Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles


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       Kohl an der Oder
       

EINE WESTGRENZE ALS BRÜCKE ZU UNSEREN OSTGEBIETEN

"Das vereinte Deutschland wird die bestehende deutsch-polnische Grenze in einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag bestätigen, und zwar innerhalb der kürzest möglichen Zeit nach Herstellung der deutschen Einheit." (Außenminister Genscher in seiner Erklä- rung beim abschließenden Zwei-plus-Vier-Treffen in Moskau am 12. September 1990) Nichtsdestotrotz galt seiner Unterzeichnung der jüngste Verhand- lungspoker zwischen der Bundesrepublik und Polen in Frankfurt an der Oder. Da durfte der polnische Ministerpräsident Mazowiecki "als Geschenk" (Heute-Journal) der Bundesregierung mit nach Hause nehmen, daß dieser Grenzvertrag doch tatsächlich im November noch unterzeichnet wird. Die Bonner hatten sich nämlich ein Junktim einfallen lassen: Sie wollten ihre Unterschrift nicht einfach so unter den Grenzvertrag setzen, sondern gleichzeitig einen "umfassenden deutsch-polnischen Vertrag" unterzeichnen. Der kommt zwar jetzt erst im Januar zur Unterschrift, aber beide Verträge werden zusammen und gleichzeitig von den Parlamenten im Februar ratifiziert. Der deutschen Diplomatie ist es also durchaus gelun- gen, die Verknüpfung beider Verträge ausreichend deutlich zu ma- chen. Und darauf kam es offenbar an. Für den I n h a l t der Verträge hängt nämlich eh nichts davon ab, ob erst die Grenzen bestätigt und dann die Kautelen der neuen Nachbarschaft ausgehan- delt werden. Da hat die Bundesrepublik ohnehin alle Trümpfe gegenüber dem auf kapitalistische Entwicklung und EG-Anschluß er- pichten Polen in der Hand. Und was Polen am meisten wünscht, näm- lich deutschen Kredit und deutsches Kapital für seine Wirtschaft, das kommt, wenn man dem Kanzler glauben darf, schon mal nicht in den "Großen Vertrag". Der soll nämlich kein "Geldvertrag" werden, sondern "den vertraglichen Rahmen für eine deutsch-polnische In- teressengemeinschaft setzen" (Kohl in der "Süddeutschen Zeitung", 11.10.). Und die definiert sich für einen deutschen Kanzler in erster Linie und vor allem deutsch. Die Verknüpfung zwischen Grenzvertrag und Nachbarschaftsvertrag leistet da schon einiges vorneweg. Erstens wird das in der BRD so überaus beliebte Märchen vom V e r z i c h t auf die alten Ostgebiete noch einmal diplo- matisch breitgetreten. Als ob Deutschland in diesem Grenzvertrag Gebiete abträte, die ihm in irgendeiner Weise gehörten. "Verzichtet" wird auf den f o r m e l l e n A n s p r u c h des deutschen Staates, polnisches Gebiet als deutsches Staatsge- biet zu beanspruchen. Und das auch nur, weil es von den Sie- germächten im Zuge der Übernahme der DDR gefordert wurde. Aber das hält die deutsche Regierung offenbar für solch eine Vorlei- stung gegenüber Polen, daß sie zweitens mit der Verbindung zum Nachbarschaftsvertrag ihr gutes R e c h t unterstreicht, die Beziehungen dann aber auch in ihrem Sinne zu regeln. Und der geht z.B. bezüglich der deutsch-polnischen Grenze so: "In Polen hatte man sich zu lange auf die vertragliche Fixierung der Grenze konzentriert... Das Thema sollte aber auch in einem breiteren Sinne behandelt werden, nämlich in der Perspektive re- gionaler Zusammenarbeit: Wir haben eine beinahe 500 Kilometer lange Grenze zwischen Deutschland und Polen. Wer das Schreckliche nicht vergessen will, das in deutschem Namen an Polen geschah, aber auch das Schreckliche nicht, das an Deutschen geschah, wer weg will von einer Aufrechnungsmentalität, der muß an dieser Grenze, an Oder und Neiße, den Versuch unternehmen, das Trennende zu überwinden. Die Grenze muß eine Brücke werden. Mir schwebt eine regionale Kooperation vor... So soll zum Beispiel das neue Bundesland Brandenburg, zu dem Frankfurt an der Oder gehört, mit den gegenüberliegenden Landschaften und Verwaltungsbezirken zu einer möglichst engen Zusammenarbeit kommen." (Kohl, 11.10) So mag ein deutscher Kanzler seine Ostgrenze, wenn sie nämlich gar keine mehr ist, jedenfalls keine Begrenzung für irgendein deutsches Interesse. Wenn Polen den deutschen Ländern erlaubt, mit den Gebieten östlich der Grenze "zusammenzuarbeiten", als seien es deutsche, dann verkraftet auch ein deutscher Regierungs- chef das "Trennende" dieser Grenze. Aber auch nur dann. Deshalb muß Polen relativ gleichzeitig in einem "umfassenden Vertrag" un- terschreiben, daß die "Grenze an Oder und Neiße" eigentlich eine "Brücke" ist. Zu den ehemals deutschen Ostgebieten vielleicht? Auf jeden Fall zu deren lebendigem Inventar, der sogenannten "deutschen Minderheit". Deren Entstehung und Betreuung ist ein schönes Beispiel dafür, Wie Deutscher Imperialismus auf völkisch heute geht --------------------------------------------------- Die "deutsche Minderheit" in Polen gab es ja keineswegs immer schon. Erst einmal wurden die Untertanen des besiegten Aggressors Deutschland aus dem nunmehr polnischen Gebiet zum großen Teil ausgewiesen, was von BRD-Politikern zum größten Skandal der Nach- kriegszeit erklärt wurde. Die "Vertriebenen" laufen bis heute als lebendige Denkmäler rum für ein "schändliches Verbrechen", das nur mit dem der Nazis zu vergleichen sein soll. So ging und geht d e u t s c h e "Aufrechnungsmentalität". Infolge der Brandt- schen Ostpolitik und der zunehmenden Westorientierung Polens (und der damit verbundenen Abhängigkeit von diesem) akzeptierte Polen diese deutsche Sichtweise mehr oder weniger offiziell. Aber nicht nur das. Außerdem ließ sich Polen darauf ein, daß es nicht nur "Vertriebene" in der BRD, sondern auch noch "Verbliebene", Deut- sche nämlich, auf seinem eigenen Staatsgebiet gäbe. Deren Aner- kennung als "deutsche Minderheit" durch die polnische Regierung war ein handfester Erfolg deutscher Ostpolitik. Denn das war der Auftakt dafür, daß sich Polen seither von Bonn sagen lassen kann, wie es mit diesen Leuten, immerhin seinen eigenen Staatsbürgern, umzugehen hat. Die mußten vor allem vor weiterer "Polnifizierung" geschützt werden. Die Erlaubnis der "Pflege deutscher Sprache, Kultur und Tradition" war da das Mindeste. Den Polen vor Ort mußte natürlich erst noch beigebracht werden, daß es sich jetzt in Polen besser lebe, wenn man die deutsche Sprache pflegen dürfe. Bei dieser Überzeugungsarbeit erwiesen sich die Vertriebenenverbände als besonders nützlich. Deren Anhänger rei- sten vor Ort und warben dafür, daß sich das Bekenntnis zum Deutschtum wieder lohne. Deutscher Nationalismus in Polen, von dem man ein Vierteljahrhundert nichts mehr gehört hatte, blühte wieder auf. Die "deutsche Minderheit" nahm Gestalt an. Heute ist sie bereits organisiert, hat Vertreter, die sich in Bonn beschwe- ren dürfen, wenn ihnen die polnische Regierung für ihre Ansprüche nicht genügend Schul- und Kulturhäuser, Kindergärten und Vereins- heime hinstellt, in denen sie ihre deutsche "nationale Identität" pflegen und repräsentieren können. Auf die braucht sich die Bun- desregierung heute nurmehr zu berufen, wenn sie mit der pol- nischen Regierung lauter Sonderrechte bis hin zur Gründung von politischen Parteien aushandelt. Da mag Mazowiecki noch so be- tonen, daß die "deutsche Minderheit" nur eine unter anderen ist, die in Polen leben und die alle gleich behandelt werden müßten. Die deutsche Regierung sorgt schon dafür, daß "ihren" Leuten ein besonderer Service zuteil wird. Ein "deutschstämmiger" Pole soll sich seine Umgebung nämlich so deutsch einrichten dürfen, als lebte er daheim im Reich. Dazu gehört natürlich, daß alles Pol- nische dort nichts zu suchen hat. Das ist der deutsche Beitrag zur Reduzierung der Ausreisewilligkeit und damit zur Eindämmung der von Kohl und Mazowiecki befürchteten "Bevölkerungsbewegung von Ost nach West". Ist die "deutsche Minderheit" dann so nationalistisch aufgebaut, daß ihr die Nichtzugehörigkeit zum Deutschen Reich als unerträg- lich erscheint, so bedarf dann eben das der Regelung durch die deutsche Regierung. Dabei können auch Grenzfragen wieder offen werden. Die hält eine deutsche Regierung nämlich nur dann für ge- regelt, wenn das, was jenseits der Grenze passiert, in ihre Regie paßt. D a s soll mit der Verknüpfung von zwei disparaten Ver- trägen den Polen ins Stammbuch geschrieben werden. Polen ist andererseits nur e i n Beispiel für das Schüren eines deutschen Nationalismus in den Ländern Osteuropas --------------------------------------------------------------- durch die deutsche Politik. Daß auch in der Sowjetunion wieder ein deutsches Volkstum seine Stimme erhebt, das noch dazu gleich ein neues Gebiet will, auf dem es dann natürlich mindestens auto- nom sein muß, hat Gorbatschow längst anerkannt. Zur Zeit überlegt man in der Sowjetunion, wo man die Wolgadeutschen heute ansiedeln könnte. Im "Umfassenden Vertrag" zwischen der BRD und der So- wjetunion, der jüngst in Bonn unterzeichnet wurde, anerkennt die Sowjetunion u.a. all die Rechte, die nach Meinung der deutschen Regierung ein "Deutschstämmiger" im Ausland braucht, um sich da- heim zu fühlen. Auch in der Tschechoslowakei entsteht gerade eine "Minderheit": Die ersten "Vereine zur Förderung deutscher Sprache und Kultur" bilden sich im alten Böhmen. Kein Wunder, daß der deutsche Außenminister auch hier "den Blick nach vorn richten" will. Den nächsten "Umfassenden Vertrag" hat Genscher bei seinem jüngsten Besuch in Prag schon angekündigt. So breitet sich der Deutsche in der Welt von heute wieder aus. zurück