Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ANSCHLUSS - Die Eroberung der DDR
zurück Die Kommentare des Rudolf AugsteinEIN MANN SIEHT SCHWARZ-ROT-GOLD
Der Mann kann auf so etwas wie ein erfülltes Leben zurückschauen: Das Objekt seiner lebenslangen Leidenschaft hat sich dieser Lei- denschaft würdig erwiesen - und sie damit umgekehrt auch geadelt. Eine oft genug nicht erwiderte Liebe zur N a t i o n beschei- nigt sich selbst standhafte Treue und damit auch Rechte und Pflichten: Wo, wenn nicht beim Herausgeber des kritischen Maga- zins, ist denn die nationale Apotheose am besten aufgehoben - ist es dann nicht aber auch seine Pflicht, alle Zauderer und Quer- treiber aufzuspüren und in die Schranken zu weisen? Da ist viel Arbeit zu tun, denn nicht jedermann will einsehen, daß dieser na- tionale Erfolg einfach sein m u ß. Auch klar, daß diese Jeder- manns zumeist einen ausländischen Wohnsitz haben. Für Augstein spricht, daß er alles Problematisieren, was denn nun aus der Wiederherstellung des Deutschland folge, welche Gefahren und Chancen erwogen sein wollen, scheinbar ganz gegen seine ge- wohnte Manier schlichtweg nicht mitmacht. Was mal sein Markenzei- chen war, eine ständige Unzufriedenheit mit der politischen Re- präsentation, seine konstruktive Nörgelei über ungeschickte und unelegante Verfahrensweisen, was die Formulierung und Durchset- zung nationaler Interessen angeht, kurz: der Gestus der kriti- schen Distanz zur Nation - all das entfällt so gut wie total. Der Schulterschluß mit der "Bild"-Zeitung kündet von der zufriedene Gewißheit eines Rudolf Augstein, daß der zentrale Grund für Kri- tik ausgeräumt ist: Die Nation hat nun ein ganz anderes Wörtchen in der Staatenwelt mitzureden, einfach weil sie g r ö ß e r ist. Den "Spiegel"-Lesern, die in den Leserbriefspalten eine ge- wisse Verwunderung über die "Wende" ihres Lieblingskommentators äußern, scheint nie aufgefallen zu sein, worin dieser seinen Dienst an der Nation sah. Weder zu den Machern noch zum gewöhnli- chen Dienstleistungspersonal zählend, hatte er sich die Rolle des Gewissenswurms der Nation auf den Leib geschneidert, eines Wurms, der mit seiner Wühltätigkeit unablässig zur V e r e d e l u n g der Nation beitragen wollte. Die jetzige Zufriedenheit des Herrn Augstein klärt e i n e r s e i t s darüber auf, was sein grund- sätzliches Leiden an der Nation war und was ihn nicht rasten noch ruhen ließ, wenn es darum ging, in der politischen Klasse unzäh- lige Versager auszumachen, die gegenüber den Ansprüchen eines in- tellektuellen Vordenkers krass abfielen und Deutschland um die ihm zustehende staatsmännische Radikalität und Raffinesse betro- gen. Sie k o n n t e n ihre Sache nie richtig machen, da ihr Staat n i e f e r t i g war. Von Beginn an war der mit dem entstellenden Geburtsfehler behaf- tet, einen Krieg verloren zu haben und infolgedessen geteilt zu sein. Und je mehr sich die Politiker an der Aufhebung der "widernatürlichen Spaltung der Nation " zu schaffen machten, de- sto unzufriedener mußte der kritische Betrachter mit der Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit sein. Als wirklich perfekter Nationalist empfindet er die "Wieder"-Vereinigung auch subjektiv - man sieht's ihm direkt an - als großes Glück; umgekehrt schmerzte ihn jahrelang sein Nationalstolz so sehr, daß er jah- relang an der Nation kaum ein gutes Haar lassen konnte. Nicht, weil er nicht Fortschritte bemerkt und gutgeheißen hätte, sondern weil gerade aufgrund der Fortschritte die Endlösung der nationa- len Frage immer gebieterischer ihr Recht forderte. Dafür hat Aug- stein - versteht sich von selbst - schon immer die Russen schlechtgemacht, ist zunehmend auf kritische Distanz zu den USA gegangen, weil ihm deren stures Blockdenken bundesdeutsche Hand- lungsfreiheit einzuengen schien, hat sich um so mehr als "Europäer" aufgespielt, je gesicherter die Vormachtstellung der BRD in Europa war, und zuguterletzt erkor er sich ein nun endlich "eingebundenes" Frankreich, das - zumindest in der Augsteinschen Gedankenwelt - aus eigenem Interesse deutschen Ansprüchen gegen- über willfährig statt ablehnend sein wollte, als Verbündeten in Sachen Heimholung der verlorenen Ostgebiete. Ganz schlimm war er geschlagen mit einem Kanzler Kohl. War das der superschlaue, superweitsichtige und superhinterfotzige bun- desdeutsche Politiker, dem das Kunststück gelingt, den Rest der Welt an der Nase herumzuführen, das schwere Manko der Nation glatt vergessen zu machen und schließlich genau so "die Realitä- ten" im eigenen Sinne umzubiegen? War das der Führer, auf den Augstein ein Anrecht hat? Der doch nicht, dieser "Elefant im Por- zellanladen". Der saß doch immer nur die wachsende ökonomische und militärische Macht der BRD aus und ließ es entsetzlich an der von Augstein geforderten Eleganz im Welt-Monopoly fehlen. Jetzt aber hat Kohl recht behalten, und Augstein hat ohne weiteres die Größe, ihm zu gratulieren: "Das innenpolitische Tableau hat sich allerdings verändert. Stan- den die Bewerber Kohl und Lafontaine bisher bestenfalls gleich, so hat Kohl die SPD ... plattgemacht. Er bewies aufs neue seinen Machtinstinkt, er vertrat die richtige Sache. Um den Artikel 23 des Grundgesetzes wird man nun schwerlich herumkommen." (12/90) Von Schreibmann zu Staatsmann anerkennt er die Durchschlagskraft des anderen und schafft es leicht, sein eigenes Geschwätz von ge- stern zu vergessen. Ein, Wendehals ist Augstein trotzdem nicht. Schließlich hat er wirklich immer nur ein und dieselbe Sache ge- wollt und als Mann des Geistes und der spitzen Feder sich aller- hand Modelle einfallen lassen, wie man die einbetonierten Ver- hältnisse zum Tanzen bringen kann. Gedankenspielereien würde er das nicht gerade nennen wollen, immerhin war er stets mit dem Weltgeist auf gleicher Höhe, aber wieso sollte er sich selbst nachtragend sein, wenn die gute Sache nun gesiegt hat? Vergessen wir halt die vielen Bündnisse, die Augstein in seinem Magazin schon geschmiedet hat, und die vielen Weltkonstellationen, die er bornierten Politikern hinter die Löffel geben mußte - wenn nun ausgerechnet die von ihm Geschmähten den nationalen Erfolg ein- fahren, dann zeigt sich wahre Größe darin, am Sieg festzuhalten und den Blick nach vorn zu richten. Da aber muß die nationale Zufriedenheit, a n d e r e r s e i t s, sich selbst zur Ordnung rufen und höchst wachsam sein. Die massive Kritiklosigkeit, auf die Aug- stein dringt, bezieht sich ja nur auf die deutsche Nation selbst - "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!" Eines steht nämlich fest: Die Nation hatte immer schon F e i n d e, und jetzt erst recht, weil sie erfolgreich ist; sie hat diese Feinde nicht verdient, weil ihr der Erfolg z u s t e h t; also müssen "wir alle" zusammenstehen, damit uns unverdiente Feindschaft nicht den verdienten Erfolg kaputtmacht. Ihre Moral und unsere --------------------- Dabei führt er einen zunächst widersprüchlich erscheinenden Zweifronten-Krieg: - Zum einen geht es ihm um den Nachweis, daß Deutschland in mora- lischen Dingen seiner Pflicht Genüge getan habe, dem man mit den Vorwürfen vom alten Kaliber nicht mehr kommen darf. - Zum anderen setzt er die Behauptung in die Welt, moralische Kriterien hätten in der Betrachtung der Geschichte und Beurtei- lung von Staaten sowieso nichts zu suchen. In der ersten Abteilung geht es um die Zurückweisung von Vorwür- fen, die tatsächlich verfangen könnten, weil wir damit ja selbst mal hausieren gingen. Gerade weil Augstein an der Verfertigung solcher Vorwürfe kräftig mitgewirkt hat, versetzt ihn das einer- seits in den "Zwang", für ihre Zurückweisung an vorderster Front geradezustehen, was aber andererseits kein Nachteil sein muß. Wenn er an sich selbst die Überholtheit seiner Dogmen vorexer- ziert, leistet er damit einen schönen Beitrag zum neuen g u t e n G e w i s s e n der Nation und stellt sich "begründet" an die Spitze derer, die Vorwürfe und Verdächtigungen auswärtiger Mächte nicht nur entrüstet zurückweisen, sondern ih- rerseits nun mit Ansprüchen aufwarten. Untragbar geworden sind die a l t e n L e g e n d e n über das Wesen der Deutschen und ihrer Nation. Heißt: 30 Jahre Nachkriegs- geschichte sind bestritten worden mit dem Gestus der nationalen B e s c h e i d e n h e i t; mit dem rituellen Hinweis auf die große S c h u l d, die das deutsche Volk auf sich geladen habe und die ihm eine ewige L e h r e sein wird; mit der Verkleidung aller bundesdeutschen Auftritte in der Weltpolitik in eine ein- zige S ü h n e t ä t i g k e i t nicht nur an den Juden, son- dern an allen minderbemittelten, von uns hilfreich aufzupäppeln- den Völkern; mit der unablässigen Beteuerung, daß eben deswegen von deutschem Boden nie wieder Gefahr, geschweige denn ein Krieg ausgehen könne - a l l d a s p a ß t n i c h t m e h r! Nun hat weder eine bundesdeutsche noch eine auswärtige Staats- macht diesen Sermon jemals für bare Münze genommen. Für die Bun- desdeutschen war es das diplomatische Falschgeld, mit dem sie im Weltgeschehen wieder auftrumpften und als Friedens- und Vermitt- lungsmacht auftraten; für die Auswärtigen war es eine Ideologie, mit der man bundesdeutschen Ansprüchen und Frechheiten unter Hin- weis auf höchste moralische Güter die Gegnerschaft ansagen konnte. G e z ä h l t haben allemal n i c h t diese Rechtfer- tigungs- bzw. Beschwerdetitel, sondern die tatsächlichen Kräfte- verhältnisse, um die drunterher gerungen wurde und die mit dem Anschluß der DDR einen vorläufig sehr entscheidenden Etappensieg der BRD ausweisen. Aber in einem hat Augstein recht: Mit diesem imperialistischen Sieg entfällt auch die Grundlage der Ideologie von Schuld und Sühne - wenn der alte Mißerfolg der Nation ausge- bügelt, wenn der Geburtsfehler behoben ist, dann braucht sie sich dafür auch nicht mehr zu e n t s c h u l d i g e n. Wir haben uns zu einem jahrzehntelangen Musterknabendasein bequemt jetzt lassen wir das mit dem Musterknaben mit gutem Grund endlich mal sein. Nun gut, daß es Auschwitz nicht gegeben hätte, will Augstein nicht behaupten. Aber: "Als Handlungsanweisung taugt das Gedenken an Auschwitz nicht." (12/90) Als ob es das jemals getan hätte! Als ob die bundesdeutsche Na- tion die "Handlungsanweisung" ihres Imperialismus einem Konzen- trationslager entnommen hätte, oder umgekehrt, sich in ihrem Ta- tendrang vom Gedenken an Auschwitz jemals hätte bremsen lassen! Darum geht es freilich auch nicht: Augstein will einfach keine (ausländische) Vorhaltung mehr dulden, ohne gleich ins Lager de- rer von der "Auschwitz-Lüge" überzuwechseln. Darum ist seine wie- derholte pathetische "Anerkennung" von "Auschwitz" auch die end- gültige Beschlagnahme dieses "Arguments" für den deutschen Fun- dus, das Verbot an andere, es noch in Anschlag zu bringen. Im deutschen Fundus verbleibt es als "Menetekel", das wir Deutsche uns selbst zu Gemüte führen. Bei Gelegenheit erschrecken wir über uns selbst, aber eins lassen wir uns nicht mehr anhängen: daß wir so w ä r e n. Uns hat die Geschichte diesen u n e r k l ä r l i c h e n U n g l ü c k s f a l l beschert, als solchen, aber auch nur als solchen, behalten wir ihn: "Eine tückische Ungeheuerlichkeit hat den Deutschen einen Führer zugeschoben, der uns heute noch zu schaffen macht, wohingegen Le- nin und Stalin gemächlich in der Ferne verschwinden... Der ver- hängnisvollste Mensch dieses Jahrhunderts bleibt Adolf Hitler, eher Psychopath als Verbrecher. Wie soll man aus diesem Monstrum Schlüsse für die Zukunft ziehen?" (12/90) Wer jetzt noch mit dem alten Kram daherkommt, womöglich daraus "Schlüsse für die Zukunft" ziehen will, zieht sich den Zorn des Gerechten zu und kriegt statt Entschuldigungen B e s c h u l d i g u n g e n zu hören. Allen, die angesichts der neuen, der geläuterten Nation die alten Vorwürfe auftischen, ist mitzuteilen, daß das doch wohl nur für ihren häßlichen Cha- rakter spricht und sonst nichts. Genügend Schandtaten der neidi- schen Ankläger sind da aufzufinden - es herrscht die Technik des A u f r e c h n e n s. Etliche Male ist die Rede davon, welch' hohen Preis der deutsche S t a a t erbracht habe: E r hat viel verloren, nämlich ein Viertel seines Hoheitsgebiets und Mil- lionen Menschen; eingehandelt hat er sich Millionen Vertriebene und ein durch Hitler "traumatisiertes" Volk. Da hat ihm die Ge- schichte also schon ein ordentliches Paket zu tragen gegeben. Dieses "Argument" vom reuewilligen und tatkräftig bereuenden Staat kann man auch umdrehen: Wie steht's denn mit den anderen? Da darf man sich nicht den klaren Blick verstellen lassen, daß die doch selbst D r e c k a m S t e c k e n mehr als genug haben, den sie dann durch ihr anklagendes Auttreten uns gegenüber s c h e i n h e i l i g übertünchen wollen. Wieviele Kriege ha- ben denn die Engländer, Franzosen, Russen und Italiener hinter sich gebracht, ohne daß heute noch ein Hahn danach kräht: Was war eigentlich mit den Polen los, als damals der Krieg begann: "Ungeachtet der damaligen polnischen Führungsclique mit ihrem recht unmenschlichen Antlitz, ihrem Halbfaschismus und Antisemi- tismus, ihrem Größenwahn und ihrer aktiven Mithilfe bei der Aus- plünderung der Tschechoslowakei..." (10/90) Also nicht zuviele Krokodilstränen, bitte! Und handelt es sich nicht um eine einzige Bande von Verrätern: Wir haben noch die Sirenenklänge dieser treulosen Tomaten im Ohr, als Deutschland noch nicht vereinigt war - wieviel Meineide haben sie da geschworen! "Kann man wirklich Verträge unter Freunden schließen und dann kaltblütig nicht einhalten? Man kann, aber man sollte auch wis- sen, was das bedeutet. Mutet man den braven Deutschen die Gewiß- heit zu, daß Adenauers Zeiten in jeder Hinsicht betrogen wurden. Die nicht-souveränen, die westdeutschen Bundesgenossen werden sich darauf ihren Reim machen." (48/89) Und seit wann ist es einem Staat eigentlich nicht erlaubt, ganz für sich seine nationale Frage lösen zu wollen - da sind sie doch sonst schwer dafür: "Nur werden wir uns sicher der Idee widersetzen, daß die anderen ein Monopol haben, die deutsche Frage zu beantworten. Sie ist jetzt, anders als zu Zeiten Richelieus, Ludwig XIV. und der bei- den Napoleone, in erster Linie eine Frage an uns selbst". (48/89) Wenn sie uns jetzt schon wieder auf die Anklagebank setzen wol- len, dann handelt es sich - Gipfel der Scheinheiligkeit! - gar nicht darum, uns an unsere Sühnepflicht zu erinnern, in Wirklich- keit wollen sie uns mit solchen moralischen Waffen nur dazu e r p r e s s e n, sie an unserer Wirtschaftskraft teilhaben zu lassen: "Es ist nicht wahr... daß die Nachbarn der Deutschen Garantien gegen ein Wiederaufleben des aggressiven deutschen Nationalismus begehren. Vielmehr, sie fürchten den deutschen Wirtschaftsdrive, von dem sie doch gleichzeitig profitieren wollen. Sie möchten ihr Prestige wahren und an ihren Rechten festkleben..." (48/89) Das sind Machenschaften von Staaten, die uns - jetzt, wo kein Grund zur Sühne mehr besteht, kann man es ja mal offen sagen - um 150 Jahre unserer Geschichte betrogen haben. Ja, sie haben uns überhaupt in das ganze Verhängnis getrieben, bei dem wir am Schluß als die Sühnetrottel dastanden: "1848 hätten die übrigen Mächte einen Großraum Österreich-Ungarn plus Preußen plus den Rest des Deutschen Bundes nicht hingenom- men, auch schon wegen der Wirtschaftskraft nicht. So kam es zum Bismarck-Reich, das sich bis 1918 zu chauvinistisch und ab 1933 absolut pathologisch benommen hat. Es mußte dafür bezahlen, zu Recht." (48/89) Wer will uns da noch die Einholung einer lang vorenthaltenen Selbstverständlichkeit verbieten, nämlich die Herstellung der na- türlichen G r ö ß e der Nation: "Diese europäische Katastrophe hatte mehrere Ursachen. Aber die wichtigste entsproß der Inkompetenz der von Bismarck 'zusammengemogelten' Militärmonarchie. Und daß der Zweite Welt- krieg, nicht so und nicht naturnotwendig, aber doch immerhin aus dem Ersten hervorging, wird gleichermaßen kaum noch angezweifelt. Nicht wegen des Holocaust, nicht wegen Auschwitz wollten die Ali- ierten drei- oder vierteilen, sondern um die preußisch-deutsche Geschichte auszulöschen. Das ist ihnen in hervorragendem Maße gelungen." (7/90) Wenn sich Augstein in der zweiten Abteilung daran macht, die Mo- ral aus der Geschichte auszumerzen, dann nur, um sich zu einer neuen Moral des Erfolgs zu bekennen. Dafür steht sein Schlagwort vom "Sacro egoismo". "Ist das gerecht? (Gemeint ist der bundesdeutsche Erfolg) Nicht, wenn man moralisch urteilen will, wohl aber, wenn man die Maß- stäbe der Menschheitsgeschichte anlegt... Es muß uns klar sein, daß die Deutschen in der Welt noch lange unbeliebt sein werden. Da gilt es denn: Nur ja nicht beleidigt sein, nur ja nicht à la Kohl auftrumpfen! ... Nur soll man uns nicht gleichzeitig benutzen u n d strafen wollen. Wir werden bescheiden sein, wir werden verstehen, aber mehr auch nicht. Lie- ben sollen einander Menschen, nicht Staaten, die sich dem Sacro egoismo verschrieben haben." (12/90) "Umstände verändern eine Sache, so sagte und handelte Bismarck. Welche Umstände sollten sich seit 1949 in Sachen unserer Verträge geändert haben? Diese: Die Bundesrepublik ist die stärkste Wirt- schaftsmacht Europas, und - daran hatte man 1949 nicht gedacht - sie allein beherbergt über 60 Millionen Einwohner. Mit denen der DDR würden es fast 80 Millionen sein." (48/89) "Die darwinistisch gestimmte Geschichte läßt sich offenkundig nicht genug Zeit für den Blick zurück, für die dem Menschen doch so bekömmliche 'Trauerarbeit'. Sie kann nicht erzwungen werden, weder durch Machtanspruch noch durch Schikane." (4/90) Was will er uns damit sagen? Mit der a l t e n Moral kann man uns Deutschen nicht mehr kommen. Und zwar deswegen, weil sich die deutsche Nation eine Position nach der anderen in Weltmarkt und Weltpolitik erobert hat. Denn was beweist uns das? Kein geringe- rer als die G e s c h i c h t e hat uns mit einem n e u e n R e c h t ausgestattet. Sie hat uns den Status der "stärksten Wirtschaftsmacht Europas" zugesteckt, der uns keine Zeit mehr für die eigentlich so "bekömmliche Trauerarbeit" läßt, sondern uns auf die neue 'Sachlichkeit' verpflichtet, anstelle der Liebe zwi- schen den Völkern auf die Gesetze des "Sacro egoismo" zu achten. Die "darwinistisch gestimmte Geschichte" hat der Nation einen neuen Platz zugewiesen, also darf man diese Nation auch nicht mehr mit dem alten Schmutz bewerfen. Das Gegenteil ist nun der Fall: Wir stehen auf dem höchsten Stand der Geschichte, also set- zen wir die neue, d i e h ö h e r e M o r a l. Unsere Sachge- setzlichkeiten geben nun den Ton an, als da wären unsere Wirtschaftskraft, nochmal unsere Wirtschaftskraft, dann unsere neue "nationale Identität", und als Folge davon unsere Befreiung aus alten Schuldverhältnissen: "Dringendstes Anliegen der Ethik ist es, das Moralisieren abzu- schaffen." Nämlich, um folgende deutsche Moral einzuführen: "Bitte keinen neuen Kongreß in Europa mehr, auf dem nur Diktate abgesegnet würden... überhaupt keine Diktate mehr, und als Diktat würde ein 'Friedensvertrag' in Deutschland heute empfunden... Als 'Kinder dieser Welt' wollen wir keinen so gearteten 'Friedensvertrag', wo uns eher die Rolle des Dukatenesels zuge- dacht wäre als die der Heiligen Drei Könige... Geld gehört am dringendsten dahin, wo es am wirkungsvollsten heckt, zuerst also in die DDR, dann entweder in die EG oder nach Osteuropa, dann in die bedürftigste aber auch unfähigste Dritte Welt. Deutschland ist mehr Katalysator als Zahlmeister und es hilft den anderen noch am ehesten, indem es sich selbst hilft." (10/90) Das ist doch mal eine zeitgemäße Fassung für den wohlwollenden Vorschlag an den Rest der Welt, sie solle am deutschen Wesen ge- nesen. Wer darauf nicht hören will, dem wird in Aussicht ge- stellt, daß er vom deutschen Erfolg wie von einer Naturgewalt überrollt wird - auch das beinahe wie gehabt: "Revolution bedeutete zu Zeiten des Kopernikus ein Naturereignis. Zumindest in diesem politischen Umbruch muß man sie als solches betrachten, das vielleicht zu kanalisieren, aber keinesfalls auf- zuhalten ist. " (12/90) Wer sich diesem "Naturereignis" in den Weg stellt, und sei es nur, daß er Zweifel anmeldet, hat sich den Vorwurf gefallen zu lassen, daß er sich gegen die Geschichte stellt. Und damit for- dert er unsere Rücksichtslosigkeit geradezu heraus, denn mit uns ist die Geschichte gerade. Auch in Sachen "Sacro egoismo" muß man unterscheiden: Es gibt einen geschichtlich überholten - den der anderen - und einen geschichtlich notwendigen - den beweist soeben unser Erfolg. Je mehr die anderen Nationen so tun, als wollten wir etwas "Unsittliches", desto mehr desavouieren sie sich und beweisen, wie sehr sie der Anleitung bedürfen. Man erin- nere sich: Deutschland befindet sich in der Rolle des "Katalysators" - indem es ganz auf sich selbst schaut, auf keinen Fall den "Zahlmeister" macht, führt es nacheinander die Probleme der DDR, Osteuropas, der EG und schließlich der "Dritten Welt" einer Lösung zu. Das ist das Ende allen Nationalismus' - bei den anderen! Und un- seren kann man so nicht nennen. Quasi als Morgengabe haben wir die Erledigung eines Menschheitsproblems, ja, d e s Mensch- heitsproblems, eingebracht, das über dem ewigen Stieren auf Bis- marck-Wilhelm-Hitler schlimm übergangen worden ist: Die wirkli- chen Verbrechen der Menscheit g i n g e n a u c h v o n u n s e r e m B o d e n a u s - und wir haben sie endgültig un- geschehen gemacht: "Die Unmenschlichkeit begann nicht bei Hitler oder Stalin, son- dern bei Marx und Lenin... Deutschland, das einen Karl Marx her- vorgebracht hat, das Lenin als Herzstück aller kommunistischen Revolutionen betrachtete, Deutschland ... erlebt nun das Ende des Marxismus-Leninismus." (12/90) Endlich haben wir Hitlers Traum wahrgemacht, und den Marxismus vernichtet. Das verpflichtet - die anderen. Es verpflichtet sie darauf, bei den künftigen, den wirklichen Problemen der Mensch- heit auf den Sachwalter zu hören, der sich nun herausgeschält hat. Für Deutschland ist die "Wieder"-Vereinigung nur ein D u r c h g a n g s s t a d i u m, eine fast schon lästige Not- wendigkeit, um ein höheres Stadium der Menscheitsgeschichte an- leiten zu können: "Mit dem häßlichen Gesicht des Sozialismus wird das häßliche Ge- sicht des Kapitalismus noch lange nicht verschwinden. Nur ist der 'dritte Weg' entweder längst beschritten oder nicht zu erken- nen... Bei aller Freude über die Beendigung eines anormalen, friedlosen Zustands in Mitteleuropa muß das Ceterum censeo lauten: Wichtiger als ein vereintes Deutschland, wichtiger als ein vereintes Europa ist ein neues globales Denken. Woher sollte es kommen?" (12/90) Ja, woher sollte es wohl kommen?! Kein Zweifel, der Mann pflegt seine eigene Sorte von Größenwahn. Aber eines kann man ihm nicht bestreiten - bei aller Verquast- heit, Geschichtsspinnerei und wilder "Fakten"huberei -: Seine Kommentare p a s s e n - zu Deutschland. zurück