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Kohl in Polen
DER KANZLER BESUCHT DAS NEUE DEUTSCHE OSTGEBIET
Eine heilige Messe in St. Annaberg oder Kreisau - das sind so die
Fragen, die die diplomatische Welt und die Öffentlichkeit tief
bewegen. Im Unterschied zu dem monatelangen Gezerre um Termin,
Dauer und Protokoll des Staatsbesuchs ist dagegen das deutsch-
polnische Vertragspaket, das der Kanzler in Warschau unterzeich-
net, völlig unumstritten.
In elf Einzelabkommen regelt die "reiche Bundesrepublik wirt-
schaftliche und kulturelle Hilfeleistungen zugunsten der ruinier-
ten polnischen Volkswirtschaft" - so lautet jedenfalls der offi-
zielle Titel des bundesdeutschen Polenprogramms. Diese Abteilung
der Kanzlerreise halten auch gerade Leute, die sich an penetran-
ten schlesischen Vertriebenenverbänden und allzu aufdringlichen
Bonner Zuständigkeitserklärungen für "unsere deutsche Minderheit
in Polen" stören, für eine höchst ehrenwerte, im Interesse der
polnischen Bevölkerung längst überfällige Angelegenheit. Darin
täuschen sie sich gewaltig: Die bundesdeutsche Wirtschaftsmacht
sichert mit ihren Wirtschaftsverträgen ihren imperialistischen
Zugriff auf Polen - das und sonst nichts verschafft der Pflege
schlesischer Deutschtümelei Bedeutung.
Ein Produktionsverhältnis wird exportiert:
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Die Unternehmer rechnen...
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Die ehemalige Volksrepublik Polen ist für westliche Kapitalisten
kein Neuland, mit dem kommunistisch regierten Polen haben sie
jahrelang einen schwunghaften Osthandel betrieben. Nicht zuletzt
die Resultate dieser west-östlichen Handelsbeziehungen haben die
regierenden polnischen Nationalisten - in- und außerhalb der KP -
dazu veranlaßt, ihr bisheriges Wirtschaftssystem aufzulösen: Die
polnische Auslandsverschuldung beträgt derzeit rund 79 Milliarden
DM, die Bedienung des Schuldendienstes hat zur Ruinierung der
Wirtschaft und zur Verelendung der Bevölkerung geführt. In Polen
hat man daraus den Schluß zu einem "radikalen Neubeginn" gezogen.
Die neue katholisch-polnische Führungsmannschaft setzt auf einen
Neuaufbau Polens durch westliche Investitionen. Dafür preist sie
seit Monaten ihr Land samt Insassen dem Kapital zur großzügigen
Benutzung an. Eine Einladung, wie vom Westen bestellt - ein Staat
des ehemaligen Ostblocks steht seit neuestem als Anlagesphäre für
Kapital zur Verfügung.
Für die polnischen Patrioten hat die Sache nur einen Haken: Die
westliche Geschäftswelt denkt gar nicht daran, mit fliegenden
Fahnen in Polen einzufallen, um sich dort dem Wiederaufbau der
Volkswirtschaft zu widmen. Kapitalisten sichten die neue Lage in
Polen und stellen als erstes fest: Den alten Staat mit seinen ga-
rantierten Osthandelsgeschäften gibt es nicht mehr. Das ist
einerseits negativ; andererseits halten sie die neuen polnischen
Angebote für interessanter denn je. Sie hören durchaus das Ange-
bot heraus, daß sie den ganzen polnischen Laden übernehmen sol-
len. Allerdings vermissen sie einige entscheidende Bedingungen
für eine umfassende Geschäftstätigkeit: Einen innerpolnischen
Markt mit gesicherten Handelsbeziehungen zu Lieferanten und Kun-
den, ein entwickeltes marktwirtschaftliches Vertragswesen, Frei-
heit der Ein- und Ausfuhr ohne bürokratische Hindernisse, eine
funktionierende Infrastruktur, die Garantie des sozialen Frie-
dens: "Die Basis der Reformbewegung in Polen ist gewerkschaftlich
orientiert. Sie will höhere Löhne und schnelle Verbesserung der
Versorgungssituation..." (Wirtschaftswoche 29.9.). Bedenklich,
bedenklich! Vor allem aber wollen Kapitalisten echtes Geld
verdienen - Geld, das sie überall auf der Welt als Ge-
schäftsmittel einsetzen können. Zu der Sorte Geld gehört der pol-
nische Zloty bekanntlich nicht.
Kurz: Die Vertreter des Kapitals vermissen an Polen die geregel-
ten Geschäftsbedingungen, die ihnen ein fertig eingerichteter ka-
pitalistischer Laden bietet.
"Vor deutschen Investitionen muß in Polen zunächst eine Preis-
und Währungsreform stattfinden und ein Konsens aller politisch
relevanten Kräfte erzielt werden..." "Tatsächlich hat die Mazo-
wiecki-Mannschaft eine Art Bringschuld: Sie muß beweisen, daß sie
die Zügel in der Hand hält und den Rahmen zimmern kann, in dem
westliche Investitionen und Bürgschaften Frucht tragen." (Otto
Wolff von Amerongen, SZ 8./9.9.)
Die glühenden Anhänger der freien Marktwirtschaft können eben un-
terscheiden zwischen ihren Sprüchen vom Staat, der sich gefäl-
ligst aus der Wirtschaft heraushalten soll, und ihren wohlbe-
gründeten Ansprüchen an die Staatsgewalt, für die Sicherung ihrer
Geschäftsbedingungen einzustehen. Daß der polnische Staat ihnen
diese Sicherheit nicht bietet, geht für sie schon daraus hervor,
daß die polnische Führung ihre Bettelei um westliche Investitio-
nen ausgerechnet mit dem Verweis auf ihre ruinierte Wirtschaft
und ihren bankrotten Staatshaushalt begründet. Wer so daherkommt,
mag zwar einen guten Willen haben - aber darauf können sich risi-
kofreudige Geschäftsleute keinesfalls verlassen. Das Lieblingsar-
gument von Lech Walesa, daß es gerade bei der Schaffung von kapi-
talistischen Geschäftsbedingungen in Polen für westliche Unter-
nehmer viel zu tun und zu verdienen gäbe, läßt die real existie-
rende kapitalistische Geschäftswelt ziemlich kalt. Sie will die
neuen Geschäftsbedingungen in Polen a u s n u t z e n und nicht
aufbauen.
...mit der deutschen Staatsgewalt
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Für westdeutsche Kapitalisten gibt es überhaupt nur eine Adresse,
die Polen zu einer reizvollen Anlagesphäre für sie machen kann -
die bundesdeutsche Staatsgewalt. Deren neuestes deutsch-pol-
nisches Wirtschaftspaket mit Kreditverträgen, Hermes-Bürgschaf-
ten, Gewinntransfer- und Investitionsschutzabkommen schafft das
Vertrauen in die neuen polnischen Verhältnisse, das bundes-
deutsche Unternehmer für ihre Geschäftskalkulationen beanspru-
chen. Die Bundesregierung sorgt so dafür, daß die Herrichtung Po-
lens zur kapitalistischen Geschäftssphäre irreversibel wird und
daß dabei der Nutzen für deutsches Kapital garantiert ist. Pünkt-
lich zum Kanzlerbesuch wurde der zwischen den Unterhändlern bei-
der Staaten am längsten umstrittene Punkt des deutsch-polnischen
Vertragswerks fertiggestellt - das Investitionsschutzabkommen:
"Investitionsschutzabkommen geplant ... Polen ist bereit, den
ausländischen Kapitalgebern den Rücktransfer ihres Geldes zu ga-
rantieren ... Das einzige Problem sind Zloty-Überschüsse. Würden
die Polen den Transfer ihrer nicht konvertierbaren Währung zusa-
gen, müßte die staatliche Devisenbank auf Verlangen weiche Zloty
gegen harte Währung kaufen. Angesichts ihrer horrenden Auslands-
schulden von rund 79 Milliarden DM sahen sich die Unterhändler
Warschaus bisher nicht in der Lage, das zuzusagen..." (SZ, 8.9.)
Die Probleme der polnischen Unterhändler wurden beseitigt:
"Die Bundesregierung hatte in den vergangenen Wochen Warschau
deutlich gemacht, daß ohne ein Investitionsschutzabkommen die Ge-
währung von Hermes-Kreditbürgschaften im Volumen von drei Milli-
arden Mark nicht möglich sei." (Frankfurter Rundschau, 4.11.)
Darüberhinaus war Bonn zu einem großzügigen Kompromißvorschlag
bereit: Bis 1993 müssen deutsche Unternehmer in Polen erwirt-
schaftete Zloty-Überschüsse in vollem Umfang dort wieder inve-
stieren. Für die Zeit danach wurde ein Stufenplan vereinbart,
nach dem die polnische Regierung ab 1998 den vollen Gewinntrans-
fer, also den Umtausch von Zloty in harte Währungen, zusichert.
Wie die Devisensituation des polnischen Staates dann aussieht,
weiß zwar kein Mensch. Aber deutsche Wirtschaftspolitiker gehen
nun mal grundsätzlich davon aus, daß der Anspruch ihrer Unter-
nehmer, gutes, weltmarkttaugliches Geld zu verdienen, dasselbe
ist wie ein Rechtstitel gegen auswärtige Staatsgewalten. Auf der
Grundlage kann man auch in größeren Zeiträumen planen. Denn wenn
in Polen die Geschäfte erst mal florieren, weil die Garantie der
bundesdeutschen Staatsmacht Vertrauen in den Zloty schafft, dann
können deutsche Kapitalisten ihre dort erwirtschafteten Gewinne
auch wieder im Lande anlegen. So treiben sie die Entwicklung der
polnischen Ökonomie zum marktwirtschaftlichen Ableger der eu-
ropäischen Wirtschaftsführungsmacht voran. Und das entspricht so
ziemlich den Vorstellungen, die die Bundesregierung mit ihrer
"Hilfe zum Anschluß Polens an Europa" verbindet.
Bloß um seine Unterschrift unter die fertig ausgehandelten Ver-
träge zu setzen, müßte Kohl die polnische Regierung wirklich
nicht mit seiner sechstägigen Rundreise nerven. Die Bundesregie-
rung legt allerdings Wert auf einen demonstrativen Akt: Die
höchstpersönliche Anwesenheit des Kanzlers, der noch gleich sein
halbes Kabinett, ein paar Bundestagsabgeordnete und 45
Wirtschaftsvertreter mit sich führt, stellt klar, wie ernst es
die BRD mit ihrer politischen Aufsichtsfunktion über Polen meint.
Aus bundesdeutscher Sicht ergeben sich aus der kapitalistischen
Erschließung Polens nämlich lauter
Deutsch-nationale Sonderansprüche
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Ohne die durchgesetzten und jetzt weiter ausgebauten wirtschaft-
lichen Abhängigkeiten Polens von der BRD hätten schlesische
Deutschtums-Heinis wirklich keine Chance, ihren Rassismus auszu-
toben. Es gäbe sie höchstwahrscheinlich überhaupt nicht mehr. Nur
zur Erinnerung: Jahrelang galt es als eines der Hauptverbrechen
des Kommunismus, daß angeblich alle Deutschen aus Schlesien ver-
trieben wurden. Heutzutage weiß jeder Bonner Politiker, daß es in
Polen eine beträchtliche "deutsche Minderheit" zu betreuen gibt,
deren Zahl noch gar nicht genau feststeht. Auf jeden Fall scheint
sie 45 Jahre nach Kriegsende unter liebevoller bundesdeutscher
Betreuung unaufhörlich zu wachsen. Deutsche Politprominenz schaut
regelmäßig bei deutsch-schlesischen Kulturvereinen vorbei, die
überhaupt nur durch massive Unterstützung aus Bonn entstanden
sind. Mit dem Verweis auf die Existenz dieser Vereine wird dann
Druck auf die polnische Regierung gemacht, Kreditzusagen werden
an die Bedingung geknüpft, daß Warschau "den Deutschen in Polen
umfassende Rechte einräumt". Die neueste Errungenschaft auf die-
sem Feld wird ebenfalls anläßlich des Kanzlerbesuchs verabschie-
det:
"Die Rückzahlung des Milliardenkredits von 1975 wird Polen minde-
stens zur Hälfte erlassen, der Rest soll in Zloty-Währung für Ge-
meinschaftsvorhaben verwendet werden. Dazu gehören Gedenkstätten
und vermutlich auch die Finanzierung von Planstellen für Lehrer
und Lehrmaterial zum Deutschunterricht in Oberschlesien." (FAZ,
14.10.)
Mit wirtschaftlichen Erpressungsmanövern gegen die polnische Re-
gierung und materiellen Zuwendungen für deutsche Volkstumspflege
sorgt die Bundesregierung für "lebendiges Deutschtum" in Polen.
In den Heiratsannoncen polnischer Tageszeitungen gilt mittler-
weile der Hinweis "Anrecht auf Paß BRD" als besonderes Qualitäts-
merkmal. Daneben existiert ein florierender Schwarzmarkt für Do-
kumente, die Deutschtum belegen - meistens handelt es sich dabei
um gute, alte Nazi-Unterlagen. Polens Ministerpräsident Mazo-
wiecki hat im Vorfeld des Kanzlerbesuchs mit dem Verweis auf die
vielen "künstlichen Deutschen" im Lande versucht, die zunehmend
dreisteren Forderungen nach Sonderrechten für die "deutsche Min-
derheit" zurückzuweisen. Der Hinweis hat die hiesigen Deutsch-
landpolitiker garantiert nicht erschüttert. Sie kümmern sich ja
gerade mit aller Macht darum, daß sich in Polen jede Menge Volk
tummelt, das neben der polnischen Obrigkeit noch eine deutsche
kennt.
Das Ganze läuft unter dem unverfänglichen Titel "Kulturpflege".
Aber das kann doch keiner im Ernst glauben, daß eine ganze
Staatsgewalt sich Brauchtum und Volksliedgut in einer fernen Pro-
vinz zum Anliegen macht. Wenn so etwas passiert, dann geht es im-
mer um die Reichweite nationaler Macht.
Im Falle Polens ist die Absicht klar: Die Schaffung und Betreuung
einer "deutschen Minderheit" wird nicht nur, sie s o l l die
polnische Bevölkerung spalten, einen Vorposten (bundes-)deutschen
Rechts aufbauen, die polnische Regierung zu dauernder Abstimmung
mit BRD-Interessen nötigen. Das reicht zwar einerseits an die
Wucht der geschaffenen ö k o n o m i s c h e n Sachzwänge gar
nicht heran. Weil es die aber gibt, reichen die volkstumspflege-
rischen Sonderansprüche der Deutschen tatsächlich über das Pro-
jekt einer kapitalistischen Umformung Polens ein gutes Stück hin-
aus. Ganz höflich gesagt: Die BRD schafft sich damit einen "ma-
teriellen Unterbau" für den Rechtsanspruch auf eine noch zu lö-
sende offene Grenzfrage im Osten, von dem der Kanzler bei aller
Sympathie für seinen polnischen Sektenbruder nicht lassen will.
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Die Ewig-Gestrigen blicken nach vorn
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Eine gediegene nationale Gesinnung gehört für demokratische Köpfe
zu den elementarsten Menschenrechten und ihre Unterdrückung folg-
lich zu den schlimmsten Verbrechen. Und wie für alle wesentlichen
Verbrechen des 20. Jahrhunderts war auch hier bisher immer der
Kommunismus verantwortlich. Mit dem Genossen Gorbatschow hat sich
das gottseidank ein wenig gebessert.
Seine Perestroika hat 1. bestätigt, daß Nationalismus der natür-
lichste menschliche Trieb ist, durch nichts aufzuhalten. Sie hat
2. sein kommunistisches Zwangsreich nicht schlecht destabilisiert
und dadurch bewiesen, wie unnatürlich es ist. Und sie hat 3. dazu
geführt, daß die unterdrückten Völker des Ostblocks sich im Namen
der Nation in das Reich unserer westlichen Freiheit begeben. Des-
halb haben wir uns nicht sattsehen können an den feinen Exzessen
in den sowjetischen Republiken; und Polen und Ungarn haben unsere
Herzen erobert, weil sie so herzerfrischend nationalistisch wa-
ren.
Inzwischen gibt es freilich Anlaß zu Bedenken. In Polen haben die
Kommunisten abgedankt - und die Nachfolger, eigentlich unsere
Freunde, denken doch tatsächlich noch polnischer als ihre Vorgän-
ger. Jedenfalls sind sie furchtbar "empfindlich" in Sachen Grenz-
garantie, weil unser Kanzler den deutschen Rechtsstandpunkt so
unverdrossen vorführt. Und weil er als ehrlich überzeugter Reprä-
sentant alles Guten und Deutschen eine unabsehbare Menge von
d e u t s c h e n R e c h t e n in Form von "deutschen Minder-
heiten" mit deutscher Sprache, deutschen Kulturdenkmälern und
historischen Reminiszenzen vorweisen kann, mit denen er den Polen
auf den Wecker geht.
Polnische Empfindlichkeiten bringen einen Mann wie H u p k a
auf die Palme, der jetzt einen schlimmen "polnischen Nationalis-
mus" entdeckt hat, der selbst Kommunisten und Katholiken verbin-
det. So war das natürlich nicht gedacht mit unserer Sympathie für
Polen. Denn: Nationalismus ist eine feine Sache, aber nur, so-
lange er unseren nicht stört. Und weil das die Überzeugung aller
guten Deutschen hierzulande ist, wundert sich niemand, warum aus-
gerechnet der "Schlesier-Chef" Nationalismus auf einmal für ein
Schimpfwort hält.
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