Quelle: Archiv MG - BRD AUSSENPOLITIK ALLGEMEIN - Unterwegs in Sachen Frieden
zurück
Zwei Wochen BRD-Reisediplomatie
VON DER MOSKWA BIS ZUM LA PLATA
Es gibt offensichtlich nichts, was sich in der Staatenwelt so
tut, was die Bonner Politik nichts angeht. "Verantwortung tra-
gen", weltweit, beliebt man das aus deutscher Sicht zu nennen.
Woran sich Weizsäcker, Genscher und Kohl ständig in aller Welt zu
schaffen machen, ist in den diplomatischen Erfolgsmeldungen, im
gewohnten und vertrauenstiftenden Bild deutscher Außenpolitik,
als ehrenwerte und ganz unanstößige Materie unterstellt: Die
deutschen Repräsentanten werden überall freundlich empfangen -
auf Grundlage ihrer unfreundlichen Machtmittel, die die ausländi-
schen Kollegen so gewogen machen. Sie führen konstruktive Gesprä-
che über gemeinsame Anliegen - denn die Interessen, die die Deut-
schen überall haben, üben offensichtlich eine sehr
v e r p f l i c h t e n d e Wirkung auf ihre Gastgeber aus.
Genscher in Moskau
------------------
Ein bundesrepublikanischer Außenminister muß nicht einmal Einla-
dungen abwarten, er lädt sich auch schon einmal selber ein, wenn
er findet, daß "die deutsche Stimme" irgendwo nicht genügend ge-
hört wird, und fliegt nach Moskau. Für den spontanen Applaus der
Presse - "Genscher als Einbrecher" - kommt es weniger darauf an,
was die deutsche Stimme in Moskau unbedingt vorzubringen hatte.
Die totale Kompromißlosigkeit gegenüber den von der Sowjetunion
erhobenen Forderungen an die Genfer Verhandlungen hat Genscher
noch einmal als deutschen Standpunkt vorgetragen, verbunden mit
dem wohlmeinenden Ratschlag, die Sowjetunion solle doch nicht im-
mer alle Fragen aufs Militärische reduzieren. Es gäbe doch noch
so viel anderes - an Forderungen der BRD gegenüber der So-
wjetunion nämlich. Mehr Aufträge für die deutsche Wirtschaft,
mehr Aussiedler usw. Und noch ein konstruktiver Vorschlag: Weil
die 8. Mai-Feiern der Sowjetunion dem Selbstbewußtsein der jetzi-
gen deutschen Republik so zuwider sind, möge man sie doch lieber
ausfallen lassen. Sie förderten doch nur "nutzlose Animositäten".
Statt dessen solle sich die Sowjetunion nach Genschers Geschmack
lieber auf Feiern zum Jahrestag des Moskauer Vertrags bzw. der
Akte von Helsinki verlegen, also statt des eigenen Siegs über die
Deutschen den Entspannung genannten Einstieg der Deutschen in die
friedliche Wiedereroberung des Ostens feiern. "Ein eher kühles
Echo" der sowjetischen Gesprächspartner beweist fürs deutsche Pu-
blikum nur die Schwierigkeit der Aufgabe, die der Außenminister
sich vorgenommen hat.
Weizsäcker in Finnland, Wörner in Ägypten
-----------------------------------------
Der eine auf Völkerfreundschafts-, der andere auf Waffenhandel.
Neben Eisbrechern, Langlauf und Sauna bestaunte der Bundespräsi-
dent vor Ort noch eine weitere finnische Tugend, die Neutralität,
die er deshalb seinen Gastgebern gründlich auseinandersetzte.
"Durch ihr besonderes Verhältnis zur Sowjetunion nehmen die Fin-
nen Kenntnis von Wünschen, Zielen und Bedenken Moskaus und können
dies dem Westen vermitteln, andererseits denken sie aufgrund
ihres sozialen und wirtschaftlichen Systems so, wie man sonst im
Westen denkt. Für die Bundesrepublik ist die Neutralität Finn-
lands von Wert, so wie Finnland die Einbindung der Bundesrepublik
in die westliche Allianz als für es selbst nützlich anerkennt."
Im Klartext: Ohne NATO kein Finnland, also übertreibt es nicht
mit eurer Neutralität bzw. bleibt bei euren nützlichen "Vermitt-
lungs"diensten im internationalen Erpressungsgeschäft auf KSZEs,
KVAEs usw. In Ägypten wurden selbstverständlich keine deutschen
Interessen, sondern ausschließlich "ägyptische Wünsche"
verhandelt. Aber wenn man immer so sehr gebeten wird, kann man
nicht einfach nein sagen. Eine kleine Heuchelei, die sich der
Konkurrenz mit dem Hauptwaffenlieferanten USA verdankt. Vor dem
Hintergrund geben sich deutsche Waffenschieber überaus beschei-
den: "Nur" eine gemeinsame Produktion von Ersatzteilen hat man
ins Auge gefaßt, des weiteren militärische Ausbildung durch die
Bundeswehr und die Lieferung von U-Booten.
"Da Ägypten zum Westen zählt, könnte eine operationsfähige ägyp-
tische U-Boot-Flottille angesichts des permanent im Mittelmeer
operierenden sowjetischen Flottenverbandes von Nutzen sein."
(FAZ)
Die in Moskau vorgetragene deutsche Friedensliebe blamiert sich
nicht im geringsten daran, wenn die Vertreter derselben Regierung
sich gleichzeitig um die Ausstattung sämtlicher Frontabschnitte
kümmern.
Genscher in Warschau und Sofia, Bangemann in Ost-Berlin
-------------------------------------------------------
Genscher diesmal ohne jede "protokollarische Schwierigkeit", wie
er sie sich noch im Herbst zur Demütigung der polnischen Regie-
rung ausgedacht hatte. Auch dort lieferte er den beruhigenden
Hinweis auf den letzten Bundestagsbeschluß zur Deutschen Frage
ab, daß die BRD sich solange an die Verträge über die polnische
Westgrenze halten will, wie sie sich daran halten will. Bis es
soweit ist, sollen die Polen die friedfertigen deutschen Ostland-
debatten einfach überhören, umgekehrt aber auf die "deutschen
Empfindlichkeiten" am 8. Mai "Rücksicht nehmen". Das kann die BRD
mit Fug und Recht von ihnen erwarten, zumal sie noch über ein be-
sonders wirkungsvolles Erpressungsmittel verfügt: Die hände-
ringenden polnischen Bitten um neue Kredite, um die durch den
Kreditboykott lahmgelegten Teile der polnischen Wirtschaft nicht
ganz über den Jordan gehen zu lassen, sind auf die deutsche
Zustimmung angewiesen.
Dasselbe, landesspezifisch formuliert, gab Genscher am nächsten
Tag in Sofia zu Protokoll, während Bundeswirtschaftsminister Ban-
gemann in der DDR zugange war. Bei der fortschreitenden Erschlie-
ßung der DDR als bundesrepublikanisches Wirtschaftshinterland
gibt es viel zu regeln; auch hier schadet es nie, die Bedeutung
westdeutscher Kreditkonditionen für die DDR-Planwirtschaft he-
rauszustreichen. Und überhaupt: Die Benützung von Sonder-
interessen der "Satellitenstaaten" schafft eben das feine "Ge-
flecht von Beziehungen", das der Außenminister immer als deutsche
Großtat rühmt und das - wenn auch nicht so, wie gewünscht, gleich
zur Spaltung des Ostblocks - doch immerhin zu der Demonstration
taugt, daß die Bündnispartner der Sowjetunion viel mehr auf die
Beziehungen zur BRD setzen, als es der Sowjetunion recht ist.
Mertes in Mittelamerika, Genscher in Uruguay
--------------------------------------------
Mertes war zunächst einmal an einer Korrektur des Kollegen Mölle-
mann gelegen, der gerade vor ihm Mittelamerika bereist und sich
für christsozialen Geschmack mit der Bemerkung vergaloppiert
hatte, die USA sollten ihre Unterstützung für die Contra überden-
ken. Das habe er "in eigener Verantwortung" (Mertes) gesagt, wes-
halb Mertes in der Verantwortung der Bundesrepublik den mittel-
amerikanischen Staaten zu bedenken gab, sie könnten "ihre Schwie-
rigkeiten sicher nicht mit Waffengewalt lösen". Pluralis singula-
ris? Irgendwie hat er aber recht, gegen die vor Ort eingesetzten
US-Waffen reichen die nicaraguanischen nie. Zweitens führte sich
Mertes mit der Aufgabe ein, an Ort und Stelle "prüfen" zu müssen,
"ob die jüngsten Vorschläge von Präsident Ortega eine Öffnung
seiner Regierung hin zur Demokratie oder eine neue Taktik des
Sandinistenregimes darstellen".
Die Antwort auf diese "Frage", die er mit dem Außenminister Costa
Ricas stellte, dürfte er schon in Bonn parat gehabt haben.
In Uruguay gab es keine so schwierigen Fragen an den neuen echt
demokratisch gewählten Präsidenten, denn der bürgt rundum für
Kontinuität. "Bezeichnend" für die Vertrauenswürdigkeit "der
neuen Regierung" fanden gutunterrichtete Kreise, daß "wirtschaft-
liche Fragen im Vordergrund der Gespräche" standen: Alle
etablierten Geschäfte laufen ungestört weiter, die neue Regierung
verwaltet den Schuldendienst jetzt demokratisch, d.h. genauso wie
bisher, und Genscher versprach seinerseits, "die Belastung der
Schuldnerländer dürfe politisch, sozial und menschlich
erträgliche Grenzen nicht überschreiten". Die Slumbewohner in
Montevideo werden es ihm zu danken wissen.
Noch ein weiteres Kompliment hat sich die neue-alte Politiker-
garde in Uruguay für ihre "pragmatische" Haltung verdient: Die
Regierung in Montevideo veranstaltet - anders als die argentini-
schen Kollegen gleich gar keine "Abrechnung" mit den Generälen,
das spart politische Reibungsverluste und verheißt weiterhin viel
"Stabilität".
Ähnlich gute Nachrichten konnte wiederum Mertes, mittlerweile in
Managua eingetroffen, nicht weitermelden. Was er dort entdecken
mußte - nicht die durch die Contras verursachten Verluste bei der
Kaffee-Ernte, nicht die dabei angefallenen Leichen, nicht den
akuten Benzinmangel, den die USA durch ein Lieferverbot an Ekua-
dor angeordnet haben, nichts von dem dadurch allenthalben beför-
derten Elend -, waren wieder einmal die beschädigten Menschen-
rechte, beschädigt durch die den USA mißliebige Regierung. So,
Mertes, könne natürlich die schon ewig als eigene europäische Er-
pressung in Aussicht gestellte "europäische Hilfe" nicht gewährt
werden.
Im gleichen Sinne beharkte mittlerweile der Außenminister in Bra-
silia die Vertreter der Contadora-Staaten unter Ausschluß Nicara-
guas. Bei der Klärung, von was für neuen Bedingungen man die
"Friedenslösung für Mittelamerika" abhängig machen, woran man sie
also wieder einmal scheitern lassen kann, paßt der designierte
Störenfried ja nun wirklich nicht dazu. Ortega wurde nachher ver-
arztet. Dann mußte Genscher auch noch den neuen brasilianischen
Präsidenten zu seiner neuen brasilianischen Demokratie beglück-
wünschen, genauso astrein und menschenrechtlich wie die in Uru-
guay, und gleichzeitig auch ein bißchen vor unnützen brasiliani-
schen Eigenbröteleien warnen. Nämlich vor
"einem brasilianischen Protektionismus, der sich hinderlich auf
deutsche Investitionen bei der Hochtechnologie und in der Chemie
auswirkt."
Genscher wollte z.B.
"klären, was Neues mit seiner Äußerung gemeint hat, über die Art
und Weise der Erfüllung der Vereinbarungen über die friedliche
Nutzung der Kernenergie sei erst noch zu sprechen."
Die Verwechslung von einer geänderten Herrschaftstechnik mit ei-
nem größeren Anteil am Profit für die nationale Bourgeoisie kann
der neue Repräsentant des IWF-Klienten Brasilien doch nicht ernst
gemeint haben.
Fast hätten wir es vergessen: Unterwegs ist es dem vielbeschäf-
tigten deutschen Außenminister auch noch gelungen, in Montevideo
einen deutschen Soldatenfriedhof ausfindig zu machen, zwecks
Kranzniederlegung. Bis dahin waren wir im 2. Weltkrieg auch schon
gekommen, bis sich das deutsche Panzerschiff Graf Spee angesichts
einer englischen Übermacht in vorbildlicher Weise selbst ver-
senkte. Das ist das Schöne an den alten Kriege, daß sie überall
deutsche Soldatengräber hinterlassen haben, die man überall pie-
tätvoll-aufdringlich pflegen und zur Veranstaltung von Ermahnun-
gen durch die Geschichte benutzen kann, es beim nächsten Mal bes-
ser zu machen.
Kohl in Moskau
--------------
baute sich derweil pflichtschuldigst an der Bahre des alten Gene-
ralsekretärs auf, um dann den neuen zu inspizieren. Bei seinen
anschließend gleich herausposaunten Erkenntnissen weiß man wieder
überhaupt nicht, was einem daran mehr auf die Nerven geht, die
Bescheuertheit oder die Unverschämtheit.
Keinen Grad weniger dämlich als die Charakterpsychologin der
Bildzeitung, die die Bedeutung der Gorbatschowschen Nasenflügel
für die Weltlage klarstellte, stellte sich der Kanzler vor der
Presse mit seinen Eindrücken in Positur:
"Er ist energisch, willensstark, gut informiert. Ein kraftvoller
und souveräner Mann, der argumentieren kann, der zuhören kann.
Wenn er will, kann er sehr gewinnend und charmant sein. Die In-
teressen seines Landes vertritt er entschieden und hartnäckig.
Ein Mann von natürlicher Autorität."
Glatt ein russisches Kohl-Duplikat. Das allerwichtigste nämlich,
die von Kohl höchstpersönlich zu politischen Ehren gebrachte Le-
bensalter-Politiktheorie, stempelt Gorbatschow unweigerlich zu
einem von gleichem Schrot und Korn:
"Als nicht unwichtig betrachtet Kohl den Umstand, daß Gorbatschow
wie er zu einer Generation gehöre, die den Zweiten Weltkrieg kaum
noch erlebt habe. Er habe mit Gorbatschow sehr offen über die
40jährige Vergangenheit reden können."
Die vom Kanzler offiziell angeführte Begeisterung über den neuen
im Unterschied zum alten Generalsekretär tut gerade so, als ob
jetzt endlich einmal ein Prachtexemplar ganz nach unserem Ge-
schmack in der Sowjetunion nach dem Rechten sehen würde. Es
dürfte sich doch nun wirklich auch bis ins Kanzleramt herumge-
sprochen haben, daß das Politbüro jeweils den neuen Generalsekre-
tär der KPdSU wählt, daß es also ziemlich unwahrscheinlich ist,
daß sich dieselben "alten Herren", die vorher Breschnew unter-
stützt, dann Andropow, dann Tschernenko gewählt haben, nunmehr
einen jungen Spund ausgerechnet deshalb ausgesucht hätten, damit
der ihre ganze bisherige Linie total umkrempelt. Und wenn ein
Kohl mit seinem Geburtsdatum als Argument für den neuen deutschen
Nationalismus agitieren geht, der sich nicht länger für den Fa-
schismus schämen soll, heißt das doch umgekehrt noch lange nicht,
daß auf der anderen Seite das Geburtsdatum einen Gorbatschow im
Unterschied zu seinen Vorgängern dazu prädestiniert, sich über
alle vergangenen und gegenwärtigen deutschen Feindschaftserklä-
rungen an die sowjetische Adresse hinwegzusetzen und sich ganz
unbefangen zum Erfüllungsgehilfen deutscher Politik im Kreml zu
machen. Ob plausibel oder nicht, imperialistisches Wunschdenken
scheint den Kanzler ebenso wie seine Presse zum Charakterpsycho-
logen zu beflügeln. Und wenn auch der Mystizismus dieser Betrach-
tungsweise, die ein komplettes Staats es n mit den Eigenschaften
seines allerobersten Regenten - verwechseln möchte, gar nicht
stimmen kann, einen T e s t a u f d i e W i l l f ä h-
r i g k e i t des politischen Gegenübers veranstalten solche
"Begegnungen" schon. Kohl hat dem neuen Mann bedeutet, allein der
Personenwechsel bzw. seine Nachkriegsjugend seien doch schon
hinreichende Argumente genug für die berechtigte westliche
Aufforderung, sich in Zukunft konzilianter zu zeigen. Sehr
erfolgversprechend ist dieses Vorgehen angesichts der zwischen
Ost und West anstehenden, nur noch militärischen Grundsatzfragen
nicht. Aber dann eröffnet es eben seinen Erfindern in absehbarer
Zeit die Gelegenheit für die Beschwerde, der neue Mann hätte all
das nicht gehalten, was er versprochen hätte.
Seine Gespräche mit anderen Ostblockführern benutzte der Kanzler
gleich auch noch dazu, seinen regierungsamtlichen Optimismus auf
die Vielfalt des gesamten Ostgeschäfts auszudehnen. Was die BRD
dort jeweils an politischen und wirtschaftlichen Konzessionen
herausschlagen will, sind lauter furchtbar nützliche und furcht-
bar gemeinschaftliche Anliegen, die gar nicht anders als blühen
und gedeihen können: mit Honecker "gutnachbarschaftliche Bezie-
hungen" gegen die DDR für Deutschland; mit Jaruzelski immerhin
eine gemeinsame Erklärung, Abrüstung sei gut und die Genfer Ver-
handlungen dafür wichtig; ansonsten leidet der General nämlich an
"Verklemmungen", wenn er uns die Sache mit Schlesien immer noch
übel nimmt; mit Husak schließlich ein "Einverständnis" darüber,
daß das "Waldsterben" mehr tschechischen Einsatz verlangt. Mit
lauter solchen "Erfolgen", mit der angenehme Gewißheit der Viel-
fältigkeit bundesrepublikanischer Einmischung in die Regierungs-
geschäfte des Ostblocks, kehrte der Kanzler dann nach Bonn zu-
rück, während sein Außenminister derweil schon wieder mit der Er-
weiterung der deutschen Einflußsphäre in der anderen Hälfte Euro-
pas beschäftigt war. EG-Außenministerkonferenz, Thema Süderweite-
rung.
zurück