Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
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Häuserräumung in der neuen Hauptstadt
DER FREIHEITLICHE RECHTSSTAAT RÄUMT MIT
REALSOZIALISTISCHEN HAUSBESETZUNGEN AUF
1.
Die ärmliche Idylle ist zu Ende. Die Ostberliner Hausbesetzer
mußten zur Kenntnis nehmen: Noch so bescheidenes, arbeitsames und
menschelndes Auftreten kann den demokratischen Rechtsstaat keinen
Moment lang in seiner Gewißheit beirren, daß dem realsozialisti-
schen Staat mühsam abgetrotzte Wohnlöcher einen besonders ver-
werflichen Unrechtstatbestand darstellen, nur als zersetzendes
Weiterwirken einer "Erblast" zu betrachten sind und keinen Ver-
handlungsgegenstand abgeben. Es geht ums Prinzip; und daß der
Staat sich in besonderer Weise den "Sorgen und Nöten der Menschen
in den neuen Bundesländern" widme, ist ein dummes Gerücht.
Die Hausbesetzungen beruhten auf einem Gewohnheitsrecht, das es
nur im Realen Sozialismus geben konnte. Unrecht war diese Art der
Selbstversorgung auch im alten Staat. Er war für Erstellung und
Zuweisung von Wohnraum zuständig, Privatinitiative blieb auf ein
paar halbseiden legalisierte Eigentümer beschränkt. Offenkundig
konnte die DDR aber ihr V e r s p r e c h e n der Versorgung
mit angemessenem Wohnraum nicht erfüllen - und dieses Versprechen
hatte ebenso Rechtskraft. Die Hausbesetzer erwischten den Staat
sozusagen auf dem falschen Fuß, nämlich bei einem staatsprogram-
matischen Idealismus: Die Hausbesetzer verjagen hätte geheißen
zuzugeben, daß der Staat regelmäßig gegen den selbsterteilten
Auftrag verstieß; die Hausbesetzer waren vom Standpunkt der so-
zialistischen Rechtssprechung aus Beweis und Symbol für das Aus-
einanderfallen von gültigem Ideal und Versorgungswirklichkeit.
Zudem machten sich die Studenten, junge Familien mit Kind usw. um
die Erhaltung eines sozialistischen Eigentums verdient, das der
Staat mit gemischten Gefühlen der Verwahrlosung preisgegeben
hatte. Dieser Sorte des weitverbreiteten - und in der "Planwirk-
lichkeit" unerläßlichen - "privaten Organisierens" konnte
schlecht eine volksschädliche Wirkung nachgesagt werden.
Ganz anders übrigens die Tradition der Hausbesetzungen im Westen.
Deren Ausgangspunkt waren keine Mangelerscheinungen, sondern eine
sehr spezielle, sehr zweckmäßige, nämlich geschäftstüchtige Ver-
wendungsweise von Haus- und Grundeigentum. In der Marktwirtschaft
stehen Häuser leer, wenn ihre Eigentümer auf steigende Grund-
stückspreise, Mieten oder andere lukrative Verwendungsweisen von
Wohnraum spekulieren. Die Besetzung solcher Häuser war deswegen
von Anfang an immer ein Protest gegen ein Geschäftsgebaren, das
vom Standpunkt sozialer Gerechtigkeit als Skandal erscheinen
mußte. Tatsächlich hat aber auch diese Sorte Geschäftemacherei
die Rechtslage auf ihrer Seite; und der schönste Glaube an ein
soziales "Recht auf Wohnen" hilft nichts dagegen, daß Hausbeset-
zungen in der Marktwirtschaft U n r e c h t und sonst nichts
sind. Den Hausbesetzern im Westen ist deshalb auch nie etwas ähn-
liches wie denen im Osten passiert. Drüben sahen sich die In-
standbesetzer nicht mit aufgebrachten Hausbesitzern und einer
kleinen Armee, sondern mit einer mißtrauischen Toleranz ihres
Staates konfrontiert. Die Behörden achteten darauf, ob sich hin-
ter dieser tätigen Kritik der realsozialistischen Armut nicht
auch eine staatsfeindliche Gesinnung verbergen könnte. Überwa-
chung und Schikanen gingen Hand in Hand mit zögernder und eher
"heimlicher" Legalisierung, schließlich sogar mit der Zuweisung
von Energie, Wasser und Material.
Der bundesdeutsche Staat, würdig vertreten durch den Berliner Se-
nat, sah in dieser gewohnheitsrechtlichen Grauzone einen Angriff
auf seine Rechtshoheit. Den wies er mit den angemessenen Mitteln
zurück - "angemessen" insofern, als er die totale Überlegenheit
seiner Gewalt vorführte. Dabei verzichtete er seinerseits auch
nicht auf eine Grauzone, eine ideologische diesmal: Er tat so,
als müsse er sein Vorgehen aus dem Denken und Handeln der Hausbe-
setzer ableiten, als sehe er sich zu einer ungewollten Selbstbe-
hauptung herausgefordert; natürlich wurde die Polizei
"provoziert" und sie "reagierte" nur usw. usf. Wer sich davon
aber nicht vernebeln läßt, wird erkennen, was es mit dieser
Selbstbehauptung wirklich auf sich hatte: Gerade unter den neuen,
gesamtdeutschen Umständen kann ein "rechtsfreier Raum" nicht ge-
duldet werden; nicht, weil a u s i h m eine Gefährdung der
Staatsmacht erwächst, hat sie zugeschlagen, sondern weil sie a n
i h m mit aller Unerbittlichkeit ihre Unangefochtenheit vorfüh-
ren wollte. D i e s zu versäumen, wäre in den Augen der Gewalt-
haber die Gefährdung gewesen; dies wäre Schwäche, mit der der
Staat sein G e w a l t m o n o p o l selbst ankränkelt.
In gewisser Weise war das auch ein Stück Abrechnung mit dem real-
sozialistischen "Rechtsverständnis", welches die staatliche Ge-
setzgebung zum H i l f s m i t t e l aller materiellen, gesell-
schaftlichen Bedürfnisse gestalten wollte. Das wahre, bürgerliche
Recht ist demgegenüber nämlich die ganz prinzipielle hoheitliche
S c h e i d u n g zwischen materiellen Bedürfnissen und ihren
Mitteln. Etwas anderes hat das ganze Bürgerliche Gesetzbuch nicht
zum Inhalt.
Es ist gefragt worden, ob der Staat denn ohne das Ersuchen eines
Eigentümers tätig werden dürfe, und dann noch so massiv. Diese
Frage ist verkehrt: Noch ganz jenseits oder vor jedem
b e s t i m m t e n Eigentum hat der Staat seine Garantie für
das Eigentum bekräftigt, indem er die unumschränkte Gültigkeit
der gewaltsamen Grundlage dieser Gesellschaft - sich selbst! -
zum ausschließlichen Thema machte. Da kann er nichts verkehrt ma-
chen, was gerade denen zu denken geben sollte, die sich bei sol-
chen Anlässen gerne erschrecken. Und sie sollten nicht mit so
kindischen "Rechnungen" daherkommen, wie daß man mit den Kosten
des Polizeieinsatzes doch eine Menge Sanierungsarbeit hätte lei-
sten können oder mehr Eigentum kaputtgemacht als geschützt worden
sei. In solchen Dingen schaut der Staat nicht auf Kosten und Nut-
zen; oder besser: einen höheren Nutzen als sich selbst kennt er
nicht.
Manche Leute sprachen von einer "Demonstration" und von
"Kolonialmachtgehabe". Sie scheinen es aber gar nicht ernst zu
meinen, wenn sie nämlich - kritisch soll es sein, versteht sich -
auf ein "martialisches Gepränge" der Polizeigewalt und auf eine
"unsensible Taktik" deuten. Diese Leute wollen sich angesichts
der - tatsächlich durch eine Polizeidemonstration erfolgten -
Klarstellung in Sachen Recht und Ordnung nicht weiter vorwagen
als bis zu einer S t i l f r a g e. Auch das Gerede von der
"Kolonialmacht" will nicht wahrhaben, wie elementar der Staat mit
Boden und Leuten als seinem M a t e r i a l umgeht und rechnet
- und übrigens auch mitteilt, wie er mit Opposition umzugehen ge-
denkt -, sondern möchte sich über eine Vergewaltigung der ortsan-
sässigen "gewachsenen" Seelenbefindlichkeit beklagen - also den
Grund der staatlichen Handlungs- und der notwendig daraus entste-
henden Erscheinungsweise nicht zur Kenntnis nehmen.
2.
Die Institution, die im neuen Deutschland die Wohnungen zuteilt,
heißt W o h n u n g s m a r k t. Er unterscheidet sich von an-
deren Märkten erstens dadurch, daß die Anbieter hier ihr
M o n o p o l auf die gefragte Ware zu Geld machen. Auf Seiten
der Nachfrage konkurrieren zweitens so unterschiedliche zahlungs-
fähige Bedürfnisse wie das von Kapitalisten, die einen Standort
für ihr Geschäft suchen, und das von Mietern, die einen Stand-
platz für ihr Bett brauchen. Genauer gesagt, treibt die Nachfrage
der Geschäftswelt die Preise in die Höhe und die Wohnungssuchen-
den müssen schauen, was sie sich noch leisten können.
Vom Standpunkt des Mieters aus betrachtet bedeutet der freie Woh-
nungsmarkt ein Kräfteverhältnis, in dem er gegenüber dem Vermie-
ter nicht so gut aussieht. Er verfügt über ein Grundbedürfnis,
das ihn von den Angeboten der Gegenseite ziemlich abhängig macht.
Die langt entsprechend hin und probiert aus, was aus dem Publikum
rauszuholen ist. Für den Staat ist das weder ein Glück noch ein
Unglück - er sieht seine Aufgabe darin, das freie und gleiche Ge-
genübertreten von Käufer und Verkäufer, den vertraglichen Aus-
gleich von Leistung und Gegenleistung zu gewährleisten. Jede
staatliche Einmischung in diesen Markt dient der Chance des
Grundeigentums, auch noch von einer wenig finanzstarken Mieter-
schaft "kostendeckende" Beiträge abzukassieren. Das ist das
R e c h t a u f W o h n e n. Jedes andere würde den Wohnungs-
markt und mit ihm gleich noch die ganze Marktwirtschaft aushe-
beln.
Die Lektion ist in Berlin-Ost darum besonders angebracht, weil
die Einheimischen, so wie der Reale Sozialismus sie dorthin ver-
schlagen hat, ein einziges Hindernis sind. Immerhin ist auch für
diesen Teil der Reichshauptstadt "Weltniveau" vorgesehen; der
Wohnungsmarkt soll und wird von kapitalkräftigen Persönlichkei-
ten, die an die eigenen Wohnverhältnisse zuallerletzt denken müs-
sen, bevölkert werden. Diese Herrschaften brauchen eine gute Un-
terkunft für ihre Büros, Verkaufsflächen und Repräsentationspalä-
ste, und man kann ihnen unmöglich zumuten, am Rande der Stadt zu
kampieren, während in der City die Leute in ihren billigen Lö-
chern fernsehen, einkaufen und schlafen. So beeinträchtigen sie
das Wachstum, das "wir alle" dringend brauchen, damit die Ar-
beitsplätze herbeigeschafft werden können; was speziell den Woh-
nungsmarkt betrifft, verhindern niedrige Mieten und Wohnhäuser an
der falschen Stelle seine Entfaltung - und ohne seine Entfaltung
kriegt man ja nie eine preisgünstige und zentral gelegene Woh-
nung.
3.
Die Hausbesetzer haben einen bundesdeutschen Export von
F r e i h e i t s a c h l i c h hautnah mitgekriegt. Daraus ha-
ben sie und ihre Sympathisanten nicht besonders viel gelernt.
Mehr Eindruck machte ihnen seit jeher F r e i h e i t
i d e o l o g i s c h, die sie gerne mit Widerstand verwechseln.
Die Reinform dieser Verwechslung war der andere Exportartikel na-
mens "Autonome".
Die Wohnungsaufbrecher in der alten DDR sahen ihre Tätigkeit ur-
sprünglich mehr technisch. Ihr Hauptanliegen war nun mal Wohnen-
Können und das wurde ja so schlecht und recht gewährt. Ein biß-
chen aufmüpfig, ein bißchen kritisch ihrem Staat gegenüber waren
sie natürlich auch. Und deswegen, wie es sich für gute Bürger ge-
hört, sehr darauf bedacht, einen g u t e n E i n d r u c k zu
machen. Zur nicht ganz planmäßigen Wohnraumbeschaffung hat immer
der Versuch gehört, Obrigkeit und Öffentlichkeit mit so guten Ta-
ten wie der dringend nötigen "Winterfestmachung", sozialem Ein-
satz für die Nachbarschaft und ein bißchen Kulturleben für sich
einzunehmen. Für manche ist darüber das Wohnen zum Lebensinhalt
geraten, zum "alternativen Leben" nämlich. Dessen Inhalt besteht
hauptsächlich in der Ideologie, die eigene Privatsphäre staats-
frei gemacht zu haben. Diese Ideologie beruht auf dem verlogenen
Versprechen des bürgerlichen Staats, sich aus dem Leben seiner
Bürger, je privater, desto mehr, herauszuhalten. Daß derselbe
Staat - und keineswegs nur der realsozialistische, der sich auf
diesen Schwindel nie festgelegt hat - tatsächlich dauernd im Le-
ben seiner Bürger bis in die Intimsphäre hinein herumreglemen-
tiert, ist für manche selbstbewußte Individuen immer wieder ein-
mal der Anlaß, sich eine Verweigerungshaltung zuzulegen und
"selbstbestimmt" so ungefähr alles zu tun, was die öffentliche
Ordnung verlangt und was sie darüber hinaus beim Staat an bürger-
freundlichen Diensten vermissen.
Mit diesem Standpunkt sind die Ostberliner Häuserkämpfer dem
neuen Wind entgegengetreten, den die regierende SPD durch ihren
Kiez wehen ließ. Je härter die Klarstellung, daß demokratische
Freiheit so nicht gemeint ist, um so hartnäckiger besteht die
Szene auf ihren Glauben an ihr Recht, ausgerechnet beim Wohnen
gegen jedes staatliche Vorschriftenwesen ihre "selbstbestimmte
Subjektivität" zu entfalten. In diesem Sinne schafft sie es, den
Einsatz von Polizei und Bundesgrenzschutz in einen A n g r i f f
a u f i h r e I n d i v i d u a l i t ä t zu verdrehen; sie
können von "Fremdbestimmtheit" bloß noch psychologisch reden; sie
klamüsern sich als Waffe und Widerstand solche Schimären wie
"Zusammengehörigkeitsgefühl" und "Kommunikation" zurecht.
Erreicht haben sie mit diesen Übergängen in die Welt der psycho-
logischen Selbstbetrachtung nur eins: Nachdem der Westberliner
Senat ihnen die Polizei auf den Hals geschickt hat, kommt ihnen
die demokratische Öffentlichkeit auch noch verständnisvoll diffe-
renzierend. Den aktiven Kampfeinsatz gegen die westlichen Poli-
zeitruppen hat ihnen im übrigen weitgehend eine etwas andersgear-
tete Westberliner Szene abgenommen. Das "alternative Leben", das
die "Autonomen" in Kreuzberg und anderswo gepflegt haben, hat
schon längst den Übergang hinter sich, das unveräußerliche Recht
auf eigene Subjektivität im Kampf beweisen zu wollen. Die Er-
folge, um die es dabei geht, sind dementsprechend: Wenn man der
Polizei des "Schweinesystems" drei statt zwei Stunden (wie das
letzte Mal) widerstanden hat, dann und nur dann ist man autonom
und Mensch geblieben.
4.
Die (vertriebenen) Hausbesetzer haben Parteigänger - von der AL,
über die PDS, bis in liberale Nischen der bürgerlichen Blätter -
gefunden, vor denen sie sich besser hüten sollten. Auf die einfa-
che Tatsache, daß in dieser Gesellschaft noch die simpelsten Be-
dürfnisse am Eigentum scheitern, haben die nicht hingewiesen.
Statt dessen haben sie sich eine Reihe von Skandalen ausgedacht,
die der Staatsgewalt angeblich anzulasten sind und die im breiten
Spektrum von "unverhältnismäßig" bis "ungeschickt" bequem unter-
gebracht werden können. Ganz Freche haben auch mal das Stichwort
"unrechtmäßig" fallen lassen.
Das wuchtige Zuschlagen der Polizei ist auf Kritik gestoßen. Nach
dem üblichen Bekenntnis zur "Gewaltfreiheit" und nach den fälli-
gen Ermahnungen, die "Szene" solle sich von "Gewalttätern" säu-
bern, also nie ohne Grußadresse an das staatliche Gewaltmonopol
auftreten, runzeln diese Kritiker die Stirn über die staatliche
Vorgehensweise. Sie deuteln herum, ob man solche "Probleme" denn
nicht eleganter, ohne den Bürger so aufzuregen, "lösen" könnte.
Gemessen an dieser Scheinaufgabe des Staates - der seine "Lösung"
doch soeben vorgelegt hat - geraten die polizeilichen Aktionen
und politischen Beschlüsse schnell zu mißlungenen Experimenten.
Unfähige und kurzsichtige Beamte, wohin man blickt. Die hilflosen
bis blödsinnigen "Vermittlungsangebote" der Bohleys und Börners
werden ausgereizt bis zum Geht-nicht-mehr, so daß sie am Schluß
wie die ganze große "vertane Chance" dastehen. So wird einem an
"Vermittlung" gänzlich uninteressierten Staat bzw. Senat der tie-
fere Zweck angehängt, mit seinen Schäflein unter allen Umständen
einen gütlichen, kompromißbereiten Umgang zum Zwecke der friedli-
chen Überzeugung pflegen zu sollen - den er dann schmählich ver-
säumt hat.
Rechtsbewußte Menschen konnten im Vorgehen des Berliner Senats
seine eigene, die "Berliner Linie" nicht wiederentdecken. Hatte
der Senat nicht zugesagt, für Häuser, die bis zum 24. Juli be-
setzt worden waren, die Bedingungen der Möglichkeit der gütlichen
Einigung zu erörtern? Die, die so argumentierten, mußten überse-
hen haben, daß diese "Linie" keinen Moment lang und in keiner
Form Hausbesetzungen für zulässig erklärt hatte. Vielmehr hatte
sich der Senat offengehalten, mit einem a l s
u n r e c h t m ä ß i g f e s t s t e h e n d e n Zustand gemäß
s e i n e r Opportunität umzugehen. Vorübergehende Duldung und
radikales Abräumen sind keineswegs sich ausschließende Handlungs-
alternativen dieser "Linie", sondern auf effektivsten Umgang des
Staates mit diesem "Problem" berechnete Instrumente - in seinem
Sinne. Und wenn tatsächlich mal eine längerfristige Duldung her-
ausspringt, dann, weil der Staat sich den Luxus leistet, "guten
Willen" zu demonstrieren, umgekehrt damit den Besetzern den Zwang
aufmacht, bis ins kleinste hinein sich konstruktiv, friedlich und
unterwürfig zu benehmen - woran sie notwendigerweise sehr häufig
scheitern. Sie sind dann ein "Modell", und das bekommt ihnen
nicht gut, weil dies nur ein anderes Wort für "Ausnahmezustand"
ist.
All diese Sorten von - oft verwunderter - Kritik meinen schließ-
lich, ihr schlagendstes Argument in der Behauptung zu haben, der
Staat schade sich selbst. Das Wort des Antifaschisten Carl von
Ossietzky macht die Runde:
"Schuldig ist... der Herr Polizeipräsident, der in eine friedli-
che Stadt die Apparatur des Bürgerkrieges getragen hat... nur da-
mit eine Staatsautorität gerettet werden konnte, die durch nichts
gefährdet war als durch die Unfähigkeit ihres Inhabers."
Wer so entschlossen ist zu ignorieren, d a ß u n d w a r u m
der Staat seine Autorität gefährdet sah, wer mit seiner Warnung
vor einer dem Staat entglittenen Macht, die in die Hände einer
entfesselten Polizei überging, so haarscharf daneben zielt, der
landet schließlich beim vermeintlich schlimmsten Schaden des
Staates, bei seinem internationalen Ansehen:
"Wie kann vor der Weltöffentlichkeit glaubhaft eine deutsche Ag-
gressivität nach außen ausgeschlossen werden, wenn die Aggressi-
vität des Staates im Inneren eskaliert?" (Erklärung der PDS)
So abseitig, von der PDS natürlich wahlkampfmäßig ersonnen, diese
Behauptung auch ist sofern es die Staatenwelt überhaupt interes-
siert entnimmt sie den Berliner Vorgängen höchstens einen Hinweis
auf den gesicherten deutschen Rechtsstaat -, so bezeichnend ist
sie doch für die Unbeirrbarkeit von Staatsillusionen, für den
Glauben an die vom Staat eigentlich zu verrichtenden guten Werke:
Der schlägt zu - und es setzt ein aufgeregtes Fragen ein, welche
guten Werke er sich dadurch e r s c h w e r t bzw.
v e r s a u t habe. Und wieweit "kriminelle Elemente" dem Staat
keine andere Wahl gelassen hätten.
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