Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
zurück Die Verfassung des Runden Tisches wandert in den Papierkorb. Die Verfassungsväter wollen nicht verstehen warum:MACHT GIBT RECHT
Unvoreingenommen betrachtet war das schon ein merkwürdiger Ein- fall der "Revolutionäre" am Runden Tisch: Die SED-Herrschaft war kaum gebrochen, und schon sollte nichts dringlicher sein als eine neue Verfassung, also gleich wieder Prinzipien und Regeln, wie eine staatliche Herrschaft mit den von ihr beherrschten Unterta- nen umspringen soll. Und andererseits: Nicht einmal der Umstand, daß derweil kräftig weiter regiert wurde und man sich vielleicht eher darum zu kümmern hätte, welche neuen Lebensverhältnisse für die Leute durch die Übergangsregierung der DDR und der fest im Sattel sitzenden Regierung der BRD praktisch eingerichtet wur- den, ließ den wildentschlossen Verfassungsvätern ihr Vorhaben, erst noch Grundsätze des Regierens zu formulieren, als abwegig erscheinen. Erst jetzt stehen sie vor den vollendeten Tatsachen des staatsvertraglichen Anschlusses der DDR an die DM-Marktwirt- schaft und wundern sich, daß alle maßgeblichen Instanzen ihre schöne Fleißarbeit einfach überflüssig finden. Es rächen sich die zwei Fehldiagnosen, von denen sich die Verfas- sungsverfechter leiten ließen und lassen. Die erste lautet: Die vielen Opfer der SED-Herrschaft seien lauter Zeugen dafür, daß Rechtlosigkeit regiert habe. Die zweite: Daß die "Revolutionäre" der ersten Stunde heute so ohnmächtig von der Einheitspolitik zwischen Bonn und Berlin überrollt werden, verdanke sich einem rechtsfreien Raum, in dem die Regierenden handeln. Beidem sollte neues Verfassungsrecht abhelfen. Beide Diagnosen stimmen nicht. War es nicht so, daß die SED mit den einschlägigen Rechtsparagraphen über Staatszersetzung und -verunglimpfung, Republikflucht u.ä. Leute drangsaliert hat, die sie als Feinde ihrer in der Verfassung verankerten Führungsrolle definiert hatte? War nicht selbst der geheimdienstliche Ermessensspielraum der Stasi Recht und Gesetz? Von Rechtlosigkeit keine Spur. Warum sollte auch der SED-Staat auf das Recht, dieses bequeme Mittel moderner Herrschaft, Staatsinteressen in allge- meinverbindliche Regeln des Bürgerverhaltens zu gießen, verzich- ten? Ebensowenig stimmt die These, nach der Wende werde im rechts- freien Raum regiert. Spätestens seit der Wahl weiß sich die neue Regierung mit ihrer demokratisch legitimierten und unbestrittenen Macht auch im Recht, ihr einziges Staatsziel, den Anschluß an die DM-Marktwirtschaft und die BRD zu vollziehen. Dabei beruft sie sich je nach Bedarf auf die alte Verfassung, setzt deren unpas- sende Bestimmungen durch die Leitsätze des Staatsvertrags außer Kraft und diese als Verfassungsrecht in Kraft oder greift gemäß ihrem politischen Ziel des Anschlusses auch schon mal verfas- sungsrechtlich aufs bundesdeutsche Grundgesetz vor, das demnächst doch ohnehin nach ihrem Willen in Großdeutschland gelten soll. Nach demselben Verfahren schmettert sie den Verfassungsentwurf des Runden Tisches ab: unnötig, ja schädlich für die Erledigung der letzten Staatsaufgabe der DDR. Man wolle nun mal keine "Neukonstituierung der DDR" (ein DSU-Abgeordneter). Der eine oder andere Regierungsdemokrat, der von seiner vorübergehenden Mitar- beit am Verfassungsentwurf des Runden Tisches längst nichts mehr wissen will, weil ihm seine Rechte zum Regieren reichen, neigt schon dazu, die verbliebenen Verfassungsverfechter selbst verfas- sungswidriger Aktivitäten in der Nachfolge des "demokratisch nicht legitimierten Runden Tisches" zu bezichtigen. Daraus ließe sich lernen - nirgends eindeutiger als in diesen Umbruchszeiten - , was eine Verfassung ist: Die Staats-Macht gibt sich Recht, und dieses Recht mißt sie an einem einzigen Kriterium, ob es das pas- sende Freiheitsrecht für ihre Staatsziele und die passenden Rechte und Pflichten für staatsnützliches Bürgerverhalten ent- hält. Die Verfassung: Vom Standpunkt der Staatsmacht nichts als ihr Ermächtigungsgesetz. Die übriggebliebenen Verfassungsidealisten vom Runden Tisch wol- len es nicht wahrhaben und ziehen einen anderen Schluß. Dem Durchmarsch der Regierungsdemokraten wollen sie erst recht die Notwendigkeit ihres schönen Entwurfs entnehmen. Sie sehen sich bestärkt in ihrem Glauben, eine Verfassung sei dafür da, dem Volk Einflußrechte auf den und Schutzrechte vor dem Staat einzuräumen und zu sichern. Also genau das, was sie in ihre Verfassung reingeschrieben haben. Sie bemerken nicht einmal, welche Wider- sprüche sie sich in ihrem Verfassungsideal leisten und was sie damit alles zugeben über das wirkliche Verhältnis von Herrschaft und Volk. Wer nämlich Einflußrechte des Volkes auf den Staat schätzt und wünscht, der unterstellt erst einmal, daß der Staat souverän das Volk regiert und ihm seine Lebensverhältnisse vor- schreibt. Dieses Herrschaftsverhältnis zwischen Obrigkeit und Un- tertanen soll nicht beendet werden, sondern um ein paar Rückmel- dungsrechte von unten doch bitte schön ergänzt werden. Den Staat bittet man um deren Gewährung - und macht damit die eigenen Interessen davon abhängig, ob und wie weit man sie verfolgen darf. Da kann die passende Retourkutsche von Seiten der per Wahl ermächtigten Inhaber der Staatsgewalt ja nicht ausbleiben - die Regierungsdemokraten hauen den Verfassungverfechtern um die Ohren, daß deren Bemühungen rechtlich nicht gewährt, also nich- tig sind vor der Macht und ihrem Recht. Diesem Totschläger- "Argument" gegenüber sind die Runder-Tisch-Anhänger total hilf- los: Um dagegenzuhalten, müßten die Freunde der neuen Verfassung ja glatt die Machtfrage stellen - aber in welcher Verfassung ist das denn erlaubt? Von ihrem Standpunkt aus müßten sie sich glatt selbst so abbügeln. Noch drolliger ist die Vorstellung von den Schutzrechten der Bürger vor dem Staat als Sinn von dessen Ver- fassung. Wovor sollen sie denn schützen? Vor dem Staat, den man hier glatt mal als bedrohliche Macht für den Bürger kennen will. Und wer soll diese Schutzrechte gewähren und schützen? Schon wie- der der Staat, dem man hier den guten Ruf des Bürgerschützers zu- erkennt. Die Staatsmacht: Bedroher und Schützer des Bürgers? Was denn nun? Darin besteht schon die ganze Besonderheit der edeldemokratischen Verfassungsschützer von PDS und Bündnis 90, daß sie die Entscheidung dieser Alternative immerzu in der Schwebe halten - auch eine Tour, mit einem Schuß Distanz beim neuen demokratisch-rechtsstaatlichen Laden mitzumachen. zurück