Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK OSTHANDEL - Politische Erpressung mit Ökonomie
zurück
Das Röhren-Gas-Geschäft
DER HANDEL MIT DEM FEIND UND SEINE RISIKEN
Das "größte Geschäft, das die deutsche Industrie je abgeschlossen
hat" (Spiegel 13/1981), hat nach einem knappen Jahr Verhandlungen
nach wie vor den Schönheitsfehler, noch nicht abgeschlossen zu
sein. Am Geschäft selbst kann das nicht liegen. Schon lange gab's
keinen Ost-West-Deal mehr, bei dem so viel "wechselseitiger Nut-
zen" für die Beteiligten herausschaute.
Jede Menge Nutzen...
--------------------
Die Sowjetunion, für die die Ausbeutung der Erdgasfelder im Nor-
den Sibiriens angesichts der stagnierenden Öl- und Gasförderung
aus den seit langem erschlossenen leichter zugänglichen Lager-
stätten eine ökonomische Notwendigkeit ist, krebst mit den Er-
schließungsarbeiten immer weiter hinter ihren Planvorgaben her
und hat sich schon deshalb auf den in solchen Fällen üblichen
Ausweg besonnen. So schreibt die "Prawda" Mitte März zum Thema
'Energie und wirtschaftliche Zusammenarbeit', die für die nordsi-
birische Gasförderung benötigten Investitionsmittel könne
"die Sowjetunion zwar in Zusammenarbeit mit den anderen soziali-
stischen Staaten selbst aufbringen. Aus Gründen der Sparsamkeit
und des Zeitgewinns gibt sie aber einer internationalen Arbeits-
teilung den Vorzug."
Und da Erdgas im Boden nichts, herausgeholt und zum - zahlungs-
kräftigen, - Verbraucher transportiert aber eine ganze Menge wert
ist, geht die Kalkulation der SU mit dem Röhren-Gas-Geschäft auf
Basis dessen, daß sie es sich nicht leisten will, die 5000 km
Röhren nebst Kompressorstationen aus eigener Kraft in vier Jahren
zustandezubringen, hundertprozentig auf. Weshalb sie sich auch
nicht lumpen läßt bei ihrem Angebot an diejenigen westlichen Ka-
pitale, denen solche Aufträge kein Problem sind.
Für die B u n d e s r e p u b l i k, die nicht nur mit Mannes-
mann, Salzgitter, AEG entsprechend potente Kapitale für die zü-
gige Erstellung der Gas-Pipeline nebst Zubehör aufweisen kann,
sondern deren Wirtschaft auch der zahlungsfähigste potentielle
Verbraucher der zu fördernden Gasmengen ist, fällt der wirt-
schaftliche Nutzen entsprechend üppig aus: die deutschen Liefer-
firmen können bei dem Geschäft dank ihrer Quasi-Monopolstellung
als einzige Firmen, die sowohl in der Lage wie bereit sind, die
Leitung in der geforderten Zeit hinzulegen, eine Gewinnspanne
kalkulieren, die sich gewaschen hat (üblich sind im Osthandel eh
schon Preise bis 40% über Weltmarktniveau), und das bei einem Ge-
schäftsumfang, der in der ganzen Volkswirtschaft seine auch vom
Staat höchst gerne gesehenen Spuren hinterlassen könnte:
"Gehen die Hoffnungen der Röhren- und Pumpenhersteller in Erfül-
lung, dann ist der deutschen Wirtschaft in den nächsten drei bis
vier Jahren ein Auftragsschub in Höhe von zehn Milliarden Mark
sicher - ein Konjunkturprogramm, für das Bonn keine Mark ausgeben
müßte." (Spiegel 13/81)
Die Ruhrgas AG als Hauptabnehmer bekommt das Gas frei Grenze ge-
liefert, braucht also keinen Pfennig in Erschließung oder Trans-
port zu investieren. Beim Aushandeln des Preises ist sie darüber-
hinaus in der Lage, Bedingungen durchzusetzen, die nicht nur die-
ses Geschäft für sie zu einer höchst einträglichen Sache machen,
sondern ihr gleich noch eine wesentlich günstigere Position in
den Preisverhandlungen mit den übrigen Gasanbietern rund um die
Nordsee und das Mittelmeer sichern. Und auch das Bankkapital war
bislang durchaus gewillt, sich mit dem von der SU gewünschten
Kredit über 10 Milliarden Mark (deutscher Anteil) gegen 9,75%
Zinsen an dem Geschäft zu beteiligen, zumal die Absicherung von
85% des Kreditvolumens gegen Zahlungsausfall durch eine Bürg-
schaft der staatlichen Hermes-Versicherung auch schon klar ist.
Daß die Banken, die zumindest hinsichtlich der ungedeckten 1,5
Milliarden Mark für das Gelingen des Geschäfts auf den Rückfluß
des Kredits innerhalb der vereinbarten Laufzeit von 10 Jahren an-
gewiesen sind, derzeit "ihre Verhandlungsposition überprüfen",
hat denn auch weniger mit den gestiegenen Zinsen zu tun (bei al-
ler Hochzinspolitik fand auch die jüngste Bundesanleihe zu 9,85%
unter den Banken ihre Abnehmer), mehr schon damit, daß das Risiko
des Zahlungsausfalls angesichts der jüngsten "Neubewertung" der
Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen durch den Westen als wirksame
Waffe in der politischen Offensive neubewertet wird - hier durch-
aus bankmäßig in einem einige Prozent höheren Zinssatz. Das ganze
allseitig nützliche Geschäft hat nämlich den entscheidenden Man-
gel,
...mit einem Nutznießer zuviel
------------------------------
gesegnet zu sein, eben der SU. Die Wirtschaftsbeziehungen mit ihr
werden von den USA schon seit langem durch die Bestimmungen des
"trading with the enemy act" geregelt, und in einem eigens dazu
eingerichteten Koordinationsausschuß (Coordinating Committee =
COCOM) teilen sie ihren NATO-Verbündeten kontinuierlich mit, in
welchem Umfang der Handel mit dem Feind des freien Westens für
unbedenklich, bedenklich bzw. rundheraus für Sabotage der gemein-
samen Sicherheitspolitik gilt. Gerätschaften für die Öl- und Gas-
exploration sind schon seit Afghanistan ein Posten der COCOM-Li-
ste, d.h. kein Handelsartikel im Ostgeschäft mehr. Inzwischen
aber gibt es überhaupt, keine unbedenklichen Güterexporte in die
Sowjetunion mehr -
"Die Vorbebalte in Washington betreffen keineswegs nur das spek-
takuläre Gasgeschäft. Die Deutschen müssen sich wohl darauf ein-
stellen, daß alle Ostgeschäfte von den Amerikanern mit Argwohn
verfolgt werden." (Spiegel)
Beinhaltet doch die "Neubewertung" des Osthandels vor allem neues
Gewicht für jenes immer schon stärkste Argument gegen Geschäfte
mit dem Feind der freien Welt, das das sowjetische Interesse am
Einkauf im Warenlager des Kapitalismus - die Kompensation heimi-
scher Mängel - ernst nimmt und auf den Bereich verweist, in dem -
leider auch im Osten kein Mangel herrscht:
"Der Osthandel setzt Mittel für Moskaus Rüstung frei." (Haig)
Die damit erklärte ausschließliche Gültigkeit der p o l i t i-
s c h e n Betrachtungsweise des Osthandels bedeutet zwar nicht,
daß er ab sofort einzustellen sei, jedoch daß seine Einstellung
eigentlich keines weiteren Grundes mehr bedarf und allein
Gegenstand der freien Entscheidung des westlichen Bündnisses,
d.h. seiner Führungsmacht ist.
Das Gasgeschäft als Gegenstand der neuen
----------------------------------------
handelspolitischen Nutzenkalkulation der BRD.
---------------------------------------------
Daß der Zeitpunkt dieser Entscheidung inzwischen nahegerückt ist,
wie die Polenbeschlüsse der NATO deutlich machten, und es im Fall
ihrer Realisierung dabei kaum bleiben dürfte, teilten die diver-
sen Repräsentanten der neuen US-Strategie, den anreisenden Mit-
gliedern der Bundesregierung hinsichtlich des Gasgeschäfts in
Form der Warnung vor wachsender Abhängigkeit = Erpreßbarkeit der
BRD gegenüber der SU mit, einer Warnung, die auch von der deut-
schen Öffentlichkeit durchaus richtig verstanden wird. Denn daß
die russischen Gashähne so wenig wie sonst ein laufendes Ostge-
schäft ein politisches Druckmittel der Sowjetunion in Friedens-
zeiten sind, ihr Zudrehen vielmehr dem Eintritt des Ernstfalls
folgt, weiß immerhin noch jeder deutsche Zeitungsschreiber, der
wie H.D. Barbier von der SZ (20.3.81) zum Thema "Gasgeschäft" das
Lob der "traditionellen Vertragstreue der Russen auch in Krisen-
zeiten" lässig mit "Horrorvisionen" eines "Zusammenbruchs der En-
ergieversorgung der BRD auf breiter Basis" verbindet und so die
zeitgemäße Frage nach ihrer Versorgungssicherheit im Kriegsfall
aufwirft.
"Jeder Wirtschaftsstatistiker, der mit dem Rechenschieber der
volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Bundesrepublik die Ener-
giebasis entzieht, kann auf dem Papier eine Katastrophe entwer-
fen, die selbst die kühnsten Waffenstrategen nur mit Staunen be-
trachten können. Verwundbarer als an der Energiegrundlage ist die
Bundesrepublik fast nirgendwo."
Gegen die als Warnung vor Abhängigkeit vorgetragene Ankündigung
der USA, daß einer ordnungsgemäßen Abwicklung des Röhren-Gas-Ge-
schäfts mit hoher Wahrscheinlichkeit der Ernstfall in die Quere
kommen werde läßt sich heute nicht mehr mit "Wandel durch Handel"
argumentieren. In ihrer offiziellen Reaktion ignoriert die Bun-
desregierung daher erst einmal, daß "die Vorbehalte in Washing-
ton" der Absicht zur Schädigung der Sowjetunion entspringen. Umso
entschlossener macht sie mit dem ihr nahegelegten Standpunkt der
Unabhängigkeit der Versorgung ernst: die BRD wird bei einer Be-
grenzung des SU-Lieferanteils an der Gasversorgung nicht abhängi-
ger, da ein Ausfall der Gasbezüge in diesem Umfang jederzeit pro-
blemlos ausgeglichen werden könne.
"Da ein Großteil des sibirischen Gases in Kraftwerken verfeuert
werden soll, in denen auch andere Brennstoffe eingesetzt werden
können, wären von den 24 Milliarden etwa 13 Milliarden Kubikme-
ter, so die Bonner Rechnung kurzfristig ersetzbar. Und auch der
Rest könne aus Speichern in der Bundesrepublik und durch erhöhte
Bezüge über den europäischen Gasverbund etwa ein Jahr lang ausge-
glichen werden." (Spiegel) Und das Atomprogramm der Bundesregie-
rung dürfte ein übriges dazu beitragen, daß das russische Gas
eine zwar billige, aber keineswegs unverzichtbare Energiequelle
bleibt.
Der Ernstfall als Geschäftsbedingung
------------------------------------
Die erklärte Absicht der BRD, ihrerseits dem Zustandekommen des
Gas-Röhren-Geschäfts nichts in den Weg zu legen, daneben aber
alle Vorkehrungen zu treffen für die Versorgungssicherheit im
Ernstfall, wenn das Geschäft hinsichtlich seines noch nicht abge-
wickelten Teils nichts mehr wert wäre, macht deutlich, unter wel-
chen Bedingungen das Ostgeschäft für das deutsche Kapital heute
weitergeht:
1. Der neue Wind in den Ost-West-Beziehungen ist kein Grund,
nicht jede Geschäftsmöglichkeit mit dem Osten voll auszuloten;
das Gasgeschäft ist hier noch längst nicht das Non-plus-ultra.
2. Solange hier überhaupt noch Geschäfte gemacht werden können,
hat das deutsche Kapital die Gewißheit, daß sein Staat ihm alle
notwendige Unterstützung dabei gewährt, sich von der ausländi-
schen Konkurrenz nicht aus dem Rennen werfen zu lassen, eine
zweite Röhrenembargo-Pleite wird es nicht geben.
3. Das drastisch erhöhte Geschäftsrisiko läßt sich für die betei-
ligten Kapitalisten unmittelbar in erhöhten Kosten ausdrücken,
umso höher, je mehr Zeit zwischen Lieferung und Bezahlung liegt.
4. Deshalb sind die Aussichten für eine Fortsetzung des Ostge-
schäfts von der geschäftlichen Seite her umso besser, je eher die
SU bereit ist, diese aus der Eigenschaft des Osthandels als poli-
tischer Waffe gegen sie resultierenden zusätzlichen Kosten selbst
zu übernehmen.
5. Die Begutachtung des neuartigen politischen Geschäftsrisikos
bleibt allerdings der unternehmerischen Verantwortung anheimge-
stellt.
Für das Röhren-Gas-Geschäft sind die Perspektiven entsprechend
durchaus ungewiß, aber nicht aussichtslos. Außenminister Haig er-
klärt, bei aller Sorge wolle er das Geschäft auch nicht direkt
verhindern, und meint damit, daß er das nicht für nötig hält.
Kollege Lambsdorff teilt mit, daß er diesen Hinweis verstanden
hat -
"Ich habe nicht gesagt, daß die Deutschen das Geschäft abschlie-
ßen worden. Das müssen Sie die Firmen und Banken fragen..."
Die Firmen und Banken verhandeln derweilen mit der SU über eine
weitere Erhöhung des Zinssatzes, eine Begrenzung der Laufzeit und
Beschleunigung des Rückflusses des 10-Milliarden-Kredits, d.h.
darum, wer die Geschäftsunkosten der neuen westlichen Ostpolitik
trägt, und behalten sich das Urteil vor, ob sich das Geschäft
noch immer lohnt.
Bild ansehen
Pipeline Landkarte
zurück