Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
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Wir wählen immer das kleinere Übel - bis zum bitteren Ende. Oder:
UM ARBEIT BETTELN IST VERKEHRT!
Einst gingen die Bürger der DDR mit dem Ruf nach Reisefreiheit
auf die Straße. Jetzt mit dem Ruf nach Arbeit.
Einerseits kein Wunder: Der Fall der Mauer hat ihnen die Markt-
wirtschaft gebracht und mit ihr die Arbeitslosigkeit - von jetzt
schon ca 2,5 Millionen (Arbeitslose und Kurzarbeiter ohne
Beschäftigungsaussichten). Und alle sind sich einig: Es werden
noch viel mehr werden.
Andererseits ist zu bezweifeln, ob das Betteln um Arbeit die
richtige Antwort auf die marktwirtschaftlichen Entlassungswellen
ist. Denn soviel ist den Entlassungen ja immerhin anzumerken: Um
die Erwirtschaftung des Lebensunterhalts der Beschäftigten, um
sie also, kann es in einer Wirtschaft nicht gehen, die ihre Bi-
lanzen dadurch in Ordnung bringt und ihre Erfolge dadurch herbei-
führt, daß sie weniger Leute ernährt. Daß sich die Bitten um Ar-
beit und Lebensunterhalt irgendwie an die Falschen richten und
auf taube Ohren treffen, wissen ja durchaus auch diejenigen, die
f ü r A r b e i t demonstrieren. Sie versuchen, Investoren und
Staatsleute davon zu überzeugen, daß es sich für s i e lohnt,
sie anzustellen, zu bezahlen und auszunutzen. Das ist eine Über-
zeugungsarbeit der schwierigsten Sorte - und offenbart eine
Tauschbereitschaft, wie sie sich für die Marktwirtschaft gehört.
Dumm nur, daß sich Lohnarbeiter diesen Tausch nicht leisten kön-
nen!
"Tausche Lohn gegen Arbeitsplatz"
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"In den neuen Bundesländern müssen die Löhne für geraume Zeit
deutlich unter denen der alten Bundesrepublik liegen, um alle
Wachstumskräfte der Martktwirtschaft anzuregen und Arbeitsplätze
zu schaffen." (Kurt Biedenkopf)
Mit der Wahl dieses Politikers zum Ministerpräsidenten von Sach-
sen stellen sich die Belegschaften der Betriebe mehrheitlich hin-
ter Biedenkopfs Forderung:
'Billiglohnland DDR! Nehmt uns, Unternehmer! Wir kosten viel we-
niger als die im Westen, wir brauchen Arbeit und Ihr braucht bil-
lige Arbeitskräfte!'
A r b e i t brauchten die Ossis ursprünglich, weil sie die D M
z u m L e b e n, und zwar für ein vermeintlich reicheres Leben,
wollten. Jetzt bieten sie Geld, nämlich ihren Lohn dafür an,
überhaupt Arbeit zu bekommen. Angenommen, der Wunsch geht in Er-
füllung: dann haben sie Arbeit. Aber sie haben nichts mehr davon:
sie arbeiten für Hungerlöhne, um überhaupt Geld verdienen zu
dürfen.
"Tausche Arbeitsplatz gegen Erhaltung des Werks!"
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"Sanieren statt Schließen!" (Forderung des Proteststreiks bei
Carl-Zeiss-Jena)
Diese Arbeitnehmer wollen vordergründig ihren Arbeitsplatz erhal-
ten, wissen aber, daß man das gar nicht so einfach verlangen
darf. Sie verstehen die Probleme ihrer Arbeitgeber: Ehe die Ar-
beit geben können, muß sich die Firma in der Marktwirtschaft be-
haupten und dafür müssen Profite gemacht werden. Und weil die
Perle der DDR-Industrie für das Profitemachen nicht eingerichtet
war, klappt das jetzt auch nicht: Marktwirtschaftlich gesehen ist
die Firma krank. Arbeiter fordern wegen ihrer Arbeitsplätze die
S a n i e r u n g, das Gesundmachen von Zeiss. Die Firma sagt
ihnen, wie ihre Forderung zu erfüllen geht:
"Vor allem müssen drastisch Kosten abgebaut werden, und das geht
am schnellsten durch Personalreduzierungen. Von derzeit knapp
30000 Beschäftigten in allen Betrieben sollen nur noch 10000 üb-
rig bleiben. Also nicht Abbau um ein Drittel, wie viele Monate
immer wieder versprochen, sondern auf ein Drittel." (ND
24./25.11.90)
"Die Betriebsräte wiesen die bisher vorliegenden Sanierungsvor-
schläge zurück", natürlich, sie wollen den "um ein Drittel". Daß
die Firma erst gesund ist, wenn sie aus weniger Leuten und weni-
ger Löhnen mehr Geld herausholt, leuchtet den neuen Gewerkschaf-
tern ein! Entlassungen für die Erhaltung von Arbeitsplätzen! Sehr
logisch!
Angenommen, der Wunsch der Zeissianer geht in Erfüllung: dann er-
halten sich 100% der Belegschaft den Arbeitgeber dadurch, daß 66%
oder 33% arbeitslos werden. Aber immerhin: so viel Arbeitsplätze,
wie am Schluß übrig bleiben, werden jedesmal "gerettet". Aus-
schließlich aus sozialer Verantwortung für die Beschäftigten,
versteht sich!
"Tausche Fabrik gegen die Rettung der Industrieregion!"
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Ganze Belegschaften lassen sich von den Managern der Treuhand
brav erklären, daß ihre Fabrik leider nicht sanierungsfähig ist.
Fürs materielle Interesse der Belegschaft bleibt gleichwohl eine
ganze Menge neuer Optionen:
"Die geschundene Stadt Halle brauche einen Anwalt im Bundestag,
der sich für den Erhalt des Industriestandorts, für neue Ar-
beitsplätze einsetzt." (PDS, ND 24./25.11.)
"Als zentrales Element des wirtschaftlichen Wiederaufbaus nannte
Breit (Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbundes) die Her-
stellung einer leistungsfähigen Infrastruktur." (ND 17./18.11)
Alles für die Neuansiedlung von Arbeitsplätzen! Jetzt heißt die
Arbeiterforderung plötzlich, daß den Kapitalisten die Bauplätze
geschenkt und die Stromtarife gesenkt werden müssen. Im Interesse
der Arbeitslosen muß vom Staat gefordert werden, daß er von den
Beschäftigten ordentlich Steuern und Abgaben kassiert, damit er
sie den investitionswilligen Kapitalisten schenken kann. Schließ-
lich müssen die Arbeitslosen, die auf einen Arbeitsplatz hoffen,
im Interesse der Industrieregion auch für niedrige Tarife und
Löhne in Zuliefer- und Dienstleistungsbetrieben eintreten - und
gegen Streiks, die dem "Ruf der Region" schaden.
Angenommen, der Wunsch geht in Erfüllung: dann bekommen die ar-
beitslosen Aufpasser auf die allgemeine Arbeiter-Bescheidenheit
gar nichts - sie tauschen ja alle denkbaren Ansprüche von Arbei-
tern gegen die P e r s p e k t i v e eines blühenden Kapitals.
Wo kommen wir denn da hin?!
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Eigentümliche "Tausch"geschäfte bieten die L o h n a b h ä n-
g i g e n da denen an, von denen sie als Arbeitslose ebenso wie
als "Arbeitsplatzbesitzer" abhängen: Wegen des Geldes zum Leben
brauchten sie Arbeit, Firma und allgemeine Konjunktur. Wegen des
"Aufschwungs in den neuen Ländern", wegen der Sanierung ihrer
Firmen, wegen der Arbeitsplätze verlangen sie nun weder Arbeits-
platz noch Geld, sondern nur noch Ordnung, Bescheidenheit und
Geschenke ans Kapital.
***
"Wir müssen den Kollegen erst einmal erklären, was Kapitalismus
ist, um ihn dann mit ihnen und für sie zu bekämpfen. Und wir ha-
ben ihn gewollt, irgendwie sozial natürlich, aber das ist wahr-
scheinlich sehr schwierig. In unserer Gegend sind wir der einzige
Betrieb, der noch arbeitet. Wenn in der Manufaktur Schluß ist,
ist für uns alle Feierabend. Wo sollen wir denn hin? Also kann es
nicht so sein, daß wir nur Forderungen an die Betriebsleitung
stellen, sondern auch an die Belegschaft stellen müssen. Nur wenn
der Betrieb sich rechnet, hat der Besitzer ein Interesse, ihn zu
betreiben." (BR Porzellanmanufaktur Plauen, ND 1.12.)
Na klar doch: Erst muß man den Kapitalismus mit eigenen Opfern
zum Blühen bringen, damit man ihn dann umso besser bekämpfen
kann!
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