Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK BERLIN - Sumpfblüte des Imperialismus
zurück WochenschauDEMOKRATISCHES MILLJÖH
Vor lauter Kummer um die Regierbarkeit Berlins sind neulich zwei große Männer der bundesdeutschen Politik umgezogen. Was war ge- schehen. Die regierenden und opponierenden Parteien Westberlins hatten anläßlich eines ortsüblichen, aber fehlgeschlagenen Speku- lationsmanövers die Welle der Hausinstandbesetzungen schamlos dazu mißbraucht, ihre Konkurrenz um die Frontstadtmacht mitten in der Legislaturperiode neu aufzulegen. Die Initiative ging von der C-Gruppe aus, die mit der Lüge erfolgreich hausieren ging, die Berliner hätten die Glaubwürdigkeit in das Vertrauen ihrer Poli- tiker verloren. Der Wunsch ging in Erfüllung: Weizsäcker konnte sein Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Berliner wiederherstel- len. Ganz ähnlich Vogel: Er hat verloren und konnte dadurch die Glaubwürdigkeit seiner Mannschaft retten, daß er die schwere Aufgabe seiner konstruktiven Opposition am Wahlsonntag um 19.43 auf sich zukommen sah. (Von soviel demokratischer Glaubwürdigkeit hätte sich Trainerkollege Udo Lattek mehr als eine Scheibe ab- schneiden sollen!) Schließlich hat er so sein einziges Wahlver- sprechen eingelöst, daß er "keine Rückfahrkarte" besitze. (Da müssen die Herren in Bonn sich schon einen dicken Skandal einfal- len lassen, damit Vogel auch noch als Verteidigungsminister im Herzen ein Berliner bleibt.) Ein voller Erfolg für die Demokratie wurden die vorgezogenen Par- lamentswahlen aber erst durch den parlamentarischen Erfolg der außerparlamentarischen Opposition. 'Außen-' ist ja schließlich nicht 'Anti-'. Und daß sich Politik und Macht auch trennen las- sen; daß wenn schon nicht Politik, so doch die Teilnahme an ihr auch ohne Anspruch auf Amt und Würden geht; ja daß man die Heu- chelei der herrschenden Parteien ganz ernst nehmen und bloß um der Demokratie willen und für sonst nichts auf den allerglaubwür- digsten demokratischen Stimmenfang gehen soll: dafür stand eine Alternative Liste ein. Jetzt weiß es jeder: In Westberlin braucht man sich vor den Linken nicht mehr zu fürchten; denn die Linken haben aufgehört, sich vor der Demokratie zu fürchten. Und allein durch diesen Entschluß ist es ihnen gelungen, die Berliner Szene auf 100 000 Parlamentswähler zu bringen. zurück