Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
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Die DDR bekommt die Marktwirtschaft.
Die DDR-Bürger bekommen Sorgen mit dem Lohn.
1:1 STATT 2:1? VORSICHT FALLE!
DDR-Arbeiter haben protestiert, weil die Herren der DM in Bonn
und Frankfurt/Main in Umlauf gesetzt haben, man könne die DDR-
Löhne doch auch 2:1 auf DM umstellen. Sie haben stattdessen 1:1
verlangt. Das klingt so plausibel: 50% mehr oder weniger zum le-
ben, das macht schon einen Unterschied. Trotzdem ist die ganze
Sache so ganz falsch angepackt.
Haben die DDR-Arbeiter schonmal nachgerechnet, was 1:1 für sie
brächte? Ob sie mit ihrem alten DDR-Lohn, umgestellt auf DM, gut
zurandekämen in der neuen Welt freigegebener Preise, die sich nur
noch nach dem Geschäftsinteresse richten? Haben sie nachgerech-
net, was sie mit diesem Geld für sich anstellen können, wenn sie
erst einmal tagtäglich die Leistung abliefern, die eine markt-
wirtschaftliche Gewinnkalkulation verlangt? Sind sie etwa deshalb
auf 1:1 gekommen, weil die Bilanz hieß: Davon läßt sich anständig
leben?
Offenbar nicht. Denn sonst hätten sie sich auf einen Streit um
den Umstellungskurs gar nicht erst eingelassen. Mit dem Einstieg
in d i e s e n Streit akzeptiert man nämlich, daß bei der Fest-
legung des Lebensniveaus eines Arbeiters seine Interessen
k e i n e maßgebende Rolle zu spielen haben; daß der Lohn viel-
mehr das Ergebnis f i n a n z p o l i t i s c h e r Ent-
scheidungen der Bonner Politik ist und ein Arbeiter bestenfalls
noch Alternativen bevorzugen kann, die diese Politik ihm vor-
setzt. Daß Arbeiter nur den Lohn verlangen können, den die hohen
Herren gewähren, das war die schädliche Selbstverständlichkeit
unter den protestierenden DDR-Arbeitern. Sie mochten überhaupt
nur das einklagen, was sie aus Wahlkampfreden als Versprechen
herausgehört hatten.
Dabei hätten sie bei den Marktwirschaftlern aus Bundesbank, Kanz-
leramt und Industrie mal studieren können, wie d i e Preise
rein nach ihren ökonomischen I n t e r e s s e n kalkulieren.
Sehr klassenbewußt rechnen sie den DDR-Bürgern vor, daß die ver-
sprochene DM und ein kapitalistisches Wirtschaftswunder nach
niedrigen Lohnkosten und gewinnträchtigen Verkaufspreisen verlan-
gen. Alle bisherigen Preise in der DDR - von Bekleidung über Er-
nährung bis Wohnung - erklären sie für völlig verfehlt, weil sie
nicht nach dem Prinzip einer freien Geschäftskalkulation
zustandegekommen sind. Also müssen freie Preise her, die sich
einzig aus der Gewinnrechnung ergeben. Beim Preis der Arbeit aber
möchten sie aus dem selben Gewinninteresse heraus eine Ausnahme
machen. Da soll auf keinen Fall gelten, daß der Verkäufer dieser
Ware Arbeitskraft jetzt auch einmal ganz frei antritt und vor-
buchstabiert, was seine Ware kosten muß, damit sich das
"Geschäft" für i h n lohnt. Stattdessen soll die Geldsumme, die
die Werktätigen der ehemaligen DDR erhalten haben, fixiert oder
halbiert, die Meßlatte für das allgemeine Lohnniveau abgeben.
Denn Kalkulieren können soll mit dem Lohn nur einer: Die Unter-
nehmer, die beim allgemeinen Billiglohn noch für jeden Hunderter
extra Sonderansprüche an ihre Belegschaft stellen können. Und daß
das so sein muß, wissen sie auch noch frech mit einem Sachzwang
zu begründen: Andernfalls sei angesichts der niedrigen Produkti-
vität in der DDR die Lohnkost einfach nicht zu tragen. Ein sehr
interresanter Sachzwang, der nichts als die vornehme Übersetzung
des Unternehmer i n t e r e s s e s ist: "Wenn ihr nicht den
Lohn nehmt, den wir verordnen, dann geht unser Interesse an Kapi-
talproduktivität, d.h. Gewinn nicht auf!" Diesem Interesse wissen
die Herren Marktwirtschaftler Nachdruck zu verleihen: Falls sie
den verlangten Billiglohn nicht kriegen sollten, so ihre Drohung,
dann treten sie in den Streik - beim Investieren.
Eine vergleichbare Erpressung von Seiten der Arbeiter ist nicht
bekannt geworden. Die haben um Umstellung 1:1 gebeten und andern-
falls damit "gedroht", die deutsche Einheit würde ihnen nicht
mehr so gut gefallen. Und Kohl und Pöhl zeigen prompt ihr sozia-
les Herz, wo die Arbeiter schon zugestanden haben, daß die Herren
in Bonn über den Lohn entscheiden. Sie demonstrieren Verständnis
dafür, daß man DDR-Arbeiter nicht schaffen lassen kann, während
ihr Lohn unter die Bettlergrenze sinkt - zumal der Staat dann am
Ende noch Sozialhilfe zahlen müßte! So versprechen sie, den Lohn
noch einmal zu überdenken. Vielleicht müssen ja zwei, drei Hun-
derter mehr doch sein. So bringen sie den Arbeitern drüben die
"Gnade" des Sozialstaates bei: Erst macht die vom Staat betreute
Marktwirtschaft aus Arbeitern sozial Bedürftige, dann setzt sich
die Politik glatt dafür ein, daß sie mit dem Lohn das Nötigste
geregelt bekommen, um als Arbeiterklasse ihren Dienst am Kapital
erledigen zu können.
Dafür dürfen sie dann sogar selber was tun - mit freien Gewerk-
schaften. Daß DDR-Bürger demnächst um ihren Lohn kämpfen
m ü s s e n, gilt schon wieder als staatliches Geschenk: Immer-
hin d ü r f e n sie ja! Wenn man nur das ausgängliche Lohnni-
veau niedrig genug gehängt hat, dann wachsen dabei die Lohnforde-
rungen schon nicht in den Himmel - jedenfalls bei einem FDGB, der
sich den hiesigen DGB zum Vorbild nehmen will. Dann gilt nämlich
die sozialpartnerschaftliche Devise, daß Lohnforderungen sich am
herrschenden Lohnniveau zu o r i e n t i e r e n haben. Dank
diesem allgemeinen Konsens gelten in der BRD Forderungen von 10%
bereits als wirtschaftlicher Skandal.
So werden DDR-Arbeiter dazu erzogen, daß Löhne nicht mit
i h r e n, sondern mit den Interessen der Wirtschaft verträglich
sein müssen. Schließlich braucht auch der Sozialstaat, bei dem
die DDR-Arbeiter um Gnade bitten, eine gesunde Wirtschaft als Ba-
sis - und eine gesunde Marktwirtschaft "verträgt" nunmal keine
hohen Soziallasten und schon gleich keine "unvernünftigen"
Lohnforderungen.
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