Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht
zurück Bundesdeutsche Ideologien '83 Die bundesdeutsche Republik besitzt einen seltsamen Staatsfeier- tag. Sie begeht feierlich einen Arbeiteraufstand in der DDR. Nicht, weil sie f ü r a u f s t ä n d i s c h e A r b e i t e r viel übrig hätte. Sondern weil sie den aufmüp- figen Nationalismus von D D R-Bürgern als Berechtigungsausweis für i h r e n A n s p r u c h schätzt, den Ostblock unter das Diktat der westlichen Freiheit zu beugen. Ein Anspruch, der - wie jeder weiß - ohne Krieg nicht durchzusetzen ist, deswegen aber erst recht nicht preisgegeben werden darf. Er beherrscht die Di- plomatie der Nation und das falsche Bewußtsein ihrer Untertanen.UNRECHTSSTAAT
Ein "Unrechtsstaat" ist er, der andere deutsche jenseits von "Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl", ein einziges großes "Völkergefängnis" mit Wahlen, die alles bloß nicht "rechtmäßig" sind, und einer Presse, die überhaupt keine Rechte besitzt; seine Regierung heißt "Regime" und sein Volk leidet darunter, daß ihm jedes Menschenrecht abgeht - ein solches Urteil hält sich noch jeder anständige Bundesdeutsche über die DDR, die er (mit die An- führungszeichen und das Wörtchen "sogenannt" aus dem Vokabular der offiziellen Diplomatie gestrichen worden sind) immer nur mit diesen drei Buchstaben kennzeichnen mag, um ihr so abzusprechen, eine rechtmässige deutsche und demokratische und Republik zu sein. Der Umstand, daß der Staat da drüben auch tagtäglich R e c h t über seine Bürger spricht, ebenso ein Gesetzbuch vorzuweisen hat, das die Pflichten seiner Untertanen säuberlich auflistet, ist den Kritikern des "Unrechtstaates" sicher nicht unbekannt. Nur halten sie so etwas nicht für einen Hinweis auf die Gemeinsamkeit östli- cher und westlicher Herrschaftsinteressen, sondern für nichtig angesichts der prinzipiellen Unterscheidung, die sie getroffen haben. Und die hat rein gar nichts zu tun mit den tatsächlichen Unterschieden zwischen den politischen Interessen einer bürgerli- chen Staatsgewalt, die sich die Durchsetzung der Gesetze der Ka- pitalakkumulation zum Inhalt macht, und denen einer sozialisti- schen Staatsmacht, die den Gegensatz von Akkumulation ihrer Wirt- schaft und Konsumtion ihrer Bürger in eigener Regie austragen will. Wer die DDR "Unrechtsstaat" tituliert, hält die A b w e s e n h e i t der bürgerlichen Freiheitsrechte und des demokratischen Procedere, wie sie der BRD eigen sind, für ein Ur- teil über die DDR, und zwar für ein vernichtendes, weil ihm das hiesige Staatswesen von vornherein als d a s r e c h t m ä ß i g e gilt, an dem gemessen es die da drüben nie rechtmachen können. Beweisen läßt sich dieses Vorurteil, wenn man es hat, ein- ums anderemal, und Fernsehen und Zeitungen führen tagtäglich vor, wie das mit traumwandlerischer Sicherheit zu ma- chen geht: - Aktuelles Anschauungsmaterial ist in den letzten Wochen jener Tod an der Grenze gewesen, der zunächst als "Mord" Zeugnis ab- legte von der Menschenverachtung des östlichen Systems. Später - als es sich heraus, daß es nun wirklich keiner war hielt er dafür her, jene brutalen Behandlungsmethoden der DDR-Staatsbeamten zu entdecken, bei denen es jederzeit zum Tod eines Opfers kommen k ö n n t e. Die Absicht, die Gleichung Mord = typisch DDR durchzubuchstabieren, läßt sich eben auch ohne vorliegenden Mord verwirklichen. Ganz anders und auch noch nicht lange her: die Abwicklung jenes Todes in Gauting, der zunächst die Frage nach dem Verschulden des Opfers aufwarf und in eine Debatte um die Problematik von "Todesschüssen unserer Polizisten" mündete: ob sie nicht zu schnell schießen, wurde gefragt; daß sie manchmal ganz schnell schießen müssen, wurde eingeräumt; daß das ein sehr schwieriges Problem sei, wurde allen so klar. Und: "unsere" Staatsgewalt mor- det eben nicht - eine Feststellung, auf die man gerade kommt, wenn mal wieder einer erschossen worden ist. - Bei den Grenzkontrollen der DDR handelt es sich um "Grenzschikanen"; auf den Transitstrecken wimmelt es nur so von "heimtückisch verborgenen" Radarfallen - das gehört seit einiger Zeit zu den üblich gewordenen bundesdeutschen Sprachregelungen. Denn so wird dem Urteil, daß es sich bei den Machthabern da drü- ben um eine Willkürherrschaft mit Lust am Bürger-Terrorisieren handelt, gleich ganz zwanglos mitgeliefert. Dazu passend: jene in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Fernsehberichte von dem braven Mann an unserem Zoll, der in ge- treuer Erfüllung seiner schwierigen Pflicht gerade einem ganz un- scheinbar aussehenden Touristen ein paar Gramm Haschisch aus dem Autotank gepolkt hat; der tapfer seinen Mann steht, gegen eine steigende Flut illegaler Asylbewerber; der in jeder Minute von einem flüchtigen Terroristen umgelegt werden könnte... - Die Illegitimität der DDR-Staatsgewalt offenbart sich einem hiesigen Beobachter nie eindeutiger als dann, wenn drüben gewählt wird: keine wahren Alternativen werden da registriert, pure Ak- klamationsveranstaltungen enttarnt und die Zustimmungsquote von über 90% als in jeder Hinsicht verdächtiges Indiz gewertet: sol- che Wahlen seien von vorn bis hinten Instrument der Herrschenden und nicht der Bürger. Wenn hierzulande Kohl und Vogel beschließen, sich wählen zu las- sen, ist das ganz anders. Dann heißen 90% Wahlbeteiligung "Konsens der Demokraten", der "erfreulich stabil" ist seit 30 Jahren. Daß Alternativen keine Chance haben, ist zu nichts an- derem Anlaß als zu der Sorge, deswegen k ö n n t e n sie viel- leicht mal eine haben. Dem Wähler gilt der Glückwunsch, daß er so frei gewesen ist, seiner Staatsgewalt die Legitimität zu beschei- nigen - vorausgesetzt, er war nicht so unbedacht, schwankende Mehrheiten zu ermöglichen und damit ganze Teile der Republik auf Wochen hinaus glatt "u n r e g i e r b a r" zu machen... - Auch an den Verfahrenstechniken des Staatsapparats stellt jeder national geübte Betrachter grundlegende Unterschiede fest. Drüben langweilige Volkskammer-Sitzungen mit vorher sicheren Abstim- mungsergebnissen; die eigentlichen Entscheidungen fallen im Po- litbüro hinter verschlossenen Türen - eben Partei-Diktatur. Hierzulande parlamentarische Demokratie mit der ewig spannenden Frage, was die Gewissenserforschung eines jeden Abgeordneten zu- wegebringt; Ausschüsse "im Hintergrund", deren Mauscheleien einem ganzen Heer von Enthüllungsjournalisten Arbeit und Brot geben; Aufregung auf allen Kanälen, wenn die Wahl eines Parteivorsitzen- den einmal nicht von vorneherein feststeht... - Schließlich: Wie unrecht der "Unrechtsstaat" hat, woran läßt es sich schöner beweisen als an den aufrechten Leuten, die gegen ihn opponieren und die der Staat nicht läßt, die er womöglich sogar noch ausweist! Wie sehr dagegen hat der Rechtsstaat das Recht, sich vor seinen Feinden zu schützen, mit allen Mitteln, denn die sind ja auch rechtsstaatlich. Sollen die Kritiker doch nach drüben gehen! Der Sache nach unterscheiden sich die Machenschaften der Staats- gewalten also gar nicht so sehr, die als Lieblings-Belege für die prinzipielle Differenz zwischen DDR und BRD im Umlauf sind. Diese Differenz ergibt sich ganz allein darüber, daß die hiesige DDR- Beurteilung den Maßnahmen des östlichen Staates genau das nicht zugestehen will, was sie dem westlichen Staat so freizügig zubil- ligt: die Weihe, im Namen einer höheren Rechtmäßigkeit, als An- walt von ewigen menschlichen Rechten zu handeln. So entdeckt man drüben allenthalben das "bloße" Machtinteresse der Staatsgewalt - als hätten ausgerechnet die drüben herrschenden revisionistischen Parteien gar keine politischen Zwecke, die sie mit der Staatsge- walt verfolgen, außer dem, Menschen zu unterdrücken. Hierzulande stellt man sich dagegen die Staatsgewalt als der Verpflichtung auf Legitimität untergeordnete vor - als wäre die Rechtsförmig- keit Ober-Zweck und nicht Art und Weise der Durchsetzung staatli- cher Zwecke, und als gäbe es vor lauter guten Absichten die Staats g e w a l t gar nicht mehr. Daß es für den jeweiligen Untertan von so ganz entscheidender Be- deutung sei, ob er nun in einem freiheitlichen Rechtsstaat zu ar- beiten und zu leben habe oder im realen Sozialismus, ist nichts anderes als ein interessiertes und deswegen weitverbreitetes Ge- rücht. In gekonnter Absehung davon, daß der Arbeitstag des DDR- Kollegen ziemlich genau wie der seinige abzulaufen pflegt, kennt ein BRD-Bürger das Hohe Lied von der - "Freizügigkeit", die er genießt - auch wenn er noch nie einen ernsthaften Gedanken an eine Auswanderung verschwendet hat und sich gerade überlegt, ob das Geld für den Urlaub dieses Jahr auch reicht - ebenso auswendig wie das von der - "Meinungsfreiheit", die ihm eine Kritik an seinem Staat erlau- ben würde, wenn er sie hätte (und die er deswegen mit Vorliebe gegen jeden ins Feld fahren soll, der etwas kritisieren will.) Und dies ist nicht irgendeine unmaßgebliche Meinung, sondern d a s offizielle BRD-Urteil über den Staat jenseits der Elbe und weit mehr als eine bloße Anklage. Nicht irgendwelche Prinzipien eines "ordentlichen Staatswesens", sondern s i c h s e l b s t hat der bundesdeutsche Staat zum Maßstab genommen, nach dem er die DDR besichtigt, so daß der ganze Schein einer Beurteilung der Verhältnisse bei den "Brüdern und Schwestern" einzig dazu dient, zu einer e x i s t e n z i e l l e n V e r u r t e i l u n g des zweiten deutschen Staats zu gelangen. Die BRD ist so Ankläger und Richter in einem, und ihr - von jedem Pennäler schon nachge- plapperter - Spruch lautet, daß das Regime der Herren Honecker und Co. kein Daseinsrecht besitze. Neu ist dieses Verdikt in der bundesdeutschen Geschichte nicht, im Gegenteil: von der "SBZ", der "sog." "DDR", dem "Gebilde auf deutschem Boden" bis zum "unnormalen Staat" haben sich nur die Formeln geändert, in denen es vorgebracht wird. Der praktische Vollzug steht noch an - und für, die Lösung dieser "Aufgabe" ihrer Deutschlandpolitik hat sich die BRD bestens gerüstet. "Im Recht" ist sie allemal. Die so bedingungslos gute Meinung über den bundesdeutschen Rechtsstaat, der seinen Bürgern so viel Rechte gewährt, von denen dann täglich zu lesen ist, welche Pflichten sie beinhalten, und eine Freiheit schenkt, die vor allem dazu da ist, nicht miß- braucht zu werden, taugt dann auch blendend zu einer ebenso be- dingungslos schlechten Meinung über den deutschen Alternativ- staat: Mit der gleichen Prinzipienfestigkeit, mit der man am ei- genen Staat nichts aussetzen mag, jede seiner politischen Unter- nehmungen für gerechtfertigt befindet, weil er ein Rechtsstaat ist, hat man am anderen alles anzuklagen. Ganz gleichgültig, was er gerade tut, er ist und bleibt eben ein "Unrechtsstaat". *** Folgende schöne Geschichte gab Politologe LEHMANN in seiner Vor- lesung anläßlich der Entstehungsgeschichte der Einheitspartei SED zum besten. Zwar, so LEHMANN, könne man an sich nicht direkt sa- gen, daß die Verbindung von SPD und KPD zur SED per Zwang erfolgt sei, aber irgendwie wiederum doch. Denn die Geschichte habe sich so zugetragen, daß die Vertreter der SPD seitens der KPD zu einem Gelage eingeladen werden (inmitten der Nachkriegszeit, wie LEH- MANN betonte: die Menschen alle ausgehungert und ausgedurstet), auf dem die (natürlich!) auch anwesenden Genossen aus Moskau den Wodka reichlich fließen ließen, bis - ja bis es dann eben zu dem Ergebnis kam, daß ein dementsprechender Vertrag unterschrieben wurde. Alles, wie gesagt, nicht, um sagen zu wollen, daß es di- rekt offenkundig unrechtmäßig zugegangen wäre damals. Was lernen wir daraus? Bei Partei- und Staatsgründung der DDR kann es einfach nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Fol- gende Möglichkeit vergaß Herr LEHMANN dabei allerdings zu erwäh- nen. Warum kappt der Westen denn nicht einfach die seit damals fest installierte Wodka-Pipeline von Westsibirien direkt ins Po- litbüro? zurück