Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles
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Jochen Jung (Hrsg.): Deutschland, Deutschland
ÜBER ALLES IN DER DICHTER WELT
Immer wenn deutschen Untertanen besondere Gefühle für ihre Herr-
schaft abverlangt werden, weil besondere Opfer anstehen, fühlen
sich die Tag- und Nachtwächter der Nation, die Schriftsteller,
aufgerufen, i h r e Zuständigkeit für solche Gefühle besonders
herauszustreichen und so zu tun, als hätten sie, seit Heinrich
Heine aus Besorgnis um deutsche Zustände "um den Schlaf gebracht"
wurde, kein Auge mehr zugetan.
Der Umstand, daß kein Mensch auf der Welt vom ersten Schrei bis
zum letzten Atemzug von Herrschaft ungeschoren bleibt, sowie der
Zufall, bei der Geburt ausgerechnet das Licht Deutschlands
erblickt zu haben, nötigt in Zeiten nationaler Mobilmachung gegen
den Osten 47 Schriftstellern aus der BRD u n d der DDR lustige
Treuebekenntnisse zur Gesamtnation ab.
Der Herausgeber des Readers "Deutschland, Deutschland" (Hamburg
1981) hat sich auf Grund seiner Text- und Sachkenntnis gleich zu
Anfang bemüßigt gefühlt mitzuteilen, daß es sich dabei n i c h t
um "revanchistisches" Gedankengut handle, um zuletzt zu bekunden,
daß er auf Zeiten hofft,
"in denen zwischen beiden Deutschland wirklich nur ein Komma
steht",
- als ob die Berufung aufs Ideal der ungeteilten Nation nicht ge-
rade die Tour wäre, mit der westdeutsche Staatsmänner in aller
diplomatischen Unverschämtheit gewöhnlich die Rechtmäßigkeit ost-
deutscher Herrschaft bestreiten.
Bei dem Unternehmen, ihr "persönliches Verhältnis zu diesem
Deutschland zu äußern", schneidet dessen östlicher Teil auch dann
schlecht ab, wenn er nicht explizit zum Gegenstand der Bezweif-
lung gemacht wird. Die DDR-ler, von denen einige inzwischen in
der BRD schreiben, nehmen als bevorzugten Gegenstand der Darstel-
lung "ihres Landes" die "Grenze", das "Niemandsland" und - sofern
sie in Berlin wohnen - "die Mauer womit sie den westlichen Begaf-
fern dieser östlichen "Unmenschlichkeit" in nichts nachstehen.
Sie unterlassen es freilich, sich umstandslos als Staatsbürger
einer vereinten Nation aufzuführen, weil die Machtverhältnisse
dem entgegenstehen:
"An der staatlichen Überdachung der deutschen Nation besteht bei
der gegenwärtigen Welt-Machtverteilung kein Interesse, so daß
auch wir sie nicht wollen können. Doch heißt das nicht, wir soll-
ten oder dürfen nationales Denken/Empfinden wegwerfen; als
Staatsbürger bleiben wir der Nation verpflichtet, um sie schrei-
bend... mit allem auszurüsten, was sie als Teil einer künftigen
Weltgemeinschaft" (ist doch wohl Staatengemeinschaft!) "braucht".
(R. Kirsch, 108)
Für die BRD-ler ist angesichts eines so klaren Bewußtseins dar-
über, in welcher Richtung es die Grenze zu überwinden gilt West-
deutschland i s t eben Repräsentant Deutschlands -, diese
selbst kaum noch ein Thema. Eine gerechte Ausnahme möchte da eine
engagierte evangelische (West-)Berlinerin sein (1. Drewitz), die
auch westlich der Grenze einige Unmenschlichkeiten ausmacht und
sie der allgemeinen Gleichgültigkeit gegenüber der "Grenze mit-
tendurch" anlastet. Ebenso ein ehemaliger DDR-Bürger, der in ele-
gischen Versen ausmalt, wie schön er es doch in der "Baracke" der
"bleichen Mutter Deutschland" haben könne, wenn diese nicht
"zweigeteilt" wäre und er nicht in ständiger Angst leben müßte,
immer wieder "weiter westwärts ziehen zu müssen"; H. Bienek, der
mittlerweile bis "nach München" gezogen ist, verspricht darin
auch für den Fall der Beseitigung seines Problems:
"Dann werde ich mich einrichten / in deiner Baracke. Und zufrie-
den sein. / Deutschland, meine Mutter. Meine Sprache."
Der Sprache wegen gleich bis zur Oder/Neiße als der Grenze
s e i n e s Deutschland zu streben, soweit würde vielleicht kei-
ner seiner Kollegen gehen. Aber ein Problem haben alle mit ihm
gemeinsam: als kritische Sachwalter der nationalen Ideale wollen
sie beim Absingen der Nationalhymne (West) ein ungetrübtes Wohl-
befinden entwickeln können. Sie scheuen deshalb keinen Aufwand an
Phantasie, um an die Stelle umstandsloser Zustimmung zur Nation
eine umständliche mit Niveau treten zu lassen:
- Astel erfindet zwischen "Rechtsstaat" und "Polizeistaat" einen
Gegensatz, um ganz für den ersteren sein zu können,
- L. Fels sagt sich: Wenn du Deutschland schon "unter aller Sau"
findest, weil es "keine Märchen mehr" gibt und die "Freiheit ein
Traum bleibt", "dann blut ich eben für eine andere Wirklichkeit";
- weniger blutrünstig, aber nicht weniger opferbereit ist Frau M.
Hannsmann, die meint: Wenn dir der "Kadaver " Deutschland allzu-
sehr stinkt, dann sag einfach "ICH BIN'S" und du kannst weiter
gehorchen, statt davonzulaufen;
- H. Heckmann, den zu selbstzufriedener Nationalismus in seiner
Neigung zu Deutschland stört, verkündet: "Deutschland, sage ich
euch, ... ist eine Nase, an die ihr euch zuerst fassen müßt.";
- Frau U. Krechel gar fühlt sich vom Staat "wie eine ausgehaltene
Geliebte behandelt", statt wie eine echte Ehefrau und ruft sich
und ihren Geschlechtsgenossinnen zu: Wir werden "ihn zu unserem
Ernst zwingen müssen" (Hallodri der er ist), weil sie ihn nur
lieben will, wenn auch er sie total begehrt;
- zwei männliche Kollegen wollen sich angesichts der von ihnen
festgestellten Abweichungen der BRD vom Ideal der Nation einfach
"schämen", um ihre Liebe zu Deutschland aufrechterhalten zu kön-
nen (R. W. Schnell, K. Staeck).
- K. Staeck will sich künftig an den "positiven Deutschen", die
sich in Deutschland "immer sauwohl" gefühlt haben, ein Beispiel
nehmen und sich als "Kritikaster" sauwohl fühlen;
- K. Stiller findet bei seinen deutschen Mitmenschen eine Gleich-
gültigkeit gegenüber der Nation, die ihn beim Genuß der Nationa-
lität stört und fordert, wenn man schon "ohne Zutun" Deutscher
geworden ist, soll man dies auch wahrhaben wollen und sich klar
zur Nation bekennen.
- für denjenigen, der am Ende des Alphabets neuester deutscher
Nationalliteratur immer noch nicht begriffen hat, daß Kritik nur
als umstandslose Befürwortung der Nation ihre Berechtigung hat;
hält Frau G. Wohmann aus dem Schatz ihrer Erfahrungen einen Tip
bereit: Wer sich als "frenetischer Nestbeschmutzer" fühlt, möge
ins Ausland fahren, dort bemerken, daß man zu Hause wenigstens
"einen Anspruch darauf hat, zu schimpfen", wieder nach Hause fah-
ren und das Schimpfen bleiben lassen.
Von solchen Geistern hat keiner nötig, per Nationalhymne zu be-
kunden, daß ihm Deutschland "über alles in der Welt" geht.
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