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Der Kanzler in Moskau
"GUTE BEZIEHUNGEN" - D.H. UNVERSCHÄMTE OSTPOLITIK
Man kann den Kohl-Besuch in Moskau aus deutscher Sicht sehen. Na-
türlich auch aus russischer. Am schönsten aber ist es, heuchle-
risch und gar nicht über der Sache stehend abzuwägen und sich ab-
wechselnd auf beide Standpunkte zu stellen. Entsprechend fallen
dann die Erfolgsbilanzen aus.
Der Witz am "neuen Klima der Entspannung"
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Eine eindeutig positive Bilanz erzielt man, sobald man die Tatsa-
che, daß der Besuch - sowie der Konter im nächsten Jahr -
s t a t t f i n d e t, zum freudigen Ereignis stempelt. Das er-
fordert so tiefe Gedanken wie den, daß die Bemühung der beiden
Staaten um "Beziehungen" ja nicht selbstverständlich sei, daß
"eigentlich" zwischen ihnen anderes üblich wäre. Der Vergleich
mit der "Nachrüstungs"ära wirkt da Wunder: Die Russen verstanden
damals gemäß westdeutscher Analyse nur "die Sprache der Gewalt",
der neue Besen Gorbatschow wurde vom Kanzler wegen seiner Propa-
gandakünste locker mit Goebbels in einen Topf gehauen und die
russische Rüstung berechtigte zu den ernstesten Befürchtungen.
Vor solch düsterem Hintergrund begründen die westdeutsch-sowjeti-
schen Begegnungen eine "neue Entspannungsära", weil sie von der
Pflege "gutnachbarschaftlicher Beziehungen" zeugen. Der Hinter-
grund heißt Feindschaft und prinzipielle Unvereinbarkeit der bei-
den Staaten(systeme), und vor ihm erstrahlt eine diplomatische
Begegnung im gleißenden Licht des Friedens und der Partnerschaft.
Dabei stört es überhaupt nicht, daß es d i e s e l b e n Poli-
tiker sind, die vor ein paar Jahren lauthals in die Hetze des
amerikanischen Präsidenten gegen das Reich des Bösen eingestimmt
haben und die jetzt die "neue Entspannung" als ihre Leistung an-
preisen. Der Sinneswandel, den die Liebhaber des Kontrastes im
Moskauer Staatsbesuch entdeckt haben wollen, ist für sie leicht
erklärbar. Es handelt sich um einen deutschen Anlauf zu mehr und
besserer "Zusammenarbeit" mit den Russen. Und der hat seinen
guten Grund: Es handelt sich um eine Reaktion auf Veränderungen,
die sich im "Reich des Bösen" abspielen. Gorbatschow mit seiner
Perestrojka erlaubt den Versuch, die Beziehungen zur Sowjetunion
auszubauen. Zumindest probeweise empfiehlt sich eine Diplomatie,
die vom Willen der Russen ausgeht, s i c h z u ä n d e r n,
d.h. (in u n s e r e m Sinne) zu b e s s e r n.
Entsprechend sieht sie dann aus, die Diplomatie.
Die Sache mit dem 3-Milliarden-Kredit
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Von der Summe her ist dieser Kredit wahrlich nicht bedeutsam.
Desgleichen nicht unter dem Gesichtspunkt des Risikos. Daß die
Sowjetunion ein zuverlässiger Schuldner ist, dem es an Mitteln
für die Rückzahlung nicht gebricht, wurde immerzu vermeldet. Also
ist der Kredit die e i n f a c h s t e Sache der Welt, möchte
man meinen: Die Russen werden durch Zahlungsaufschub Kunden; die
deutschen Exporteure verdienen; die deutschen Banken ebenso. Von
wegen!
"Der Kreml-Chef "braucht für seine Reform des Sowjetreichs Kapi-
tal und Know-how gerade der Europäischen Gemeinschaft. Er braucht
die Westdeutschen... Wie der reiche Onkel aus dem Westen reist
Kohl mit vollen Taschen in Moskau an. Dem Versprechen, Gor-
batschows Reformkurs zu unterstützen, sollen rasch Taten folgen -
Mitbringsel von der Käseverpackungsmaschine bis zum Atomreaktor,
Textilien und Umwelttechnologie; dazu gibt's Angebote für die
Schulung von Meistern und Managern.
Das Geld zum Bezahlen bringen die Gäste gleich mit - einen Kredit
über drei Milliarden Mark zur freien Verfügung... Kohl will ihm
helfen, daß sich die Regale in den Läden füllen und das Land den
Anschluß an westliches Know-how findet." (Spiegel, 24.10.88)
Im Unterschied zu sämtlichen anderen Auslandsgeschäften dieser
Art ist der Bedarf der Sowjetunion nicht einfach als eine zah-
lungskräftige Nachfrage verbucht worden, die Gewinn verheißt,
sondern als Ausdruck einer N o t l a g e, in der sich die
Weltmacht Nr. 2 befindet. Sie m u ß wegen Versorgungproblemen,
wegen der zurückgebliebenen Klein- und Konsumgüterindustrie und
überhaupt wegen ihrer Rückständigkeit bei uns als Käufer auftre-
ten! Daß sie es w i l l und k a n n, auf diese Weise ihre
"Lücken stopfen", war da weniger wichtig. Zur Debatte stand, ob
"wir" ihnen den Gefallen tun.
Das ist schon eine Beurteilung der Sowjetunion nach einem ganz
anderen Maßstab als dem geschäftlichen. Ein "Gefallen" wird näm-
lich aus den einträglichen Geschäftsbeziehungen nur, wenn der
"Partner" in seiner Eigenschaft als Staat gesehen wird, den man
gerne in S c h w i e r i g k e i t e n w e i ß und
b r i n g t. Nur dann nimmt sich die Genehmigung des Kredits wie
eine "Hilfe" aus, die verdient sein will: Einerseits kommt sie
als L o h n für Gorbatschows "Reformwillen" zustande, anderer-
seits aber rechtfertigt sie sich nur, wenn sie als H e b e l
für die Fortsetzung des Reformkurses taugt, so wie er "u n s"
genehm ist. Was sich der Kreml an Verbesserung seines realen So-
zialismus einfallen läßt, ist gleichgültig, wenn ein Herr Kohl
vor Ort zu verstehen gibt, daß seine Perestrojka unseren Ansprü-
chen zu genügen hat:
"Wenn Ihre Politik, die Sie mit den Begriffen Perestrojka, Glas-
nost und Demokratisierung charakterisieren, mehr Chancen zur Ver-
ständigung und Zusammenarbeit bietet, findet sie unsere Zustim-
mung."
Als ob ausgerechnet die Sowjetunion mögliche Projekte torpediert
und nicht in jeder Größenordnung vorgeschlagen hätte.
Nein, "Löcher stopfen" ist nicht der Sinn der Sache und ganz und
gar nicht unser politisches Interesse:
"In den siebziger Jahren haben westliche Finanzfusionen der So-
wjetunion die harte Entscheidung zwischen Butter und Kanonen er-
spart",
meint stellvertretend einer von der "Süddeutschen Zeitung". Ob
dergleichen je gelaufen ist, dürfte den Mann nicht weiter inter-
essiert haben - er spricht ja nur aus, wie er sich die
B e d i n g u n g e n "ökonomischer Zusammenarbeit" 'vorstellt,
wenn er meint, der Westen hätte den Russen eigentlich überfällige
und im westlichen Interesse liegende politische Kurskorrekturen
erspart.
Wenn die Russen "uns" einiges abkaufen und Schulde bedienen, dann
heißt das für sich noch gar nichts. Alle geschäftlichen Berech-
nungen, die sonst - egal, ob die Partner "Industrie-" oder
"Entwicklungsländer" sind - ganz selbstverständlich zählen, ord-
nen sich in diesem Fall dem Gesichtspunkt der
E i n w i r k u n g unter. Und zwar nicht in dem üblichen Sinn,
daß aus den staatlich vermittelten Geschäften immerzu die Mittel
und das politische Interesse erwachsen, Einfluß zu nehmen auf die
Entscheidungen anderer Nationen und dadurch bessere Möglichkeiten
und Alternativen ihrer ökonomischen Benutzung zu stiften. Gegen-
über der Sowjetunion geht es vielmehr um
S y s t e m v e r ä n d e r u n g, um die Änderung des untragba-
ren Zustands nämlich, daß im Falle der Sowjetunion das selbstver-
ständliche Interesse, sich als Weltmarktteilnehmer aufzuführen,
abgeht und damit die Selbstverständlichkeit der Erpressungsver-
hältnisse, die jedem erfolgreichen Weltmarktgeschäft auf dem Fuße
folgen, fehlt. Das Interesse der Sowjetunion gilt nichts, genau-
sowenig wie die offensichtlich ganz anders geartete Zielsetzung
ihrer Sorte Ökonomie, wenn "wir" unsere Perspektive aufmachen:
Wohin wollen wir die Russen bringen?
"Hauptexport der Sowjetunion sind Bodenschätze und Rohprodukte,
Gold und Waffen. Damit kann sie ein erkleckliches Volumen von
Gekauftem und Geborgtem leicht finanzieren (was auch ihre Kredit-
würdigkeit erklärt). Indes gebietet das politische Interesse des
Westens, daß die UdSSR nicht im alten Trott verharrt, sondern
sich in eine offene Weltwirtschaft integriert, mithin Qualität
und nicht bloß Quantität exportiert. Derlei verheißt Gewinn für
beide Seiten. Die Sowjetunion könnte sich aus dem Zustand eines
quasi Entwicklungslandes befreien, der Westen hätte einen Part-
ner/Konkurrenten vor sich, der sich den reformerischen Kräften
des Weltmarktes unterwerfen müßte. Um zu exportieren, müßten die
Sowjets Qualität anbieten, um diese zu produzieren, müßten sie
mehr Markt und Dezentralisierung wagen - die beachtlichen Talente
und Ressourcen, die dem Militärischen dienen, in die Zivilwirt-
schaft lenken. Kurzum: Kredit ist gut, wenn er in die richtigen
Kanäle fließt. Aber Wandel durch Handel ist noch besser."
Der Mann weiß nicht einmal von den zersetzenden Effekten des
Weltmarktengagements der Sowjetunion für die sowjetische Wirt-
schaft, wenn er die Verschuldung beim Westen nur für die halbe
Miete hält - er will sie bloß. Er denkt nämlich von Haus aus in
den härtesten politischen Ansprüchen, wenn er den wechselseitigen
Nutzen weltmarktgemäßer Verhältnisse mit und in der Sowjetunion
anpreist. Das Interesse an gewöhnlichen lukrativen Handelsbezie-
hunge führt jedenfalls nicht die Feder, wenn diese Mann bei den
feinen Exportprodukten der Russen gleich die Finanzkraft ein-
fällt, die sie unabhängig macht von den Zwängen der segensreichen
Institution Weltmarkt.
Der Wunsch nach systematischer ökonomischer Erpressung macht aus
der Exportmacht Sowjetunion mit einem Federstrich ein rückständi-
ges Land und entdeckt in ihren Geschäftsinteressen zielstrebig
den politischen Hebel, um ihre Wirtschaftsweise umzukrempeln. Und
auch das hat einen höheren Sinn, den dieser Mann gar nicht bloß
im Hinterkopf hat: Entwaffnung. Die Freunde einer Politik der
Stärke kennen also nicht nur keinen einzigen guten Grund für die
Rüstung, wenn es sich um die der Sowjetunion handelt. Sie denken
auch immerzu nur an den Zwang zur Abrüstung - bei den Russen -,
wenn sie über Handel und Geldfragen mit dem Osten räsonnieren.
Destabilisierung des östlichen Systems in jeder Form, das ist das
Ideal der "Hilfe", die der Osten verdient hat.
Ist die Sowjetunion eine Anlagesphäre?
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Zumindest in einigen Bereichen will sie es ja werden. Deshalb ist
die Gründung von "Gemeinschaftsunternehmen", das Programm "joint
venture", schwer in der Diskussion, zumal westdeutsche Unterneh-
mer den "großen Markt vor der Haustür" interessiert besprechen.
Aber kaum schauen sie sich den Markt etwas genauer an, stellen
sie fest, daß es gar keiner ist. Obwohl sie, wenn es ums Geschäft
geht, keine Vorurteile haben, müssen deutsche Geschäftsleute
denen im Osten ernste Versäumnisse vorwerfen:
- Die Sache mit dem Geld und was man dafür kriegt, also die Frage
der Preise, ist einfach nicht ordentlich geregelt. Nämlich durch
den sowjetischen Staat, der die Waren bewertet nach seinen Vor-
stellungen von gesellschaftsdienlichem und wirtschaftsförderli-
chem Aufwand und Ertrag. Und das ist nichts für eine Kalkulation,
die darauf beruht, daß man fürs Geld viel kriegt und beim Verkauf
der Ware noch mehr, eben was der Markt hergibt.
- Das G e l d, das R u b e l heißt, macht sich genauso stö-
rend bemerkbar. Die russischen Außenhandelsmonopolisten im Kreml
haben einerseits etwas dagegen, daß ihre Währung ihren Wert über
den freien Handel mit dem anderer Geldsorten vergleicht, daß sie
sich gemäß der Nachfrage nach ihr, also den Geschäften die in und
mit ihr abgewickelt werden, bewährt und so ihre internationale
Kaufkraft ermitteln läßt. Andererseits vergleicht der Sowjetstaat
sein Geld aber doch mit anderem; er legt einfach fest, welches
Verhältnis gelten soll. Dieses Verhältnis kommt den weltmarktbe-
wanderten Unternehmern ziemlich unpassend vor.
Insofern gehen einfach viele Fälle von "Zusammenarbeit" gar nicht
erst los, an denen den Russen gelegen wäre. Nur wenn ihnen ganz
viel daran gelegen ist, kommen die vielgepriesenen hilfreichen
Beziehungen zustande. Die haben nämlich ihren Preis. Die östli-
chen Wirtschaftsplaner müssen sich den Gepflogenheiten der west-
lichen Partner anbequemen und lauter A u s n a h m e n bei
Ware, Geld und Preisen in ihrem Laden organisieren. Wo westdeut-
sche Unternehmer und Bankiers einsteigen, da hat der reale Sozia-
lismus samt seinem ökonomischen Rechnungswesen sein Recht verlo-
ren. In diesem Falle nicht, weil die Bonner Regierungsmafia das
verlangt, sondern weil unsere Wirtschaftsbosse nun einmal so
wirtschaften, wie sie's tun:
"Die Notwendigkeit, Gewinne zu machen, muß besonders bei riskan-
ten Investitionen, einfach akzeptiert werden." (Der Vorsitzende
der Royal Dutch Shell)
Umgekehrt kann sich das kein Mensch vorstellen, daß die sowjeti-
sche Seite bei den wirtschaftlichen Gemeinschaftsprojekten auch
so ihre System-Notwendigkeiten und Ansprüche hat, denen das west-
liche Profitinteresse sich unterzuordnen hat. Die zählen im Ge-
genteil zu den Umständen, die einen Extra-Anspruch des freien Un-
ternehmertums begründen: darauf nämlich, daß die Russen mit poli-
tischen Z u g e s t ä n d n i s s e für g a r a n t i e r t e
Profite sorgen.
So geben die Russen ihr Bestes, um die wichtigsten der ihnen
brauchbar erscheinenden Unternehmen in Gang zu bringen - und
richten lauter Ausnahmen von dem ein, was bei ihnen die Regel
ist:
- Sie verzichten auf staatliche Anteile an den Erträgen dieser
Geschäfte. "Steuern ermäßigen oder erlassen", heißt der Titel da-
für. Dabei verzichtet damit der Staat auf mehr als nur eine gehö-
rige Summe Rubel: Er durchbricht das ökonomische Prinzip, daß aus
den Betriebsergebnissen die verschiedenen betrieblichen und
staatlichen Fonds finanziert werden, die für Betrieb, Beschäf-
tigte und den Staat mit - seinen - Aufgaben gleichermaßen Fort-
schritte sichern sollen.
- Sie verpflichten sich auf die P r o d u k t i o n v e r-
k ä u f l i c h e r Ü b e r s c h ü s s e, die den Weltmarkts-
geiern passen; und das ändert einiges an den staatlichen Absich-
ten, was produziert, wie produziert und welche Preisverhältnisse
eingerichtet werden sollen. Die Planungshelfer von der
Weltmarktfront lehnen nämlich z.B. Phosphate ab ("kein Geschäft")
und verlangen statt dessen Titan und Zirkon; das Risiko des welt-
weiten Erdöl- und deshalb Erdgaspreisverfalls haben die russi-
schen Lieferanten zu tragen; umgekehrt verlangen die westlichen
Teilhaber aber gebührenden Anteil an den unter ihrer Regie herge-
stellten Waren zu ihrer freien Verfügung - entweder in Devisen
oder in ihnen passenden Waren.
Der Preis für die "Modernisierung"
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und für die Herstellung der "Effizienz", welche die ökonomischen
Fortschrittsplaner in Moskau durch die systemübergreifende Koope-
ration anstreben, steht also einigermaßen im Gegensatz zur Stra-
tegie des "Löcherstopfens", die hiesige Betrachter drüben ausge-
macht haben und der hilfreich beizustehen sie im eigenen Inter-
esse einerseits raten, vor deren Unterstützung sie andererseits
warnen, weil das - den Russen einige fällige Bankrotterklärungen
ersparen würde. Immerhin leistet sich das östliche System damit
ein Stück Selbstkorrektur ziemlich umfassenden Charakters.
- Erstens richten die Russen bei sich S o n d e r abteilungen
der Produktion ein, die sich als Abzug und Störung der innerso-
wjetischen Vorhaben geltend machen.
- Zweitens stellen sie Abteilungen der Wirtschaft darauf ein, dem
Zweck der D e v i s e n b e s c h a f f u n g zu dienen, bzw.
t r e t e n weltmarkttaugliche Produktionsanlagen oder -bedin-
gungen an die Geschäftsträger der "internationalen Arbeitstei-
lung" a b.
- Drittens erfüllen sie p o l i t i s c h e
K o n d i t i o n e n, an die diese Geschäftsbeziehungen ge-
knüpft werden, die gar nicht vorsichtig und höflich aufgemacht
werden. Die Eigentümlichkeit, daß Kredite nicht bloß an Bedingun-
gen ihrer Verwendung, Bedienung und Tilgung, sondern an politi-
sche Gegenleistungen in "Menschenrechtsfragen" oder ähnliches ge-
knüpft werden und Milliardengeschäfte mit "Berlin-Klauseln" oder
dem "Aussiedlerproblem" verkoppelt werden, ist jedenfalls ein po-
litischer Preis, der unter westlichen Partnern nicht gerade üb-
lich ist und mindestens unter dem Titel "Einmischung in die inne-
ren Verhältnisse" abgelehnt würde.
Daß die ökonomischen Folgen der west-östlichen "Kooperation" noch
unabhängig von den politischen Zugeständnissen mit Fug
"Z e r s e t z u n g" genannt werden können, ist an Polen zu se-
hen - samt der Fortsetzung der gedeihlichen Zusammenarbeit, die
dort auch noch stattgefunden hat und weiterhin stattfindet: Mit
der Akkumulation von Schulden akkumulieren die erpresserischen
Ansprüche und Eingriffe der westlichen Gläubiger von Bonn bis zum
IWF, nachdem schon ein Großteil der polnischen Lebensmittelpro-
duktion und Kohleförderung im Westhandel gelandet war und außer-
dem noch die gewachsene Abhängigkeit des innerpolnischen Produ-
zierens von westlichen Zulieferungen auszunützen ging.
Westliche Begutachter haben keine Schwierigkeitern, gelegentlich
auch einmal bekanntzumachen, daß es der Westen ist, der Polen in
Schwierigkeiten gebracht, und das Volk verarmt hat, das nach
"Marktwirtschaft" und "Pluralismus" verlangt, und dessen politi-
sche Systemgegnerschaft jetzt vom Westen betreut wird:
"In Ländern wie Polen war der Effekt geradezu pervers: Milliar-
denkredite aus dem Füllhorn des westlichen Kapitalismus erlaubten
es einem Parteichef wie Gierek, eine künstliche Konsumblüte zu
erzeugen, die in dem Moment verwelkte, als jedermann Polen plötz-
lich zum Bankrotteur erklärte und Warschau den Konsum brutal zu-
rückfahren mußte. Dies war die Grundursache für die Arbeiterre-
volte von 1980 und die Machtergreifung des Militärs von 1981..."
(Süddeutsche Zeitung)
Wer war denn eigentlich dieser j e d e r m a n n? Es sind eben
gar nicht die U n z u l ä n g l i c h k e i t e n des
"ö s t l i c h e n W i r t s c h a f t s s y s t e m s" mit
seiner "zentralen Lenkung", die Polen in den "Bankrott" manövrie-
ren und das Volk hungern lassen. Auch die ewig genüßliche Besich-
tigung des DDR-Lebensstandards könnte einem zu denken geben, so-
lange bei Karstadt und Quelle mit 'made in DDR' gute Geschäfte
gemacht werden. Der reale Sozialismus läßt inzwischen auch Moto-
ren für VW und Ladas für alle Welt bauen, k a n n also manches
mehr als Fanatiker der "Marktwirtschaft" meinen. Der Witz besteht
vielmehr darin, daß das andere System die Unterwerfung seiner
Produktivkräfte unter die B e d ü r f n i s s e
w e s t l i c h e n K a p i t a l s schlecht verträgt.
Und genau an diese heilsamen Wirkungen ist gedacht, wenn laut
über einen "Marshallplan für die Sowjetunion" spekuliert wird -
über Kredite und andere ökonomische "Hilfen" also, welche die So-
wjetunion wie ein total ruiniertes, zum völligen Wieder-, d.h.
Neuaufbau durch das internationale Kapital und die politischen
Verwalter des Weltmarktes zur Verfügung stehendes riesiges Ent-
wicklungsland dem Westen eingemeinden könnten. Die sowjetische
Zurückweisung dieses Ansinnens ist ebenso entschieden wie falsch
ausgefallen hier würden die guten W i r t s c h a f t sbeziehun-
gen mit ihrem allseitigen Nutzen unnötig mit i d e o l o g i-
s c h e n Lügen und p o l i t i s c h e n Ansprüchen belastet:
"Das Wort von einem 'Marshall-Plan' für die UdSSR wird nicht zum
erstenmal in Umlauf gebracht. Nach meiner Auffassung handelt es
sich ... um einen Rückfall in die alte Arroganz, wonach der so-
wjetische Wirtschaftszug ohne die kapitalistische Lokomotive
nicht den Berg hinaufzubringen sei... Wir sind uns dessen sicher,
daß wir unsere Probleme aus eigener Kraft lösen können, sind aber
bereit, auch jene Möglichkeiten voll zu nutzen, die uns die aus-
wärtigen Verbindungen bieten. Wir erwarten nicht, daß man uns
'Hilfe erweist'. Es handelt sich um übereinstimmende Interes-
sen... Der Westen wird nach und nach einsehen, daß die ideologi-
sche Belastung der Weltwirtschaft, des Handels, der Kreditbezie-
hungen und der Technologie genauso wie das Wettrüsten nicht nur
unsere, sondern auch Ihre Probleme mehrt." (Gorbatschow im
"Spiegel" vom 24.10.88)
Gegenüber kapitalistischen Weltmarktinteressen scheint Gor-
batschow jedenfalls ideologisch einigermaßen vorbelastet zu sein,
wenn er in ihnen - vom störenden ideologischen Ballast befreit -
gar keinen Gegensatz zu seinen ökonomischen Vorhaben und politi-
schen Zielen mehr entdecken will, sondern nur noch den wechsel-
seitigen Nutzen beider Systeme.
Den Vorwurf des I m p e r i a l i s m u s mag er dem westlichen
System also nicht machen, wenn er mit den staatlichen Idealen und
Zielsetzungen an Geschäftsbeziehungen mit dem Osten konfrontiert
wird. Er unterscheidet einfach zwischen brauchbaren G e-
s c h ä f t s interessen und politischen B e v o r m u n-
d u n g s ansprüchen, die dazu im Gegensatz stehen sollen.
Genausowenig wie die westlichen Kritiker irgendeinen Fehler oder
eine Schwäche des Systems drüben aufführen außer dem einen, daß
es uns immerzu nicht grundsätzlich zur V e r f ü g u n g steht,
genausowenig will Gorbatschow von den politökonomischen
Eigentümlichkeiten des Handels und Wandels etwas wissen - außer
daß aus ihnen nie und nimmer der Anspruch auf Bevormundung und
Erpressung entspringen kann. Recht behält er freilich damit nur
in einem Sinn: Es bedarf schon immer noch der östlichen
Z u s t i m m u n g, damit solche systemfremden Be-
nutzungsverhältnisse in Gang kommen. Und dieses gigantische Pro-
jekt auswärtiger Betreuung und Kapitalisierung bleibt daher bloß
ein Wunschtraum und eine diplomatische Frechheit des Westens:
eben das Modell einer S e l b s t a b d a n k u n g des ganzen
Systems zugunsten der Freien Welt.
Ein Muster von Zusammenarbeit für eine strahlende Zukunft
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Daß sich die Sowjetunion für dieses Totalprogramm nicht hergibt
und daß die bislang beschlossenen Affären sich demgegenüber eher
bescheiden ausnehmen, ist allerdings kaum ein Zeichen dafür, daß
Vernunft im Kreml die Staatsräson diktiert. So ist das mit dem
Vertrauen auf die eigene Kraft jedenfalls nicht gemeint, daß die
Planer drüben nicht immerzu im Westen brauchbare Alternativen
entdecken würden. Ausgerechnet auf dem Feld der K e r n e n e r-
g i e haben sie eine umfassende Zusammenarbeit mit der Bundes-
republik für fällig erachtet.
Einen Hochtemperatur-Reaktor wollen sie sich hinstellen lassen
und tun das Nötige, damit die westdeutsche Atommafia auch wirk-
lich auf ihre Kosten kommt: Finanziell und technologisch, ver-
steht sich. Außer prompter Zahlung haben sie sich den unverwüst-
lichen deutschen Sicherheitsstandards und Prüfungsinstanzen an-
vertraut, die künftig sowjetische Genehmigungsverfahren überwa-
chen sollen. So hält deutsches Know-how beim Einrichte des unver-
meidbaren Restrisikos und erträglichen Normalbetriebs Einzug in
diesen "hochsensiblen Technikbereich". Mit denen aus Hanau, die
im internationalen Geschäft mit spaltbarem Material jedweder Art
so groß zugange sind und bleiben, auch wenn sie neulich erst ein
bißchen unangenehm aufgefallen sind, wollen die russischen Ener-
giepolitiker gemeinsam die Ware "Atommüll" betreuen, Kompensati-
onsgeschäfte eingeschlossen: Sie bieten die Bearbeitung dieser
Ware für die deutschen Manager im internationalen Brennstoff-
kreislauf an und offerieren für die unverwertbaren Reste eine
Endlagerung ganz ohne BRD-Risiko.
Eine interessante Lehre aus Tschernobyl! Aber für westliche Poli-
tiker, die damals angefangen haben, über einen Einstieg in den
Um- und Ausstieg zu diskutieren, offenbar eine Selbstverständ-
lichkeit. An dem GAU war für hiesige Sicherheitsphilosophen eben
nur eins wirklich kritikabel: daß die sowjetische Atompolitik
viel zu wenig unserem Einfluß unterliegt. Alles andere war Getue.
Insofern geht das russische Atomprogramm, seit "wir" darüber mit-
bestimmen, voll in Ordnung. Die Sowjetunion bestätigt die Sicher-
heitslügen der BRD und verspricht sich davon technische und fi-
nanzielle Vorteile für ihr Kernenergieprogramm. Und die Träger
der deutschen "Energieversorgung" machen ein Riesengeschäft, ver-
schaffen sich Einzug in einen Bereich höchster Staatssicherheit
und wickeln einen Gutteil der gar nicht risikolosen Tests auf das
unvermeidliche "Restrisiko" in östlichen Gefilden ab.
Diesen Einstieg in ein neues Kapitel deutsch-sowjetischer Zusam-
menarbeit hat der Kanzler als ein großartiges entspannungsför-
derndes Entgegenkommen und eine Korrektur der "diskriminierenden
Cocom-Bestimmungen" angepriesen, durch das sich die Deutschen
wohltuend von den Amerikanern unterschieden. So als sei die bun-
desrepublikanische Sonderrechnung mit den politischen Osthandels-
beschränkungen eine einzige Gnade gegenüber der technologiebe-
dürftigen Sowjetunion und so als sei das Fehlen von "High-Tech"
ausgerechnet! - d e r Mangel des Systems drüben. Dabei hat der
Kanzler aber auch ziemlich unmißverständlich zu erkennen gegeben,
daß es die Aussicht ist, bei G r u n d l a g e n f r a g e n
der Weltmacht Nr. 2 m i t z u m i s c h e n, die ihm die
deutsch-sowjetische "Sicherheitspartnerschaft" so zukunftsweisend
erscheinen läßt. Zufriedenggestellt ist er sich mit diesem Stück
real existierendem Einfluß auf die Sowjetunion deswegen noch
lange nicht.
Die Diplomatie der "Neuen Entspannung":
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Lauter politische Kampfansagen
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Der Wille, den Bestand der östlichen Macht in Frage zu stellen,
entnimmt den politisch kontrollierten Erfolgen ökonomischer Auf-
weichung lauter gute Gründe, sich, auf dem Felde der diplomati-
schen Anerkennung entsprechend anspruchsvoll aufzuführen. Wenn
auf der einen Seite die harten Kalkulationen deutscher Multis den
Ostpolitikern manchen Einspruch ersparen - politisch problemati-
sche Geschäfte kommen nämlich aus Geschäftsgründen meist gar
nicht erst zustande -, so unterbleibt wegen guter Geschäftsbezie-
hungen umgekehrt keine einzige demonstrative Unvereinbarkeitser-
klärung auf oberster Ebene. Enthalten schon die Bedingungen für
die vermehrte Zusammenarbeit die eindeutige Lehre, daß die Stif-
tung von "Abhängigkeiten" der Weg zur Einflußnahme ist und daß
"über Beziehungen" die Ä n d e r u n g der Geschäftsgrundlagen
der a n d e r e n Seite bewerkstelligt wird und werden soll, so
fallen die politischen Anträge allesamt in die Kategorie diploma-
tisch vorgetragener Frechheiten. Bloß sind diese Frechheiten für
nationalistische Gemüter so selbstverständlich, daß es schon gar
nicht mehr auffällt, was sich westdeutsche Politiker gegenüber
den Führern der Supermacht Sowjetunion eigentlich alles leisten.
Was Wunder, wenn Feindschaft für die Normalität gegenüber dem
Osten gilt und das Stattfinden von Diplomatie schon zu den bemer-
kenswerten Besonderheiten zählt! Deswegen ist ein solches Gemüt
durch den Hinweis, man stelle sich solche Freundlichkeiten wie
den Wiedervereinigunpsanspruch, die Frage politischer Gefangener
oder einseitige Abrüstungsverlangen einmal im Verkehr mit den USA
vor, nicht zu erschüttern: Da geht es schließlich um eine be-
freundete Macht, den Freien Westen, die NATO...
Dabei war die Liste, was die große Sowjetunion der kleinen Bun-
desrepublik noch alles recht zu machen hätte, ziemlich umfang-
reich - richtig besehen betraf sie nämlich s ä m t l i c h e
G r u n d l a g e n i h r e r E x i s t e n z.
1. Die staatlichen Grenzen: "Prüfstein" Berlin
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Es ist nicht nur ein nationalistisches Theater, wenn schon im
Vorfeld des Moskau-Besuchs quer durch alle Parteien darüber ge-
rechtet wurde, wieweit die "Berlin-Frage" zum "Prüfstein" guter
Beziehungen gemacht werden sollte, ohne zum "Stolperstein" zu
werden. Sicher, die Fußnotenfrage in den Kooperationsabkommen ist
ein protokollarischer Firlefanz, aber eben in solch verrückten
Formen spielen sich zwischenstaatliche Anerkennungsfragen immerzu
ab; genau von dieser Frage hat die Bundesrepublik das Zustande-
kommen "vernünftiger Ergebnisse" abhängig gemacht - und mit die-
ser Frage hat Kohl in der Tischrede die sowjetische Seite demon-
strativ genervt. Immerhin hat er - da wo Staatsmänner sich und
der Öffentlichkeit sonst formvollendet ihre Anerkennung und des-
wegen lauter geheuchelte Freundlichkeiten mitteilen - weltpoliti-
sche R e v i s i o n s ansprüche angemeldet, und zwar im Wissen,
daß die andere Seite das Stichwort "Berlin" haargenau so verste-
hen wird und muß. Und er hat diesen Anspruch haargenau so prinzi-
piell und pathetisch ins Spiel gebracht, daß er auch gar nicht
anders verstanden werden konnte denn als Kampfansage an die Welt-
macht Sowjetunion:
"Diese Teilung ist widernatürlich... Der Atem der Geschichte wird
länger sein als die Amtszeit eines Bundeskanzlers oder eines Ge-
neralsekretärs der kommunistischen Partei der Sowjetunion."
Der Bundeskanzler verlangt also nicht weniger als die Revision
des Kriegsergebnisses und versichert dem Kremlchef, daß - unab-
hängig davon, daß die Russen in Sachen Berlin manches nachgegeben
haben - ohne eine grundsätzliche Ä n d e r u n g d e r
N a c h k r i e g s o r d n u n g kein dauerhafter Friede exi-
stiert, egal welches Recht und welche Macht die Russen für diese
Ordnung geltend machen.
2. Die militärischen Machtmittel:
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Unser Recht auf "gleiche Sicherheit"
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Es zählt zu den besonders vertrauensfördernden Erfolgen der
"neuen Entspannungs"diplomatie, daß auch der Verteidigungsmini-
ster mit allen Ehren beim Feindmilitär empfangen wurde und vor
Ort den Russen mitteilen konnte, daß sie
"den Nachweis schuldig geblieben sind, daß sie gewillt sind, Um-
fang und Struktur ihrer Streitkräfte dem Bedarf anzupassen, der
für die sichere Verteidigung genügt... Umfang und Strategie der
sowjetischen Streitkräfte lassen sich mit einer 'hinlänglichen
Verteidigung' bisher kaum vereinbaren."
Bonn steht also nicht nur das Recht zu, nachzuzählen, was die So-
wjetunion zu ihrer Verteidigung braucht. Der Chef der Bundeswehr
sagt es auch den Herren der Roten Armee ins Gesicht und teilt ih-
nen mit, daß sie gegen dieses Recht mit ihrer Rüstung verstoßen.
Und als wäre es eine Selbstverständlichkeit, daß unabhängig von
dem rüstungsdiplomatischen Schacher und den Streitigkeiten der
beiden Weltmächte die Bundesrepublik ganz eigenständige legitime
Ansprüche anzumelden und zu verhandeln hätte, definiert der Kanz-
ler den Sowjets vor, was er allein unter Sicherheit versteht, und
macht sie mit seiner Version eines gesonderten deutsch-sowjeti-
schen Gleichgewichts bekannt:
"Kernproblem der europäischen Sicherheit ist jedoch das schwer-
wiegende Ungleichgewicht auf konventionellem Gebiet. Deshalb
drängen wir darauf, daß möglichst bald Verhandlungen über konven-
tionelle Stabilität in ganz Europa aufgenommen werden. Deren Ziel
muß sein: ... eine Lage in Europa zu schaffen, in der keine Seite
über die Fähigkeit zu raumgreifenden Offensiven oder zum Überra-
schungsangriff verfügt - wie das für das Atlantische Bündnis
heute schon gilt."
Das Angebot ist also eine ziemlich einseitige Angelegenheit. Au-
ßerdem vergißt der deutsche Kanzler bewußt, daß die Bundesrepu-
blik Teil des Atlantischen Bündnisses ist, wenn er Europa als
russisches Gegenüber ins Spiel bringt. Es zählt zu den Feinheiten
dieses Anspruchs auf eine gesonderte europäisch-russische Rü-
stungsdiplomatie, daß für die NATO mit ihrem Kriegsmaterial das
längst gegeben sein soll, was die Verhandlungen herstellen sol-
len: Nichtangriffsfähigkeit. Deutsche NATO-Politiker beherrschen
eben auch im persönlichen Gespräch mit den sowjetischen Führern
die Kunst, sich für das Verlangen nach Abrüstung beim Feind mal
auf den Standpunkt des Bündnisses zu stellen und mal die BRD ganz
für sich einer sowjetischen Bedrohung gegenüberzustellen. Diesel-
ben, die sich auf die Politik der Stärke und die Sprache der Ge-
walt berufen, beschwören auf der eine Seite die bundesrepublika-
nische Ohnmacht, verlangen andererseits ungerührt von den Russen
ein Stück f r e i w i l l i g e r E n t m a c h t u n g, zäh-
len einerseits als BRD gesondert russische Waffen und versichern
als NATO-Mitglied zugleich, daß sie natürlich nie und nimmer ge-
sonderte Absprachen treffen können. Das fördert das Vertrauen!
3. Die Hoheit über das Volk:
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Russische "Deutsche " und andere politische Betreuungsfälle
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Man mag sich die Aufregung gar nicht vorstellen, wenn Gorbatschow
bei seinem Gegenbesuch die Freilassung aller RAFler oder auch nur
Gnade für Boock fordern, sich mit Autonomen oder der MG treffen
und mehr Rechte für Minderheiten in der BRD verlangen würde. Für
unseren Kanzler ist das im Ostblock mindestens so selbstverständ-
lich wie für den amerikanischen Präsidenten, der bei seinem Be-
such vorexerziert hat, wie man im Gewande der diplomatischen An-
erkennung dem Gegenüber das Staatsrecht über sein Volk exempla-
risch bestreitet. Kohl hat nicht nur die inzwischen obligatori-
sche Sacharow-Nummer abgezogen und das Treffen mit ihm wie ein
Stück alternativen Staatsbesuch mit offizieller Billigung arran-
giert. Er hat es auch als seinen persönlichen Erfolg bekanntgege-
ben, daß "die sowjetische Seite bis Jahresende alle Personen ent-
lassen werde, die vom Westen als politische Häftlinge angesehen
werden". "Wir" definieren also nicht nur, wer im Osten alles als
S t a a t s g e g n e r zu gelten hat, sondern diese Definition
begründet auch ein Recht auf zuvorkommende Behandlung, weil den
Russen nicht zusteht, was hierzulande unter "Terrorismusbekämp-
fung" zu den obersten Staatsgrundsätzen zählt. Und wenn die
Sowjetunion dem ein Stück entgegenkommt, dann gibt dieser Erfolg
uns schon wieder Recht.
Den sogenannten Wolgadeutschen hat der bundesrepublikanische Be-
sucher seine spezielle Aufmerksamkeit zukommen lassen. Wenn es
politisch geboten ist - im Osten eben -, hat die Bundesrepublik
nämlich ein unbedingtes B e t r e u u n g s r e c h t auf alle,
die irgendwann einmal Deutschland den Rücken gekehrt und in ande-
ren Ländern ihr Glück gesucht haben. Jetzt zählen sie als gute
Deutsche, die unter einer fremden Herrschaft leben und denen des-
halb lauter Sonderrechte zustehen, die der selbsternannte Herr
über alle Deutschen hier und anderswo gegen ihre sowjetische Ob-
rigkeit vertritt. Materielle Versprechungen zählen freilich nicht
darunter, sondern die Forderung nach gebührender Pflege ihrer
n a t i o n a l e n E i g e n a r t. Genausowenig wie sie in
ihrer Eigenschaft als Aussiedler für etwas anderes stehen als für
diesen prinzipiellen Anspruch der Bundesrepublik auf ihre Unter-
tanenschaft - an irgendeine Sorte kapitalistischer Benutzung ist
ja nicht gedacht, wenn der Kanzler Freiheit für russische
"Deutsche" verlangt. Am passenden Menschenmaterial der Herrschaft
wird da der Gegenseite ihre H o h e i t b e s t r i t t e n.
Gar nicht zufällig ist diese Eigentümlichkeit der Ostdiplomatie
mit den Verträgen mit Polen in die Welt gekommen, in denen im Ge-
genzug für die Anerkennung der Grenzen, das Recht auf Aussiedler
festgelegt wurde.
So sieht sie also aus, die friedensstiftende Diplomatie der
"Neuen Entspannung": Lauter A b s a g e n an das normale Rech-
nen und Berechnen zwischen Staaten auf der Grundlage ihrer wech-
selseitigen Anerkennung; lauter Beziehungen aus dem Geiste der
N i c h t a n e r k e n n u n g der Machtverhältnisse, die die
Sowjetunion als ihr Recht behauptet; und eine einzige Ansammlung
f e i n d s e l i g e r P r i n z i p i e n f r a g e n, an
denen die Unvereinbarkeit "unserer" Ansprüche mit den Staats-
grundsätzen des Ostens aufgemacht wird. Aber vorgetragen als An-
teilnahme am großen Umbau in der Sowjetunion und als selbstver-
ständliche Konsequenz des östlichen Reformwerks: Am deutschen We-
sen soll die Perestrojka genesen - diese Botschaft im Kreml per-
sönlich in diplomatischer Form vorgetragen zu haben, war der Er-
folg des Besuchs.
Die Russen hoffen, mit den Beziehungen den Frieden sicherer ge-
macht zu haben; der Kanzler nutzt die Beziehungen, um auf dem Sy-
stemgegensatz zu beharren und ihn der Gegenseite anzutragen: Die
soll ihn bei sich überwinden! Wenn das keine Gewaltfrage ist!
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