Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK BERLIN - Sumpfblüte des Imperialismus
zurück US-Präsident demonstriert in der FrontstadtNATO-ÜBUNG AN DER MAUER
"Welch' eine Stadt!" (FAZ) Berlin, den 12. Juni 1987. Generalsekretär Michail Gorbatschow stattet der Hauptstadt der DDR einen Geburtstagsbesuch ab. Ost- berlin gleicht einer Festung, uniformierte Demonstranten bestim- men das Stadtbild. Sicherheitskräfte haben das Stadtzentrum her- metisch abgeriegelt. An allen Ecken und Enden werden Ausweise und Taschen kontrolliert. Die Verkehrsverbindungen von den Außenbe- zirken ins Zentrum sind unterbrochen, damit kein Unbefugter dem Staatsgast zunahe kommt. Wasserwerfer, Greiftrupps und Schlagstöcke ersticken den geringsten Protest gegen die Staatsvi- site im Keim. Nur handverlesene Parteigenossen, vom KGB sorgfäl- tig ausgewählt und durchleuchtet, dazu Angehörige der sowjeti- schen Streitkräfte in Uniform und Zivil haben Zugang zum Kund- gebungsort wenige Meter vor dem Brandenburger Tor. Jubelreporter aus allen Ländern der Intervision berichten über jeden Schritt des Staatsgastes. Stimmung kommt auf: Sowjetsoldaten versorgen Kinder mit Limo, Buletten und roten Fähnchen. Vopos besprühen die Mauer mit der Parole: "Freundschaft, Genosse Generalsekretär!" Das animiert den russischen Besucher zu einem Trinkspruch auf die unverbrüchliche Freundschaft zwischen den Bürgern Berlins und den Soldaten der Roten Armee: "Ich habe noch einen Koffer in Berlin!" Frenetischer Beifall kommt auf, als Gorbatschow im Namen der so- zialistischen Völkergemeinschaft Reagan und Kohl auffordert, end- lich NATO und Marktwirtschaft niederzureißen. Reichstag und Ku- damm seien dafür ein guter Anfang. Der Westen reagiert prompt und entschieden. Von Personenkult und Gleichschaltung ist die Rede; von bestellten Claqueuren, poli- zeilichen Schikanen und brutalen Übergriffen auf freiheitslie- bende Jugendliche, von provokativer Anmaßung und Verletzung des Berlin-Abkommens. Ein Dutzend NATO-Funktionäre protestieren gegen die Militarisierung Ostberlins, die nicht unbeantwortet bleiben dürfe. Kohl und Reagan sprechen Gorbatschow das Recht ab, ange- sichts Afghanistans überhaupt in Ostberlin aufzutreten. "Volksfeststimmung" (westliche Einheitspresse) ---------------------------------------------- Natürlich war's ganz anders am 12.6.1987. Gorbatschows Geburts- tagsbesuch war schon einige Wochen vorher, ganz unbegleitet von den obigen Umständen über die Bühne gegangen. Die Verwandlung Berlins in eine Festung, die Dreiteilung der Stadt in eine Jubel- zone, ein Kreuzberger Ghetto für Demonstranten mit abgeteilten Prügelzonen und einen Restbereich für spalierbildende Insulaner war dem deutsch-amerikanischen Festkomitee zur Vorbereitung des Staatsbesuchs von Ronald Reagan in Berlin-West gelungen. Selbst für die Frontstadt Westberlin war die demonstrative Inszenierung der Inspektionsreise des obersten NATO-Befehlshabers in den vor- geschobenen Posten eine Steigerung der alltäglichen Mobilmachung. "Eine starke und freie Welt - im Westen ist dieser Traum Wirk- lichkeit geworden." (Reagan am Brandenburger Tor) Mithilfe dreier NATO-Abteilungen, der Bundeswehr - pardon: 10.000 Polizisten aus der BRD und Westberlin -, jeder Menge journalisti- scher Arschkriecher und einiger Tausend echter und unechter Ju- belinsulaner hielt Ronald Reagan eine NATO-Generalstabsübung ab, knapp hundert Meter vor dem Reich des Bösen. Absurd der Kontrast zwischen einem Westberlin, dem die Uniformen das Lokalkolorit ga- ben, wo - durchsichtigermaßen - jeder Furz an Jubel, Zustimmung, Jovialität bis ins Detail abgesprochen und geprobt war, und einem Berlin-Ost, wo, so sehr sich die westlichen Kameraleute auch be- mühten, bis auf den sozialistischen Alltag rein gar nichts los war. Damit war aber auch dem Demonstrationseffekt schon genügege- tan, auf den es Reagan und seinem Gefolge ankam. Auch wenn er mit bloßem Auge kaum bis nach drüben schauen konnte, er wußte, was den Deutschen in seinem Rücken fehlte. Er und Nancy, seine NATO- Kollegen, der american way of life, CIA und Coke, kurz alles, was im Freiheitsstall von Westberlin schlecht und teuer ist. "Hinter mir steht eine Mauer (deswegen hat er sich ja genau davor plaziert!), die die freien Sektoren dieser Stadt umschließt, ein Teil der massiven Schranken, die den gesamten Kontinent Europa spalten." Berlin: offene Wunde - für wen? ------------------------------- Na und? Grenzanlagen, gut befestigte, hätte der Präsident bei sich und seinen NATO-Kollegen zuhauf besichtigen können. Er- schossene Grenzgänger dito. Sein Besuch galt auch gar nicht den Insulanern hüben oder drüben. Er galt dem Prinzip, für das Berlin steht. Das Recht der NATO, ihrer amerikanischen Vormacht und ihres deutschen Frontstaats insbesondere, dort zu sein. Wann und wie es dem Westen paßt. Die Verwandlung Westberlins in eine komplette Festung entspringt nicht dem übertriebenen Sicherheitsdenken der Präsidentenberater. Sie ist die passende Staffage zu der kriegsdiplomatischen Bot- schaft, die Reagan an und in Berlin unterstreicht. Mehr denn je ist dieses Nest gedacht und geplant als ein "Pfahl im Fleische" des Hauptfeindes, ein einziger Anspruch der NATO; nicht einfach eine Exklave, die es zu halten gilt, sondern der westliche Vorpo- sten, von dem aus der ganze Osten heim ins Reich der westlichen Freiheit geholt werden soll. Ein westlicher Kriegsauftrag eben. Den hat Reagan gleich doppelt untermauert, bei seinen Gastgebern und bei sich: Zumindest für einen Tag lag Bonn nicht am Rhein, sondern an der Spree. Die gesamte Bonner Politmafia war aufgefahren, um dem Gast nach allen Regeln des Protokolls aufzuwarten und sich von ihm den diplomatischen Rang der bundespolitischen Präsenz absegnen zu lassen. Schloß Bellevue, der alte Reichstag, das Schöneberger Rathaus - an gleich drei Stellen machten die Weizsäckers und Kohls, die Jenningers und Diepgens ihren Anspruch gegenüber dem Staatsgast auf, nicht nur in Westberlin mit-, sondern von dort aus in den Osten hineinregieren zu können. Natürlich nur aus lau- ter Menschlichkeit und mit gutem Recht: Diepgen, weil er schon lange mit seinen Kindern in Ostberlin spazierengehen will; der Präsident wegen der unteilbaren deutschen Kultur; Jenninger wegen der Unteilbarkeit der Verfassung; Kohl wegen der Unteilbarkeit Europas. Dafür muß natürlich nicht nur die Mauer weg. Zumindest für einen Tag lag auch Washington mitten in Berlin. Die Geburtstagsfeier, die Reagan im alten Tempelhofer Flughafen zu Ehren Berlins abzog, war nicht nur ein deutsch-amerikanisches Ve- teranentreffen. Es war, in der albernen Kulisse von Torten und Luftballons, die Klarstellung, daß der NATO-Oberbefehlshaber die Systemfrage w e l t w e i t stellt und an der Mauer nur einen Zipfel von dem Bösen zu sehen ist, was weg muß. Wiedervereini- gung, Befreiung Europas, das sind Unterposten, die im W e l t k r i e g s programm gut aufgehoben sind. So betreibt ein Ami-Präsident die moralische Aufrüstung des Frontstaates, der ge- rade daran laboriert, daß ihm ein paar Raketen genommen werden könnten. Das Kriegsziel bleibt. Berlin bleibt nicht nur Berlin. Hinter Reagans idiotischen Sprü- chen über die Berliner Volksseele und seinen etwas verkorksten Anleihen beim Berliner Liedgut blieb die Botschaft unüberhörbar, die er - im doppelten Sinne des Wortes - an der Mauer loswerden wollte. "Die Mauer quer durch Europa muß fallen." Auch Friedensfreunde hätten merken können, daß Reagan nicht des- wegen Gorbatschow zum Niederreißen von Brandenburger Tor und restlicher Mauer aufforderte, damit die einen 'rüber und die an- deren 'nüber können. Es ging ihm dabei um Abrüstung und Ver- schrottung, aber nicht bei Raketen, sondern das feindliche System betreffend. Die unmißverständliche Aufforderung, die da von West nach Ost ging war die, der Osten solle schon einmal ganz ohne den Einsatz von NATO-Waffen die westlichen Kriegsziele erfüllen: quer durch Europa und die ganze Welt. Der Osten muß weg. Dafür steht Berlin. Reagan als Sportsfreund ----------------------- Es gehört zu den besonderen Frechheiten dieser Revanchismusveran- staltung an der Berliner Mauer, daß Reagan die offene Feindselig- keit gegen die DDR und Sowjetunion als großherziges Angebot eines Menschenfreundes ausgibt. Nicht wegen des unaufschiebbaren NATO- Anspruchs soll die Mauer fallen, sondern damit die boys und girls aus aller Welt ungehindert in Großberlin rumhopsen können. Wie damals, als Berlin noch eins war und schon einmal gegen den Welt- bolschiwismus geturnt wurde, bevor es krachte. "Der Sport stellt eine Quelle der Freude und Weiterentwicklung dar. (...) Warum können nicht internationale sportliche Wettbe- werbe verschiedenster Art in beiden Teilen dieser Stadt abgehal- ten werden? Und wie könnte man besser die Offenheit dieser Stadt dokumentieren als durch das Angebot, in naher Zukunft die Olympi- schen Spiele hier in Berlin, im Osten und im Westen, abzuhalten." (Reagan an der Mauer) In olympischen Dingen kennt sich Reagan aus. 1980 durfte seine medaillengeile Mannschaft nicht in Moskau antreten, weil die Rus- sen angeblich das Menschenrecht auf Sport verletzt hatten. 1984 in Kalifornien wurde dafür Olympia gleich als Teil der amerikani- schen Verfassung inszeniert: wer wollte den Gastgebern das Men- schenrecht auf Erfolg streitig machen? Und 1988 darf sich ein US- Kettenhund in Asien außer mit erschlagenen Demonstranten auch noch mit sportlichen Lorbeeren schmücken. Diesem olympischen Den- ken kann keine Mauer widerstehen. Die Russen haben die völkerverbindende Idee, ihr eigenes Regime niederzureißen, prompt beantwortet: "Mit einem prompten 'Daraus wird nichts!' hat Moskau am Sonnabend auf den Appell des amerikanischen Präsidenten Reagan vom Vortag reagiert, die Mauer in Berlin einzureißen (...) Diejenigen die zur Öffnung der Tore aufriefen, seien durch die Vereinbarungen in Reykjavik zu Tode erschreckt und hätten vor einem historischen Abkommen die Tür zugeknallt." (Weser-Kurier, 14.6.) Jetzt stehen die Russen im Westen wieder als Spielverderber da. zurück