Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
zurückW E R HÄTTE W A S VON DER WIEDERVEREINIGUNG?
Was die Politiker davon haben, ------------------------------ weiß man ja: noch 20 Millionen Leute mehr, für die sie die Ver- antwortung tragen dürfen; noch ein paar Arbeiter mehr, die zur Mehrung original bundesdeutschen Reichtums beitragen; noch ein paar qkm mehr, auf denen "unsere" Fabriken und Kasernen stehen. Nur zu gut vorstellbar, daß bei diesen Aussichten unsere Herren Staatsmänner Träume in tiefstem Schwarz-Rot-Gold - mit Adler und ohne Hammer und Sichel - überkommen. Wenn die nämlich Quadratki- lometer und Untertanen zusammenzählen, dann addieren sie die M i t t e l i h r e r K o n k u r r e n z gegenüber andern Staaten. Ebenso nur zu gut vorstellbar ist, daß es ausländischen Staatsmännern bei dem Gedanken an ein wiedervereinigtes Deutsch- land ganz kalt den Rücken hinunterläuft. Die werden schon wissen warum. Die Londoner und Pariser Herrschaften können sich nämlich nur zu gut in die "deutsche Seele" hineinfühlen, sie sind ja nach demselben Muster gestrickt und denken auch immer nur an das Eine: Wer hat in Europa das Sagen. Bei den Kapitalisten -------------------- ist der Vorteil schon etwas weniger klar. Die haben mit den Gren- zen bekanntlich sowieso etwas weniger Probleme, solange ihre Rechnung auch mit fremden Märkten, Währungen und Arbeiter- mannschaften aufgeht. Und das bundesdeutsche Volk? ---------------------------- Es soll nach neuesten Umfrageergebnissen in seiner Mehrheit zu 88% ("Quick", 40/89) für die Wiedervereinigung sein. Was mögen die sich davon versprechen? Vielleicht die alte Reichshauptstadt Berlin als neues Bonn? Vielleicht eine Reichsliga, in der auch Lokomotive Leipzig mitkickt? Sächsisch sprechende Mitbürger auf Urlaub von Sylt bis Garmisch? Vielleicht das schöne Gefühl, daß die monatlichen Bekanntmachungen der Nürnberger Arbeitslosenzah- len dann auch für Dresden und Karl-Marx-Stadt (pardon: Das heißt dann ja wohl wieder Chemnitz) gelten? Freiheitliche Wohnungsnot dann auf einmal in ganz Berlin? Oder ist vielleicht das der Vor- teil, daß sie sich die Rechnungen ihrer Politiker noch 100.000 qkm weiter gefallen lassen müssen? Und die DDRler? --------------- Von denen weiß "Quick", daß die auch zu 64% lieber von Kohl als von Honecker regiert werden. Was die davon haben, liegt auf der Hand: Sie dürfen sich dann z.B. an denselben Wahlen beteiligen wie ihre freiheitlichen Brüder und Schwestern schon seit 40 Jahren. Das ist sehr gut - fragt sich bloß, ob für sie oder für Kohl? Wenn die meinen, ein Wahlkreuz für einen hiesigen Politiker wäre ein Gewinn gegenüber dem für einen Ostpolitiker, täuschen sie sich gewaltig: Ein Kohl sieht nämlich das Kreuz an dieser Stelle ungefähr genauso wie sein Kollege Honecker. Einmal abgegeben, buchstabiert es sich hüben wie drüben als G e h o r- s a m. Ihre Staatspartei, die SED, wären die DDRler los - zweifellos ein Gewinn, denn die ist ja, wie man hört, total "verknöchert". Da sind die erfrischenden CDU-Parteitage und der SPD-Filz doch etwas ganz anderes: Da herrscht bekanntlich seit 40 Jahren Aufbruch- stimmung. Außerdem winkt natürlich bei der Wiedervereinigung die F r e i h e i t. Also z. B. die Sicherheit, an den Segnungen des freien Arbeits- und Wohnungsmarktes teilhaben zu dürfen. Für Spannung ist dadurch hinreichend gesorgt. Vielleicht bekommt man Arbeit in seinem erlernten Beruf, vielleicht auch nur als Hilfs- arbeiter, vielleicht gar keine. Vielleicht bekommt man eine Woh- nung in der Nähe des Arbeitsplatzes, vielleicht heißt es auch die eine oder andere Stunde pro Tag im neuen Auto (Marke West, ver- steht sich, auf Kredit allerdings, das versteht sich auch) oder im alten Trabi (Gott sei Dank vom gesamtdeutschen TÜV abgesegnet) zur Arbeit unterwegs sein, weil die näher gelegene Wohnung zu teuer ist. Der Arbeitgeber heißt dann auch in Leipzig Bayer und in Eisenhüttenstadt Rheinmetall, und der DGB kann seinen "Kampf gegen Überstunden" bis zu den Werften in Rostock ausdehnen, so weit die dann nicht schon wegrationalisiert sind. zurück