Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
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Geistige Führung
KEIN SCHÖNER LAND IN DIESER ZEIT
Keine Absichtserklärung der neuen Regierung hat unter den Denkern
im Lande mehr Aufregung ausgelöst als die zu einer "geistig-mora-
lischen Erneuerung", auf die sich Helmut Kohl persönlich fest-
legte. Ausgerechnet diese "Birne", dieser Ausbund an Provinziali-
tät - das läßt die professionellen Geistesriesen schier aus der
Haut fahren!
Im Eifer des Gefechts unterlaufen da selbst einem Walter Jens
gleich drei rhetorische Fehlleistungen:
"Als ob man sich, so mir nichts dir nichts, ein 'geistiges Pro-
fil' geben könnte!" (Wieso denn mir nichts dir nichts?) "Als ob
es darauf ankäme, 'interessant' zu werden!" (Darauf soll es Kohl
wohl ankommen?) "Als ob Moral - das Einigungsband von 'Geist' und
'Macht'- ein Maßanzug sei, in den einer hineinschlüpfen könne!"
(Und wenn der Maßanzug einer ist?)
Natürlich, gegen den Anspruch auf "geistige Führung" selbst will
der profilierte Tübinger damit nichts gesagt haben. Wenn ihm auch
nicht gerade anzumerken ist, daß er wüßte, wovon er da so pathe-
tisch redet - immerhin fürchtet er stellvertretend für viele an-
dere seinesgleichen um die hochmoralische Vereinigung solcher Ge-
schwister wie "Macht und Geist, Politik und Moral, Handel und Hu-
manität", die ja nun in ganz unfähige Hände gegeben werden soll.
Er möge sich trösten: D i e s e m Bedürfnis schönfärberischer
Überhöhung der "schweren Zeiten" w i r d Rechnung getragen, und
nicht zu knapp. Was freilich nur für die Macher des Staats und
ihre gelehrten Innenarchitekten ein Trost sein kann.
Stilfragen der Herrschaft
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Die zitierten und ähnliche Redensarten haben schon in ihrem Aus-
gangspunkt nicht ganz recht. Wenn ein Kanzler Kohl sich von sei-
nem Vorgänger durch die ausdrückliche Zuständigkeitserklärung für
die moralische Volksgesundheit abgrenzt, dann ist das bereits der
e r s t e A k t jener "geistigen Führung", auf die ihre ge-
schmäcklerischen Rezensenten immer noch warten. Als ob Kohl seine
Ankündigung durch so etwas wie eine Kulturrevolution einzulösen
hätte, um die Anerkennung seiner Feuilletonisten zu erlangen, ma-
chen sie erstens einen falschen Vergleich zur Selbstdarstellung
Helmut Schmidts auf. Laut "Spiegel" lehnte dieser
"es ab, etwa im Bereich der Kultur oder in dem Bereich, den man
so schön Grundwerte nennt, Entscheidungen zu treffen und von sich
aus Wege aufzuzeigen."
Und sein Nachfolger soll sich dieses anmaßende Programm zugelegt
haben? Der Rückblick stimmt schon nicht: Die Schmidtsche Tour, im
"Geiste" Friedrichs des Großen und getreu der angeblich Popper
abgelauschten "Philosophie des Pragmatismus" als kundiger
"Weltökonom" Kompetenz zu verströmen, war auch nicht eben mora-
lisch zurückhaltend, sondern eine hinreichend arrogante Verbrä-
mung der Herrschaft als sittliche Aufgabe - und keine Wahrheit,
als ob die Ausübung der Regierungsgewalt, auf welchem Gebiet auch
immer, irgendetwas mit "Wege aufzeigen" zu tun gehabt hätte! Der
Ausblick stimmt genausowenig: Wenn Kohl sich als obersten Werte-
pfleger sehen will, der sich "dafür" auch mit den aktuellen Ta-
gesfragen befaßt, dann "maßt" er sich erst einmal keine andere
Selbstgerechtigkeit "an" als der andere Helmut, der sowohl das
Heraushalten aus dem "Bereich der Kultur" als das schlichte
"Machen" der Politik selbst - das seine eigentümliche Qualität
auch nur in dieser Absetzung erhält als nationalen Dienst in des
Wortes preußischster Bedeutung zu verkaufen wußte. Wo die Macht
und ihr Erfolg die Glaubwürdigkeit solcher Stilisierungen verbür-
gen, blamiert sich weder ein "Krisenmanager" noch ein
"moralischer Erneuerer" daran, daß ihm die Originalität abgeht -
wozu sollte die auch gut sein?
Wer sich allerdings die alberne Frage angelegen sein läßt, ob ein
politischer Führer d i e "Rolle" auch "besetzen" kann, die e r
sich auf den Leib schreibt, der kriegt zweitens den tatsächlichen
Fortschritt im Herrschaftsstil, für den Kohl steht, nicht einmal
mit. Programmatische Erklärungen einer Regierung über den Idea-
lismus, die "Wertgebundenheit" ihrer Herrschaft sind schließlich
keine Geistesblitze, die in die Welt gesetzt werden und dann ir-
gendwann ihre "Tragfähigkeit" oder dergleichen beweisen müssen.
Sie sind vielmehr die Bekanntgabe der M a ß s t ä b e, unter
denen ihre praktischen Entscheidungen - deren Zwecke vom Sparpro-
gramm bis zur Aufrüstung kein Geheimnis und deren Folgen für die
Betroffenen kein Honiglecken sind - g e w ü r d i g t und
a k z e p t i e r t werden sollen. Mit dieser Technik (nicht we-
gen ihr!) ist es hierzulande noch jeder Regierung gelungen, ab
sofort nur noch als Erfüllungsgehilfin der von ihr selbst ausge-
rufenen höheren Aufträge beurteilt, gelobt und getadelt zu wer-
den; so daß der Wiederaufstieg Deutschlands zur imperialistischen
Großmacht nacheinander als (inzwischen fernsehreifes) "Abenteuer
Bundesrepublik" von einer Wiederaufbau-, Wiedergutmachungs-, Aus-
söhnungs- und Wirtschaftsgipfelnation goutiert werden konnte, die
heute ganz einfach die Heimat aller guten Deutschen ist - oder in
der auch nicht sinnlos blumigen Sprache Kohls: "dieses unser
Land".
Wer diesen jetzt angesagten Maßstab ziemlich abstrakter, und d.h.
t o t a l e r, Identität von Staat und Volk nicht angreifen,
sondern ausgerechnet seinen obersten Verfechter als mittelmäßigen
Vertreter seiner eigenen Erfindung abqualifzieren will, der be-
weist nur, welche Früchte die geistige Führung bei ihm schon ge-
tragen hat: Was für Ansprüche an seine Verarmungs- und Raketenpo-
litiker meldet wohl einer an, der auf keinen Fall von einer
"Birne" regiert werden möchte? Am Ende löst sich das ganze Getue
um die intellektuelle Brillanz und den sittlichen Wegweisungscha-
rakter Kohlscher "Worthülsen" doch nur in zweierlei auf: Das po-
litisch ventilierte Anliegen, jedes staatliche Gebot als Ver-
pflichtung des kollektiven Anstands auszustaffieren, muß längst
so durchgesetzt sein - und mit ihm die Subsumtion jedes eigenen
Interesses unter einen nationalen Titel -, daß ein Kohl sich bloß
darauf zu berufen, braucht, um es hinfort mit all seiner eindeu-
tigen (nicht, oder höchstens sehr zweckmäßig, beschränkten) Phan-
tasie auszumalen. Mehr, als in dieser Umschweifigkeit den harten
Kern der staatlichen Taxierung des Volks herauszuhören, ist da
zum Verständnis unnötig - und die politischen Geschmackskritiker
mit ihren Verbesserungsvorschlägen sind auch ein Beweis dafür,
wie gut die Botschaften ankommen!
Der Kanzler Kohl
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in der vollen Größe seiner 1,90 m ist überhaupt eine gerade von
den nationalen Kulturpflegern verkannte "geistig-politische" Per-
sönlichkeit. Würden die Feuilletonisten der möglichst raffinier-
ten Herrschaft nicht ständig in der Zwangsvorstellung leben, das
Regierungsgeschäft sei o h n e h i n nichts anderes als das
Theater, das seiner öffentlichen Zurschaustellung dient, hätten
sie schon längst gemerkt, daß diese Sphäre der methodischen
Selbstreflexion der Politik das Betätigungsfeld des Helmut Kohl
ist. Dieser Kanzler praktiziert "geistige Führung", indem er un-
aufhörlich seinen "Auftraggeber", das deutsche Volk, zitiert und
zugleich klarstellt, daß er sich damit auf keinerlei bestimmtes
Vorhaben verpflichtet - eine "Vertrauenswerbung", die ansonsten
Wahlkämpfen vorbehalten ist und als Kohlsche Alltagspraxis für
j e d e n Akt der Politik eine ganz grundsätzliche Zustimmung
einfordert. Das nachdrückliche Verlangen des empfindlichen Main-
zers ist es schließlich - und dieser Gesichtspunkt führt Regie
bei all seinen öffentlichen Auftritten -, daß die Resultate sei-
ner Regierungstätigkeit nur in d e r Hinsicht als von ihm ver-
antwortete Werke beurteilt werden dürfen, als sie geistig-mora-
lisch astrein, persönlich nobel und im tiefsten Glauben an dieses
oder jenes zustande gekommen sind! An die M e t h o d e der po-
litischen Entscheidungen soll jedermann die ihm geläufigen Maß-
stäbe von Anstand und Erfolg nach Herzenslust anlegen und sich
bei jeder Rentenkürzung von den Gewissensgründen und -nöten über-
zeugen lassen, die seine Abgeordneten zweifellos zu diesem bitte-
ren Beschluß veranlaßt haben; darin hat aber auch seine ganze
Befassung mit dem Inhalt dieser Politik zu bestehen. Insofern er-
scheint mittlerweile selbst die schon eingebürgerte Unantastbar-
keit der vielen "Sachnotwendigkeiten" und "-zwänge" in noch radi-
kalerer Betrachtung; der Schein der Krisenbewältigung muß Kohl
wie eine R e l a t i v i e r u n g vorkommen (er nennt das
"Überheblichkeit" oder "mangelnde Ehrlichkeit") - nämlich des
ganz und gar i d e a l i s t i s c h e n Glaubens an die
"Sache" bundesdeutscher Staatsräson, die man sich nicht als
fremde Macht vorstellen, sondern zur eigenen "Herzenssache" ma-
chen soll. Gerade dann, wenn von materiellen Vorteilen nicht ein-
mal mehr ideologisch die Rede ist, wird die M o r a l i t ä t
d e s N a t i o n a l i s m u s pur herausgefordert: für
Deutschland, weil's eh selbstverständlich ist und sich so gehört
- was eine "innere" Befriedigung ganz eigener Art einschließt.
Die Propaganda dieser Haltung bedient sich des Erfolgs aller Vor-
gängerregierungen: Daß Kohl so umstandslos mit dem Schein operie-
ren kann, die Bundesdeutschen hätten überhaupt keine Sorgen mehr
als die eigenen guten Sitten und die ihrer Führung - mitten in
"schweren Zeiten"! -, liegt eben daran, daß sie ihrer Obrigkeit
in der Tat keine anderen Sorgen m a c h e n; daß ihre materi-
elle Unterordnung, ihre Entlohnung oder Freistellung von Arbeit
nach den freien Maßstäben des nationalen Geschäfts nicht mehr or-
ganisiert werden muß, sondern längst g e l a u f e n ist; daß
somit ihre Betroffenheit ganz auf die Abhängigkeit von staatli-
chen Entscheidungen reduziert ist" die von Staats wegen als
u m f a s s e n d e politische Z u s t ä n d i g k e i t re-
klamiert werden kann; so daß jede öffentliche Kenntnisnahme mas-
senhafter Armut - "Probleme"! - schon wieder ein guter Gewissens-
grund mehr ist, der Nation neue Kompetenzen einzuräumen...
Dies alles unterstellt, zeigt die Regierungsführung des Helmut
Kohl keineswegs nichts oder gar einen "uneigentlichen Gestus",
als ob die geistig-moralische "Wende" immer nur beschworen, aber
nie durchgeführt würde; im Gegenteil, den Opfern der Politik wird
sehr klar ihre moralische Würdigung dadurch zuteil, daß Kohl sein
Bekenntnis zu einer von ihnen vollständig emanzipierten Herr-
schaft unter die Leute bringt, also einiges Aufheben von
s e i n e r pflichtbewußten Haltung macht - als gäbe es da Be-
rührungspunkte zum verlangten Gehorsam:
Erstens führt er selbst einige untertänige Gesinnung vor, bezeugt
im Cut der "Würde des Amtes", in einer Blitztour den ausländi-
schen Freunden und mittels Neuwahlen dem geschätzten Volk seinen
Respekt. So daß er nicht nur verdiente Erfolge - keine andern! -
kassieren kann, sondern auch bei allen Vorhaben seiner Regierung
überaus glaubwürdig (notfalls ungefragt und stets indigniert)
versichern kann, diese Entscheidungen fußten auf rein gar nichts
als auf seiner innersten Überzeugung. Zweitens läßt er keine Ge-
legenheit aus, die verdiente Macht auch verdient zu genießen,
freut sich sichtbar an diesem "harten, aber auch schönen Amt"-
und hat Frau Hannelore nicht (wie sein "nüchterner" Vorgänger)
zum Schutz der heimischen Pflanzenwelt, sondern als verläßlichen
Kraftquell stets zur Seite.
Und die M a ß l o s i g k e i t einer Regierung, die die
Staatsmacht zum Ursprung, Wächter und rechtmäßigen Besitzer aller
wahren Moral und Menschlichkeit erklärt, diese "geistig-morali-
sche Erneuerung" einer durch sich selbst unangreifbar gerechtfer-
tigten Herrschaft will niemandem auffallen?
"Generalismus" als geistiges Vorbild
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hat eben nichts damit zu tun, daß dem neuen Kanzler das - auch
nur vorgezeigte "Sachwissen" des alten abgeht. Dumm sind die
Sprüche, die unter seiner Regierung an der Tagesordnung sind,
nicht deswegen, weil sich moralische Urteile auch intelligenter
denken ließen - daß Verstand und der angestrengte Wille zum Mit-
machen nicht zusammenpassen, merkt man immerhin auch den eingangs
angeführten Handels-und-Humanitäts-Duseleien eines Jens an, der
sich damit als Ghostwriter und sonst nichts empfiehlt. Und mora-
lisch banal, Allerweltsweisheiten, sind sie auch nicht deswegen,
weil die neue Staatsmoral eine Art Reformation nötig machen würde
- etwas anderes als "daß jeder tue in seinem Stand, was er schul-
dig ist", wird als Bürgertugend ja gar nicht verlangt; das ist
von Luther und deswegen so banal, weil die Erfüllung dieser
Pflicht auch - und schon gerade nicht - unter Kohl nicht von der
"Einsicht" in ihre tiefsinnige Überzeugungskraft abhängig ge-
macht, sondern von den staatlich organisierten Verhältnissen erz-
wungen wird. Was der "Generalist" Kohl mit seinen Kollegen an
Aufmunterungen und Sinnfälligkeiten unters Volk bringt, ist in
aller Abstraktheit (das macht die Sprüche ja so "simpel" und blu-
mig) vielmehr die Fortsetzung der Selbstgerechtigkeit seiner
Herrschaftstechnik als Lob und Ermahnung der Untertanen: Weil sie
gute Kerle sind und an ihrem Ort eh schon "das Richtige" tun da-
für ist gesorgt! -, müssen sie es nur noch r i c h t i g tun,
um sich die volle Sympathie ihres Staats zu erwerben; richtig
nämlich insofern, als sie sich zu ihren jeweiligen Geschäften, ob
Arbeit oder nicht, als zu sittlichen Pflichten stellen sollen,
deren f r a g l o s e N o t w e n d i g k e i t jenseits aller
Nutzenerwägungen ihnen zur Gesinnungsfrage werden soll.
Der nationale Tugendkatalog bietet sich daher dar als Panoptikum
staatsbürgerlicher Charaktere, in denen das Volk sich wiederer-
kennen soll. Neben dem gewissenhaften Herrscher, den wir schon
hatten, gibt es etwa noch
den fleißigen Arbeiter,
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diese Stütze von Wirtschaft und Aufschwung.
"Die Wirtschaft ist im Kern gesund. Wir haben zwar wenig Boden-
schätze, aber der Reichtum der Bundesrepublik sind der Fleiß, die
Tüchtigkeit und die Kreativität ihrer Bürger Wenn wir (!) das
einsetzen - aber das setzt eben Vertrauen zu sich selbst voraus -
" (nicht zu uns selbst?) "werden wir es (!) schaffen." (Kohl)
Der Arbeitsmann, lässig dem staatsmännischen "Wir" vereinnahmt,
das mit einem "Es" im Clinch liegt, wird da weder einfach gelobt
- fleißig und tüchtig usw. - noch einfach getadelt - setzt sich
nicht ein -; stattdessen soll er a n s i c h g l a u b e n -
Vertrauen zu sich selbst -, den Rest erledigt der "gesunde Kern"
alleine. Was wird den Leuten da überhaupt ans Herz gelegt? Doch
nur eines: Wie es i h n e n beim Einsatz ihrer lobenswerten
Qualitäten geht, soll sie nicht in der verlangten Absicht er-
schüttern, weiterhin ihren B e i t r a g zum "den Aufschwung
schaffen" zu leisten. Das adelt nämlich moralisch: Selbstver-
trauen! Wer Schwierigkeiten damit hat, wende sich an
seine bewundernswerte Frau,
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deren Rolle als Armutsexpertin in jeder erdenklichen Hinsicht gar
nicht unterschätzt werden kann. Erstens generell:
"Deshalb müssen wir alle wieder lernen, zusammenzustehen. In
guten wie in schlechten Tagen - das gilt für die Ehe wie für den
Staat. Vielleicht hilft die Frau mit, für den Mann einen Arbeits-
platz zu finden. Krisen schweißen doch zusammen!" (Kohl)
Hier wird souverän von der offiziell angeordneten Tilgung jeder
Differenz zwischen Privatleben und Staat Gebrauch gemacht, so daß
man ein politisches Verarmungsprogramm ebenso zu sehen und zu be-
handeln hat wie eine Grippe, wo einem ja "auch" der heiße Tee ans
Bett gebracht wird - doch wohl nicht vom Staat? Dies eingesehen,
sollen die Ehefrauen die leere Familienkasse nicht nur durch Ein-
fühlungsvermögen oder Erfindungsreichtum (Arbeitsplatz für den
Mann finden?) kompensieren, sondern ihre gelernten Einteilungs-
künste - darauf läuft es ja irgendwie hinaus - als
E h r e n p f l i c h t im Dienste der F a m i l i e verste-
hen. Wenn's Kinder gibt, kann die Frau zweitens sogar dasselbe
als soziale Aufwertung genießen, wenigstens moralisch:
"Es ist schon bewundernswert, wenn eine Frau sich entscheidet:
die Kinder brauchen mich - ich bleibe zu Hause. Und ich finde es
unerträglich, daß sie für dieses Opfer auch noch bestraft wird,
indem man abwertend von der Nur-Hausfrau spricht."
Klar, wer alle eigenen Interessen für Mann und Kinder opfert,
weil ihm eh nicht viel alternative "Entscheidungen" übrigbleiben,
hat Anspruch - auf einen n a t i o n a l e n
E h r e n t i t e l. Womit Kohl natürlich wieder zu erkennen
gibt, daß das ganze Problem nur wegen des S t a a t s überhaupt
eins der F a m i l i e ist - diesen Zusammenhang läßt er nur
nicht gelten! Er sieht ihn umgekehrt in der dritten weiblichen
Funktion:
"Das Ja zum Kind ist auch ein Ja zum Optimismus" (ein Ja zum Ja?)
"zur Lebensfreude - zur Zukunft Deutschlands"
In der moralischen Verdopplung geschehen Staatsakte eben sogar da
noch, wo man sie am wenigsten vermutet: Die Frauen werden ihrem
Kanzler womöglich - das ist natürlich die Grundlage solcher Un-
verschämtheiten noch dankbar dafür sein, daß er das Kinderkriegen
als positivste G e s i n n u n g s leistung überhaupt hochleben
läßt, von der die "Lebensfreude" nicht minder abhängt als die
"Zukunft Deutschlands". Wer die Frau auf diese Weise, die
"Trümmerfrauen" hat er ja auch schon mal gefeiert, als
f u n k t i o n a l s t e s S t a a t s w e r k z e u g an und
für sich belobigt, kann seine Gratulation dann viertens auch als
ganz persönlichen Eindruck wiedergeben:
"Ich finde, daß es in der Bundesrepublik außer ordentlich viele
attraktive und schöne Frauen gibt."
Als Scherzwort schiebt er nach, wie er diesen Umstand ganz ernst-
haft betrachtet - die übrigen Tugendreden haben es ja bewiesen:
"Das gehört auch zum natürlichen (!) Reichtum (!) unseres Lan-
des."
Die Staatsfamilie wäre unvollständig ohne
die vielversprechende Jugend,
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die das erst einmal dadurch ist, daß sie sich für alles, was ihr
Staat mit ihr vorhat, gutwillig zur Verfügung hält - ins Erwerbs-
leben eingespannt ist sie ja noch nicht. Der Bundespräsident ist
da optimistisch:
"Ich habe sehr viele Kontakte zu dieser jungen Generation. Nach
meiner Erfahrung sind sie alle, von ganz wenigen Ausnahmen abge-
sehen, zum Dialog bereit."
Genau wie beim "Ja zum Kind" gilt hier, daß kleinere Verdrehungen
das Geschäft mit der moralischen Botschaft beleben: Weder geht
das Interesse eines Carstens an "Dialogen" mit "der Jugend" über
TV-wirksame small talks auf Sommerfesten oder ähnliches hinaus -
sein tatsächliches Interesse an einem "konstruktiven" Nachwuchs
bezieht sich ja wohl auf handfestere Aufgaben, die für diesen
vorgesehen sind. Noch lauert die junge Generation, so sehr sie
sich staatlichen Ansinnen auch nicht verweigern mag, auf nichts
eher als auf einen "Dialog", dessen enormen Sinn sie ja auch ir-
gendwie kennt. Aber nachdem auch niemand das Gelaber eines
Staatsmanns nach seiner Objektivität beurteilt, ist hinreichend
deutlich, daß Carstens Feststellung von "Dialogbereitschaft" 1.
ein A n s p r u c h ist und 2. einer auf Z u s t i m m u n g,
wozu auch immer - das letztere erkennt man schlicht daran, daß
die konstruktive Haltung schon eingefordert wird, b e v o r
überhaupt ein Inhalt zur Rede steht. Das heißt umgekehrt gar
nicht, daß die geistigen Führer der Nation solche Inhalte scham-
haft verschweigen müßten - sind sie doch unter der moralischen
Maxime angetreten: Was wir wollen, brauchen wir nicht zu verstec-
ken.
Und einen "Ehrendienst" wollen sie schon gleich nicht verstecken,
als ob dessen personelle und materielle Ausstattung in der Ver-
gangenheit geradezu im Halbdunkel vor sich gegangen wäre:
"Es gibt nichts Selbstverständlicheres, als daß junge Menschen
öffentlich geloben, ihren Dienst" (klar, welchen) "für die frei-
heitlich-demokratische Grundordnung zu tun. ... (Zu den öffentli-
chen Rekrutengelöbnissen:) Nach meinen Erfahrungen kann ich nur
sagen, da hat der junge Mensch sehr wohl nicht nur einen Zugang,
sondern gelegentlich sogar ein Bedürfnis. Auch der Große Zapfen-
streich..." (Wörner)
So sind sie, die volksnahen Politiker: Während sie den "Privat-
interessen" ihrer Schäfchen frohgemute Verzichtsbereitschaft und
ein bißchen Tapferkeit anraten, erfüllen sie mit den
Selbstverständlichkeiten der Präsentation ihrer drittgrößten Mi-
litärmacht der Welt glatt ein Bedürfnis - "des jungen Menschen",
versteht sich!
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