Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles
zurück Der Kanzler aus dem Feindesland zurück:KOHLS ERFOLG IN MOSKAU
Nach bewährter demokratischer Sitte erkundigen sich unsere kriti- schen Journalisten immer zuallererst bei den M a c h e r n der Politik, was sie von dieser zu halten haben, und verbreiten nichts eifriger als die von oben ausgegebenen Sprachregelungen. "G e l u n g e n" ist Kohls Staatsbesuch in Moskau also vor al- lem deswegen, weil der Kanzler selbst die devote Frage: "Wie sind Sie zufrieden?" positiv beschieden hat: "Ich bin sehr zufrieden!" Auch "ohne greifbare Ergebnisse" ein unzweifelhafter "E r f o l g" des Kanzlers: so lautet der demokratische Konsens von der "Bild-" bis zur "Süddeutschen Zeitung". Und worin bestand er, der Erfolg? --------------------------------- "Schon allein das persönliche Kennenlernen brächte die Politik voran, meint Kohl - und diesen "Erfolg" kann man seiner Ruß- landreise tatsächlich nicht bestreiten. Der war immer unzweifel- haft, nämlich schon durchs Stattfinden des Ausflugs garantiert - da hätte Andropow ja schon konsequent seinem Besucher die Tür weisen müssen, um diesen "Erfolg" zu verhindern. Tatsächlich gibt Kohls selbstzufriedener Kommentar - "... immer gut, wenn die maß- geblichen Persönlichkeiten einander kennenlernen!" - nur über ei- nes Aufschluß: Wie schnell der von intellektuellen Untertanen als "Birne" gescholtene "Provinzfürst" es geschafft hat, in der Welt der "großen Politik" und ihren diplomatischen Sprachregelungen heimisch zu werden (d a f ü r k a n n man offenbar als arri- vierter Politiker gar nicht zu dumm sein). Der diplomatische Hin- weis aufs "Menschliche" und seine Wichtigkeit lebt nämlich von der Sicherheit, daß es im Verkehr der S t a a t e n untereinan- der auf die t a t s ä c h l i c h e persönliche Statur der Staatsmänner, ihren Charakter und ihre "zwischenmenschliche" Be- kanntschaft gerade überhaupt nicht ankommt. (Käme es darauf an: Welcher westliche Staatsmann hätte denn da eine Chance ?!) Und erst recht Kohl hatte seinen sowjetischen Gesprächspartnern ganz anderes mitzuteilen als seine Jovialität. Den Anspruch auf "Wiedervereinigung" ------------------------------------ hat der Kanzler vom Begrüßungsumtrunk am Montagabend bis zum Ab- schied immer wieder nachdrücklich "in Erinnerung gebracht" - zum nicht gelinden Entsetzen seiner Gesprächspartner, die ein Jahr- zehnt lang die falsche Hoffnung gehegt hatten, wenigstens diese deutsche Sonderausgabe des NATO-Anspruchs auf die Auflösung des Ostblocks vom Hals zu haben zumindest offiziell oder wenigstens bei Staatsbesuchen, wo doch "gute Beziehungen gepflegt" werden sollen. Selbst dem Chefjournalisten der "Süddeutschen" blieb der "provokative Charakter" dieser Sprüche nicht verborgen. Und die arrogante Selbstgefälligkeit, mit der Kohl vor einer überfüllten Pressekonferenz und pflichteifrigen Westfernsehkame- ras die "einfühlsame" Frechheit zum Besten gab, mit der er Andro- pow gekommen war - "'Was würden Sie als sowjetischer Partiot, als russischer Patriot dazu sagen, wenn Moskau geteilt wäre?' Das wurde nicht disku- tiert; das blieb so im Raum stehen." -, verrät nicht etwa schlechte Erziehung, sondern die Selbstsicher- heit einer imperialistischen Macht, die es mit einem ganzen Kriegsergebnis meint aufnehmen zu können. "Wir wollen keinen Krieg!" -------------------------- - das ist Kohl nicht zufällig immer gleich hinterher eingefallen. Denn das ist irgendwie auch ihm klar, daß "Wiedervereinigung" ein kriegsträchtiger Anspruch ist und bleibt, auch wenn der Verdacht auf Revanchismus à la Hupka und Czaja noch so energisch zurückge- wiesen wird (und die Sache ja auch wirklich nicht trifft: der NATO-Weltkrieg wird nicht um Schlesien geführt!). Um so nötiger die Versicherung, auch die Deutschen hätten "aus der Geschichte gelernt" - allerdings hat Kohl auch daran keinen Zweifel gelas- sen, was die BRD dem vorigen (verlorenen!) Weltkrieg als Lehre entnommen hat: "Die Raketen werden stationiert!" --------------------------------- lautete Kohls wichtigste und Hauptbotschaft. Mal in der Zusammensetzung: "Wir wollen keinen Krieg aber die Ra- keten werden stationiert!", um so klarzumachen, daß die westdeut- sche Friedensliebe z u m L e t z t e n entschlossen ist. Dann wieder in der Kombination: "Die Raketen werden stationiert - aber w i r wollen keinen Krieg!", um so den Anspruch gegen die so- wjetische Seite vorzubringen, sie hätte gefälligst nachgiebig zu sein und s i c h g a n z f r i e d l i c h t o t r ü s t e n z u l a s s e n. Die Gegenvorstellungen der sowjetischen Regie- rung, ihre zurückhaltenden Drohungen mit rüstungsmäßigen und au- ßenwirtschaftspolifischen Gegenmaßnahmen, hat Kanzler Kohl von sich abtropfen lassen, als hätte er sie gar nicht gehört - wofür die kritischen westdeutschen Zeitungen ihren Kanzler völlig kri- tiklos bewundern: Eine sehr souveräne "Hartleibigkeit" hätte er an den Tag gelegt. Und das war nun ganz gewiß zuallerletzt eine Charakterfrage. Kohl hat es sich geleistet, sowjetische Drohungen einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen, weil er sich der M i t t e l sicher ist, sie w e i t g e h e n d w i r- k u n g s l o s zu machen: Im Ostgeschäft ist der Ostblock der zahlungswillige, aber nur bedingt zahlungsfähige, auf Fortgang des Handels immer mehr angewiesene Schuldner; und neue Ostraketen bleiben in ihrer politisch ausnutzbaren Bedrohlichkeit hinter der Wucht der 600 Pershing II und Cruise Missiles (ganz abgesehen von dem Arsenal, mit dem die NATO d a n n wieder "nachrüstet") weit zurück. Weil er die geballte M a c h t der NATO vertrat und ihren durch keinerlei Skrupel angekränkelten W i l l e n, die Sowjetunion zur H i n n a h m e w e s t l i c h e r Ü b e r- l e g e n h e i t z u z w i n g e n: d e s w e g e n hat Kohl sich mit seiner offensiv gegen die russischen Gesprächspartner zur Schau getragenen Arroganz nicht blamiert. Wie der alte Helmut ------------------- ist Kohl im Nu in die Rolle einer perfekten Charaktermaske bun- desdeutscher Gewalt hineingewachsen; die weltpolitischen Ansprü- che dieser Republik haben die russischen Politiker im "Menschen Kohl" erneut zur Kenntnis nehmen müssen. Die Macht "adelt" ihren obersten Sachwalter; und wenn der ins Feindesland reist und sich dort provokativ aufführt, dann findet, ideell und diplomatisch, ein Machtkampf statt. S o w i r d deutsche NATO-Treue zu einem Anspruch, dem die Sowjetunion nachzukommen hat - soweit sie ihm nichts gleichermaßen Gewalttätiges entgegenzusetzen hat. Ein Schritt weiter hin zur Endabrechnung: D a s ist der Inhalt von Kohls "menschlichem" Erfolg in Moskau. zurück