Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTHANDEL - Politische Erpressung mit Ökonomie
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Der Westen macht ernst
SIPPENHAFT
"Da alle westlichen Länder bei der Kreditgewährung an osteuropäi-
sche Staaten vorsichtiger sind, wird das Ost-West-Handelsvolumen
allein von dorther schrumpfen." (US-Botschafter Burns)
Das klingt wie reiner Bankiers-Commonsense - ist aber aus dem
Munde von Mister Burns eine Kampfansage an den Ostblock, die sich
gewaschen hat. Abzulesen ist das nicht bloß am Fall Polen, wo die
westliche "Vorsicht" bei der Kreditgewährung das "Ost-West-Han-
delsvolumen" schlagartig so hat "schrumpfen" lassen, daß der In-
dustrieproduktion des Landes die weitgehende Lahmlegung droht,
weil die durch ihre schlauen Planer von westlichen Zulieferem und
Abnehmern abhängig gemacht worden ist.
Ein weiterer Sanierungsfall steht an, einer entwickelt sich; je-
der gibt auf seine Weise Auskunft über die Zwecke, die die NATO-
Staaten mit ihren gestiegenen Bedenklichkeiten bei der Kreditie-
rung des Ostgeschäfts verfolgen.
Fall 1: a u s g e r e c h n e t R u m ä n i e n. Jahrelang hat
der Westen die "selbständige Außenpolitik" des Meister Ceausescu
mit Kreditangeboten honoriert; mit 12 Mrd. Dollar steht das Land
jetzt in der Kreide. An der außenpolitischen Distanz zur Bündnis-
disziplin des Warschauer Pakts hat sich nichts geändert, im Ge-
genteil: Als wäre er schon gar nicht mehr Partei, sondern ein
neutraler Dritter, gibt der rumänische Diktator ausgewogene Kom-
mentare zu den russischen SS-20-Raketen und den sowjetischen In-
teressen in und an Polen von sich und sorgt dafür, daß der Westen
sie auch recht zur Kenntnis nimmt. Eine Fortsetzung des bislang
praktizierten ökonomischen Interesses der kapitalistischen Staa-
ten an Rumänien bringt ihm das jedoch, mit einem Mal, nicht mehr
ein. "Durch die Lage in Polen nervös gewordene Banken" fordern
den Schuldendienst ein, ohne sich zu neuen Krediten bereitzufin-
den; das Ergebnis: Zahlungschwierigkeiten. Die Bundesregierung
und auch andere Staaten übernehmen keine Bürgschaften mehr: wei-
tere Zahlungschwierigkeiten! Der Internationale Währungsfonds,
die zentrale Kontrollagentur des Westens über jede Volkswirt-
schaft, die sich darauf eingelassen hat, mit dem den Weltmarkt
beherrschenden Kreditgeld der kapitalistischen Top-Nation zu han-
tieren, suspendiert ein Beistandsabkommen - wegen "finanzieller
Unregelmäßigkeiten", wie sie bei anderen, besser behandelten Sa-
nierungsfällen des IWF gang und gäbe sind; Präsident Reagen ver-
sagt "wegen Zahlungsschwierigkeiten des Landes" einen Nahrungs-
mittelkredit in der lächerlichen Höhe von 55 Mio. Dollar - nur
Tage nachdem sein Außenminister Haig sich in Bukarest mit Ceau-
sescu über einige weltpolitische Grundfragen einig geworden ist.
Letzter Stand der Dinge: der IWF streicht die gesamte Kreditlinie
Rumäniens für 1982. Ein Beispiel für die "Konzeptionslosigkeit
der Reagan-Administration"?
Fall 2: a u s g e r e c h n e t U n g a r n. Seit Jahren hat
der Westen an der extravaganten marktwirtschaftlichen Variante
des realen Sozialismus Geschmack gefunden, die die ungarischen
"Kommunisten" bei sich eingeführt haben. Eine Regierung mitten im
Ostblock, die private Kleinunternehimer zuläßt, die alle mögli-
chen Formen der Kooperation mit westlichen Kapital und das Bemü-
hen um die fortgeschrittenen Techniken der Ausbeutung bis hin zu
den Segnungen der Arbeitslosigkeit zur wirtschaftspolitischen
Leitlinie macht; die ihre Bürger nicht nach realsozialistischer
Machart über den Mangel an Konsumgütern, sondern über deren un-
verschämte Preise verarmt, so daß das westliche Fernsehen allent-
halben überquellende Märkte vor die Kameras bekommt; eine solche
Regierung hat im Westen doch Kredit! Und auf einmal heißt es: man
weiß nicht so genau. Die ungarische Nationalbank, gerade im Be-
griff, über die Konvertierbarkeit ihres Forint das Land vollends
dem Zugriff westlichen Kapitals zu öffnen, klagt über Liquidi-
tätsprobleme, weil westliche Geschäftsbanken ihre Einlagen abzie-
hen; Kredite für fällige Rückzahlungen werden "wegen der sehr
großen Zurückhaltung westlicher Banken nur kurzfristig einge-
räumt" - und das, obwohl doch "das Land in Finanzkreisen als er-
folgreichste Ostblock-Volkswirtschaft angesehen wird". Konster-
nierte ungarische Bankmenschen betteln -
"Die Banken sollten jetzt nicht einer Reihe von Ländern ihren
Beistand versagen, nur weil ein Land gezwungen ist, sich umzu-
schulden." -,
stoßen reichlich lächerliche Drohungen aus -
"Wenn der erste Kollaps in einem sozialistischen Land auftritt,
ist es unwahrscheinlich, daß dessen Konsequenzen an der Ost-West-
Grenze aufgehalten werden könnten." -
und beschweren sich über ungerechte Behandlung mit dem Hinweis
auf die doch durchaus vergleichbare Schuldenlage von Ländern wie
Italien, Irland oder Brasilien, die sich einer weit
"wohlwollenderen" Benutzung durch westliche Kreditgeber erfreuen.
Ein Beispiel für "eine gefährliche und kurzsichtige Überreak-
tion"?
Die schlichte und deutliche Lehre beider Fälle lautet: Es braucht
nicht gleich das politische Verbot, dem Osten noch irgendeinen
Pfennig zu leihen, um diesen politischen Zweck ins Werk zu set-
zen. Das politisch beschlossene Geschäftsrisiko tut schon das
Seine, um die Geschäfte zu vermindern. Die öffentliche Verhand-
lung des Westens über die Verringerung der staatlichen Kredit-
bürgschaften und die Verschlechterung der staatlichen Kreditbe-
dingungen sowie ein paar exemplarische Beschlüsse genügen, um den
Geldhändlerkreisen alles Notwendig mitzuteilen und die damit
feststehende Insolidität ihrer Partner im Osten in ihre Ge-
schäftskalkulation eingehen zu lassen. Das genügt wiederum zur
Herstellung von Zahlungsschwierigkeiten, die die Politiker je
nach Bedarf als politisches Instrument wahrnehmen können.
Die "Regenschirmtheorie", eine der wohlklingenden Erfindungen des
Bankwesens, mit der die RGW-Staaten schon immer theoretisch dar-
auf verpflichtet worden sind, in Gelddingen füreinander zu haf-
ten, wird nun von westlicher Seite aus zur Anwendung gebracht. Da
heißt es gar nichts, wenn diese Staaten im Vergleich mit fröhlich
weiterbenutzten Schuldnerländern der westlichen Hemisphäre ei-
gentlich durchaus noch kreditwürdig dastehen - sie gehören eben
zum falschen Lager. Und da hilft es auch nichts, daß sie sich,
sei es außenpolitisch - Rumänien -, sei es in ihrer Wirtschafts-
politik - Ungarn - bis an den Rand der offenen Absage an ihren
Pakt der Bündnisdisziplin entzogen haben - deswegen trifft die
westliche "Vorsicht" bei weiterer Kreditierung und einer fälligen
Umschuldung bloß ausgerechnet sie als die bislang mit am reich-
lichsten finanzierten Osthandelspartner, Ironie der Geschichte,
zuerst und am härtesten. Denn Kreditierung und erst recht Um-
schuldung bedeutet nun einmal eine positive Spekulation auf die
ökonomische und, als deren Bedingung, politische Z u k u n f t
der so behandelten Nation - die S t r e i c h u n g von Kredi-
ten und Refinanzierungsmöglichkeiten enthält umgekehrt die genau
entgegengesetzte Klarstellung: D i e s e L ä n d e r
s o l l e n k e i n e Z u k u n f t h a b e n, noch nicht
einmal eine solche, die sie in wirtschaftlicher Hinsicht weitge-
hend zu Ablegern einer ordentlichen westeuropäischen oder nord-
amerikanischen Kapitalakkumulation machen würde. "Österreichische
Geldexperten" haben schon recht mit ihrer "Befürchtung, daß west-
liche Kreditinstitute und die Politik einiger Regierungen, insbe-
sondere die der Vereinigten Staaten, Osteuropa in eine gefährli-
che Zahlungsunfähigkeit treiben könnten" - bloß sind sie ein biß-
chen ungenau: die "einigen" Regierungen sind die, auf die es an-
kommt, nämlich die NATO-Partner; "gefährlich" ist das Ganze erst
einmal fürs ökonomische Überleben des realsozialistischen Bünd-
nisses; und vor allem: das Modalverb am Schluß muß nicht
"könnten" heißen, sondern "w o l l e n". Und die Geschäfte, die
"immer noch" getätigt werden, haben sich auf genau diese Absich-
ten eingestellt: Sie respektieren und fördern mit entsprechend
härteren Kreditbedingungen das "Blockrisiko" und schaffen nach
dem "Polen-" schon den "UdSSR-Effekt". Die ehemals so "solide"
Sowjetunion meldet verstärkten Kreditbedarf an, eine Tatsache,
die der westlichen Politik sicher nicht gerade einen Strich durch
die Rechnung macht. Sich selbst verbieten die NATO-Staaten den
Osten als Anlagesphäre für ihre nationale Geschäftemacherei, ein-
fach weil damit einem Ostblockstaat eine ökonomische Existenz-
chance geboten wäre, wie einseitig deren Nutzen auch immer zugun-
sten der "freien Welt" ausfällt.
Bleibt nur eine Frage, und die ist keine: Was haben die NATO-
Staaten mit dem Ostblock denn eigentlich s t a t t d e s s e n
vor?!
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