Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht


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BIST DU OPTIMISTISCH UND WAS HÄLTST DU VON DEM OPTIMISMUS, DEN DER KANZLER VERBREITET?

In seiner Neujahrsrede - und seitdem immer wieder bei jeder sich bietenden Gelegenheit - verkündete der Kanzler, ohne da er sich dazu bei seinem Volke extra hätte erkundigen müssen: "Zuversicht und Optimismus sind überall spürbar." Im Januar überprüfte die "Münchner Hochschulzeitung" der MARXISTISCHEN GRUPPE (MG) mit ei- ner Umfrage unter Studenten der Ludwig-Maximilians-Universität wie die Frohbotschaft des Kohl unter den angehenden Akademikern angekommen ist. Der Bundeskanzler hat mit seiner "Diagnose" zur Stimmungslage der Nation den politischen Anspruch in die Welt gesetzt, jenseits ei- nes Urteils darüber, was man als Untergebener dieses feinen Man- nes von seinem Mitmachen hat, und trotz der keineswegs von ihm verschwiegenen Härten ("harte Arbeit", "Opfer", "Not" usf.), die er für sein Volk auch im kommenden Jahr vorgesehen hat, eine po- sitive Lebenseinstellung zu pflegen. Also, ohne Wenn und Aber den Anforderungen der Politik entsprechen, den eigenen Schaden, den sie einem bereitet, dulden - und dabei die gute Laune nicht ver- lieren, lautet die Parole von oben. Wir wollten wissen, ob es un- ter den studierten Menschen welche gibt, die in dem Kanzleropti- mismus den unverschämten Anspruch entdeckt haben, sich als Adres- sat dieses Ansinnens wissen und dementsprechend die Frage, wie sie es denn nun mit dem Optimismus halten, von sich weisen. Kurzum: Wir wollten wissen, ob jemand den Unterschied zwischen sich und seiner Herrschaft kennt. "Bist Du optimistisch?" ----------------------- Was den ersten Teil unserer Frage betrifft, so sind die Antworten - mit einer hoffnungsvollen Ausnahme: "Blöde Frage!" - recht ein- heitlich ausgefallen. Jeder hatte sich schon einmal in dieser An- gelegenheit ausgeforscht, eine Lebenseinstellung haben dabei alle in sich entdeckt, und die große Mehrheit eben eine positive. Bist Du optimistisch? - "Ja, sehr", "Grundsätzlich ja", "Relativ ja". (Dagegen hingegen bzw. dafür die Antwort: "Nein, realistisch, aber es ist besser als den Kopf hängen zu lassen.") Ganz selbst- verständlich ist es den Befragten offenbar, Erwartungen zu hegen und zwar bezüglich der reichlich abstrakten Frage, ob es besser wird oder nicht. Diese Erwartungen, so gegenstandslos wie sie nun einmal sind, sind keine Prognosen, die auf Wissen über die Weltenläufe und ihre maßgeblichen Instanzen gegründet sind, son- dern der ganz und gar grundlose Glaube an eine - positive oder negative - Zukunftsperspektive; ein Glaube, der nur von einem zeugt: daß der Umstand, daß andere Subjekte über die Geschicke der eigenen Person entscheiden, für eine nicht weiter bedenkens- werte Selbstverständlichkeit gehalten wird, auf die man sich ein- zustellen und der man sich anzupassen hat. Der Optimismus ist quasi die einfachere Variante dieser untertä- nigen Haltung - und darin offenbar dem Geisteszustand des gelehr- ten Volks angemessener -, denn man muß sich schon prinzipiell gut aufgehoben wissen in den Händen der maßgeblichen Instanzen, wenn man ihnen die Entscheidung über die eigene Zukunft überläßt und sich zu diesen Entscheidungen wie zu Naturgegebenheiten stellt. Gründe für eine Haltung, die sich zur Grundlosigkeit bekennt ------------------------------------------------------------ Eine ziemlich haltlose Haltung - wie Gründe für den Optimismus, die uns genannt wurden, zeigen. Der Beitrag, der noch am sach- lichsten sein wollte - "Es geht den Leuten wieder etwas besser, glaube ich, als noch vor zwei Jahren, könnte ich mir vorstellen." -, war bezeichnenderweise gerade sachlich gesehen ziemlich abwe- gig; aber der Befragte war sich seiner Sache ja auch nicht si- cher. Der Rest erging sich in den schönsten Tautologien: "Ich glaube schon, daß ich optimistisch bin. Das liegt an meiner Grundhaltung.", meinte eine Studentin und war darin auch nicht dümmer als ein Professor, der uns über den Weg lief: "Grundsätzlich ja, ich bin Optimist, darin können Sie sich sicher sein, weil ich eine grundsätzlich positive Lebenseinstellung habe, weil ich ein Mensch bin, der vom Vertrauen und Glauben und von der Zuversicht eine Menge hält." Und sein Kollege vertrat gar die Auffassung, bei ihm sei Optimis- mus so etwas wie eine "Veranlagung". Vielleicht sollte er sich einmal untersuchen lassen. Gemeinsam war den Antworten, daß die Befragten offenbar selbst keinen guten Grund für ihren Optimismus wissen. Etwas Positiveres als die eigene positive Einstellung zur Welt konnte jedenfalls keiner von ihnen als Grund für eine posi- tive Einstellung zur Welt angeben; wozu unsere Hypothese lautet: Dann wird es wohl so sein, daß der Optimismus nur psychologische Gründe auf seiner Seite hat. Dies wird auch bestätigt durch die Bedeutung, die die Befragten ihrer positiven Lebenseinstellung zumessen: "Weil ich sonst kaum eine Möglichkeit sehe, zu leben." meinte ein Student. Und ein anderer: "Warum? Ja warum soll man es nicht sein? Du brauchst doch eine Perspektive." Und eine Studentin meinte sogar: "Es lebt sich einfacher." Wie das? - möchte man fragen. Die Befragten scheinen der befremd- lichen Auffassung zu sein, daß ihr Optimismus so etwas wie ein Lebensmittel für sie ist. Der Gebrauchswert dieses Lebensmittels, das in gar nichts anderem besteht als in der Interpretation des eigenen Lebens, also an diesem auch nichts ändert, muß - würden wir eine weitere Hypothese wagen - irgendwie darin bestehen, daß sich das Untertanendasein besser aushalten läßt, wenn man sich über die Zukunft dieses Daseins etwas vormacht. Mit einer solchen positiven Deutung des eigenen Daseins bleibt wenigstens der See- lenhaushalt in Ordnung, wenn auch der Geist dafür einige Verren- kungen anstellen muß: "Ich rede mir ein, optimistisch in die Zukunft zu blicken, weil es bringt ja nichts, pessimistisch zu sein, weil dann geht es (?) sicher in die Hose." Irgendwie scheint die Studentin, die uns diese Mitteilung machte, von sich das Bewußtsein zu haben, es nicht sonderlich gut getrof- fen zu haben. Das macht ihr aber anscheinend nichts aus, weil sie die psychologische Kunst des Selbstbetrugs beherrscht. So kann wenigstens ihre eine Hälfte, die sich von der anderen gerne etwas einreden läßt, optimistisch in die Zukunft blicken. Unerwähnt bleiben soll jedoch auch nicht die kleine Minderheit von Pessimisten, die die Universität bevölkert. Das ist ein Men- schenschlag, der lieber von - ebenso grundlosen - schlechten Zu- kunftserwartungen ausgeht, weil ihn dann nichts mehr enttäuschen kann. Dazu der folgende repräsentative Einzelfall: "Ich bin eher Pessimist. Ich müßte differenzieren. Pessimistisch bin ich in bezug auf die allgemeine Weltlage, die Möglichkeiten innerhalb der bestehenden Grenzen unserer Kultur zu besseren Lö- sungen zu kommen. Optimistisch wäre ich dagegen, wenn andere Lö- sungsansätze verwirklicht würden." Dieser Student hat schlimme Vorahnungen. Er weiß nicht, wie "es" weitergehen soll, außer "es" ginge anders weiter, dann würde er auch wieder hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Seine Welt- und Kulturanalyse interpretieren wir nicht dahingehend, daß die Pessimisten auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren, son- dern daß sie eben Optimisten sind, die ihren Optimismus wasser- dicht gemacht haben: Man kann sie durch nichts mehr aus der Ruhe bringen, weil sie mit dem Schlimmsten rechnen; und gemessen an dieser Zukunftsvorstellung können dann auch sie wieder erwar- tungsfroh in die Zukunft blicken. "Und der Kanzleroptimismus" --------------------------- Merkwürdigerweise hält die gleiche große Mehrheit, die selber op- timistisch in die Zukunft blickt, nichts davon, wenn der Kanzler dasselbe tut. Abgesehen von einem Studenten der Betriebswirt- schaft, der die Auffassung vertrat, "der Wirtschaftsaufschwung (gebe) dem Kanzler schon recht", befindet man den Optimismus des Kanzlers für "eher lächerlich", "oberflächlich", "naiv", für "gefährlich" gar oder mindestens für keinen echten Optimismus: "Der stimmt nicht. Das ist ein falscher Optimismus, würde ich sa- gen. Der haut nicht hin." Der Verdacht, ein Betrug könnte hinter dem Frohsinn des Kanzlers stecken, wurde mehrmals geäußert. Und wenn man auch nicht genau sagen konnte, wer da der Betrogene ist "Betrug, Propaganda oder auch Selbstbetrug wahrscheinlich" -, so herrscht auf seiten der Befragten jedenfalls die Bereitschaft vor, sich vom Kanzler betrügen zu lassen, und der Wunsch, dies möge geschickter bewerkstelligt werden: "Der macht mich nicht an. Der kommt bei mir nicht an. Er lacht zwar unheimlich viel, aber es kommt nichts rüber." -, meinte eine Studentin, die offenbar der Auffassung war, daß der Kanzler dazu da sei, sie bei Laune zu halten, diesem Anliegen auch durchaus aufgeschlossen war, nur in der Person Kohls das nö- tige Geschick fürs Einseifen vermißte. Daß Kohl die Ansprüche des gehobenen intellektuellen Gemüts an seine Herrschaft nicht be- friedigt, ist der gemeinsame Nenner dieser Meinungsäußerungen, und alles deutet darauf hin, daß die Befragten den Bundeskanzler an dem für die politische Gewaltausübung ziemlich abseitigen Maß- stab ihrer eigenen intellektuellen Großartigkeit messen und da- nach beurteilen. Gescheit ist dies nicht gerade, besitzt der Kanzler doch in seiner Macht und nicht in seiner Schlauheit das nötige Mittel zur Durchsetzung seiner politischen Zwecke, die ebenfalls wenig mit Geist und Vernunft, dafür um so mehr mit der Freiheit des Kapitals und ihrer gewaltsamen Durchsetzung zu tun haben. Aber Intellektuelle gefallen sich eben darin, den Schein zu erzeugen, ihre Zustimmung zu und ihre Unterwerfung unter das von der Politik Gebotene davon abhängig zu machen, daß die regie- renden Herrschaften ihren intellektuellen Geschmack nicht verlet- zen. Man möchte sich - von gleich zu gleich mit seinen obersten Dienstherren identifizieren können, also das Verhältnis der Un- terordnung als geistige Übereinstimung interpretieren können. Und wo diesem untertänigen Bedürfnis die Herrschaften nicht angemes- sen erscheinen, da fingieren Intellektuelle lieber eine Distanz zu den Politikern: Von einem Kohl jedenfalls läßt man sich den Optimismus nicht als adäquate Gesinnung vorschreiben - optimi- stisch ist man vielmehr, weil man sich selbst dazu entschlossen hat. Welch ein Gegensatz! Fazit: Zynismus von oben - die entsprechende Dummheit von unten --------------------------------------------------------------- Im Aufdecken einer politischen Heuchelei und in der Kritik des politischen Zynismus, den Opfern demokratischer Politik zu emp- fehlen, ihrem Schaden nicht auf den Grund zu gehen, sondern sich mit tröstlichen Illusionen über ihre Zukunft weiterzuhelfen, ha- ben sich die Befragten nicht gerade hervorgetan. Wir haben den Verdacht, daß sie noch nicht einmal wissen, daß die Neujahrsrede des Bundeskanzlers etwas anderes ist, als die Meinung des Bundes- kanzlers; nämlich ein politischer Beschluß. Sicher sind wir uns darin, daß sie keine Ahnung haben davon, daß der Herr Bundeskanz- ler mit seinem Plädoyer für mehr Optimismus die ihm angenehme Stellung der Bevölkerung zu einem Kriegsprogramm verkündet. Und mit der Einsicht, daß sie als Menschenmaterial für dieses Pro- gramm vorgesehen sind, können sie wahrscheinlich gar nichts an- fangen. Ebensowenig wie mit der Wahrheit, daß sie sich mit ihrem Optimismus, den sie mit ach so vielen inhaltsleeren Vorbehalten gegenüber der offiziell verordneten Gesinnung pflegen, zu eben diesem Menschenmaterial erklären. So passen Zynismus von oben und Dummheit von unten zusammen. zurück