Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ALLGEMEIN - Unterwegs in Sachen Frieden


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       Münchner Hochschulzeitung, 25.03.1982
       Sonderausgabe Sozialwesen
       

DER WESTEN SPRICHT SICH AB

"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen!" Sie sind schon auffällig, diese beständigen Politikerausflüge nach Washington. Nur, was erzählen sie denn Aufregendes, die Her- ren Genscher, Mitterrand, der westdeutsche Entwicklungshilfemini- ster Offergeld und jetzt eben Franz Josef Strauß, wenn sie aus Amerika zurückkehren? Genscher: Unsere Beziehungen sind so gut wie immer ... Volle Übereinstim- mung in allen Fragen des Bündnisses .. Haben bezüglich des Erd- gas-Röhren-Geschäfts die Bedenken unserer amerikanischen Freunde zur Kenntnis genommen ... Aber in Washington respektiert man auch unseren Standpunkt. Mitterrand: Nach wie vor unterschiedliche Einschätzungen in der Mittelameri- kapolitik ... Vollste Übereinstimmung zu Polen und zu allen Fra- gen der westlichen Politik gegen die Sowjetunion. Offergeld: Besorgnis der Bundesregierung über die Entwicklung in Nicaragua nicht ausgeräumt ... Wollen die Regierung unterstützen wenn sie den Weg einschlägt den wir wollen ... Differenzen zur US-Regie- rung keineswegs in der Sache nur in den Methoden ... Strauß: Nahtlose Übereinstimmung der CSU mit der Regierung Reagan in aus- nahmslos allen Fragen ... Koalition ein Sicherheitsrisiko ... Unionsregierung ein verläßlicherer Partner ... Um das hinterher einer mäßig erstaunten Öffentlichkeit zu erzäh- len, was sie vorher auch schon bei jeder sich bietenden Gelegen- heit verlauten ließen - dafür bräuchten sie sich wirklich nicht laufend beim Führer des westlichen Bündnisses einzufinden. Der Witz an den vier Reisen liegt ganz offensichtlich in dem, was nicht auf der Pressekonferenz und im Schlußkommuniqué mitgeteilt wird. Also nochmal von vorn mit den Reiseerzählungen: Genscher: Was sind die nächsten Schritte in der westlichen Offen- sive gegen die Sowjetunion? Ist nicht auch das G e s c h ä f t mit dem Osten eine wertvolle Ergänzung westlicher Erpressungsmög- lichkeiten, Mr. Haig? Haig: Ohne Zweifel, Herr Genscher, aber dieses Mittel wird umso wirkungsvoller, je mehr wir daran herum- kritisieren. Und als bestes Mittel der Erpressung taugt in diesem Falle zuguterletzt die Einstellung des Geschäfts. Keine Kredite mehr für Polen, keine falschen Lieferungen mehr an die und aus der Sowjetunion, da soll der deutsche Frontstaat mal endlich den Vorreiter machen! Mitterrand: Getrennt marschieren, vereint schlagen, Herr Präsi- dent. Sie machen die blutige Drecksarbeit in El Salvador und wir bekunden Verständnis für diejenigen, die Sie dabei umlegen. Auf den Verdacht, es gebe nennenswerte Differenzen zwischen uns, kann ohnehin niemand kommen, wo wir doch im Falle Polens und der Auf- rüstung alles versuchen, Sie noch zu überholen. Sprechen wir doch unter vier Augen darüber, wie wir uns die weitere Durchsetzung westlicher Freiheit in Polen vorstellen! Offergeld: Bevor ich in Nicaragua den Sandinisten die Hand ge- schüttelt habe, war ich natürlich in Washington und habe mit den zuständigen Herren besprochen, daß wir unser gemeinsames Ziel noch wirkungsvoller erreichen, wenn unser Angebot, die Nicaragua- ner sollten sich freiwillig alles aus dem Kopf schlagen, was un- sere Pläne für die Region stört, von den USA als militärische Drohung vorgebracht wird. Immerhin hat Mr. Haig in seinem "5-Punkte-Programm" zur Herstellung "normaler Beziehungen" zwi- schen den USA und Nicaragua als B e d i n g u n g genau das an- geführt, was wir als Wunsch geäußert haben. Entwicklungshilfe, das ist ja wohl Mittel unserer politischer Interessen im Bündnis und weltweit. Da müssen wir uns also von den Amerikanern die ge- naue Marschroute vorgeben lassen! Strauß: Als starker Mann der westdeutschen Opposition und damit als d e r Macher der nächsten Bundesregierung in der Hauptstadt unseres mächtigsten Verbündeten auftreten und demonstrieren, daß auf Bonn immer Verlaß ist und erst recht mit einer Unionsregie- rung - dafür würde ich den Ausflug sogar aus der eigenen Tasche bezahlen. Und den Amerikanern liegt viel daran, sich mit allen, und vor allem den kommenden politischen Verantwortlichen in Bonn ins Benehmen zu setzen. Eine deutsche Regierung ist im und f ü r das Bündnis stark! Die neue Qualität von Politikerbesuchen in Washington liegt an- scheinend darin, daß sich kein Mensch mehr Illusionen darüber macht, daß das offiziell Verlautbarte auch der Grund des Besuches gewesen sein könnte. G e h e i m d i p l o m a t i e ist das. Die wesentlichen E n t s c h e i d u n g e n der Weltpolitik werden der Öffentlichkeit nicht mehr mitgeteilt, weil Sachen zur Diskussion stehen, bei denen auf die M e i n u n g des Bürgers geschissen ist. Und das kann noch jeder merken, daß sich die "mächtigen Männer" Europas beim amerikanischen Präsidenten die Marschpläne abholen und d a r a u s ihre Selbstdarstellung vor dem eigenen nationalen Publikum machen. Deswegen erfinden sie Differenzen und Eigenpositionen, die sie sich gar nicht mehr lei- sten w o l l e n. Andererseits ist es also gerade keine Politik hinter verschlossenen Türen, weil die Politiker sich darauf ver- lassen, daß ihre Wähler mit ihnen die Auffassung teilen in diesen "schweren Zeiten" sei "entschlossenes Handeln" ohne Rücksicht- nahme auf die Betroffenen nicht nur das Gebot der Stunde, sondern der Beweis für staatsmännische Fähigkeiten. Egon Bahr von der SPD hat dies am 16. März im Fernsehen auch deutlich ausgesprochen: "Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen in die politisch Verantwortli- chen geht es nicht. Wir (!) verfügen nicht über die Informatio- nen, mit denen Staatsmänner ihre Entscheidungen treffen. Wir müs- sen uns schon darauf verlassen, daß sie das Richtige wollen und das Notwendige auch tun." Richtig: Ohne die Freiheit in der Machtausübung, mit denen der Bürger seine Herrschaft ausstattet, könnten sie nicht g a n z o f f e n und vor aller Augen die ganzen Schritte der Erpressung des Ostens, der blutigen Säuberung Lateinamerikas, der bedin- gungslosen Rüstungsoffensive h i n t e r v e r s c h l o s- s e n e n T ü r e n ausmachen. Die Politiker verkünden ihre Entscheidungen in der Außenpolitik nicht mehr, sondern bereiten alles Notwendige unter sich vor, damit es im Ernstfall auch richtig läuft. Und was sie dann jeweils machen - ein paar Millionen für die politische Erpressung Nicaraguas, viel Militärhilfe für den westlichen Menschenschlächter Duarte in El Salvador, ein Embargo nach dem anderen gegen die Sowjetunion, di- plomatische Unfreundlichkeiten gegen sowjetische Botschafter, Ab- lehnung jedes östlichen Abrüstungsvorschlags, immer neue Milliar- denausgaben für westliche Raketen - das geben sie noch als maß- volle Politik aus, weil sie ja schon viel weitergehende Maßnahmen ins Gespräch gebracht haben - nämlich immer die schon nächstfol- genden. Das Volk kann sich dabei nur auf eines verlassen: Es darf dafür einstehen, damit seine Politiker neben den Informationen auch die Mittel für ihre Vorhaben kriegen. Angesichts des "Ernstes der Weltlage" sind so kleinliche Sorgen wie weniger Lohn und mehr Steuern auch kein aufregendes Thema. Die Innenpolitik wird mit den außenpolitischen Erfolgen und Profilierungen der Staatsmänner bestritten. Wer ist der beste deutsche Politiker, weil beste Ju- nior-Partner der USA, beste Partner der anderen Europäer und be- ste Mann, um die SU in die Knie zu zwingen: Das sind die politi- schen Maßstäbe, die gelten. Das ist die Freiheit der Politiker, die sie sich unter vier Augen und in aller Öffentlichkeit anma- ßen. Und dafür soll man sie wahren, dafür soll man ihnen ver- trauen und dafür soll man arbeiten! Wer ist da eigentlich ver- wöhnt? zurück