Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
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Arbeitgeber finden Argumente gegen mehr Lohn und kürzere Ar-
beitszeit
FÜR ARBEITER NIX DRIN
Die deutsche Wirtschaft ist schon seit ein paar Jahren im Boom.
Die Konjunktur läuft auf Hochtouren, und die Unternehmer machen
so satte Gewinne wie schon lange nicht mehr. Eine Erfolgsmeldung
jagt die andere, und alle Wirtschaftsprognosen besagen, daß das
auch so weitergeht:
"Die Konjunkturaussichten für 1990 sind glänzend. Das Zukunfts-
vertrauen der Wirtschaft ist so groß wie selten zuvor." (Der
Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstags,
Franz Schoser)
"Die Unternehmensgewinne werden 1990 um durchschnittlich 12 Pro-
zent steigen." (Handelsblatt, 1.3.)
Und sind unsere Herren Unternehmer jetzt zufrieden angesichts ei-
ner solchen Konjunktur? Die sehen die Sache umgekehrt: Sor-
genfalten mischen sich in ihr Jubelgeschrei, denn Gefahren drohen
überall, insbesondere aber von den Gewerkschaften. Die IG Metall
und die IG Medien bestehen nämlich irgendwie immer noch darauf,
daß ihr Tarifprogramm der 35-Stunden-Woche irgendwann in diesem
Jahrhundert verwirklicht werden soll.
Das ist eine Katastrophe, und zwar
- für die K o n j u n k t u r:
"Trotz dieser insgesamt günstigen Aussichten sieht Schoser gra-
vierende Risiken, vor allem durch Tarifabschlüsse mit einer wei-
teren Arbeitszeitverkürzung." (Süddeutsche Zeitung, 1.3.)
Merke: Mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten schaden der Kon-
junktur. Je besser die ist, um so mehr muß man sie hüten. Eine
gute Konjunktur und prächtige Gewinne sind so kostbar, daß alle
etwas dafür tun müssen, damit das so bleibt. Schließlich ist es
doch eine Binsenweisheit, daß nur bei guter Konjunkturlage etwas
zum Verteilen drin ist. Logisch, oder?
- für die A r b e i t e r selber:
"Arbeitszeitverkürzung bedeutet Lohnopfer"
meldet der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall und verweist
auf Berechnungen, nach denen der Lohn durch Arbeitszeitverkürzung
gefallen ist. In tiefer Sorge um den Lebensunterhalt aller Me-
tallarbeiter sieht er sich also verpflichtet, öffentlich darauf
hinzuweisen, daß eine kürzere Arbeitszeit nur denen schadet, die
kürzer arbeiten. Arbeitszeitverkürzung o h n e Lohnopfer? Weil
es so etwas noch nie gegeben hat, kann es das auch nie geben,
meinen die Unternehmer:
"Es zeigt sich ein deutlich negativer Zusammenhang zwischen Ein-
kommensanstieg und Arbeitszeitverkürzung: Je größer die Ar-
beitszeitverkürzung, um so geringer der Anstieg der tariflichen
Einkommen." (Handelsblatt, 27.2.)
Merke: Mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten schaden den Arbeitern.
Wenn sich deutsche Unternehmer nämlich nicht dumm und dämlich
verdienen können, kann es für Arbeiter auch nicht mehr Lohn und
kürzere Arbeitszeiten geben. Das versteht sich doch wohl von
selbst.
- für den d e u t s c h e n M i t t e l s t a n d:
Zweistellige Gewinnzuwächse hin oder her, der deutsche Mittel-
stand ist, obwohl er ganz anders heißt, die ärmste Sau im Lande.
Das ist ungerecht, findet ein gewisser Heribert Späth, Präsident
des Zentralverbands des deutschen Handwerks:
"Der Mittelstand ist nicht die Melkkuh der Nation"
und sein Präsident kein Ochse. Deshalb hat er kürzlich gesagt,
was Sache ist:
"Mit der 35 driftet der Mittelstand in den Ruin."
Das kann doch keiner wollen! Die Auftragsbücher sind voll und der
Mittelstand verelendet zielstrebig vor sich hin, weil vielleicht
Arbeiter gegen Ende des Jahrhunderts zweieinhalb Stunden weniger
arbeiten. Undenkbar! Aber Heribert Späth weiß Rat, wie er die
Seinen vor dem Elend bewahrt und welche Melkkuh die beste Sahne
bringt:
"Mittelfristig muß es wieder zur 40-Stunden-Woche kommen."
Merke: Mehr Lohn und kürzere Arbeitszeit schaden dem deutschen
Mittelstand, an dem jedem deutschen Arbeiter so viel gelegen sein
muß, daß er dafür auch gerne wieder 40 Stunden arbeiten geht. Das
ist doch wohl nicht zuviel verlangt!
- für das v e r e i n t e D e u t s c h l a n d:
"Es ist ein Irrglaube zu meinen, man könne die Trümmer der so-
zialistischen Planwirtschaft mit weniger Arbeit und mehr Freizeit
beseitigen. Arbeitszeitverkürzung und deutsche Wiedervereinigung
vertragen sich wie Feuer und Wasser'' (Späth).
Was ist also das Öl auf das Feuer der Wiedervereinigung?
"In diesen Zeiten des Umbruchs muß man zurückgreifen auf das Er-
folgsrezept des Wiederaufbaus nach dem Kriege."
Also zurück zur 48-Stunden-Woche, zu 2,25 Mark Stundenlohn und
zur Trümmerfrau? Das klingt vernünftig angesichts der Riesen-
aufgabe, die die deutsche Wirtschaft mit der DDR auf sich zukom-
men sieht. Da muß eben jeder seinen Beitrag leisten, gesamtdeut-
sche Kapitalisten wie auch Arbeiter in West und Ost. Ungerech-
tigkeiten sollen gar nicht erst aufkommen:
"Arbeitnehmer in der DDR haben im Durchschnitt eine 43 3/4 Woche,
während in der Bundesrepublik der Schnitt bei 39 Stunden liegt."
(Handelsblatt, 26.2.)
Das geht doch nicht, daß die drüben so lange arbeiten und hier so
kurz. Die drüben dürfen natürlich auf keinen Fall mehr Lohn krie-
gen, sonst kommt das Kapital nicht zu ihnen, um die "Trümmer der
sozialistischen Planwirtschaft wegzuräumen". Und wir hier müssen
länger arbeiten, sonst können unsere Unternehmer nicht rüber ge-
hen und denen drüben ganz selbstlos die Trümmer wegräumen.
Merke: Mehr Lohn und kürzere Arbeitszeiten schaden der Wieder-
vereinigung und den Menschen drüben. Unser patriotisches Unter-
nehmertum braucht alle Freiheit in Sachen Lohn und Arbeitszeit,
also d e n D e u t s c h e n i m A r b e i t e r West, damit
auch der Kollege Ost in den Genuß einer bekanntlich so arbeiter-
freundlich orientierten Mannschaft kommt. Das ist man der Nation,
ihrer Wirtschaft und den Brüdern und Schwestern von drüben doch
schließlich schuldig!
O h n e Boom und saftige Gewinne geht bekanntlich gar nichts.
M i t Boom und saftigen Gewinnen gedeihen Wirtschaft und Kon-
junktur, Gewinne und Investitionen, der deutsche Mittelstand und
die deutsche Wertarbeit, der Export, ein vereinigtes Großdeutsch-
land und vieles mehr. Arbeiter haben mit und ohne Boom nichts von
satten Gewinnen. Die gehen sie nämlich nichts an.
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