Quelle: Archiv MG - BRD ALLGEMEIN - Auf dem Weg zur Weltmacht


       zurück

       Münchner Hochschulzeitung Nr. 19, 06.07.1983
       
       Leserbriefe zum Thema "Systemvergleich"
       

BRD: "VERGLEICHSWEISE BESSER"

Unser wöchentlicher Kampf gegen akademisch gebildete Weltfremd- heit und staatsbürgerlich verbildete Auffassungen vom politischen Geschehen verletzt den Publikumsgeschmack offenbar - wie unser Leserbriefkasten zeigt - immer dann am meisten, wenn wir uns der hierzulande üblichen Aburteilung des sowjetischen Herrschaftssy- stems und insbesondere der DDR nicht anschließen. Denn w e n i g s t e n s v e r g l e i c h s w e i s e gut will es noch jeder getroffen haben; der an seiner demokratischen Heimat ansonsten jede Menge Kritik zu haben behauptet. Und auf dieser Einschätzung bestehen BRD-Bürger mit einer Erbitterung, die große Zweifel daran weckt, ob wirkliche Zufriedenheit mit den eigenen Lebensverhältnissen sich darin äußert - oder nicht vielmehr das erbitterte Festhalten an der Lüge, auf die der bundesdeutsche Na- tionalismus und noch der Gehorsam gegen Kohl, Genscher, Strauß und sonstige Gespanne seinen Freiheitsstolz gründet. Aus gegebenem Anlaß hier noch einmal schriftlich die Gründe, wes- halb wir von den gängigen "Theorien" über die DDR nichts halten: - "Hier geht's den Leuten besser!" ---------------------------------- Wegen den Bananen vielleicht, die man sich hier überall kaufen kann? Oder wegen den Autos, auf die man drüben so lange warten muß? Nur sachte! Wenn man schon den "Systemvergleich" auf dem Niveau der Vitaminspender entscheiden möchte - was unser Kriterium n i c h t ist -, dann gibt es gegen havelländische Birnen ei- gentlich auch nicht viel einzuwenden. Der Verweis auf's Auto muß sich die Gegenfrage gefallen lassen, wohin die westdeutsche Ar- beiterklasse, gesetzt sie hat ein Auto, damit eigentlich 9 von 10 Kilometern fährt. Und daß doch, im Betrieb nämlich, das Stückchen "Kaufkraft", das ein westdeutscher Arbeiter seinem sächsischen Kollegen allenfalls voraus hat, so bitter (v)erdient ist, daß von einem lohnenden Verdienst nicht die Rede sein kann, könnte sogar ein Münchner Akademiker wissen. - "Hier genießen die Leute größere Bewegungs-, Meinungs- -------------------------------------------------------- und sonstige Freiheiten." ------------------------- Dafür, daß ein Staat seine Leute an einem Urlaub am Mittelmeer hindert, wird sich bestimmt niemand einsetzen - wir zu aller- letzt. Rechtfertigt das aber die Parteinahme für einen Staat, der seine Arbeiterklasse unter Bedingungen setzt, daß inzwischen der größte Teil davon sich gar keine Urlaubsreise leisten kann? Hat einer von den Menschheitsfreunden, die drüben die mangelnde Frei- zügigkeit beklagen, hier einem Durchschnittsarbeitslosen einen Freifahrschein für die Bundesbahn verschaffen wollen? Dürfen, ohne zu können, ist nämlich auch irgendwie blöd - und ohne staat- liche Kontrolle wäre die entsprechende Eigentums- und Einkom- mensordnung hierzulande auch nicht zu haben. Und was die hierzulande "sehr viel eingeschränktere Meinungskontrolle" be- trifft: Auf welche Meinung legt ein Student 1983 denn so viel Wert, daß er sie sich nicht verbieten lassen möchte? Vielleicht auf die folgende: "Ich finde meinen Staat dufte, weil er mir das Meinen bislang noch nie verboten hat!" -? Nun, mit dieser Meinung kann man auch drüben im Staatsdienst hochkommen! Ist denn wirk- lich die Einsicht so schwer, wie fatal es ist, sogar noch das Denken erlaubt zu kriegen - und dann noch mit dem Anspruch, man hätte gefälligst diese Erlaubnis zu schätzen und deswegen nichts Staatsunfreundliches zu denken! - "Die Leute drüben würden doch am liebsten in den Westen --------------------------------------------------------- abhauen!" --------- Um hier das Heer der Arbeitslosen zu verstärken? Oder nach dem Motto: "Türken 'raus, Sachsen 'rein!" -? Oder weil es sich bei den "Brüdern und Schwestern drüben" um dasselbe Volk von Frei- heitshelden handelt, das sich diesseits der "Zonengrenze" ja be- kanntlich kein bißchen Arroganz der Macht, geschweige denn diese selbst gefallen läßt? Das mag ja schon sein, daß mancher DDR-Bürger gerne einer glanz- volleren Herrschaft dienen würde: einer Obrigkeit ohne Russen- freundschaft, stattdessen mit einer starken Weltwirtschaft und einem Genscher mit Einfluß in aller Welt und den besseren Fuß- ballmannschaften ... Bloß: beweist das etwas anderes, als daß un- ter Ostdeutschen bisweilen ein gesamtdeutscher Nationalismus dümmster Machart mit ihrem - inzwischen übrigens längst angewöhn- ten und nicht besseren - DDR-Patriotismus konkurriert? * Urteile wie die zitierten sind nicht nur verkehrt. Sie sind nicht ungefährlich - für einen selbst wie für andere, die "Brüder und Schwestern drüben" mit ihrem "Freiheitsdurst" eingeschlossen. Denn auf diese von oben propagierte DDR-Kritik berufen sich die demokratischen Machthaber der BRD ganz demokratisch, wenn sie die DDR als "Unrechtsstaat" anprangern. Und von staatsoffizieller Seite ist das nicht bloß ein bloßer Moralismus. Dort ist es das ideologische Gütesiegel einer Politik, die eine sehr praktische Feindschaft gegen den Osten einschließt. Eine Feindschaft, hinter der die Wucht des größten Kriegsbündnisses aller Zeiten steht - und dessen Häuptling gibt keineswegs zum Spaß bei jeder Gelegen- heit seinen Beschluß bekannt, dem Sowjetkommunismus die "letzten Kapitel" ins Menschheitsstammbuch zu schreiben. zurück