungen einstellen mußten, die sie aus ihrer
Vergangenheit unter Hitler nicht gewohnt waren, blieb die bundes-
deutsche Propaganda nicht ohne Erfolg. Die DDR-Regierung rea-
gierte mit dem Bau der Mauer. Das war nicht der unmenschliche
Einfall böser Kommunisten, sondern ein sichtbares Eingeständnis,
wie staatsbürgerliche Loyalität funktioniert, und zwar keineswegs
bloß in der DDR. Ein nationales "Wir" ist nie und nimmer mit Ar-
gumenten hinzukriegen, sondern nur durch eine Gewalt, die fraglos
und unangefochten über ihr Volk regiert. Deswegen war radikale
Abgrenzung fällig - gegen eine Deutschlandpolitik aus Bonn, die
eine richtige DDR-Souveränität bis heute nicht gelten läßt.
So bekommt die DDR auch keine Gelegenheit, den "anti-imperiali-
stischen Schutzwall" wieder zu einer gewöhnlichen Grenze zu ma-
chen. Auch wenn Honecker noch so viele Reiseerleichterungen ver-
kündet und mittlerweile die BRD für seine Mitbürger zum größten
Ferienland geworden ist - damit sind Bonner Politiker, die ja
nicht bloß Grenzhindernisse - sondern einen feindlichen Staat be-
seitigen wollen, nicht zufriedenstellen. Die haben die
"Schandmauer" richtig ins Herz geschlossen als ein Mahnmal für
eine künftige Abrechnung, die sich nicht mit kleinlichen
"menschlichen Erleichterungen" zufrieden gibt. Den westdeutschen
Wiedervereinigungskämpfern sind heute diejenigen "Brüder und
Schwestern" am liebsten, die nicht hier das Heer der Sozialhilfe-
empfänger vergrößern, sondern die drüben bleiben - als menschli-
che Symbole dafür, daß noch eine Befreiung aussteht.
zurück