Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles
zurück
Ostfront
DIE EUROPÄISCHE SAMMLUNG VON KRIEGSGRÜNDEN
Kaum verlangen die USA die Entscheidung in der "Konkurrenz der
Systeme", häufen sich die Anklagen, die die "freien" Nationen ge-
gen die Sowjetunion vorzubringen haben. Die USA erheben ihre De-
finition von der Sowjetunion als "Zentrum des Bösen" zum alleini-
gen Inhalt der Weltpolitik, und schon ist es allen europäischen
Staatsgewalten ein zwingendes nationales Anliegen, ihre Politik
daraufhin zu definieren und sich daran zu beteiligen. Je nach ih-
rer Stellung im Rahmen dieser Front machen sie ihre ganz natio-
nale 'Betroffenheit' geltend, um die erforderlichen
"Gegen"maßnahmen gegen den allgemeinen Feind zu ergreifen, und
die Russenhetze hat Hochkonjunktur wie nie seit den Zeiten des
Kalten Krieges.
Zwangsarbeiter und Giftgas
--------------------------
Wenn die USA belieben, ihren Feldzug gegen die 2. Weltmacht in
Gestalt eines unparteiischen, unabhängigen Gerichts über nicht
länger zu duldende Missetaten zu inszenieren, stehen die anderen
Nationen nicht an, das Ihre zur Bestätigung der Objektivität der
'Beweiserhebung' beizutragen.
Die amerikanische Administration nimmt Anstoß an möglichen sowje-
tischen Devisengewinnen, verhängt das Gas-Röhren-Embargo, und
Präsident Reagan verbreitet dazu die Nachricht von Zwangsarbei-
tern an der Erdgasleitung. Die "Internationale Gesellschaft für
Menschenrechte", Lebenswerk von Fräulein Cornelia Gerstenmaier
jr., schiebt N a m e n hinterher, damit die Bundesregierung
"das Geschäft überdenkt". Während der deutsche und französische
Botschafter in Moskau beantragen, die Baustelle nach Zwangsarbei-
tern zu überprüfen, und die westlichen Zeitungen die sowjetische
Auskunft, es gebe dort keine Zwangsarbeiter, damit kommentieren,
das Dementi sei der sicherste Beweis, beschweren sich die berufs-
mäßige Gefangenenbetreuer von amnesty bei der IGFM über den Miß-
brauch ihrer Unterlagen, nach denen die Genannten alle woanders
sind. Der Protest findet begreiflicherweise wenig Öffentlichkeit,
weil man dort gerade damit befaßt ist, die allgemeine Nutzanwen-
dung aus dem Material zu ziehen. Das sowjetische Angebot, einer
ILO-Delegation eine Inspektionsreise zu gestatten, sei eine üble
Vertuschung -
"denn es stehe im voraus fest, daß die Abgesandten keinen einzi-
gen Zwangsarbeiter zu Gesicht bekommen werden" -,
während doch schon längst wissenschaftlich erhärtet ist, daß die
bescheidenen Erfolge der Sowjetökonomie ausschließlich durch
Zwangsarbeit zustandegekommen sind. Wenn auch die europäischen
Staaten d i e s e s Geschäft noch unbedingt machen wollen - für
alle Fälle steht damit das Argument bereit, daß sich der Westen
bei seiner Partizipation an den Ergebnissen der östlichen Ausbeu-
tung immer ein ganz besonderes Gewissen gemacht hat und Ostge-
schäfte nicht mit Völkerverständigung zu verwechseln sind.
Die USA beschließen im Rahmen ihres umfassenden Aufrüstungspro-
gramms, daß sie die Giftgasproduktion sträflich vernachlässigt
haben, und legen prompt "Beweismaterial über den Einsatz von
Giftgas durch die sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan und
die vietnamesischen Truppen vor". Über ein Jahr lang wird die
Auffassung vom "Gelben Regen" befestigt, so daß sich jetzt auch
die Resultate der in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Über-
prüfung veröffentlichen lassen.
"Die von den Vereinigten Staaten veröffentlichten Unterlagen über
die Verwendung von solchen Kampfstoffen waren von Anfang an sehr
widersprüchlich. Jetzt haben Wissenschaftler des staatlichen Ma-
terialforschungslaboratoriums in Australien festgestellt, daß der
von ihnen untersuchte Gelbe Regen aus Pollen besteht. Giftstoffe
konnten sie nicht nachweisen. Sie bezeichnen die Probe als Fäl-
schung; der Gelbe Regen sei mit einem Zweig oder als Spray auf
die Blätter aufgebracht worden." -
berichtet die "FAZ" am 30.3. auf der Wissenschaftsseite, nachdem
die Meldungen über den sowjetischen Giftgaseinsatz über ein Jahr
lang auf dem Titelblatt gestanden waren. Ein neues Titelblatt,
"USA fälschen Beweismaterial gegen die Sowjetunion" - wozu einen
solchen Skandal aufmachen, ist doch die Fälschung für einen guten
Zweck geschehen. Und deshalb können die USA, die es sich ja wirk-
lich nicht einfach mit ihrer Verurteilung der Sowjetunion machen,
sondern immer noch Beweise liefern und sich dabei auch noch dem
Urteil unabhängiger Wissenschaftler unterwerfen, mit gutem Recht
auf etwas "Rücksicht" seitens ihrer Verbündeten rechnen:
"Nach Darstellung des Observer wurden die britischen Erkenntnisse
nicht veröffentlicht, weil dadurch die Regierung Thatcher in eine
peinliche Situation gegenüber den USA hätte geraten können. Die
USA sind um den Nachweis bemüht, daß die Sowjetunion gegen die
internationalen Konventionen verstößt, die den Einsatz chemischer
und biologischer Waffen verbieten." (Frankfurter Rundschau, 6.3.)
"Der Untersuchungsbericht der australischen Wissenschaftler lag
bereits im Juni '82 vor, ist aber erst jetzt von der neuen La-
bour-Regierung veröffentlicht worden. Er wurde offenbar von der
früheren Regierung Frazer mit Rücksicht auf die US-Verbündeten
geheimgehalten." (Süddeutsche Zeitung, 16.3.).
Umgekehrt steht natürlich die Kreatur der Russen, der afghanische
Präsident Karmal von vorneherein auf verlorenem Posten, wenn er
behauptet: "USA helfen Rebellen mit chemischen Waffen". Wer will
ihm denn das glauben?
Unterdessen ist die Giftgasproduktion in den USA wieder auf Tou-
ren gebracht, und die Verbündeten unterrichten ihre Bevölkerung
darüber, daß man auch Giftgas als legitimes Mittel zur Verteidi-
gung braucht. Wer oder was gegen russisches Giftgas durch den
Einsatz von amerikanischem 'verteidigt' wird, fragt eine demokra-
tisch erzogene Bevölkerung nicht.
Papst-Attentat
--------------
Schon vor zwei Jahren hatte der italienische Staatspräsident die
Anregung von Präsident Reagan dankbar aufgegriffen und den
"Terrorismus" als eine sehr u n i t a l i e n i s c h e Er-
scheinung bezeichnet: "Alle Wege des Terrors führen nach Moskau".
Daß italienische Bürger in der italienischen Politik Gründe dafür
finden könnten, ihrerseits die Gewaltfrage aufzumachen, und daß
diese unter Terrorismus rubrizierten Volksgenossen über ein sym-
pathisierendes Umfeld verfügen konnten w e g e n der sehr ita-
lienisch-staatsbürgerlichen Auffassung, die wahre Gerechtigkeit
sei bei den korrupten Politikern in den falschen Händen, hat der
italienische Staat praktisch bestritten. Und Pertini hat daraus
die moralische Bilanz gezogen, daß etwas, das die Politik als na-
tionale Krankheit definiert und niedergekämpft hat, seinen
G r u n d wirklich nicht in der Nation, sondern nur in ihren äu-
ßeren Feinden haben kann. Jetzt freut er sich an dem, was er als
seine prophetische Gabe ausgibt:
"Präsident Pertini, der schon vor 2 Jahren unverhohlen seiner
Überzeugung von der östlichen Herkunft des Terrorismus in Italien
Ausdruck gegeben hatte, meinte gestern, er habe damals eine In-
tuition gehabt. Er habe nichts Außergewöhnliches entdeckt; alles
werde durch Indizien und Beweise bestätigt werden." (Neue Zürcher
Zeitung, 18.12.82)
Gott sei Dank besitzt Italien das moralische Oberhaupt des ge-
samten freien Westens; Gott sei Dank zieht dieses des öfteren At-
tentäter auf sich; Gott sei Dank hat sich ein Attentäter zur Ver-
fertigung eines 'Hintergrundes' benützen lassen, um dem alten
Pertini die Bestätigung seiner "Intuition" zu gönnen.
Nachdem der türkische Attentäter nach einigen Monaten intensiv-
ster Vernehmung einen Bulgaren als Komplizen benannte, geben
Fachleute der Politik das Beweisziel an; Zbigniew Brzezinski:
"Man kann automatisch ableiten, daß die Sowjets da Regie geführt
haben"; Henry Kissinger: "Es ist ziemlich schlüssig, daß Andropow
in das Papst-Attentat verwickelt ist." Die italienische Justiz
muß nurmehr ein paar weitere Beweise verfertigen. Daß ein
"unbekannter Brillenträger" auf Fotos vom Papst-Attentat, der als
der Bulgare Antonov identifiziert worden war, sich mittlerweile
als ein amerikanischer Staatsbürger entpuppt hat; daß Agca seine
Aussage mit Feststellungen unterstützt hatte, die entweder nicht
zutreffen oder vor seiner Verhaftung nicht gemacht werden konn-
ten, erschüttert die Beweisführung nicht, weil sie andere Beweise
hat.
Agca trifft andere Türken, die möglicherweise was mit dem Atten-
tat zu tun haben, in Sofia. Und deshalb soll man sich nicht daran
erinnern, daß Bulgarien das Transitland zwischen Europa und dem
Orient ist und jedes Jahr ca. 2 Millionen Türken durchreisen,
sondern von da aus auf eine Urheberschaft des bulgarischen Staats
schließen. Umgekehrt wäre es natürlich absurd, deshalb, weil Agca
in München und Zürich türkische Bekannte traf, die dort als Waf-
fenhändler tätig waren, einen Schluß auf Strauß oder Hürlimann
als Hintermänner zu ziehen.
Agca verkehrte in Kreisen der türkischen Rechtsextremisten, was
den bekannten Schluß zwingend nahelegt: wo Rechtsextremismus, da
auch Linksextremismus; und die Zeitungen wissen gleich noch ein
bißchen mehr:
"Der bulgarische Geheimdienst KDS bildet seit einigen Jahren
'Frontorganisationen' aus. Für den Einsatz in Westeuropa werden
einige Verbände geschaffen, die das Etikett rechtsextremistisch
erhalten."
Klassisch vollzieht das liberale Weltblatt aus München die Me-
thode der Beweisführung nach; trotz oder "gerade wegen" der Un-
wahrscheinlichkeit des Vorwurfs wird er wohl stimmen:
"Obwohl Agcas Version des Mordanschlags zunächst unglaublich
klingt, verstärkt sich der Verdacht gegen die bulgarische Bot-
schaft... Nicht, daß man den Russen eine solche Tat etwa nicht
zutrauen würde, sondern weil es als ziemlich unwahrscheinlich
galt, daß die Sowjets so deutliche Fingerabdrücke hinterlassen
könnten. Niemals, so lautete die allgemeine Überlegung, würde der
KGB es zulassen, daß ein Verbrechen dieser Größenordnung durch
die nachweisbare Beteiligung von Mitgliedern einer Ostblock-Bot-
schaft die Moskauer Führung kompromittieren könnte. Aber wenn die
Bulgaren es gewesen sind, dann werden unvermeidbar (?) alle an-
klagenden Finger auf die Sowjetunion weisen, wo vor kurzem der
ehemalige Chef des KGB zum mächtigsten Mann im Kreml avancierte."
(Wie George Bush vom CIA zum US-Vize, aber der ist ja so offen
und sympathisch.) "Noch immer fällt es schwer, vorbehaltlos an
die Aussagen Agcas zu glauben..."
Wenn die Verhaftung eines bulgarischen Staatsbürgers die Zusam-
mengehörigkeit von Papst-Attentat und Kreml verbürgt, gestattet
die Gleichung Bulgare = Handlanger des KGB die Urheberschaft des
Kreml an so ziemlich allen italienischen Affairen nachzuweisen.
Was wiederum die "Süddeutsche Zeitung" als "Puzzle-Spiel" im Zu-
sammenhang mit einem Waffenschmuggel zwischen CSSR und Österreich
vorführt -
"Zufälle und die Phantasie anreizende Stichworte, die zu weit
ausufernden Spekulationen über denkbare Zusammenhänge anregen...
Die Tatsache, daß er eine Bulgarin als Freundin hat, würde auch
zu keinerlei Spekulation anregen, wenn da nicht die Verdächtigun-
gen gegen den bulgarischen Geheimdienst wegen des Attentats auf
Johannes Paul II. wären." -,
beherrschen die italienischen Ermittlungsbehörden ebensogut. Daß
italienische Waffen- und Heroinschmuggler auch die bulgarische
Hauptstadt frequentiert haben, daß ein geständnisfreudiger
"pentito" Beziehungen zum bulgarischen Geheimdienst anbietet, er-
laubt zwingende Rückschlüsse auf 'Gesamtzusammenhänge'. Nachdem
die Zentrale eines Waffenhandels in Trient in einem Gebäude der
Vatikan-Bank Ambrosiano ausgehoben worden ist, bezeichnet der
italienische Justizminister Darida nicht etwa Italien, sondern
Bulgarien als "Hauptkontaktstelle für Waffen- und Drogenschmugg-
ler", vollzieht die politische Einordnung des Papst-Attentats als
"eine vorsorgliche und alternative Lösung" (wie das?) "zu einer
Invasion Polens"; läßt weitere Attentats-P l ä n e enthüllen,
die Ermordung Walesas, dazu auch gleich noch eines italienischen
Gewerkschaftsvorsitzenden, weist über seinen "pentito" bulgari-
sche Beziehungen zur Dozier-Entführung nach, die der Verteidi-
gungsminister Lagorio mit der Feststellung der Geheimdienste un-
termauert, daß
"in den Tagen der Entführung des Generals und des Papst-Attentats
die Übermittlungen des bulgarischen Sicherheitsdienstes via Radio
spürbar zugenommen hätten."
Als Rückbetrachtung von dieser Gesamtsicht läßt sich dann ohne
weiteres die juristische Fragwürdigkeit der Ausgangskonstruktion
f e s t s t e l l e n, um sie mit den d a r u s gezogenen Fol-
gerungen zu rechtfertigen.
"Ein unumstößlicher Beweis dafür, daß Angehörige des bulgarischen
Geheimdienstes den türkischen Attentäter Ali Agca direkt oder in-
direkt mit der Ermordung des Papstes beauftragt haben, scheint
nicht zu existieren." Aber:
"Bulgaren und Türken haben in so eklatanter Weise illegale Hand-
lungen in Italien begangen, daß die italienische Justiz unverant-
wortlich handelte, wenn sie jene, die sie hat, freiließe." (FAZ)
Das Generalurteil steht fest, daß
"Gruppen aus arabischen Staaten zusammen mit Palästinensern und
inspiriert von osteuropäischen Geheimdiensten Italien mit Terro-
rakten, Heroin und anderen Mitteln ins Chaos zu stürzen versuch-
ten." (Neue Zürcher Zeitung)
"Es ist offensichtlich, daß Italien als der weiche Bauch der Al-
lianz angesehen wird." (Labriola, PSI) "Die Störmanöver der Län-
der des Ostens im Westen sind nicht nur als Spionagetaten, son-
dern als Versuche der Destabilisierung einzuordnen." (Lagorio)
Insgesamt also eine sehr zufriedenstellende Auswertung von nur
einem türkischen Attentäter: Für alle italienischen "Übel" ist
eine ausländische Macht haftbar gemacht worden: Es fehlt nur noch
die Beziehung zur Mafia. Und die italienische Methode der politi-
schen Vereinnahmung der Bürger, Anteilnahme und Einsatz für ein
von ständigen Krisen geplagtes schwächliches Staatswesen zu for-
dern, kann einiges umgewichten: Gemessen an den ungeheuerlichen
Verschwörungen gegen dieses Staatswesen, hat es sich sehr tapfer
behauptet. Nicht gegen italienische 'Krankheiten', gegen die
übermächtige Macht des Bösen aus dem Osten, hat die Staatsmacht
die ganze Zeit angekämpft, ohne es zu wissen. Gemessen an den Ab-
sichten des Gegners, in Italien die NATO zu treffen, ist die Be-
deutung Italiens für die NATO nicht zu unterschätzen. Italien hat
Großes geleistet.
Die gar nicht zufällige Identität des üblichen journalistischen
Verfahrens, sich von irgendwelchen Fakten "Spekulationen" über
"Hintergründe aufdrängen" zu lassen, mit dem Vorgehen der italie-
nischen Behörden kennzeichnet eine neue Etappe im Umgang mit dem
Osten. Der Presse von der Politik überreichlich gelieferte
"Verdachtsmomente" werden von dieser mit journalistischem Spür-
sinn aufgebaut und dann wiederum von der Politik zu "Sachver-
halten" erklärt, um sich dann zu den entsprechenden "Gegen"-
maßnahmen ermächtigen zu lassen. In Rom wird dem Ostblock der
Prozeß gemacht vorerst "nur" stellvertretend an einem bulga-
rischen Staatsbürger. Daß "eigentlich" mehr fällig wäre, erörtert
ein italienischer Sozialdemokrat:
"Es ist richtig, daß der Abbruch der diplomatischen Beziehungen
eine verfrühte Wahl wäre, aber warum dann ein Zurückgreifen auf
die NATO, Einfrieren der diplomatischen Beziehungen oder der Tä-
tigkeiten auf dem Feld der ökonomischen Beziehungen mit solchen
Ländern ausschließen?"
Wenn also eine selbst in die Welt gesetzte Verschwörungstheorie
im Grunde zu allem berechtigt, sind die Ausweisungen von sowjeti-
schen Staatsbürgern und die Einschränkung der diplomatischen Be-
ziehungen lauter "maßvolle und besonnene" Reaktionen.
Tote Rentner
------------
Das Verfahren beherrschen andere Nationen ebensogut. Die BRD be-
sitzt eine Presse mit einer wohl herausragenden Tradition in der
Konstruktion von Geschichten nach dem Prinzip, alles Üble, was
sich in der Welt ereignet, hat seinen Ursprung im Osten. Die BRD
besitzt eine Regierung, die sich von der früheren, die angeblich
durch Schwäche und Tatenlosigkeit gegenüber dem Ostblock geglänzt
haben soll, abgrenzen will. Aus den Schuldzuweisungen, die man
allmorgendlich der freiwillig selbstkontrollierten deutschen
Presse entnehmen kann - der saure Regen ebenso wie die nächste
Schlechtwetterzone kommt aus der CSSR; die für Äthiopien be-
stimmte Hungerhilfe wird von der Sowjetunion eingestrichen; in
Afrika sterben die letzten Exemplare seltener Tierrassen an den
Kalaschnikoffs; russische Satellitenabstürze gefährden die ganze
Welt; die Hitler-Tagebücher "verunglimpfen" die BRD, wem nützt
das? dem Osten, also stammen sie von daher -, aus diesem täglich
aufgefrischten Katalog entnehmen die Politiker der Wende je nach
Bedarf das Material, um die Schuldzuweisung einen Schritt prakti-
scher werden zu lassen. Innenminister Zimmermann hat erwogen, die
Kosten für den Bereitschaftsdienst während der Absturzphase des
russischen Satelliten der Sowjetunion in Rechnung zu stellen.
Kanzler Kohl beauftragt seine Ministerien, die politischen Hin-
tergründe, was die Beteiligung von Stellen der DDR an den
"Hitler-Tagebüchern" betrifft, "aufzuklären". Wobei der Auftrag
schon so gut wie die "Aufklärung" ist.
Schließlich besitzt die BRD Rentner, und eine Grenze, gegen die
die BRD-Bürger, seit es sie gibt, aufgehetzt worden sind, von we-
gen Unrechtsgrenze.
"Alarm mit einer Woche Verspätung... Weil Bonn zu langsam rea-
gierte, wird ein tragisches Unglück zu einer schweren Belastung
der Beziehungen... Hier liegt ein Versäumnis der zuständiggn Be-
amten vor, denn die Nachricht über die ungeklärten Umstände des
Todes hätte auf die Beamten alarmierend wirken müssen."
(Süddeutsche Zeitung) Die öffentliche Kritik daran, daß zwischen
der Meldung seitens der DDR und der Behandlung als Politikum eine
Woche verstrich, ist eine bereitwillige Verkennung dessen, daß es
wirklich in das Belieben der Politik gestellt ist, ob daraus ein
Skandal w i r d. "Ungeklärt" wurden die "Umstände des Todes"
nämlich erst g e m a c h t, um dann "die Frage" aufzuwerfen,
die "nicht von der Hand zu weisen" ist, "ob womöglich Folterme-
thoden angewendet worden sind, trotz des bestätigten Herzin-
farkts." Auf medizinisch:
"Der Herzinfarkt ist durchaus möglich, allerdings erscheint auch
die Entstehung einzelner Verletzungen Burkerts durch andere Ge-
waltanwendung d e n k b a r."
Zum Fall gemacht, westdeutsche Ermittlungsbehörden eingeschaltet
mit F.J. Strauß als Quasi-Augenzeuge, einen zweiten Rentner in
Todesangst gestürzt, die DDR zur Abgabe einer Statistik über
westdeutsches Rentnersterben in ihrem Amtsbereich genötigt, ab
sofort eine feste Rubrik in westdeutschen Zeitungen im Unter-
schied zu den banalen Todesfällen in westdeutschen Fabriken, wird
die Straußsche Mordanklage vom 'Fall Burkert' getrennt. Der Aus-
sage "DDR-Transit - ein tödliches Risiko" widmet die Junge Union/
Berlin einen Protestmarsch nach Drewitz mit Vorstoß auf DDR-Ge-
biet, und der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
bringt die Mordanklage von der strafrechtlichen auf die völker-
rechtliche Bedeutung:
"Der Todesfall von Wartha zeigt, wie menschenverachtend Auftreten
und Verhalten der DDR-Grenzer gegenüber Besuchern und Reisenden
aus der Bundesrepublik sind. Es kann auch nicht mehr bezweifelt
werden, daß dieses Verhalten der DDR-Stellen für den Tod des
68jährigen Mannes die Ursache ist."
Die Aufforderung -
"Die DDR muß dafür sorgen, daß die Verfahrensweise an ihren Gren-
zen so gestaltet wird, daß Leben und Gesundheit von Deutschen aus
der Bundesrepublik nicht gefährdet werden" -
gerät angesichts der gleichzeitigen Verurteilung der DDR wegen
"systemimmanenter Unmenschlichkeit" eine Spur zu höflich. Aber
klar ist sie ja doch: Die deutsche Grenze ist nicht mehr nur eine
Schande, nicht mehr nur das Leid einer geteilten Nation, sie ist
ein Mordanschlag auf Leib und Leben westdeutscher Bürger - und
damit auf Deutschland: "Sie wollen Deutschland spalten, jeden
Tag." (Bild-Zeitung). Im Prinzip ist die westdeutsche Regierung
also schon längst dazu aufgerufen, zur Verteidigung ihrer Bürger
andere Instanzen als die Staatsanwaltschaft in Bewegung zu set-
zen.
Spionage
--------
Die französische Regierung hat sich gar nicht darum bemüht, die
Massenausweisung sowjetischer Diplomaten hinsichtlich der An-
haltspunkte und der Auswahl besonders zu begründen. Sehr locker
gibt das französische Innenministerium an, die 47 hätten sich
"Informationen militärischer, industrieller und wissenschaftli-
cher Art" beschafft. Und ebenso locker ist die Auswahl getroffen
worden, von UNESCO-Delegierten über Botschaftsangehörige, die ge-
rade erst in Frankreich eingetroffen waren bis zu solchen, die
weder zur sowjetischen Vertretung gehören noch sich in Frankreich
aufhalten.
Diese demonstrative Darstellung, daß man nicht mehr gewillt ist,
die im Umgang zwischen Staaten übliche Unterscheidung von Diplo-
matie und Spionage aufrechtzuerhalten, bringt ein neues Kriterium
gegenüber sowjetischen Staatsbürgern in Anschlag, weshalb es auch
relativ gleichgültig ist, wen es trifft: Als Staatsbürger einer
feindlichen Nation sind ihre Aktivitäten per se mit feindlichen
Absichten versehen. Und nach dieser unbefangenen Gleichsetzung
jeglicher sowjetischen Aktivität mit einer potentiell staatsge-
fährdenden Aktivität erklärt der französische Regierungssprecher
ebenso unbefangen, die Ausweisung dürfe
"nicht überbewertet werden. Sie bedeutet keine Änderung der auf
Frieden durch Abrüstung und kollektive Sicherheit gerichteten
französischen Außenpolitik. Frankreich hat jedoch unter Beweis
gestellt, daß es kein weicher Unterleib ist."
Wenn Frankreich seine Beziehungen zur Sowjetunion unter dem
kriegsmäßigen Gesichtspunkt neu sortiert, daß es sich dabei um
den designierten Feind handelt, dann ändert nicht Frankreich
seine Politik - die zielt unvermindert auf Frieden. Die Soziali-
sten lassen bei der ganzen Aktion zusätzlich noch für ihre Massen
den dezenten Hinweis auf die französische Größe einfließen, "die
große Zahl sowjetischer Agenten sei ein Qualitätsbeweis für die
französische Verteidigung, ein Kompliment auch für die französi-
sche Industrie." Wenn das kein Grund zur Zufriedenheit ist.
Die französische E n t s c h e i d u n g, jeden sowjetischen
Vertreter a l s vermutlichen Agenten zu behandeln, dient post-
wendend den anderen Nationen als Beweis für die Gefahr, die auch
bei ihnen mit jedem Russen einreist.
"Wir sind der französischen Regierung zu Dank verpflichtet, daß
sie ein so deutliches Schlaglicht auf das Ausmaß der illegalen
Tätigkeit des sowjetischen Geheimdienstes in westlichen Ländern
geworfen hat." (CDU/CSU-Fraktion)
"Wir gehen davon aus, daß ein großer Teil der hier in legalen Re-
sidenturen der SU Arbeitenden als Spione tätig sind."
(Bundesinnenministerium)
Der italienische Verteidigungsminister verweist auf die Leistun-
gen seines Landes, das in den letzten 3 Jahren 33 Geheimdienstler
ausgewiesen und mehreren hundert Personen aus Sicherheitsgründen
die Einreise verweigert hat. Großbritannien hat eine Woche vorher
2 Diplomaten und einen Journalisten ausgewiesen, Spanien im März
einen Botschaftsangehörigen, die Schweiz seit Jahresbeginn 3 -
jede Nation, die auf sich hält (wo bleibt Österreich?), verweist
auf ihren konsequenten Umgang mit der russischen Gefahr, so daß
sich ein erschütterndes Gesamtbild der östlichen Agententätigkeit
in Europa zusammenfügt.
Die auf demonstrative Publizität angelegte Inszenierung der Aus-
weisungen verbreitet die Lüge, die nachrichtendienstliche Tätig-
keit sei im Verkehr zwischen Staaten etwas Ungehöriges, obwohl
jeder Bürger einer westlichen Nation über die Existenz der ent-
sprechenden Einrichtungen seines Staates bestens Bescheid weiß.
Über die Notwendigkeit, sich mit legalen und illegalen Methoden
darüber auf dem laufenden zu halten, wie es um die Absichten, Me-
thoden und Mittel beim jeweils anderen Staat bestellt ist, sich
in der Konkurrenz durchzusetzen, herrscht bei allen Anstrengun-
gen, sie praktisch zu unterbinden, ja gerade das schönste Einver-
ständnis - zu bemerken an den geschäftsmäßigen Tauschaktionen,
bei denen erwischte Spione weder für politische Stimmungsmache
eingesetzt, noch wegen ihrer Gesetzesverstöße abgeurteilt, son-
dern einfach als Tauschobjekt benützt werden, um die eigenen, auf
der anderen Seite erwischten, wiederzubekommen. Noch im Fall
Guillaume, der spektakulärsten Spionageaffaire der BRD, ist zwi-
schen Politik und Spionage säuberlich unterschieden worden: Poli-
tische Konsequenz war der Rücktritt von Willy Brandt und keine
Vergeltungsaktion gegen die DDR, deren Interesse an den Interna
der BRD damit als Geschäftsbedingung anerkannt wurde.
Jetzt aber legen es die westlichen Politiker ganz umgekehrt dar-
auf an, die Normalität der zwischenstaatlichen Informationsbe-
schaffung als S k a n d a l darzustellen - als ob nicht zur
gleichen Zeit Heerscharen westlicher Agenten im Osten dem glei-
chen Gewerbe nachgingen -, und kleiden auf diese Weise den Fort-
schritt i h r e r Politik gegen den Osten in die Form einer
R e a k t i o n auf zunehmend sich vermehrende östliche Über-
griffe. Der Fortschritt der westlichen Kriegspolitik ist es ja
gerade, der die Agententätigkeit n i c h t m e h r unter die
Normalität des Staatenverkehrs einordnet, d.h. einerseits mit den
bekannten Mitteln bekämpft, o h n e andererseits einen politi-
schen Vorwurf gegen den staatlichen Auftraggeber zu verfertigen
und die "guten Beziehungen" dadurch stören zu lassen. Der Fort-
schritt der westlichen Kriegspolitik ist der Maßstab, an dem ge-
messen jetzt auf einmal die Spionage zur äußerst bedenklichen na-
tionalen Gefahr erklärt wird, der den V e r d a c h t unbedenk-
lich auf so gut wie alle amtlichen Vertreter des anderen Staates
erweitert. Und die Heuchelei dieser Politik wird perfekt, wenn
sie schlicht durch die Veröffentlichung von Zahlen, die 1. der
eigenen Festlegung entspringen und 2. früher nicht so veröffent-
licht wurden, sich selbst als das Opfer östlicher Machenschaften
ausgibt, obwohl jede Nachricht aus dieser Abteilung unmißver-
ständlich mitteilt, daß gerade die eigenen Kriegsvorbereitungen
für die Gegenseite die Informationsbeschaffung so notwendig ma-
chen wie noch nie: Daß es die Aufgabe der französischen Flotte
ist, die Dardanellen zu "kontrollieren", so daß der Hafen von
Toulon für Flugzeugträger und Raketen-U-Boote ausgebaut worden
ist, erfährt man ganz nebenbei als Begründung dafür, daß die
dringliche Bitte sowjetischer Schiffskapitäne, wegen Reparatur-
notwendigkeiten den Hafen anlaufen zu dürfen, selbstverständlich
abgelehnt werden mußte.
Technologiediebstahl
--------------------
Dasselbe Verfahren bei der freizügigen Erweiterung der von Spio-
nage bedrohten staatlichen Sicherheitsbereiche um Wirtschaft und
Wissenschaft: - Jeder Austauschstudent ein potentieller Landes-
verräter und die Freiheit der Wissenschaft ein einziges Sicher-
heitsrisiko. So wird nicht bloß a r g u m e n t i e r t, son-
dern auch g e h a n d e l t. "Die Sowjets stehlen Technologie
im Westen wie die Raben", sagt der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer
empört und appelliert an das normale Gefühl für Sitte und An-
stand, während zur gleichen Zeit die Einschränkung des wissen-
schaftlichen Austausch- und Veröffentlichungswesens, die Erweite-
rung der Cocom-Listen, das politische V e r b o t, bestimmte
Waren an die Ostblockstaaten zu v e r k a u f e n, beschlossen
wird.
Der "friedliche Handel zum Nutzen der Völker" hat gegenüber den
östlichen noch nie uneingeschränkt gegolten; daß die segensreiche
"Wirtschaft" Mittel von S t a a t e n und nicht von
V ö l k e r n ist, war in diesem Fall immer unbestritten. Daß in
diesem Fall der friedliche Handel zur S c h ä d i g u n g ge-
wisser Staaten benutzt werden muß, ist mit dem "Fall" Polen wie-
der in die Weltpolitik eingeführt worden. Die Handelsrestriktio-
nen haben sich aber mittlerweile von ihrem Einführungsgrund, Po-
len durch Bestrafung der Sowjetunion zu "helfen", längst emanzi-
piert und fallen auch nicht mehr unter den zeitweilig verwendeten
ideologischen Titel, der systemimmanent bedingte ökonomische Zu-
sammenbruch der Sowjetunion solle dadurch beschleunigt werden.
Die USA sind zur schlichten "strategischen" Betrachtungsweise des
Kalten Kriegs zurückgekehrt, so daß sich von jetzt an die osthan-
delnden Nationen mit der Kalamität befassen, daß jede Technik zi-
vil wie militärisch benutz b a r ist, daß jedes an die War-
schauer-Pakt-Staaten verkaufte Gut als Gebrauchswert der soziali-
stischen Industrie nützt und damit die Grundlage auch der Militä-
rindustrie stärkt. Weil aber keine Nation auf diese zwischenzeit-
lich etablierte Geschäftssphäre des Kapitals wegen ihrer kompen-
satorischen Wirkung im Rahmen der Krisenpolitik verzichten will -
nicht wegen eines schwächlichen Egoismus, der dem Feind auch noch
den Strick verkauft, an dem usw., sondern weil eine Schwächung
der ökonomischen Grundlagen gerade jetzt nicht sein d a r f -,
wird die Unterbindung dieses Handels "bloß" in abgestuften Maß-
nahmen betrieben. Und in dem Maße, wie diese Einschränkungen auf
bestimmte Technologien erweitert werden, in dem Maße wird das In-
teresse der Sowjetunion, sich diese anderweitig zu beschaffen,
als völkerrechtswidriges Vorgehen eingestuft. Und die osthandeln-
den Nationen ergänzen ihre Konkurrenz darum, wer noch welches Ge-
schäft mit dem Osten macht, um die Demonstration, daß sie die
Grenze, wo der Handel mit dem Feind in Sabotage übergeht, genaue-
stens beachten.
Zur gleichen Zeit, wo sich Japan vertraglich dazu verpflichtet
hat, den USA sämtliche militärisch möglicherweise bedeutsamen
Technologien der japanischen Industrie bedingungslos zur Verfü-
gung zu stellen, veröffentlicht eine japanische Wirtschaftszei-
tung Informationen aus einem Geheimpapier der Regierung, nach dem
allein hundert Russen in Japan mit der Technologiespionage befaßt
seien, a l s Skandal. Und Staaten, die bislang gerade aus ihrer
Neutralität ein Extrageschäft mit der Umgehung der Cocom-Vor-
schriften gemacht hatten, lassen es sich angelegen sein, durch
demonstrative Zoll- und ähnliche Maßnahmen, die gegen sie erho-
benen Vorwürfe zu entkräften. Die Schweiz meldet als einen beson-
ders gelungenen Coup, daß den Russen das gewünschte Zeug ange-
dreht worden ist nach Entfernung der kostbaren Technologie.
Desinformation, Subversion und Agitation
----------------------------------------
Während Präsident Reagan seinen Vize in Berlin mit einer als Sen-
sation aufgemachten Neuauflage der Nulloption antreten läßt und
gleich am nächsten Tag erzählt, es sei natürlich gar kein neues
Angebot gewesen, er hätte nur der sowjetischen Propaganda in der
europäischen Öffentlichkeit etwas entgegensetzen wollen; während
derselbe in aller Öffentlichkeit einen Propagandafeldzug zur Ver-
breitung seiner "Ideen" in Europa ankündigt; während diese Unter-
nehmungen zur Vereinnahmung der westlichen Öffentlichkeit schon
allein deshalb ziemlich luxuriöse Veranstaltungen sind, weil die
europäische Staatspropaganda ohnehin mit nichts anderem befaßt
ist, als die Nützlichkeit und Unerläßlichkeit der Freundschaft
mit den USA für die jeweiligen nationalen Anliegen zu erläutern;
während also nach dieser Seite die Benutzung der freien Meinungs-
bildung für ausländische Interessen ganz außer Frage steht, hat
die Schweizer Regierung jetzt zur anderen Seite hin mit der
Schließung des Büros der sowjetischen Presseagentur Nowosti klar-
gestellt, daß deren Benützung der Schweizer Öffentlichkeit ein
M i ß b r a u c h ist. Schon lange wird in dieser aufkläreri-
schen Sphäre die gute Sitte geübt, eine mißliebige Meinung durch
die behauptete Nützlichkeit für den Ostblock zu denunzieren. Und
das hat so blendend funktioniert, daß sich daran immer schon die
Heuchelei blamiert hat, der Westen besitze in seiner allerseits
frei zugänglichen Öffentlichkeit eine Schwachstelle gegenüber dem
informationspolitisch abgedichteten Osten. Die Schweizer Regie-
rung hat diese Denunziationsmethode jetzt zu einem strafrechtli-
chen Tatbestand ausgebaut.
Während US- und NATO-Interessen an den europäischen Aufrüstungs-
maßnahmen sich zwar auch nicht in Gestalt einer bloßen Meinung
oder Information geltend machen, aber deshalb keine 'Einmischung'
darstellen, weil sie sich im allgemeinen mit dem Standpunkt der
Regierung decken, ist das Interesse der Sowjetunion an der Frie-
densbewegung 1. mehr als "Informationspolitik" und 2. ein völker-
rechtlicher Verstoß:
"Der schweizerische Bundesrat wendet sich mit Entschiedenheit ge-
gen ausländische Versuche von welcher Seite auch immer (?) -, den
politischen Willensbildungsprozeß in der Schweiz zu beeinflussen.
Derartige Aktivitäten stellen eine klare Einmischung in inner-
schweizerische Angelegenheiten dar, verletzen die schweizerische
Souveränität und gefährden so die innere und äußere Sicherheit
des Landes."
Diese "Aktivitäten" sehen so aus, daß zwei Schweizer Angestellte
von Nowosti Mitglieder der Partei der Arbeit und Mitarbeiter in
der Friedensbewegung sind, was folgendermaßen zu einem Delikt ge-
macht wird:
"Strafrechtlich sehe man noch nicht ganz durch, berichtete Ju-
stizminister Rudolf Friedrich, Schwander und Sittmann hätten im
wesentlichen als einheimische Helfer nur von ihren Bürgerrechten
Gebrauch gemacht."
Ein Delikt ist nämlich die Tatsache, daß die sowjetischen Arbeit-
geber mit Sicherheit gegen die Betätigung ihrer Angestellten
nichts einzuwenden hatten: durch deren P a ß gerät die schwei-
zerische "Wahrnehmung der Bürgerrechte" zur "Verletzung der
schweizerischen Souveränität".
"Das Nowosti-Büro hat sich nicht nur mit den ihm zugedachten In-
formationsaufgaben befaßt, sondern als eigentliche Desinformati-
ons-, Subversions- und Agitationszentrale gedient."
Der "Spiegel" hatte es sich noch gestattet, auf die "Enthüllun-
gen" eines KGB-Überläufers über die unglaubliche Subversions-
tätigkeit des KGB in der Friedensbewegung leicht ironisch zu
reagieren, weil die Behauptung, Agenten, die gar nicht wissen,
daß sie welche sind, die sogar gegen die Sowjetunion eingestellt
sind, seien fast die gefährlichsten, schon eine gewisse Anforde-
rung an den Verstand stellt.
"Lewtschenko : Am einfachsten ist es für die Sowjets, die kommu-
nistischen Parteien und prokommunistischen Organisationen einzu-
spannen.
Spiegel: Aber in Ländern wie der Bundesrepublik sind diese Par-
teien und Gruppen doch praktisch nicht existent; in anderen Län-
dern haben sie ihre tiefen Meinungsverschiedenheiten mit Mos-
kau...
Lewtschenko:... Diese Person würde normalerweise natürlich nichts
mit den kommunistischen Ländern oder dem Kommunismus überhaupt zu
tun haben. Politisch kann er oder sie alles mögliche vertreten.
Aber diese Person kann zum Beispiel eine Demonstration organisie-
ren.
Spiegel: Sie glauben wirklich, diese Hunderttausende von Demon-
stranten ließen sich von ein paar Agenten an der Nase herumfüh-
ren?
Lewtschenko: 99,9999 Prozent der Mitglieder dieser Organisationen
sind absolut ehrenwerte, unschuldige Leute. Unglücklicherweise
erkennen sie nur nicht, wer sie ganz indirekt beeinflußt."
Die Schweizer Behörden haben jetzt den Befund in die Tat umge-
setzt, daß jeder Protest, weil er angeblich der Sowjetunion
nützt, auch wenn er noch so solide antikommunistisch fundiert
ist, von der Sowjetunion ins Leben gerufen worden ist. Wer als
Friedensidealist die Rüstungspläne seiner Regierung anzweifelt,
ist d e s informiert, ist ein Opfer ausländischer Manipulation.
Wer gegen seine Regierung protestiert, ist unterwandert, ist ein
Opfer subversiver Tätigkeiten ausländischer Infiltratoren. Die
Vorwürfe gegen Nowosti legen sehr überzeugend dar, wie sehr demo-
kratische Regierungen den Verstand ihrer Untertanen schätzen,
wenn der ihnen nicht umstandslos beipflichtet, denn sie sind, was
ihren Inhalt betrifft, so horrend dämlich: Als wüßten Friedensde-
monstranten in der Schweiz nicht von alleine, wie man demon-
striert, Appelle abfaßt, Flugblätter druckt etc., so daß es die
Nowosti zugeschriebenen Vorfälle gar nicht hätte geben können,
wenn die Russen nicht brave Schweizer Bürger in den "Techniken"
des Protestierens unterrichtet und geschult hätten. Aber alle
diese Vorwürfe besitzen ja jetzt Rechtskraft und das beweist für
jeden anständigen Bürger ihre Richtigkeit.
U-Boote
-------
Das vorläufige Fazit der schwedischen "U-Boot-Jagden": "Moskau
bringt 'Friedenspolitiker' in ein Dilemma." Der "Friedenspoliti-
ker" Palme erklärt,
"das Eindringen sowjetischer Unterseeboote in schwedische Gewäs-
ser habe sein Vertrauen in die Außenpolitik Moskaus selbstver-
ständlich erschüttert."
Und ein Sprecher der Opposition assistiert der gespielten Enttäu-
schung "in kritischer Anspielung auf Palmes Friedenspolitik":
"Der parlamentarische U-Boot-Bericht kann glauben machen, er sei
auf einem anderen als auf dem Planeten geschrieben worden, auf
dem atomwaffenfreie Zonen gefordert und Hoffnungen in eine ver-
meintliche Entspannungsbereitschaft der Sowjets gesetzt wurden."
Die schwedischen Politiker nehmen den U-Boot-Bericht also zum An-
laß, um die Interpretation in die Welt zu setzen, die Sowjetunion
sei schuld daran, daß
1. Schweden seine bisherige Politik der Vorschläge für Abrüstung
etc. korrigieren muß. Sie sei zu gut für eine Welt, in der Russen
leben - und daß
2. seine Neutralität noch wehrhafter werden muß, als sie ohnehin
schon ist, und dies mit eindeutiger Richtung gen Osten.
Daß die schwedische Außenpolitik mit Entspannungsinitiativen wie
u.a. dem Vorschlag, die Ostsee zu einer atomwaffenfreien Zone,
einem "Meer des Friedens" zu machen, ausgerechnet am bösen Willen
der Sowjetunion gescheitert sei, kann kein schwedischer Politiker
glauben: Wenn die schwedische Generalität im Verlauf der Debatte
selbst darauf hinweist, daß die Ostsee ohnehin die größte west-
östliche U-Boot-Dichte aufweist, wenn also allgemein bekannt ist,
welche strategischen Folgen die NATO daraus gezogen hat, daß die
Ostsee für die Sowjetunion einer der drei Zugänge zum Atlantik
und somit ziemlich unverzichtbar ist, dann dürften auch
"Friedenspolitiker" wissen, an welchem Frontabschnitt sie wohnen
und daß dort eine freiwillige Selbstentwaffnung der Sowjetunion
kaum zu erwarten ist.
Der Gestus, die sowjetischen Übergriffe nötigten die Schweden
überhaupt erst zu entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen, ist im
weiteren schon allein deswegen lachhaft, weil das Interesse der
sowjetischen U-Boote eingestandenermaßen nicht den Schönheiten
der Schären, sondern den dort bereits installierten militärischen
Einrichtungen gilt. Weshalb schließlich auch aus demselben Inter-
esse NATO-U-Boote dort ihre Auskünfte eingeholt haben, die nach
tagelanger Besprechung als sowjetische U-Boote dank einer rätsel-
haften, von oben angeordneten Pause der Bewachungsmannschaften
"unerkannt entkommen konnten".
Die jetzt veröffentlichte Bilanz verzeichnet jedoch ausschließ-
lich sowjetische Eindringe, und das zufälligerweise nach einem
ziemlich weitgehenden sowjetischen Angebot, auf die schwedischen
Abrüstungswünsche, in der Ostsee einzugehen. Das 'muß' man natür-
lich jetzt ausschlagen, nachdem die russische Provokation in ih-
rem ganzen Ausmaß enthüllt ist.
Wie die schwedische Neutralität im Kriegsfall beschaffen sein
dürfte, ist angesichts der schon etablierten Kooperation mit der
NATO, der Einrichtung von Nachschublinien für NATO-Stützpunkte im
nördlichen Norwegen, der gemeinsamen Offiziersausbildung und des
wechselseitigen Waffenhandels ohnehin kein Rätsel. Weil die
schwedische Regierung aber für diesen Fall offensichtlich noch
einige zusätzliche Vorkehrungen treffen will, hält sie es wohl
für angebracht, die Ideologie ihrer unablässigen Friedensbemühun-
gen nunmehr in die Heuchelei enttäuschter Friedenspolitiker über-
zuleiten, die wegen der B e d r o h u n g ihrer N e u t r a-
l i t ä t nunmehr strikt auf ihre Verteidigung achten müssen.
Zugleich liefert man den Nachbarstaaten Material für deren Rü-
stungspolitik. Der dänische Außenminister gibt sich gleichfalls
entrüstet.
"In der Vergangenheit hatte sich Dänemark dank seiner flachen Kü-
stengewässer vor fremden V-Booten relativ sicher fühlen dürfen.
Nun freilich ist nicht länger auszuschließen (), daß die sowjeti-
schen Kleinstfahrzeuge bis in den Hafen von Kopenhagen außerhalb
der Strandpromenade vordringen können."
Das trifft ja bestens mit den ohnehin bestehenden eigenen Aufrü-
stungsplänen zusammen - denn schon im Herbst letzten Jahres
konnte ein westdeutscher Kommentator befriedigt feststellen, daß
es
"erste Anzeichen für eine Intensivierung der nordischen Verteidi-
gungsanstrengungen gibt. So kündigt Schweden jetzt für das kom-
mende Frühjahr das bisher größte Nachkriegsmanöver seiner Streit-
kräfte an, während Norwegen die Luftabwehr und die Sicherung sei-
ner Militärflugplätze durch neue Raketensysteme zu erhöhen ge-
denkt. In Dänemark will der Verteidigungsausschuß darüber bera-
ten, ob die Neuanschaffung von U-Booten zeitlich nicht zu be-
schleunigen sei."
Es wird also allgemein eifrig gerüstet, die Beziehungen zur So-
wjetunion werden abgekühlt, und die U-Boote werden gejagt, woran
man hierzulande vor allem die "Notlage" der schwedischen Regie-
rung bedenken soll, der eigentlich nichts anderes übrig bleibt,
als demnächst mal eines abzuschießen.
"Ein U-Boot zum Auftauchen zu zwingen, kann man jedoch nur sehr
schwer. Man kann das U-Boot mit 'Knallerbsen' zum Auftauchen auf-
fordern es gibt hier internationale Regeln -, man kann es warnen.
Folgt es der Aufforderung aber nicht, dann bleibt nur die Alter-
native, es zu zerstören oder es entkommen zu lassen. Nun gibt
eine Regierung - in Friedenszeiten - aber nicht so leicht den Be-
fehl, ein ausländisches Schiff zu zerstören."
Was ja wohl die Wasserbomben und Anti-U-Boot-Raketen zur Genüge
beweisen!
Verwicklungen unvermeidlich!
----------------------------
Von der Zubereitung der Welt zu einer einzigen Front gegen den
Osten mag sich also keine Nation ausschließen, und jede entdeckt
dafür zwingende Gründe. Die ganze Kunstfertigkeit demokratischer
Politik bewährt sich darin, die eigenen Interessen so. wahrzuneh-
men, daß sie b e d r o h t sind und g e s c h ü t z t werden
müssen. Indem bisher etablierte und geduldete Aktivitäten des
Ostblocks nunmehr unter dem Gesichtspunkt, daß es der Feind ist,
eingeordnet werden, sind Reaktionen unerläßlich: Die Gleichset-
zung von Diplomatie mit Spionage, von Journalismus mit Desinfor-
mation und Subversion, die Gleichsetzung von Handel mit Sabotage
nehmen die westlichen Staaten schrittweise vor, um die entspre-
chenden Konsequenzen zu ziehen. Die Fortschritte sind unverkenn-
bar: So wird die traditionelle Sichtweise von der sowjetischen
Aggressivität wahr g e m a c h t.
Ihre zwischenzeitlich im Westen eröffneten und - eingerichteten
Aktivitäten in Sachen Diplomatie, Handel, Propaganda, Völkerver-
ständigung und Bespitzelung werden jetzt mit Entschiedenheit als
n u r n o c h feindliche indiziert, und dementsprechend stellen
sich lauter empörende Fälle sowjetischer Einmischung und Mißach-
tung der eigenen Souveränität heraus. Schon ist eine öffentliche
Hetze in Gang gesetzt, die die alte Propaganda mit Gulag und Men-
schenrechtsverletzung i m Ostblock weit in den Schatten stellt:
Jetzt bekommt man die sowjetischen Agenten allenthalben dabei zu
fassen, wie sie h i e r die Freiheit, den Papst und die Schären
unterminieren. Daß, versehen mit dieser Propaganda, die politi-
sche Einschränkung aller friedensmäßigen zwischenstaatlichen Be-
ziehungen zum Ostblock zügig vonstatten geht, die östliche Diplo-
matie schrittweise unterbunden, die Verbreitung ihrer Argumente
tendenziell verboten, der Handel reduziert wird usw., wird dabei
gar nicht besonders zur Kenntnis gegeben - die Redeweise der Re-
gierungen, nach wie vor an guten Beziehungen und ganz ernsthaft
an der Sicherung des Friedens interessiert zu sein, bleibt sich
ja immer gleich. Und so geht die Zurichtung der Welt in lauter
Sicherheits-Zonen voran, so daß demnächst Russen außerhalb ihrer
Landesgrenzen überhaupt nur noch in gefährdeten Gebieten, also
mit bösartigen Absichten herumlaufen k ö n n e n.
Auf diese Weise werden lauter K r i e g s a n l ä s s e
g e s c h a f f e n, was offensichtlich auch kein Geheimnis ist.
Die Presse besichtigt ganz unbefangen über die schon gegebenen
hinaus m ö g l i c h e "Zwischenfälle" und "Konflikte". Ein
b u n d e s d e u t s c h e s Gelände, das die DDR für Bauarbei-
ten benutzt, ist mit einem Zaun versehen, der zugleich Ersatz für
die D D R - G r e n z e sein soll und rechtlich dem
B u n d e s g r e n z s c h u t z untersteht. Begutachtung der
"Süddeutschen Zeitung":
"Jedenfalls wartet man mit gemischten Gefühlen auf die Übergabe
des Areals an die DDR am 16. Mai. Sollte ein DDR-Arbeiter
'erkennbar' Anstalten machen, den Zaun in Richtung Bundesrepublik
zu überklettern und dabei in Schwierigkeiten geraten, 'dann müs-
sen wir ihm helfen', sagt man beim Grenzschutz."
Dasselbe im Nahen Osten:
"Durch die Militärische Präsenz der Sowjets könnte ein Konflikt
zwischen Syrien und Israel zu einer Konfrontation der Weltmächte
führen. Die Frage allerdings, ob Israel im Konfliktfall bereit
wäre, mit einem 'Präventivschlag' die beiden sowjetischen SAM-5-
Batterien auf syrischem Gebiet anzugreifen, obwohl diese mit So-
wjetsoldaten bemannt sind und sowjetischem Kommando unterstehen,
mag niemand beantworten. Ein solcher Überfall könnte nicht nur zu
einem massiven militärischen Eingreifen der Sowjetunion führen,
sondern auch zu einer sowjetisch-amerikanischen Konfrontation."
Von der Bedenklichkeit wegen möglicher "u n v e r m e i d-
l i c h e r" "Verwicklungen" sollte man sich nicht täuschen
lassen. Noch vor jedem Krieg stellt die Öffentlichkeit fest, daß
die "Welt" immer "explosiver" wird. Sie rechnet also mit der
konsequenten Fortsetzung einer Politik, der sie d a m i t ihre
Notwendigkeit und Richtigkeit bescheinigt. Die Politiker nehmen
gleichzeitig die Einordnung solcher "Fälle" ohne Bedenklichkeit
wahr, nicht mehr als "schwere Belastung der Entspannung", sondern
als "wahre Kriegshandlung in Friedenszeiten" (Lagorio zum Papst
Attentat).
zurück