Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTPOLITIK - Deutschland über alles
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Schmidt bei Honecker
GIPFELTREFFEN DER DEUTSCHEN FRONTSTAATEN
"Es ist schon etwas Besonderes, was sich da zwischen den beiden
Männern entwickelt hat." (Klaus Bölling)
Januar 1980, kurz "nach Afghanistan", ward ein geplantes Treffen
zwischen Schmidt und Honecker wegen der internationalen Lage in
gegenseitigem Einvernehmen abgeblasen. August 1980, nachdem man
sich im Mai am Grabe Titos ein wenig berochen hatte, sagte Kanz-
ler Schmidt kurzfristig und demonstrativ den neuen Besuchstermin
ab, wegen Polen und weil die DDR das freche westdeutsche Reise-
protokoll nicht einfach schlucken wollte. Dezember 1980 kommen-
tiert eine angesehene deutsche Tageszeitung - inzwischen hat die
DDR die Mindestumtauschsätze für Besucher aus dem Westen und aus
Westberlin erhöht:
"Im Schatten der Bedrohung Polens haben die Beziehungen zwischen
den beiden deutschen Staaten einen Tiefstand erreicht."
Dezember 1981, da Afghanistan weiter von der Sowjetunion besetzt
ist, sich die Lage in Polen weiter zuspitzt und an den
"Zwangsumtauschsätzen" nichts geändert wurde, also zu einem di-
plomatisch gesehen ziemlich "unpassenden" Zeitpunkt, kommt das
deutsch-deutsche Treffen zustande.
Es wird auch nicht abgebrochen, als in Polen das Militär die
Macht übernimmt, so daß Strauß von politischer
"Instinktlosigkeit" spricht und eine amerikanische Zeitung giftig
bemerkt: "Helmut Schmidt ist in Ostdeutschland rumgelatscht, als
ob nichts passiert wäre." Und es ist keine kleine, erste Wieder-
annäherung, die im Dezember stattfand - großer Hof, wahres Gip-
feltreffen zwischen den beiden deutschen Staaten mit zusätzlich
drei Ministern auf beiden Seiten, die ständigen Vertreter so-
wieso, 15 Stunden Gespräch zwischen Generalsekretär und Kanzler,
auf welche Dauer beide extra hinwiesen.
Erster Schluß: Zwischen der ostdeutschen DDR und der westdeut-
schen BRD sind die Beziehungen sehr besonders.
"Ohne Vorbedingungen"
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sollte der Besuch stattfinden und sollen die Gespräche auch ge-
führt worden sein, wie es der Kanzler noch in der Tischrede be-
tonte:
"Ich habe mehrfach - zuletzt vor dem Deutschen Bundestag in Bonn
- gesagt: Sie, Herr Generalsekretär, und ich wollen unser Ge-
spräch ohne Vorbedingungen führen. So hat es in der Tat am gest-
rigen Abend auch begonnen. So ist es heute fortgesetzt worden.
Jeder ist frei, in diesen drei Tagen alle die Fragen anzuspre-
chen, die ihn beschäftigen oder die ihn beschweren."
Das mag schon sein, daß die beiden Souveräne ihrer Staaten frei
sagen können, was sie wollen; tatsächlich haben sie sogar ihre
unterschiedlichen Standpunkte klar geäußert. Doch daß deshalb die
Gespräche von höchstem diplomatischen Rang bedingungslos gewesen
sein sollen, ist dem Besuch nicht zu entnehmen. Man kann vielmehr
sehen, daß es vor allem der Kanzler war, der von vornherein nicht
gerade nebensächliche Bedingungen setzte, derselbe der auf dieser
Charakterisierung des Besuchs so herumgehackt hat. Wir meinen da-
bei nicht einmal das Bad des Kanzlers in den (bestellten) Massen
auf dem Güstrower Weihnachtsmarkt, wo er sich kurz mit einem
Weihnachtsmann des Realen Sozialismus unterhielt. Aber das soll
"ohne Vorbedingungen" gewesen sein, wenn der eine Souverän ganz
selbstverständlich, mit s e i n e r Interpretation des Grundla-
genvertrages und seinem Grundgesetz im Tornister, auch alle Ost-
deutschen des Generalsekretärs für sein Staatsvolk nimmt?
"Wir werden uns über die Grundsatzfrage der Nation nicht verstän-
digen. Aber wir haben schon 1972 in der Präambel des Grundlagen-
vertrages beiderseits festgelegt, daß die nationale Frage besteht
- und die Parlamente beider Seiten haben dem zugestimmt. Sie ken-
nen meine aus Amtseid wie" (das ist gut) "aus Überzeugung beste-
hende Verpflichtung auf das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland. Aber wenn ich dies sage" (das ist geradezu unver-
schämt), "so will ich damit keineswegs die Eigenstaatlichkeit und
keineswegs die Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik
in Zweifel ziehen." (Tischrede des Kanzlers)
Genau das tut er damit, und der Souverän der DDR schluckt - na-
türlich mit Widerrede -, daß die BRD ihm sein Staatsvolk bestrei-
tet und in Salzgitter sogar eine bundesdeutsche Staatsanwalt-
schaft gegen es ermittelt, und führt mit dem vertrauensbildende
Gespräche, der die Souveränität nicht oder eben nur sehr bedingt
anerkennt. Der Chef der SED verzieht auch keine Miene, als ihm
der Kanzler vor den Kopf knallt: "Ich fühle mich (wegen des Min-
destumtauschs) getäuscht, Herr Generalsekretär." Er nimmt in
Kauf, wenn der Deutsche aus dem Westen, wo es nur geht, von
d e n D e u t s c h e n, d e n M e n s c h e n hüben und drü-
ben, von d e u t s c h e r G e s c h i c h t e und ähnlichen
gar nicht undeutlichen Perspektiven redet:
"Wir (?) vermögen die Grenze, die uns trennt, heute nicht zu
überwinden." (Tischrede des Kanzlers),
oder, noch schöner, auf der Pressekonferenz des Bundeskanzlers in
der Jugendhochschule Wilhelm Pieck:
"Die Deutschen müssen sich in beiden Teilen daran erinnern, wenn
man die Geschichte der letzten Jahrhunderte vor seinem Auge noch
einmal passieren läßt, daß es lange, lange Perioden gegeben hat
mit einer Mehrzahl (!) von Staaten in Deutschland, einer Mehrzahl
deutscher Staaten, teils waren sie souverän, teils waren sie es
nicht (!), und haben trotzdem Kriege miteinander geführt, teils
waren sie verbündet mit auswärtigen Mächten, mit größeren und
mittleren.
Es wird Zeit" (genau, Herr Schmidt), "daß man den gegenwärtigen
Zustand in Deutschland in eine geschichtliche Perspektive be-
kommt, damit er eine Zukunft hat, daß man eine realistische Ein-
schätzung der Zukunft sich selber macht."
In jeder diplomatischen Äußerung, wie sie bei Beziehungen zwi-
schen Staaten usus sind, - sie mag gar nicht direkt so gemeint
sein - schwingt der westdeutsche gesamtdeutsche Anspruch ganz von
selbst mit. Herr Honecker nimmt das alles nicht nur in Kauf, er
sieht nicht nur einfach über diese Unzahl von Affronts gegen die
Souveränität der DDR hinweg, deren "völkerrechtliche Anerkennung"
30 Jahre lang d a s Ziel der DDR-Außenpolitik gewesen ist, und
gibt den diplomatischen Erpressungen durch die BRD nach, sondern
redet selbst viel von den Deutschen, ihrer gemeinsamen Aufgabe,
ihrem geschichtlichen Erbe, von Europa. Wen wundert es da noch,
daß dem DDR- Außenminister Fischer der westdeutsche Minister für
innerdeutsche Beziehungen gegenübergesetzt wird. Zweiter Schluß:
Die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR sind so besonders,
daß die Bundesrepublik nie und nimmer normale Beziehungen zwi-
schen zwei Staaten daraus werden läßt:
"Wir sind auch noch weit entfernt von bloß vernünftigen nachbar-
lichen Beziehungen - und dies ist eine sehr viel bescheidenere
(!) Formulierung als normale gutnachbarliche Beziehungen."
(Tischrede des Kanzlers)
Umgekehrt ist die DDR so sehr an diesen guten Beziehungen inter-
essiert, daß sie es hinnimmt, nie ein gleichberechtigter zweiter
deutscher Staat mit normalen Beziehungen zu werden, aber trotzdem
auch so ein nationales Interesse damit verfolgt.
"Besuch nicht mit Erwartungen belasten!"
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Nach dem Breschnew-Besuch schon der zweite, von dem vorher und
nachher hier kräftig betont wurde, es ginge überhaupt nicht um
konkrete Ergebnisse. Nur, warum besuchen sie sich dann? Diploma-
tische Laberei, zwischenstaatliches Händchenhalten und bilaterale
Vertrauensbekundungen sind ja wohl kein Selbstzweck. Es wäre auch
ganz falsch, das Treffen, von dem man sich nichts Handfestes er-
warten sollte (etwa die Verminderung der Mindestumtauschsätze)
einfach in die Taktik des deutschen Bundeskanzlers zu verlegen,
der sich erstens auch bei diesem Staatsbesuch als Vermittler zwi-
schen Ost und West aufspielen will und sich zweitens gegenüber
der Opposition absichert, die Erfolge sehen will. Die politische
Tour des Kanzlers wird schon ihre Rolle spielen, aber dafür
braucht es einen Mitspieler und das nationale Interesse der eige-
nen Nation als Grundlage. Letzteres besteht darin, mit der DDR,
der regelmäßig ihre T e i l staatlichkeit anerkannt und damit
ihre S t a a t l i c h k e i t bezweifelt wird, die wirtschaft-
lichen Beziehungen fortzusetzen, und auch noch auszudehnen - in
der sicheren Gewißheit, daß diese n ü t z l i c h e W a f f e
alle bisher gedachten oder gepflogenen ideologischen Zersetzungs-
manöver gegen den Ostblock in den Schatten stellt. Das nationale
Interesse der sozialistischen DDR kommt den "Imperialisten" West-
deutschlands ziemlich weit entgegen, weil dieser Staat des Ost-
blocks (der mit seinen Untertanen, mögen sie auch einem Schmidt
mehr zujubeln wollen, als ihnen z.B. in Güstrow erlaubt war,
keine besonderen Probleme hat, was auch hier bemerkt wird) sich
unter den Brudervölkern eine wirtschaftliche Sonderrolle erwirt-
schaftet hat, und zwar nicht zuletzt mittels des innerdeutschen
Handels (Die DDR ist für die BRD nicht EG-Ausland!) und sonstiger
industrieller Kooperation mit den Westdeutschen. Es ergibt sich
der existierende Widersinn, daß die beiden Frontstaaten, der eine
West, der andere Ost, g e m e i n s a m e Interessen entdecken,
die sich ganz logisch beide gegen den Ostblock richten, einmal
gewollt, einmal von selbst.
1. Gesamtdeutsche Ökonomie
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Die ökonomisch hervorragende Sonderstellung der DDR im Ostblock
(man kann sie an den ostdeutschen Fünfjahresplänen feststellen),
die - inzwischen - ohne gute und bessere wirtschaftliche Bezie-
hungen zur BRD nicht mehr zu denken ist, gibt d e n Grund ab
für das starke Interesse der ostdeutschen Republik an dem Staats-
besuch des Kanzlers. Nicht umsonst war Graf Lambsdorff mit von
der Partie. Schon vor dem Gipfel war es Ostdeutschland eine
Selbstverständlichkeit, daß der Präsident des Deutschen Indu-
strie- und Handelstages, Otto Wolff von Amerongen, drüben mit
Honecker, dem für die Wirtschaft zuständigen Politbüro-Mitglied
Günter Mittag und dem stellvertretenden DDR-Außenhandelsminister
Gerhard Beil Gespräche führte, dies im "Neuen Deutschland" auf
der Seite 1 berichtet wurde und Amerongen im Bewußtsein guter An-
gebote aus der DDR in derselben Zeitung erklären konnte:
"In der gegenwärtigen komplizierten konjunkturellen Lage schätzen
die Unternehmen der BRD stabile und langfristig ausgerichtete Ge-
schäfte mit der DDR in besonderem Maße."
Und das Treffen der Chefs der "beiden deutschen Staaten in einer
Nation" erbrachte immerhin so Konkretes wie folgende wirtschaft-
liche Perspektiven:
"Beide Seiten sind bestrebt, die im gegenseitigen Interesse lie-
gende wirtschaftliche und industrielle Zusammenarbeit langfristig
zu entwickeln, zu erleichtern und zu vertiefen. Es bestand Über-
einstimmung, den Warenaustausch auf der Grundlage der bestehenden
Abkommen und nach Maßgabe der Möglichkeiten beider Seiten auszu-
bauen und seine Struktur zu verbessern.
Sie unterstrichen die Bedeutung der Zusammenarbeit bei Projekten
und der Unternehmenskooperation einschließlich der Zusammenarbeit
auf dritten Märkten." (Gemeinsames Kommunique)
"Wir habe über Maßnahmen zur Forderung des innerdeutschen Wirt-
schaftsverkehrs gesprochen. Ich nenne die hier nur dem Thema
nach: Ausbau der Gestattungsproduktion und der Lizenzvergabe,
längerfristige Vereinbarungen über Lieferungen in bestimmten Be-
reichen, energiewirtschaftliche Zusammenarbeit und, sicherlich
nicht unwichtig, Kooperation auf dritten Märkten, insbesondere
auf Märkten der Dritten und der Vierten Welt." (Gab es nicht ein-
mal eine Hallstein-Doktrin?) "Ein Zusammenfügen der Möglichkeiten
der Volkswirtschaften beider deutscher Staaten kann uns eine
Wettbewerbsposition in dem einen oder anderen Falle verschaffen,
die wir versuchen wollen zu nutzen." (Erklärung von Bundesmini-
ster Graf Lambsdorff)
Zur Normalität deutsch-deutscher Beziehungen gehört es offenbar
inzwischen auch, die Erdgaslieferung aus der Sowjetunion auch für
Westberlin gesichert zu wissen, die Berliner Gewässerfrage weiter
zu behandeln, den "grenzüberschreitenden Kaliabbau" zu regeln,
Umweltschutzfragen zu klären, Rentenüberweisungen aus der DDR in
die Bundesrepublik zu sichern usw. Was die DDR besonders interes-
sierte, das Swing-Abkommen im Handel zwischen den beiden deut-
schen Staaten, wurde auf eine Art und Weise elegant erledigt, die
den wechselseitigen Interessen auf bestimmte Art und Weise Rech-
nung trug: Die BRD-Seite gestand statt einer E r n e u e r u n g
des auslaufenden Vertrags seine auf sechs Monate terminierte Ver-
längerung zu. Damit wurde einerseits dem Umstand Rechnung getra-
gen, daß 6.000 westdeutsche Firmen davon profitieren und daß für
die BRD überhaupt Geschäfte mit der DDR das effektivste
g e s a m t deutsche Anliegen sind, das sie sich denken kann. An-
dererseits ist die D r o h u n g mit einer Kündigung des Über-
ziehungskredits damit nicht vom Tisch, sondern für ein halbes
Jahr vertagt mit der unmißverständlichen Option, von diesem
schärfsten ökonomischen Erpressungsmittel bei Bedarf immer noch
Gebrauch machen zu können. Die vorher öffentlich diskutierte Kop-
pelung des Swings mit einer Rücknahme des Mindestumtauschs wurde
keinesfalls aufgegeben: Man will der DDR eine Schamfrist nach dem
Besuch einräumen, dieses Sache "ins Reine zu bringen".
Dritter Schluß: Der Osthandel mit der DDR ist der deutsche Son-
derangriff auf den Ostblock. Weil die DDR auf wirtschaftlichem
Gebiet etwas anzubieten hat, setzt man auf den westdeutschen Nut-
zen und die Abhängigkeit, die damit den Ostdeutschen auferlegt
ist. Dafür ist man hier auch bereit, die TSI in Berlin, die
"Treuhandsstelle für den Interzonenhandel" in "Treuhandstelle für
Industrie und Handel" umzubenennen. Zu all dem macht Honecker
gute Miene.
2. Gesamtdeutsche Friedenspolitik
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Auf dieser Grundlage kommt es zu dem Witz der Geschichte, daß die
beiden deutschen Staaten, von denen der eine den anderen eigent-
lich als den seinen betrachtet, daß die beiden Frontstaaten ge-
gensätzlicher Systeme auch zu Gemeinsamkeiten der Friedenssiche-
rung im Ost-West-Konflikt finden. So wie die BRD ihre Frontstaa-
trolle lieber nicht in actu, also in direktem Einsatz von Reich-
tum, Land und Leuten für den Westen und die Freiheit einsetzen
möchte, solange das geht, sondern als Nation an der Freiheit und
der Macht des westlichen Bündnisses genesen will, für die man im-
merhin die NATO-"Nachrüstung" vorgeschlagen und mitdurchgesetzt
hat - so beliebt es der DDR, nicht als Nation darunter zu leiden,
daß sie der östliche Frontstaat des Ost-West-Gegensatzes ist. Man
prüfe daraufhin die bilateralen deutschen Erklärungen:
Honecker:
"Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik
Deutschland, im Zentrum Europas und an der Trennungslinie der
beiden Weltsysteme und der beiden militärischen Koalitionen gele-
gen, brauchen den Frieden und die Entspannung in besonderem Maße.
Zugleich tragen sie, eingedenk der geschichtlichen Lehre, eine
hohe Verantwortung dafür, daß von deutschem Boden nie wieder ein
Krieg ausgeht. Beide Staaten haben alle Veranlassung, mit ganzer
Kraft dafür zu wirken, daß die weltpolitische Lage gesundet und
die Abrüstung, die Fortführung der Entspannung zur bestimmenden
Tendenz der 80er Jahre wird." (Tischrede)
Schmidt:
"Gewiß haben wir Deutschen - Sie ebenso wie wir, die wir alle di-
rekt oder indirekt in diesen Verhandlungen betroffen sind, indi-
rekt sind alle Europäer betroffen -, gewiß haben wir beide, die
Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutsch-
land, bei diesen Verhandlungen keine Sonderrolle. Aber gerade
weil dieser schlimme Zweite Weltkrieg von deutschem Boden ausge-
gangen ist, deshalb können, deshalb dürfen wir Deutschen uns
nicht auf die Rolle interessierter Zuschauer beschränken. Sondern
als loyale Mitglieder unseres jeweiligen Bündnisses, denen wir,
denen Sie mit Überzeugung angehören, müssen wir unsere geschicht-
lichen Erfahrungen, unsere Einsichten, und müssen wir die Sorgen
der Menschen in beiden deutschen Staaten einbringen." (Tischrede)
Beide:
"Beide Seiten gaben ihrer Überzeugung Ausdruck, daß die weitere
Entwicklung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Deutschen Demokratischen Republik ein wesentliches
Element der Entspannung und Friedenssicherung in Europa ist."
(gemeinsames Kommunique)
Freilich bleibt da ein Unterschied sehr prinzipieller Art - und
dies soll der vierte, offene Schluß sein! Wenn der Bundeskanzler
von Frieden, Selbstbestimmung, Nutzen der Menschen redet; meint
er allein und nur die BRD, den Westen, die Freiheit, den Kapita-
lismus und ist in dieser Hinsicht sehr unnachgiebig in seinem
Standpunkt:
"Wenn das Geflecht der Beziehungen verstärkt und ausgebaut werden
kann, so wird es für die Menschen in beiden deutschen Staaten von
Nutzen sein.
Wir haben diese Möglichkeit angestrebt, und wir haben sie wahrge-
nommen, ich habe dies aus Überzeugung getan, weil nämlich die
Menschen hier und ebenso drüben die Erfüllung dieser Pflicht von
jedem deutschen (?) Bundeskanzler (!) erwarten dürfen."
(Regierungserklärung zum Besuch)
Die BRD und ihr Kanzler sind sich so sicher im Wissen um die
Überlegenheit der westlichen Macht - für die "die Menschen", die
deutschen zumal, ein gefundenes Fressen abgeben -, daß sie dafür
lässig einen deutsch-deutschen historischen Kompromiß feiern,
nachdem sie vorher darauf gedrungen haben, im Gipfelprotokoll
müsse eine Begegnung mit "deutschen Christen" vorgesehen sein,
Barlach wird dafür auch noch eingespannt:
"Herr Bischof... Wenn Sie gesagt haben, Barlach sei unsere ge-
meinsame Erinnerung an unsere gemeinsame Vergangenheit, möchte
ich das etwas anders wenden, er kann auch unsere gemeinsame Zu-
kunft sein.
Und zum zweiten möchte ich sagen, daß Sie den Marxisten Honecker
und den Christen Schmidt angeredet haben, so weit, wie es
manchmal scheint, sind sie nicht auseinander. Und wenn Sie sich
an Ernst Bloch und an das Prinzip Hoffnung erinnern, dann werden
die Marxisten wissen, welche große Rolle die Hoffnung im Bewußt-
sein der Christen spielt. So weit sind sie nicht auseinander.
Und persönlich möchte ich Ihnen gern sagen, Herr Bischof, daß ich
Ihre überzeugung teile von Gott als dem Herrn der Geschichte und
damit auch dem Herrn der Politik." (der gesamtdeutsche Vater
wird's schon richten) "Aber die Menschen haben auch einen Teil
beizutragen. Das haben wir beide, Herr Honecker und ich, in den
letzten drei Tagen uns bemüht."
Natürlich meint Honecker bei allem, was er sagt und tut und wie
er mit dem "Imperialisten" und "Revanchisten" aus dem deutschen
Westen umgeht, auch nur die Deutsche Demokratische Republik, den
Sozialismus und das gemeinsame Lager des realsozialistischen Ost-
blocks, also auch keineswegs die Menschen seines Lagers. Doch
gibt sich der dogmatische Opportunist im östlichen Freundschafts-
lager zu Sachen her, die der liberale Opportunist im westlichen
Bündnis schon wegen des Dogmatismus der Freiheit niemals mitma-
chen würde. Dafür mag eine wahre Begebenheit stehen: Als Schmidt
(im Zug, am Fenster) und Honecker (auf dem Bahnsteig) auf die Ab-
fahrt des Zuges in Güstrow warteten, überbrückte der Generalse-
kretär die diplomatische Langeweile von ein paar Minuten damit,
daß er dem Kanzler ein Bonbon anbot. Der nahm es gern, aber ver-
gaß nicht - hinter hohler Hand - hinzuzufügen: "Wird soziali-
siert!" Genosse Honecker lachte auch noch über die feine Kumpel-
haftigkeit des Bürgers Schmidt.
***
"* Gespräche verliefen freimütig, konstruktiv und vertrauensvoll
* International gewürdigter Beitrag zu Zusammenarbeit und Ent-
spannung * Standpunkta zu allen Hauptproblemen unserer Zeit aus-
getauscht * Übereinstimmung in der Grundfrage des Friedens trotz
Meinungsverschiedenheiten bei anderen Themen * Für Beitrag beider
deutscher Staaten zu Rüstungsbegrenzung und Abrüstung * DDR un-
terstützt neue Vorschläge Leonid Breshnews zur Friedenssicherung
* NATO-'Nachrüstung' ist Überrüstung und zerstört das annähernde
militärische Gleichgewicht * Völker brauchen keine neuen amerika-
nischen Mittelstreckenraketen in Westeuropa * Genfer Verhandlun-
gen UdSSR-USA von beiden Seiten positiv bewertet * DDR für paral-
lele Aktionen beider deutscher Staaten zur militärischen Entspan-
nung * Bilaterale Beziehungen von überholtem politischem Ballast
befreien * Grundlage können nur Achtung der Souveränität und
Nichteinmischung sein * Handel soll weiter ausgebaut werden * Er-
gebnisse des Treffens von langfristiger Wirkung"
Aufmacher auf S. 1 des SED-Zentralorgans "Neues Deutschland" vom
16. Dezember
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