Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
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Die Wahlen vom 18. März
ANSCHLUSS PER VOLKSENTSCHEID
Bei den ersten "wirklich freien" Wahlen auf dem Gebiet der DDR
seit 58 Jahren (am 6. November 1932 wurde die NSDAP mit dem Motto
"Deutschland erwache!" stärkste Partei) entschied sich das Stimm-
volk mit nahezu absoluter Mehrheit zugunsten der "Allianz für
Deutschland". Wenn man deutschen Menschen ihre Freiheit gibt,
daran konnten offensichtlich weder 12 Jahre Faschismus noch 40
Jahre "Realer Sozialismus" was ändern, entscheiden sie sich für
Deutschland.
Ein Votum für freiwillige Staatsauflösung
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Frei, gleich, geheim und direkt sind die Volkskammerwahlen zwei-
fellos gewesen. Das bestätigen einerseits die "internationalen
Beobachter", andererseits die Zufriedenheit aller Interessenten
in der BRD, die übereinstimmend als das Ergebnis festhalten, daß
das souveräne ostdeutsche Volk der "SED-Nachfolgeorganisation"
PDS eine Abfuhr erteilt und mit seinem Votum die Weichen für den
Anschluß der DDR an die BRD gestellt hat. Es fand also ein demo-
kratischer Wahlprozeß statt, und das von ihm verlangte Resultat,
daß nämlich Menschen freiwillig Politiker mit der Exekutierung
von vorab und unabhängig von ihren Interessen, Wünschen und Vor-
stellungen feststehenden Aufgaben staatlicher Gewaltausübung ver-
trauensvoll beauftragen, kam dabei raus. Nach der Wahl wird die-
ses Vertrauen der Bürger in Repräsentanten von den Gewählten be-
ansprucht, die sich nicht mehr vom Willen der Wähler bei ihren
Taten abhängig machen müssen, sondern gerade durch den Akt der
Wahl ermächtigt worden sind, ihre Version von Staatsräson und
Allgemeinwohl durchzusetzen.
Damit ist aber auch die Differenz der demokratischen Wahlen vom
18. März und der Witz von Wahlen in einer Demokratie benannt: Die
Staatsräson, zu deren Administration Sieger und Verlierer sich
haben wählen lassen, sieht die A u f l ö s u n g des DDR-
Staatswesens als erste und letzte Aufgabe vor. Und das Allgemein-
wohl, dem sich die neue Regierung der DDR und die Parlamentarier
der Volkskammer verpflichten, bezieht sich nicht mehr auf ein
Staatsvolk von 16 Mio. Bürgern der Deutschen Demokratischen Repu-
blik, sondern auf die Modalitäten ihrer Einbürgerung in ein neues
Deutschland, dessen Herren in Bonn, also (noch) im A u s l a n d
sitzen.
Die neuen politischen Bevollmächtigten der DDR kennen nur ein
Programm: die Eliminierung des Staatsgebildes, an dessen Spitze
sie gerade gewählt worden sind. Normalerweise geht die Beseiti-
gung eines Staates nur durch K r i e g, mit dem durch äußere
Gewalt ein Staat samt Volk einem anderen einverleibt wird; oder
die Staatsgewalt wird durch eine R e v o l u t i o n, bei der
das Staatsvolk der Führung die Gefolgschaft aufkündigt, weil es
nicht mehr f o l g e n will, gestürzt. Auch das geht nur mit
Gewalt, weil keine einzige Konstitution irgendeines real existie-
renden Staates die Abschaffung der Herrschaft als erlaubten Zweck
politischer Betätigung seiner Bürger kennt. Umgekehrt: Für solche
Fälle gibt es in demokratischen Verfassungen Notstandsgesetze.
Auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik hat kein
Krieg stattgefunden, aber auch keine Revolution. Ihre staatliche
Souveränität ist durch die Bundesrepublik Deutschland erfolgreich
zersetzt worden. Der Rechtsanspruch Bonns auf das komplette
Staatsvolk der DDR, Grundlage der Fluchtwelle vom letzten Sommer,
erlangte durch die Weigerung der Bündnisstaaten Ungarn und CSSR
und vor allem der Sowjetunion, der DDR Rückhalt gegenüber den
Souveränitätsansprüchen der BRD zu gewähren, eine solche Wucht,
daß die Staatspartei SED selbst eine Kapitulation der DDR auf Ra-
ten ein- und bis zum 18. März angeleitet hat. Und das in der DDR
verbliebene Volk, das angeblich irgendwann im Herbst 1989
"Geschichte gemacht" haben soll, hat sich mit der trostlosen
Rolle des freien W ä h l e r s, der sein Herrschaftspersonal
auswählt, zufrieden gegeben. Es hat also nicht im Traum daran ge-
dacht, die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die
nach dem Abgang des "Realen Sozialismus" eingerichtet werden,
selbst in die Hand zu nehmen. Vertrauensvoll haben die Ex-Unter-
tanen der SED, die 40 Jahre lang deren Variante von Staat und
Ökonomie mitgemacht haben, ihr künftiges Geschick in die Hände
von Parteien und Politikern gelegt, die ihnen nichts anderes ver-
sprechen, als den Import von Kapitalismus und demokratischer
Herrschaft mitsamt dem dazugehörigen Führungspersonal. Das souve-
räne Volk wollte seine Auslieferung an die BRD, weil es sich
d a v o n was verspricht, und die am 18. März zur Wahl antreten-
den Parteien haben um seine Stimme mit Varianten bei den Modali-
täten der Übergabe konkurriert. Gewählt worden sind Volksbeauf-
tragte für die Einführung der BRD auf dem Boden der DDR. Das
prägte den Wahlkampf und bestimmte sein Ergebnis.
Eine "Allianz" für die Übergabeverhandlungen...
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Fragt sich allerdings, was das Stimmvolk in der DDR sich von sei-
nem "historischen" Votum am 18. März versprochen hat. Seine legi-
timierten Interpreten sehen das in der Sache übereinstimmend so,
daß der M a t e r i a l i s m u s in den Wahlkabinen die Kreuze
gemalt haben soll. Bei der Bewertung dieses "Materialismus" tren-
nen sich jedoch die Geister. Wie nach demokratischen Wahlen üb-
lich, zwischen Gewinnern und Verlierern. Während für die Parteien
der "Allianz" und ihre Paten von der CDU/CSU die 48,1% ein begei-
sterndes Zeugnis für die alles niederwalzende Attraktivität der
Marktwirtschaft und der DM sind, in deren, Genuß die Zonis mög-
lichst schnell und ohne Wenn und Aber kommen wollen, ergehen sich
die abgeschlagenen Volkstribunen von SPD-Ost und SPD-West in kaum
verhüllter Publikumsbeschimpfung: Hier hätte das Stimmvieh die
erste Chance zur freien Willensbildung ziemlich niveaulos für die
schnelle De-Mark genutzt und wäre auf Versprechungen des Kanzlers
Kohl von wegen Wohlstand reingefallen.
Stimmen kann diese Stimmungsinterpretation nicht: Auf den Wahl-
zetteln für die DDR-Bürger konnte man alles das nicht ankreuzen.
Wie bei Wahlen in der BRD auch, gab es da Parteien zur Auswahl,
und damit wurden Politiker gewählt, die für das Kreuz vor ihrer
Liste geworben haben und sonst nichts. Die Wähler der "Allianz
für Deutschland" sind nicht einfach ihren materiellen Interessen
gefolgt, sondern haben sich von ihrem politischen Verstand leiten
lassen. Und der hat es in sich: Ihr Gang zur Wahlurne und ihr Vo-
tum für eine Partei verdankt sich einem höchst komplizierten Rä-
sonnement, das von höchstem Idealismus in Sachen Politik kündet,
und der muß so gegangen sein: Obwohl die CDU Herrn de Maizieres
als "Blockpartei" die Herrschaft mitgetragen hat, die man jetzt
zum Grund aller erfahrenen Unbill erklärt, möchte man ab sofort
von ihr regiert werden, weil sie der verlängerte Arm einer
gleichnamigen Partei in der BRD ist. Deren Kanzler hat den DDR-
Bürgern die "Allianz" empfohlen; also kann man Kohl wählen, wenn
man für de Maiziere, Eppelmann und Ebeling stimmt. Kohl wurde al-
lerdings nicht mit der Gunst des Kreuzes bedacht, weil er irgend-
einem DDR-Bürger eine einzige DM für den Fall eines passenden
Wahlausgangs versprochen hätte: Es reichte den "Materialisten"
drüben völlig, daß Kohl der Herr über die DM ist, um sich für
eine Herrschaft von Kohls Gnaden zu entscheiden. Die DM wurde dem
Wähler gezeigt, weder versprochen noch geschenkt. Der Kanzler hat
bei seinen Bädern in der Menge zusammengerotteter DDR-Abstimmer
solches auch gar nicht versprechen müssen. Sondern nur, daß die
DDR "in etwa fünf Jahren ein blühendes Land sein wird". Und zwar
deshalb, weil dann Verhältnisse eingerichtet sind, in denen alles
der Vermehrung der DM unterworfen ist. Daraus ein Erblühen der
persönlichen Perspektiven abzuleiten, das ist die ureigene Lei-
stung demokratischer Willensbildung bei seinen Ostzonenfans. Die
wird weder durch rationale Einsichten in Funktionieren und Lei-
stungen der Marktwirtschaft erhärtet, noch durch die simple An-
schauung ihrer Leistung und ihrer Funktionen in der BRD belegt.
Deren Kapitalismus ist zur Zeit in Vollblüte, was rein gar nichts
heißt für die ganz normale Armut derer, die von Lohnarbeit leben
dürfen, weil und solange das Kapital einen Nutzen aus ihrer An-
wendung zieht. In Wahrheit handeln sich die DDR-Bürger mit ihrer
heißen Sehnsucht, von der Ostzone in die DM-Währungszone überzu-
wechseln, eine neue Existenzbedingung ein, den harten Zwang zum
Verdienen echten Geldes, und dazu haben sie die passenden politi-
schen Charaktermasken mit ihrem Vertrauen ausgestattet.
...mit sozialem Gewissen...
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Darauf, daß dieses Vertrauen e n t t ä u s c h t wird, setzt
die SPD und befindet sich schon wieder voll im Wahlkampf. Während
die vor Ort agierenden Figuren der Sozialdemokratie um Ibrahim
Böhme noch die betretenen Mienen von Leuten in die Fernsehkameras
hielten, die beim ersten Versuch in Sachen Wählereinseifen den
kürzeren gezogen haben, gab Kanzlerkandidat Lafontaine in der
Wahlnacht die Doppelstrategie für kommende Urnengänge in der DDR
und die im Dezember fällige Bundestagswahl aus: Kohl sitze jetzt
"in der Falle, weil er riesige Versprechungen gemacht hat und
jetzt die geweckten Erwartungen erfüllen muß". Und zwar hüben und
drüben: Den Zonis ein "Wirtschaftswunder" ohne allzugroße
"soziale Härten" und für die bundesdeutsche Klientel ein Groß-
deutschland ohne Steuererhöhungen und Risse im "sozialen Netz".
Einmal abgesehen davon, daß die SPD-Wahlstrategen da einiges an
interessierter Interpretation leisten, um aus den Großdeutsch-
landvisionen des Kanzlers lauter Versprechungen für Zonis bzw.
Schadensvermeidungsgarantien für Bundesbürger zu machen, die sie
dann "beim Wort" nehmen können, - was verspricht eigentlich die
Sozialdemokratie? Verspricht sie, daß die "Wiedervereinigung" bei
ihr nichts "kostet"? Nein, sie will bloß haargenau nachrechnen,
was es "uns" kostet. Die SPD beteiligt sich also an der Legende,
daß der Anschluß der DDR ein bundesdeutsches Hilfsprogramm sei,
das unseren Staat und damit notwendigerweise die Bürger einiges
kostet. Garantiert sie, daß gemachte Versprechungen eingehalten
werden? Nein, sie will bloß darauf herumreiten können, daß Ver-
sprechen nicht eingehalten worden sind. Hat sie irgendeine Kritik
am Inhalt Kohlscher Verheißungen? Mitnichten, dafür ist sie ja
auch. Als Oppositionspartei verlangt sie vom Kanzler lediglich
mehr "Ehrlichkeit". Bietet sie eine Alternative, die heißen
würde: Wir wollen die Einheit, aber das kostet was!? Keineswegs:
Sie verlangt bloß von Kohl, daß er zugeben soll, daß es nicht
billig wird usw.
Selbstverständlich ziehen Lafontaine und seine DDR-Jungsozis auch
nicht den Schluß, dann solle man's halt bleiben lassen mit dem
Anschluß, wenn er nichts als Probleme und Belastungen bringt. Den
würden sie ja gerne selber machen, und ihr Problem ist nur, daß
sie drüben erst mal vergeigt und hier noch lange nicht gewonnen
haben. Schuld daran ist Helmut Kohl, der Lafontaine gegenüber den
entscheidenden Vorteil hat, Kanzler zu sein, und zwar ein erfolg-
reicher. Das beweist die Wahl vom 18. März: Die Wähler haben
mehrheitlich ihm ihr Vertrauen geschenkt, weil er ihnen glaubwür-
dig versichern konnte, daß die "Wiedervereinigung" kommt und daß
das Gemosere der Opposition über Schwierigkeiten und Probleme in
der Hauptsache dafür verantwortlich ist, wenn es überhaupt Pro-
bleme und Schwierigkeiten geben sollte. Den Vorwurf der nationa-
len Schädigung kontert die Opposition dadurch, daß sie sich ent-
schlossen zum Anwalt der nationalen Anschlußsache macht und ihr
drohendes Mißlingen bei einer CDU-Regierung an die Wand malt. Sie
behauptet ununterbrochen, daß eine von CDU/CSU und "Allianz für
Deutschland" "überhastet" und "dilletantisch" durchgezogene An-
gliederung lauter "Pannen" und "Härten", womöglich gar ein
"Chaos" mit sich bringen wird. Darauf freut sich Lafontaine, wenn
er sich auf "den nächsten Wahlkampf freut". Er steht mit diesem
Rezept für die Stimmenkonkurrenz ganz auf den Schultern des
großen demokratischen deutschen Politikers Franz Josef Strauß,
der bekanntlich zu Sonthofen die goldene Oppositionsregel aufge-
stellt hat: Wenn man nicht selbst an der Regierung ist, dann muß
man voll auf den Schaden setzen, den die unvermeidlichen Härten
der großen Politik beim Fußvolk anrichten. Damit man dann als Al-
ternative, die's besser macht, an die Macht gewählt wird und auf-
räumen darf. Der fähige Oppositionspolitiker schiebt also den
Schaden, den die Politik den Leuten notwendig bereitet, auf die
Unfähigkeit von R e g i e r u n g s p o l i t i k e r n; ihnen
macht er so die Glaubwürdigkeit für weitere Regierungsverantwor-
tung beim Fußvolk abspenstig, um damit Stimmen für die eigene
überragende Persönlichkeit zu sammeln, die es ja immer schon ge-
sagt hat.
Daneben soll sich die SPD-Ost, schon in Vorbereitung auf die Kom-
munalwahlen am 6. Mai, als "soziales Gewissen" des Anschlusses
profilieren. Das heißt nicht, daß sie im Ernst auch nur eine Kon-
sequenz der Einführung des demokratischen Kapitalismus wirklich
verhindern will. Sie strebt ja selber eine Regiervngskoalition
mit der "Allianz" an, mit der sie keinen Dissens in irgendeiner
Sache von Bedeutung hat: Die Reiberei an der DSU, mit deren Zu-
rückweisung die SPD sich einerseits einen rechten Buhmann zur
Imagepflege als "linke" Volkspartei verschaffen, andererseits den
Preis für ihren Eintritt in eine Große Koalition unter de Mai-
ziere in die Höhe treiben will, wird ja auch mal wieder rum sein.
(So, wie die SPD-West nach jeder Menge Anti-Strauß-Grundsatzbe-
schlüssen mit ihm die Große Koalition aushandelte, weiland 1966.)
In Wirklichkeit schwankt die DDR-SPD noch, wie sie Oskars bril-
lante Analyse mittelfristiger Wählerbewegung in der DDR optimal
auswertet. Stichwortgeber Lafontaine:
"Wer in der DDR die erste Wahl gewinnt, der muß sich sehr an-
strengen, wenn er die zweite nicht verlieren will."
Von daher die holde Drangsal ostdeutscher Sozis, ob sie ihre
Tour, alle möglichen Bedenklichkeiten bei der Übergabe an die BRD
vorzutragen, womöglich in den Kaufvertrag als Klauseln noch ein-
zubauen (siehe die schöne Debatte über Anschluß laut Art. 23 oder
146 GG zwischen Schäuble und Böhme-Stellvertreter Meckel im
"Spiegel" 12/1990, bei der sich die "Kontrahenten" wechselseitig
nur eins nachweisen wollen, daß nämlich beide Wege im Grunde ge-
nommen auf exakt das gleiche hinauslaufen!), besser als Volkskam-
meropposition oder als Mitglied einer großen Koalition in der Re-
gierung verkaufen sollen.
...liberalen Mehrheitsbeschaffern...
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Ihr Wahlziel auf jeden Fall erreicht, wenngleich mit einem Ergeb-
nis, das sie in der BRD als "Zitterpartie" entlang der 5-Prozent-
Klausel in erhebliche Existenzangst versetzt hätte haben die 3
Gruppierungen "Freier Demokraten", die Genscher und der Junker
Lambsdorff für die Wahlen vom 18. März zusammengezimmert haben.
Jetzt kritisieren sie ihre liberale Lobby drüben und sich selbst,
daß sie nicht energisch genug dem DDR-Pöbel klargemacht haben,
worin "liberale Politik" besteht, hüben und drüben: Man will mit-
regieren. Genscher "monierte" laut "Spiegel" die mangelnde poli-
tische Bildung des Zonenwählers:
"Den Leuten drüben mußte man erst erklären, daß wir das sind."
Man hätte gleich "rüberbringen" müssen, daß die Sachsen die erst-
malige Gunst erwiesen, kriegen, in Gestalt einiger Alt- und Neu-
liberaler ein Votum für den Außenminister der Weltmacht BRD ab-
liefern zu dürfen. Macht aber nicht viel, denn die FDP-Dependance
in Ostberlin hat den liberalen Lebenszweck erreicht: Ohne sie
gibt's keine "bürgerliche Mehrheit" in der Volkskammer, und damit
ist sichergestellt, daß die christlich-liberale Regierung der BRD
die Heimholung der DDR ins Freiheitsreich gewissermaßen mit sich
selbst aushandeln kann.
...und einer "starken Opposition für die Schwachen"...
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So einer der Aufkleber, die seitens der PDS in den Wahlkampf ge-
worfen wurden, den sie - so hört man allenthalben - recht pfif-
fig, witzig, und einfallsreich geführt haben soll. Sie hat damit
einen relativen Erfolg erzielt, mit dem sie ganz offensichtlich
sturzzufrieden ist: Daß es jetzt eine s t a r k e
R e g i e r u n g gibt, ohne sie und für die "Starken", also
die, die mit der kommenden DM ihre Geschäfte machen sollen, das
geht für die g e w e n d e t e n R e a l s o z i a l i s t e n
offenbar in Ordnung, weil sie ganz selbstverständlich davon aus-
gehen, daß es in der DDR ab sofort eine bislang unübliche Schei-
dung des Volkes in "sozial Schwache" und "sozial Starke" geben
muß, wobei denen laut PDS-Wahlkampflosung auch noch die Regie-
rungsmacht überlassen wird, weil die Schwachen vor allem eine
starke O p p o s i t i o n "brauchen" sollen.
"Wir sind eine Fraktion mit über 60 Mitgliedern. Damit kann man
eine gute Opposition machen",
sagte Modrow in der Wahlnacht unter begeistertem Applaus seiner
Anhänger auf der PDS-Wahlfete, wie wenn er damit einen erbitter-
ten politischen Kampf versprochen hätte. Die Anhänger hatten an-
scheinend Grund zum Feiern, obwohl das Wahlergebnis endgültig die
Entfernung ihrer Partei von aller Staatsmacht besiegelte und da-
mit die Weichen für eine Hinaussäuberung von SED/PDS-Funktionären
und Anhängern aus allen wichtigen Positionen in der Administra-
tion gestellt worden sind. Mit "pro DDR"-Wapperl hatten sie noch
wahlgekämpft, die Parteigänger des "demokratischen Sozialismus".
Und jetzt? Die DDR wird Teil der BRD. Soviel steht fest. Mit dem
Anschluß wird mancher DDR-Bürger schlechte Erfahrungen machen.
Auch das steht fest. Ebenso sicher ist, daß demnächst aus manchem
DDR-Bürger ein "sozial Schwacher" wird und die Interessen der
"Starken" gültig und r e c h t s k r ä f t i g sind. Was ist da
der E r f o l g, den die Parteigenossen feiern?
Sie sind mit dabei! Die einst per Sozialismus das neue Deutsch-
land aus Ruinen auferstehen lassen wollten, dürfen an verantwort-
licher Stelle mitmachen, wenn jetzt Deutschland neu entsteht:
Durch ihre Präsenz im Parlament der Demokratie ist auch schon ein
Stück volksdemokratischer Identität hinübergerettet. Die Ex-SED-
ler haben bewiesen, daß der "Reale Sozialismus" in Form von par-
lamentarisch repräsentieren "Werten" und "Idealen" nicht bloß
nicht totzukriegen ist, sondern auch noch über einen Anhang in
der DDR verfügt, der weit über das Splitterparteiendasein hinaus-
geht, das ihre Feinde ihm für den Fall "wirklich freier" Wahlen
prophezeit hatten. Die Hoffnungsträger der alten Staatspartei
frohlockten in der Wahlnacht, wo ihr Staat endgültig verloren
hatte, weil sie als P a r t e i auch im neuen Staatswesen ver-
treten sind. Damit haben sie das Plansoll ihres Katastrophenpar-
teitags im November erfüllt: "Die Partei als politische Kraft er-
halten!"
Die Männer und Frauen um Gysi haben alles, was der SED 40 Jahre
lang heilig war, für diesen Zweck über Bord geworfen: ihre Art
von Demokratie, ihr Wirtschaftssystem, die soziale Fürsorge und
die internationalistische Außenpolitik, ja sogar die Existenz ei-
ner Deutschen Demokratischen Republik selber. Und dennoch sind
sie sich treu geblieben in dem, was auch "reale Sozialisten" im
letzten treibt: "Verantwortung für unser Land" wollen sie auf je-
den Fall und unter allen Umständen tragen wenn's mit Sozialismus
nicht mehr geht, dann eben bei der Verwaltung von Anschluß und
Kapitalismus, machtvoll von der Oppositionsbank aus.
Wirklich bloß O p p o s i t i o n gegen den per Wahl am 18.
März vom Volk zu akklamierenden Anschluß hat die PDS schon seit
Modrows Bekenntnis zur deutschen Einheit nicht mehr sein wollen.
Ihr "pro DDR" im Wahlkampf sollte keinesfalls als Nein zur BRD-
Übernahme verstanden werden: Die Parteigänger des "demokratischen
Sozialismus" profilierten sich als die glaubwürdigste Plattform
für alle Bedenken und Besorgnisse beim W i e des Anschlusses,
während Modrow gleichzeitig als überparteilicher Staatsverwalter
die Weichen für den Anschluß gestellt hat. Ihre Einsprüche sehen
entsprechend aus. Einerseits verfährt die PDS ebenso methodisch
wie die SPD, an die sich anzuwanzen sie auch nicht müde wird: Ihr
schwebt keine Vereinigung über die Formalia des westdeutschen
Grundgesetzes vor, sondern eine Art Staatsvertrag zwischen zwei
gleichrangigen Souveränen ("Wir sind ein Volk. 1:1"). Ein feiner
Unterschied, angesichts der auch von der PDS nirgends und nicht
ernsthaft bestrittenen Perspektive solcher Verhandlungen von
gleich zu gleich: einer Bundesrepublik (Groß-)Deutschland. Man
will nicht den Bundestag allein über den Anschluß von DDR-Land
und -Volk bestimmen lassen, sondern mit ihm zusammen die Übergabe
paraphieren. Als ob mit dem Pochen auf die Würde eines selbstän-
digen Vertragspartners irgend etwas an den Konditionen geändert
würde. Das hat der PDS selbst bei Leuten Sympathie eingebracht,
die der alten Staatspartei nichts zugute gehalten haben. Sie
meinten, in der PDS einen Anwalt gegen einen Anschluß als
"Sturzgeburt" gefunden zu haben.
Ihr "historisches Verdienst" hat sich die PDS bei der Verwandlung
von SED-Mitgliedern in demokratische Oppositionswähler erworben.
Sie bietet Leuten eine politische Heimat, die realistisch
"Sozialist" sein wollen. In ihr und mit ihr als Bezugspunkt kann
der sozialistische Staatsbürger von gestern sich auch jetzt noch
sein sozialistisches Gemüt erhalten und mit bestem Gewissen als
Staatsbürger im real existierenden Kapitalismus wirken. Kein Zu-
fall, daß sich die PDS für so ein Angebot Nachfrage auch über den
bislang von ihr betreuten Teil des kommenden Deutschland hinaus
verspricht.
"Wir" waren "das Volk"
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klagen nach dem 18. März die Bürgerinitiativen, von denen die De-
monstrationen des vorjährigen Herbstes initiiert und organisiert
worden sind. Das Volk als Wähler hat sie jetzt in die Welt unter
3% verdammt und will - so die eigene Deutung, gleichlautend mit
den heuchlerisch-bedauernden Nachrufen der gewählten Politiker
und der kommentierenden Journaille - nichts mehr von ihnen wis-
sen. Auch das eine nostalgische Lüge, die von der Legende lebt,
im Oktober 1989 habe das Volk in der DDR eine "Revolution" ge-
macht, die jetzt ihre Kinder zwar nicht gleich auffresse, aber
mit Liebesentzug strafe.
Der trifft einen melodramatischen Charakter wie Bärbel Bohley un-
gleich härter als einen Politprofi namens Otto Schily. Jene sieht
ihr Lebenswerk im Arsch, während Schily bloß sauer darüber ist,
daß der DDR-Vulgus, den er bis vor kurzem noch als aus tiefster
Seele sozialdemokratisch orientiertes "Subjekt der Geschichte"
gepriesen hat, jetzt doch nicht den Affen für die SPD-Filiale in
der DDR gemacht hat. Deshalb hielt er in der Wahlnacht fürs Fern-
sehen eine Banane hoch, um die von seinem Parteiinteresse abwei-
chende Meinung, die in den ersten Hochrechnungen sich abzeich-
nete, als Bauchabstimmung des Pöbels zu denunzieren. Für die im
"Bündnis 90" zusammengeschlossenen "Basisdemokraten" ist die Sa-
che komplizierter: Sie haben nicht bloß mal eine Wahl verloren,
sondern müssen sich endgültig von der Illusion verabschieden, die
von ihnen vertretene B a s i s d e m o k r a t i e sei das hi-
storische Subjekt einer Entwicklung in der DDR zu einer "neuen
Gesellschaft" zwischen "stalinistischem Sozialismus" und kapita-
listischer "Ellenbogengesellschaft. " Bei den Wahlen haben sie es
schwarz auf weiß bestätigt bekommen, daß die zeitweise vorhandene
Verbindung ihrer Bewegung mit den Massen rein negativ gestiftet
wurde: durch die begriffslose Ablehnung der SED und ihres "Realen
Sozialismus". Die Dissidentengruppen unterlagen schlicht einer
optischen Täuschung, als sie letzten Herbst meinten, sie seien
die Speerspitze einer Volksbewegung, bloß weil sie Demonstratio-
nen und Kundgebungen organisiert hatten, auf denen Teile des
Volks aufkreuzten, die je ungefährlicher es wurde, um so zahlrei-
cher und lautstärker ihrem Unmut gegen "die Bonzen" Luft machten.
Mit den Transparenten, die in den Anfängen der Demonstrationsbe-
wegung von den Initiativen getragen wurden, und den Reden der
Wortführer des "Neuen Forums" von "selbstbestimmter" Politik, ei-
nem "eigenen Weg" der DDR konnten zunächst einmal diejenigen DDR-
Bürger nichts anfangen, die trotz des "demokratischen Aufbruchs"
nicht "Wir bleiben hier!" skandierten, sondern nach Westen ab-
hauten. Die, die dablieben, gingen bald schon mehrheitlich mit
schwarzrotgoldenen Fahnen auf die Leipziger Montagskundgebung und
drängten die B e w e g u n g an den Rand, die schließlich größ-
tenteils der von ihr selbst initiierten Manifestation des Volks-
willens fernblieb. Ihr emphatisches Ideal vom V o l k als der
"Basis", an der sich das Gute, Wahre und Schöne gegen die große
Politik aufbewahrt, weswegen sie "autonom" bleiben muß, hatte
sich schon bald vom real existierenden Volk entfernt. Dem folgten
die "Realpolitiker" aus der Bürgerinitiativszene und boten ihm,
was ankam: Politische Parteien mit BRD-Paten und Anschlußperspek-
tiven im Programm.
Während der "Demokratische Aufbruch" die "Allianz für Deutsch-
land" schloß, diskutierten die Basisidealisten des "Neuen
Forums", ob man überhaupt Partei werden sollte. Das Ergebnis war
der Kompromiß, der am "Runden Tisch" den noch regierenden Block-
parteien abgehandelt wurde, daß man sich als "Bürgerbewegung" an
den Wahlen beteiligen durfte. Ebenfalls am "Runden Tisch", aber
schon ohne praktische Konsequenz, erreichten - die Bürgergruppen
eine Empfehlung, Wahlkampfhilfe aus der BRD nicht zuzulassen. Ein
letztes Aufbäumen der Basisdemokratie gegen die "Fremdbestimmung"
der DDR von außen. Und in klarem Widerspruch gegen die politische
Willensbildung einer überwältigenden Mehrheit im Volk, die gerade
Kohl, Vogel und Genscher "zum Anfassen" wollte, weil nicht Basis-
demokratie gefragt war, sondern die BRD-Demokratie und ihre
Marktwirtschaft.
Mit den Wahlen fand auch dieses andere Betätigungsfeld der basis-
demokratischen Bewegung ihr perspektivisches Ende: die Beteili-
gung an der Regierung. Daß ausgerechnet Vertreter des Ideals von
der Politik als moralischer Erneuerung in das Regierungsgremium
einer nationalen Verantwortung aufgenommen wurden, verdankte sich
dem Interesse der SED/PDS, ihrer politischen Wende für jeden
sichtbar Glaubwürdigkeit und Bürgernähe zu verleihen. Mehr war
sie aber auch nicht, die Beteiligung der Basisdemokratie an der
Macht. Und mit der Wahl hat das Volk dokumentiert, daß es solche
seltsamen Politiker gar nicht will.
Nach den Wahlen erwies sich die "Basis" dann als unbeirrbar demo-
kratisch und gratulierte. dem Volk dazu, daß es seinem Willen
Ausdruck verliehen hat:
"Das waren die ersten freien Wahlen in der DDR. Darauf bin ich
zuerst einmal stolz." (Jens Reich)
So kann man auch die "große Enttäuschung" und die "tiefe Sorge"
darüber ausdrücken, daß die "Menschen in der DDR" nach 40 Jahren
"politischer Unmündigkeit" unter der SED sich jetzt ihrer Frei-
heit nicht "würdiger" zu bedienen wissen, als mit einem "Votum
für das große Geld".
Die Stunde des Demonstrierens ist endgültig Geschichte. Jetzt
geht's ums Politikmachen. Und zwar nicht um irgendeine. Deswegen
setzte der Wähler in der DDR auf die Profis der Politik mit der
stärksten Verankerung in den Parteien der BRD. Die Basisdemokra-
ten machen sich jetzt damit gegenseitig Mut, daß man wieder ganz
am Anfang stünde und "wie vorher" und "an der Basis" neu aufbauen
muß. Sie machen sich allerdings auch hier noch Illusionen, wenn
sie meinen, sie könnten da neu beginnen, wo letztes Jahr "alles
angefangen" hat. Ihre Lage hat sich nämlich gründlich geändert:
Damals waren sie die einzige Opposition gegen die SED-Regierung
und genossen so die Beachtung, Wertschätzung und Förderung aus
der BRD. Jetzt dagegen geraten sie in die Position von Dissiden-
ten gegen den reibungslosen Anschluß und kriegen daher tendenzi-
ell den gleichen Stellenwert zugewiesen, der in der Demokratie
radikalen Minderheiten vorbehalten ist. Sie stören die Parteien-
landschaft und werden allenfalls der Beachtung des Verfassungs-
schutzes für würdig befunden. In einer eingerichteten Demokratie
ist nämlich der ewige Ruf nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung
fehl am Platz.
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