Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles


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       Bremer Hochschulzeitung, 18.09.1984
       
       Nach den östlichen Besuchsabsagen:
       

BONN STROTZT VOR UNSCHULD - UND SIEGESGEWISSHEIT!

Bis vor zwei Wochen war aus Bonn allenthalben zu hören: Der Honecker-Besuch in der BRD - ein Meilenstein auf dem Weg, ein "besseres" Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten her- zustellen, zum "Wohle der Menschen" (vor allem in Deutsch- land/Ost) versteht sich; ein untrüglicher Beweis dafür, daß von einer "Eiszeit" in den Ost-West-Beziehungen nach der Stationie- rung atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland/West überhaupt nicht die Rede sein kann (schließlich hatte sich auch noch Herr Schiwkow aus Bulgarien in Bonn angesagt); eine eindrucksvolle Be- stätigung der Bonner Linie, daß trotz der "ungünstigen Großwet- terlage" "gerne Gesprächsfäden" wieder geknüpft werden müssen und geknüpft werden können usw. usf. Und jetzt nach den Absagen aus Ostberlin und Sofia? Ist in Bonn jetzt Zerknirschung zu spüren, weil damit all die schönen "Hoffnungen" einen Dämpfer erhalten haben? Ist der Bundeskanzler geknickt, weil seine auf Frieden und Ausgleich gerichtete Ost- und Deutschlandpolitik einen Rückschlag erlitten hat? Nichts dergleichen! Im Gegenteil: "Unsere Deutschlandpolitik war und ist erfolgreich" verkündete der Kanzler letzte Woche vor dem Hohen Hause in Bonn. Und das Dumme ist, daß der Erfolg, den die Bundesregierung im Auge hat, mit den Besuchsabsagen tatsächlich nicht in Frage ge- stellt ist. Und dieser Erfolg hat eben mit den wohlklingenden Ti- teln - Dialog, gute Nachbarschaft, Ausgleich, Reden ist besser als... -, die sich die bundesdeutsche Diplomatie so gerne an die Brust heftet, rein gar nichts zu tun. Das merkt man schon daran, mit welchen diplomatischen Unver- schämtheiten Herr Honecker ein Vierteljahr lang eingeladen wurde. Du darfst kommen, hieß es großzügig in Bonn, aber mach dir gefäl- ligst klar, - daß du für uns gar kein richtiger Staatsmann bist, sondern ein russischer Satellit, während wir ja bekanntlich fest im westli- chen Bündnis verankert sind, aber natürlich in aller Freiheit. - daß wir von unserem Anspruch, daß dein Volk und dein Territo- rium eigentlich von uns regiert gehören, kein bißchen abrücken; schließlich haben wir diesen Anspruch nicht umsonst extra in un- ser Grundgesetz hineingeschrieben... - daß wir mit dir über alles reden, aber natürlich nicht über das, was dich - wie wir wissen! - besonders drückt: die Frage der Anerkennung einer eigenen DDR-Staatbürgerschaft; normale zwi- schenstaatliche Beziehungen mit respektierten Grenzen und regulä- ren Botschaften; und schon gar nicht über die Bedrohung, die wir mit den neuen Mittelstreckenraketen auf unserem Boden gegen dich und deinen Block in die Welt gesetzt haben - das geht dich gar nichts an, du Vasall! Beschwer dich darüber zuerst einmal bei deinem Großen Bruder! - daß wir dich nach unseren Gesetzen - wir sind nämlich ein Rechtsstaat - eigentlich einsperren müßten, wenn du rübermachst, weil du mit deinem unerwünschten Staatsgebilde einen bundesdeut- schen Straftatbestand erfüllst. - daß wir dir nur deshalb Haftverschonung gewähren, dich also für ein paar Tage begnadigen, weil wir deinen "Arbeitsbesuch" bei uns ganz für unsere Absichten auszuschlachten gedenken, indem wir dich gegen deine Führungsmacht ausspielen: Während die Russen darauf bestehen, daß die Raketenstationierung rückgängig gemacht werden muß, wenn die Ost-West-Beziehungen nicht leiden sollen, trittst du - der russische Satellit wohlgemerkt! - in Bonn (pardon: in Bad Kreuznach natürlich) an und hilfst uns g e g e n deine Großmacht demonstrieren, wie gut unsere Raketen mit dem friedlichen Erpressungsgeschäft zusammengehen, das wir seit Be- ginn der Entspannungsphase so erfolgreich gegen euren Block be- treiben. Wenn das kein Beweis ist, wie sehr die Russen im Unrecht sind, wenn sie die zweite gegen sie aufgestellte strategische Ra- ketenfront weghaben wollen! Wie "wir" die östlichen Absagen bewältigen ------------------------------------------ Na klar, das wäre ein Triumph für Kohl und Co. gewesen, wenn der DDR-Staatsratsvorsitzende zu diesen Bedingungen angereist wäre und obendrein auch noch ein paar politische Zugeständnisse in Aussicht gestellt hätte, die "Durchlässigkeit" der "widernatür- lichen" deutsch-deutschen Grenze betreffend. Bloß: Woher kommt die demonstrative Gelassenheit, die die Herr- schaften in Bonn nach der Rücknahme der östlichen Besuchsvorhaben an den Tag gelegt haben? In geradezu unverschämter Selbstgerech- tigkeit haben sie über die "Hintergründe" spekuliert und dabei die folgenden für diese ganz und gar "nicht akzeptablen" (Kohl) Entscheidungen ausfindig gemacht: 1. Honecker und Schiwkow haben abgesagt. Na also! "Konzertierte Aktion" (Dregger) - Urheber: Eindeutig Moskau! Haben wir nicht immer gesagt, daß die Russen ganz Osteuropa knechten?! Merke: Wenn sich der Nationalismus der osteuropäischen Staaten nicht ganz so reibungslos für "unsere" Spaltungsmanöver im feindlichen Block verwenden läßt, dann kann von einem eigenen nationalen In- teresse bei den Moskauer Bündnispartnern natürlich nicht die Rede sein. Dabei haben die Staatsführungen aus der DDR und Bulgarien nichts anderes getan, als sich sicher nicht ohne entsprechende sowjetische Gedächtnisstützen - daran zu erinnern, daß der Be- stand i h r e r Souveränität auf dem östlichen Militärbündnis gründet - so blöd sind die auch nicht, daß sie nicht wüßten, daß sie ohne die sowjetische Militärmacht schon längst vom Westen eingemeindet wären... Aber "Selbständigkeit" kann der freie We- sten denen eben nur zubilligen, wenn sie sich der erpresserischen Einflußnahme Marke West bedingungslos beugen! Dann und nur dann haben sie eine Souveränität, die zu respektieren ist - von Mos- kau, versteht sich! 2. Honecker und Schiwkow haben ihre Absage mit dem Hinweis auf die "gesamtpolitischen Umstände" (Kohl) begründet. Na also! Wer will da noch uns, den Politikern der BRD, irgendeinen Vorwurf machen?! An uns kann es doch gar nicht gelegen haben, die Einladung besteht weiter, natürlich zu unseren Bedingungen (s.o.). Und für die "Großwetterlage" können wir überhaupt nichts - wir haben bei uns "bloß" neue amerikanische Atomraketen hingestellt und damit endlich "gleiche Sicherheit" (Genscher) mit der Sowjetunion hergestellt. Und das steht der BRD doch wohl zu, sich in puncto "Sicherheit" ganz separat gleich mit der "übermächtigen" Führungsmacht des gegnerischen Blocks zu vergleichen, oder?! 3. Ceausescu kommt. Na bitte! Es geht doch. Wenn das kein Erfolg unserer mit allen Mitteln betriebenen Auflösungspolitik dem Ost- block gegenüber ist! Ach so, die inneren Zustände in Rumänien sind "nicht besonders flexibel" (Genscher, in diesem Falle mit ausdrücklicher Zurückhaltung). Demokraten dürfen eben nicht zim- perlich sein, wenn es um Höheres geht: um die Schwächung der So- wjetunion in ihrem eigenen Machtbereich! Dafür ist der "stalinistische", aber "außenpolitisch ausgesprochen flexible" (wieder Originalton Genscher) Ceauseseu gerade recht! 4. Vielleicht, ja vielleicht hat es bei uns ein bißchen "überflüssiges Gerede" (Strauß) gegeben, ist zu wenig nach dem alten Sprichwort: "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" (Genscher) verfahren worden. Klartext: Mit ein bißchen mehr di- plomatischem Geschick hätte es vielleicht diesmal schon geklappt. Im Lande der Meinungsfreiheit (die natürlich weiterhin gewahrt bleibt, vor allem, wenn es um die Beleidigung östlicher Staats- männer geht) muß man auch mal die Klappe halten können und die eigenen Absichten nicht immer an die große Glocke hängen. Dann hätten die da drüben am Ende gar nicht gemerkt, wie wir sie ein- seifen! Merke: So sicher sind sich unsere Politiker darüber, auf welcher Seite sich im west-östlichen Erpressungsgeschäft ein Jahr nach den Raketen die Erfolge einstellen, und eine so ausnehmend hohe Meinung haben sie von ihren geschätzten "Gesprächspartnern" von drüben. Warum der Kanzler So heiter ist: Die Raketen bringen's! ------------------------------------------------------- Die ganze Politikermannschaft in der BRD von Kohl bis Dregger, von Strauß bis hin zum Friedenswilly Brandt - war sich von vorne- herein darüber im klaren, welche Sprengkraft die Beruchsaffären just zu einer Zeit für das östliche Bündnis bedeuten, wo dessen Führungsmacht so sehr auf die Geschlossenheit ihres Bündnisses angewiesen ist. Immerhin versucht die Sowjetunion derzeit die mi- litärisch-politische Offensive des Westens damit zu kontern, daß sie bei jeder Gelegenheit mitteilen läßt: Man könne "nicht so tun, als sei mit der Stationierung (der Raketen) nichts Beson- deres geschehen" (Gromyko), und diese Mitteilung mit militäri- schen Anstrengungen unterstreicht. Und angesichts dieser "Lage" geben die westlichen Politiker, al- len voran die frischgebackene Raketenrepublik BRD, völlig gelas- sen zu Protokoll, daß sie das alles nicht im geringsten beein- druckt; daß die sowjetische Revanchismus-Kampagne sie völlig kalt läßt; daß die Besuche doch bloß "verschoben" und nicht aufgehoben sind; daß der "deutsch-deutsche Frühling", also der Anspruch der BRD, mittels der Kreditwaffe und anderer Hebel in den anderen deutschen Staat hineinzuregieren, ungebrochen voranschreitet. Die Perfektionierung des konventionellen Kriegsgeräts incl. menschli- chem Inventar geht sowieso weiter. Inzwischen gibt es auf der Basis dessen, daß die "Politik der Stärke ihre Früchte trägt, sogar schon Stimmen, die voller Groß- herzigkeit den Russen nach den Besuchsabsagen eine "Übergangs- phase" und eine "Denkpause" zubilligen: "Von einer verspäteten Eiszeit als Folge der westlichen Nachrü- stung kann keine Rede sein. Die Führung der Sowjetunion hat wei- terhin ein Interesse an der Fortsetzung des politischen Dialogs und an einer Weiterentwicklung der Beziehungen. Mit ihrer Verwei- gerungshaltung und den derzeit praktizierten Methoden des Bange- machens verfolgt die Sowjetunion eine rationale Politik der eige- nen Interessen." (Mertes, Staatsminister im Auswärtigen Amt) Klartext: Die Russen werden die von uns geschaffene "Lage" akzep- tieren m ü s s e n. Unsere M i t t e l - von den Techniken der einmischungsträchtigen Gesellschäftemacherei bis hin zur lau- fenden Komplettierung unserer Gewaltapparats - werden ihnen die- ses "rationale" Verhalten schon beibringen. Zwei abgesagte Besu- che in diesen Mitteln nämlich keinen Abbruch. So stark und so un- verschämt ist der westdeutsche Frontstaat inzwischen geworden, daß seine Politiker sich vor den Gewaltmitteln der Sowjetunion - die vor einem Jahr noch Westeuropa "politisch erpreßbar" gemacht haben sollen! - kein bißchen fürchten. Sie tun sogar schon so, als ob sie irgendwelche Gegenmaßnahmen der Russen gar nicht in Rechnung stellen mußten. Schöne Aussichten! zurück